Chronologie*

April

9.4., Köln: Eine Klausurtagung des Bundesamtes für Verfassungsschutz hat beschlossen, in den neu zu bil-denden Ländern der DDR Landes-ämter für „Verfassungsschutz“ einzu-richten. Ein neu zu schaffendes „Amt für Innere Sicherheit“ soll nach der politischen Vereinigung der beiden deutschen Staaten das Bundesamt ab-lösen.
11.4., Hamburg: In einem Beru-fungsverfahren vor dem LG wird ein Polizist vom Vorwurf der Sachbeschä-digung im Amt aufgrund mangelnder Beweise freigesprochen. Der Beamte war 1988 vom Amtsgericht zu 3.600 DM Geldstrafe verurteilt worden, weil es das Gericht als erwiesen an-gesehen hatte, daß er im Rahmen des „Hamburger Kessels“ mit seinem Knüppel eine Droschke beschädigt hatte.
11.4., Aachen: Ein flüchtiger Strafgefangener erschießt bei einer Poli-zeikontrolle auf einem Autobahnrastplatz einen Polizeibeamten und flüchtet anschließend mit zwei Frauen als Geiseln nach Lüttich. Er läßt die Frauen unverletzt frei und taucht unter. Am 11.5. wird der 40jährige Mann in Frankreich festgenommen.
18.4., Bonn: Auf ihrem ersten Treffen kündigen die Innenminister Schäuble und Diestel eine enge Zusammenarbeit der Polizeien beider deutscher Staaten an. Zur Bekämpfung des Terrorismus, der organisierten Kriminalität und der Rausch-giftkriminalität sollen Arbeitsgemein-schaften mit Beamten beider Ministe-rien gebildet werden.
25.4., Köln: Der SPD-Kanzlerkandi-dat Lafontaine wird auf einer Wahl-veranstaltung von einer Frau mit einem Messer angegriffen und lebens-gefährlich verletzt.
26.4., Bonn: Gegen die Oppositions-fraktionen verabschiedet der Bundes-tag das neue Ausländergesetz. Am 11.5. stimmt der Bundesrat dem Ge-setz zu.

Mai

1.5., Berlin (West): In der Nacht zum 2. 5. kommt es im Anschluß an ein nicht genehmigtes Straßenfest in Kreuzberg zu gewalttätigen Aus-schreitungen.
5.5., Berlin (Ost): Die Innenmi-nisterkonferenz beschließt, bundesdeutsche Polizeiexperten in die DDR zu entsenden, um diese beim Aufbau föderativer Polizeistrukturen zu unter-stützen. Ein Fort- und Weiterbildungsprogramm für die Führungs-kräfte der Volkspolizei wird verein-bart. Eine Arbeitsgruppe zur Intensi-vierung der operativen Zusammen-arbeit wird gebildet.
11.5., Karlsruhe: Der BGH hebt das Urteil gegen I. Strobl auf, die vom OLG-Düsseldorf zu 5 Jahren Freiheitsstrafe wegen Unterstützung einer terrori-stischen Vereinigung (RZ) verurteilt worden war. Der Haftbefehl wird unter Auflagen außer Vollzug gesetzt.
Bonn: Der Bundesrat bestätigt die Nominierung von Alexander von Stahl zum Generalbundesanwalt.
Bonn: Die Bundesländer legen im Bundesrat ein umfangreiches Gesetzespaket zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität vor. Es ist u.a. vorgesehen, illegal erzielte Gewinne einzuziehen und im Bereich der „orga-nisierten Kriminalität“ verdeckte Er-mittler einzusetzen. Die Datenschutz-beauftragten lehnen am 27.6. wegen schwerer datenschutzrechtlicher Einwände diese Entwürfe ab.
22.5., Köln: Gabriele Tiedemann wird vom LG vom Vorwurf des zweifachen Mordes und der Geiselnahme im Zusammenhang mit dem Überfall auf die OPEC-Konferenz 1975 in Wien freigesprochen.
Düsseldorf: Das Amtsgericht verurteilt zwei Polizisten wegen Beleidigung und Bedrohung zu Freiheitsstrafen von vier und sechs Monaten auf Bewährung, vier weitere Polizisten werden freigesprochen. Die Beamten waren angeklagt, von ihrer Dienststel-le aus Bürger mit anonymen nächt-lichen Telefonanrufen und mit anony-men Briefen beleidigt und bedroht zu haben.
27.5., Roermond: In der niederländischen Stadt erschießen IRA-Mitglieder zwei australische Touristen, die sie für britische Soldaten hielten.
31.5., Bonn: Der Bundestag verabschiedet gegen die Stimmen der Op-position das Datenschutzgesetz und die Geheimdienstgesetze. Die SPD-regierten Länder rufen am 22.6. den Vermittlungsausschuß an. Im Ergebnis stimmt auch die SPD den Entwürfen zu, so daß sie rechtskrätig werden (vgl. S.94 f. dieser Ausgabe).

Juni

1.6., Berlin (West): Der Senat kündigt die Auflösung der Freiwilligen Polizeireserve an.
2.6., Dortmund: Die IRA tötet bei einem Attentat einen Offizier der britischen Rheinarmee.
6.6., Berlin (Ost): In der DDR wird die ehemalige RAF-Terroristin Susanne Albrecht festgenommen. In den folgenden Wochen werden acht in der Bundesrepublik als Terroristen gesuchte Personen festgenommen; sechs von ihnen werden – teilweise gegen ihren Willen – an die Bundesrepublik ausgeliefert.
9.6., Nürnberg: Das OLG lehnt in letzter Instanz Schadensersatzforde-rungen von WAA-Gegnern wegen ei-nes eineinhalbtägigen Unterbringungsgewahrsams im Vorfeld einer Blockade der WAA ab, weil den Polizisten „kein schuldhaftes Han-deln“ nachzuweisen sei.
15.6., Dublin: Die Staaten der EG mit Ausnahme Dänemarks unterzeichnen eine Konvention über das Asylrecht und die Behandlung von Flüchtlingen in der EG. Der Vertrag sieht u.a. vor, daß für die Bearbeitung von Asylanträgen in Zukunft nur noch ein Mitgliedsstaat zuständig sein soll.
London: Nach 14 Jahren Haft wird das Urteil gegen die sogenannten „Maguire Sieben“ vom britischen Innenminister wegen von der Polizei erpreßter Ge-ständnisse und falscher Be-weise aufgehoben. Sie waren seinerzeit beschuldigt worden, Sprengstoff für die IRA geliefert zu haben.
Frankfurt: Die Generalstaatsanwälte der BRD schlagen ein Straffreiheitsgesetz für deutsche Agenten vor, die in der BRD und der DDR im operativen Einsatz waren oder sind.
19.6., Luxemburg: Das zweite Schengener Abkommen wird unterzeichnet. Es soll zum 1. 1. 1992 in Kraft treten und regelt den Wegfall der Grenzkontrollen zwischen der BRD (einschl. DDR), Frankreich, Belgien, Niederlande und Luxemburg sowie die Installation eines Informationssystems zwischen diesen Staaten.
20.6., Wiesbaden: Mit den Stimmen der CDU/FDP-Koalition verabschiedet der Landtag ein neues Polizeigesetz, durch das u.a. der Einsatz von V-Leuten eine gesetzliche Grundlage erhält.
23.6., Berlin (Ost): Nach einer Demonstration gegen Ausländerfeind-lichkeit und Neonazismus kommt es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Volkspolizei, Demonstran-ten und Skinheads.
25.6., Göttingen: Die StA stellt die Ermittlungen gegen Polizeibeamte im Zusammenhang mit dem Tod von Conny Wessmann ein. Die 24jährige war im Nov. 1989 bei einem Polizeieinsatz ums Leben gekommen, als sie vor der Polizei auf eine nicht abgesperrte Straße geflüchtet und von einem Auto erfaßt worden war.
26.6., Hannover: Die neue Landesre-gierung (SPD/GRÜNE) hebt den Ra-dikalenerlaß auf. Am 12.7. scheitern die GRÜNEN und die SPD mit einem Antrag im Bay. Landtag, den Radika-lenerlaß abzuschaffen. Am 14.7. hebt der Bundespräsident mit einem Gna-denakt das Berufsverbot gegen den Postbeamten Herbert Bastian auf. Bastian war im September ’87 durch ein Urteil des BVG wegen seiner Mitgliedschaft in der DKP aus dem Beamtendienst entlassen worden.
29.6., Hamburg: Anläßlich der Eröffnung des umstrittenen Theaters „Flora“ in Hamburg-Altona, kommt es zu schweren Auseindersetzungen zwischen Demonstranten, Polizei und Premierenpublikum.
Bonn: Die Innenministerkonferenz beschließt weitere Maßnahmen zur Bildung der Fahndungsunion mit der DDR: U.a. erhält das Zentrale Kriminalamt der DDR die Möglichkeit, über bundesdeutsche Stellen Anfragen an INPOL zu richten, und die Polizeidienststellen der DDR sollen an das Datennetz der bundesdeutschen Poli-zei angeschlossen werden.

Juli

1.7., Bonn: Zusammen mit der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion wird zum 1. 7. auch eine Fahndungsunion für die Polizeien der beiden deutschen Staaten geschaffen. Hierdurch soll die Übermittlung personenbezogener Daten und eine grenzüberschreitende Polizeifahndung gewährleistet werden. Der Zugriff der DDR-Behörden auf das bundesdeutsche INPOL-System wird nach Anga-ben der BKA auf bestimmte Personengruppen beschränkt.
14.7., Göttingen: Bei einer Demonstration gegen einen Funktionär der rechtsradikalen FAP setzt die Polizei Tränengas ein. Die Polizeiführung räumt ein, daß die Polizisten zuvor nicht angegriffen worden waren. Die StA ermittelt wegen des Verdachts der „Körperverletzung im Amt“. Nach einem Erlaß des niedersächsischen Innenministers Glogowski (SPD) vom 16.7. wird der Einsatz von Gasgranaten oder -patronen gegen Menschenansammlungen „ab sofort verboten, es sei denn, daß anders der Schußwaffengebrauch nicht zu verhindern ist.“
Karlsruhe: Das BVerfG bestätigt mit einem Beschluß von vier zu vier Stimmen die Verurteilung von Alexander Schubart wegen Landfriedensbruchs und Nötigung. Schubart hatte im Zusammenhang mit dem Bau der Startbahn-West zu einer Blockade des Frankfurter Flughafens aufgerufen. Das Frankfurter OLG muß nun über das endgültige Strafmaß entscheiden. (AZ: 3 StR 256/83)
18.7., München: Gegen die Stimmen der GRÜNEN und der SPD verabschiedet die CSU im Landtag das umstrittene Bay. Polizeiaufgabengesetz. Es tritt am 1.10. in Kraft und regelt u.a. den Einsatz verdeckter polizeilicher Ermittler und ver-deckter technischer Überwachungsmaßnahmen.
19.7., Berlin (West): Der Innensenator kündigt an, daß die Polizei 10.000 Eierhandgranaten und 1.500 Maschinengewehre abschaffen wird.
20.7., Karlsruhe: Der BGH billigt einem Geistlichen in einem terror. Ermittlungsverfahren ein Zeugnisver-weigerungsrecht „in Zweifelsfällen“ zu, wenn er als Seelsorger von bestimmten Tatsachen erfahren habe und hierzu die Aussage verweigert. (AZ StB 10/85)
27.7., Bonn: Innen-Staatssekretär Hans Neusel wird bei einem Bombenanschlag leicht verletzt. Am Tatort wird ein Bekennerschreiben der RAF gefunden.
30.7., London: Der konservative Parlamentarier Ian Gow wird bei einem Bombenattentat getötet. Zu dem Anschlag bekennt sich die IRA.

August

2.8., München: Der Bay. Verfassungsgerichtshof weist eine Klage zurück, mit der die Verfassungswidrigkeit der im neuen Polizeiaufgabengesetz festgeschriebenen Regelung zum 14tägigen polizeilichen Unterbringungsgewahrsam festgestellt werden sollte. Am 6.8. werden vier Teilnehmer einer Blockade des AKWs Grundremmingen von der Polizei in „Unterbringungsgewahrsam“ genommen.
3.8., Straubing: Zum zweiten Mal innerhalb von vier Wochen wird ein Gefangenenaufstand in der Strafanstalt unblutig durch die Polizei beendet.
Ansbach: Es wird bekannt, daß der Richter Roland Voigt am dortigen Verwaltungsgericht das schriftliche Urteil gegen einen Asylbewerber schon 14 Tage vor der mündlichen Hauptverhandlung ausgefertigt hat. Voigt soll zukünftig Verwaltungsrichtern in der DDR vor Ort „Rechtsstaatlichkeit“ lehren.
6.8. Hamburg: SPD-Kanzlerkandidat Lafontaine schlägt die Beschränkung des Asylrechts vor. Die Bundesregierung soll ermächtigt werden, durch Rechtsverordnung jene Staaten festzulegen, deren Bürger vom Recht auf Asyl ausgeschlossen werden. Der Vorschlag verschärft die innenpolitischen Auseinandersetzungen um das Asylrecht.
13.8., Karlsruhe: Der BGH bestätigt die Verurteilung von drei jungen Männern im sog. „Rosbach Ver-fahren“ wegen Brandstiftung durch das OLG Frankfurt. Damit wurde eine Verurteilung nach 129a, wie sie die Bundesanwaltschaft gefordert hatte, abgelehnt. Die Männer hatten im Juni ’89 einen Brandanschlag auf eine Renault-Niederlassung verübt.
16.8., Düsseldorf: Vor dem OLG beginnt der erste Prozeß vor einem deutschen Gericht gegen zwei mutmaßliche IRA-Mitglieder, die sich für zwei Bombenanschläge auf britische Militäreinrichtungen in NRW verantwor-ten müssen.
28.8., Hamm: Das „Gladbecker Geiseldrama“ bleibt für die beteiligten Polizisten juristisch folgenlos. Ein Klageerzwingungsverfahren eines Verwandten der getöteten Geisel wird vom OLG abgelehnt.
30.8., Berlin (Ost): Die Volkskammer berät in 1. Lesung das neue Poli-zeigesetz, mit dem die rechtliche Grundlage für das polizeiliche Handeln bis zur Bildung der DDR-Länder hergestellt werden soll. Das Gesetz ist eng angelehnt an den Musterentwurf eines Polizeigesetzes des Bundes und der Länder von 1986.

September

2.9., Leipzig: Bei Ausschreitungen nach einem Fußballspiel geben Volks-polizisten Schüsse auf die rechts-radikalen Randalierer ab. Nach Angaben der Polizei wurden die Polizisten bedroht; Warnschüsse seien ignoriert worden. Zwei Personen wurden durch die Schüsse verletzt; 35 wurden festgenommen.
4.9., Berlin/ Bonn: Es wird bekannt, daß der BGS in der Vergangenheit auf einigen ausländischen Flughäfen Pässe und Visa von Lufthansa-Passagieren kontrollierte. Diese Praxis soll ausgedehnt werden, um die Einreise in die BRD mit ungültigen Personalpapieren zu verhindern.
12.9., Bonn: Das Bundeskabinett bestätigt die Ernennung des SPD-Bun-destagsabgeordneten Konrad Porzner zum neuen Präsidenten des BND.

* Zusammengestellt aus: Berliner Morgenpost, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau, Süd-deutsche Zeitung, Tagesspiegel, Ta-geszeitung; vgl. auch Chronologie der STASI-Auflösung