von Otto Diederichs
Als sich 1985 die Benelux-Staaten, Frankreich und die Bundesrepublik im Schengener Abkommen auf die angestrebte Öffnung ihrer Binnengrenzen einigten, hatten die daraus resultierenden sicherheitspolitischen Planungen bereits einen rund zehnjährigen Vorlauf.
Als der britische Premierminister Harold Wilson dem Europäischen Rat auf dessen Tagung im Dezember 1975 vorschlug, ein regelmäßig tagendes Gremium der Innen- und Justizminister der Gemeinschaft für Fragen der Inneren Sicherheit und Öffentlichen Ordnung einzurichten, konnte er sich der Zustimmung ziemlich sicher sein. Unter dem Eindruck von Anschlägen palästinensischer und westeuropäischer Gruppen traf sich die Runde – aus damals noch neun Staaten – bereits ein halbes Jahr später, am 29.Juni 1976, und steckte den Rahmen ab, in dem sich die zukünftige Zusammenarbeit bewegen sollte: allgemeiner Informationsaustausch auf dem Gebiet des Terrorismus und gegenseitige Unterstützung in konkreten Fällen, Austausch technischer Erfahrungen, gegenseitiger Austausch von Polizeibeamten und Zusammenarbeit in Ausbildungsfragen, bei der Sicherung des Flugverkehrs, des Nuklearwesens und bei Natur- und Brandkatastrophen.
Unter der Bezeichnung TREVI (Terrorisme, Radicalisme, Extremisme, VIolence international) finden seitdem regelmäßig Sitzungen auf verschiedenen Ebenen statt. Der Tagungsort befindet sich jeweils in dem Land, das gerade den EG-Vorsitz innehat.
Die Ebenen
Oberstes Entscheidungsgremium ist die Ministerebene, in der die amtierenden Justiz- und Innenminister der mittlerweile 12 EG-Staaten auf der Grundlage von Arbeitsergebnissen der Fachebenen die politischen Beschlüsse fassen. Der Vorsitz wechselt halbjährlich. Die laufenden Geschäfte werden von einer sog. Troika geführt, die sich aus den Trägern der vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Präsidentschaft zusammensetzt. Dieses Prinzip gilt ebenfalls für alle nachgeordneten Entscheidungs- und Fachebenen.
Zweite Ebene ist der „Ausschuß der Hohen Beamten“. Ihm gehören hohe Ministerialbeamte aus den jeweiligen nationalen Ministerien und – wenn auch inoffiziell – die Leiter der Nachrichtendienste an. Mit typisch englischem Understatement ist die TREVI-Beteiligung des britischen Inlandsgeheimdienstes MI 5 in offiziellen britischen Verlautbarungen deshalb auch stets mit drei Sternen (***)vermerkt.4 Am 24.9.76 traf die Gruppe der „Hohen Beamten“ erstmalig in Den Haag zusammen. Sie geben den TREVI-Arbeitsgruppen die Themen vor und bereitet die Ergebnisse für die Entscheidungen der Minister vor.
Erstes konkretes Arbeitsergebnis war im Mai 1977 die Einrichtung nationaler Verbindungsbüros, mittels derer der laufende Informations- und Rechtshilfeverkehr abgewickelt wird. Nach Ansicht der Betreiber „funktioniert diese Arbeitsebene hervorragend, der Nachrichtenaustausch erfolgt schnell und auf sicheren Wegen“. Mit einigem Recht wird TREVI seither als ein „Pilotprojekt“ betrachtet, das auch für eine größere Gemeinschaft „standardbildend“ sein könnte. Gleichwohl ist TREVI keine EG-Institution, sondern eher eine Art Koordinierungs- und Planungsinstanz für polizeiliche und geheimdienstliche Kooperation.
Sitzungen des TREVI-Kabinetts, dessen Mitglieder unterhalb der Minister-ebene geheimgehalten werden, finden ohne Öffentlichkeit statt; selbst EG-Beobachter sind nicht zugelassen, eine Kontrolle durch das Europa-Parlament ist nicht vorgesehen. Anfänglich wurden nicht einmal Ort und Termin der Sitzungen bekanntgegeben. Erst seitdem im Rahmen des Schengener Abkommens verstärkt für eine gesamteuropäische Union geworben wird, haben auch die TREVI-Minister ihre Zurückhaltung ein wenig gelockert.
TREVI I
Gleich von Anbeginn bestanden auf der dritten Ebene die Arbeitsgruppen TREVI I (Terrorismusbekämpfung) und TREVI II (Polizeiausbildung und Technologie). Seither existiert zwischen den einzelnen EG-Staaten ein einigermaßen funktionierender Datenaustausch über „terrorismusverdächtige Drittausländer“. Mit dem Vorschlag zur Einrichtung eines gemeinsamen Informationspools der Mitgliedsstaaten konnte sich die Bundesrepublik bislang nicht durchsetzen. Dennoch scheint ein rascher Austausch gesichert. So sehen die Richtlinien der Arbeitsgruppe TREVI I u.a. vor, daß sich die einzelnen Staaten bei Terrordelikten kurzfristig, d.h. binnen 24 Stunden, zu informieren haben. Nach schwerwiegenden Zwischenfällen können zusätzlich zu den bereits stationierten weitere Fachleute entsandt werden, um die örtlichen Behörden zu beraten und zu unterstützen und eine grenzüberschreitende Fahndung zu koordinieren. Deutsche Vertreter innerhalb der AG waren über längere Zeit der kürzlich verstorbene Chef des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz, Christian Lochte, und ein namentlich nicht bekannter Kollege aus Baden-Württemberg. Wie reibungsfrei und schnell die Zusammenarbeit innerhalb der AG TREVI I mittlerweile funktioniert, zeigte sich insbesondere während des Golf-Krieges 1990/91. Zur Erstellung einer gemeinsamen Lageanalyse, der Unterrichtung über die in den einzelnen Staaten getroffenen Maßnahmen der Gefahrenabwehr sowie der damit verbundenen weiteren Verbesserung der Zusammenarbeit fanden Anfang 1991 gleich drei Sondertreffen der Arbeitsgruppe statt (18.1.91, 22.1.91 und 28.3.91). Keine unerhebliche Rolle dürfte in diesem Zusammenhang die beim Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden eingerichtete Zentralstelle zur Untersuchung und Auswertung gefälschter arabischer Pässe, die im Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten standen, gespielt haben.
TREVI II
In der Arbeitsgruppe TREVI II berät man über die „Harmonisierung“ der Kommunikations- und Kriminaltechnik, über Datenverarbeitung, Ausrüstung und allgemeine Ausbildungsfragen sowie die sprachliche Aus- und Fortbildung. Auch polizeitaktische Seminare, wie etwa zu Hausbesetzungen, Demonstrationen und Objektschutzmaßnahmen (März 1988) oder speziell zu Fußballkrawallen (Mai 1988), werden hier organisiert. 1989 schließlich wurde vereinbart, zur Nutzung der dabei gesammelten Erkenntnisse und Erfahrungen einen Informationsaustausch „z.B. über neue Formen von Ordnungsstörungen und besonderes Verhalten von Gruppen und Einzelnen“ einzurichten.
Für die Bundesrepublik nehmen Polizeiexperten aus Rheinland-Pfalz, Bayern und Berlin an TREVI II teil.
TREVI III
Im Juni 1985 beschloß die Ministerrunde die Ausweitung der Aktivitäten auf den Bereich der Schwerverbrechen und die mittlerweile in den argumentativen Vordergrund gerückte organisierte Kriminalität. Der neu eingerichteten Arbeitsgruppe TREVI III gehören überwiegend hochrangige Kriminalbeamte an, auf deutscher Seite OK-Fachleute aus Hessen und Nordrhein-Westfalen. Im ersten Halbjahr 1990 verabschiedete die Gruppe schließlich ihr „Zusammenfassendes Dokument zur Verbesserung der polizeilichen Zusammenarbeit, insbesondere bei der Bekämpfung des Terrorismus, der Rauschgiftkriminalität und anderer Formen des organisierten Verbrechens“. Es soll nun die Grundlage für die konkreten Maßnahmen in Hinblick auf das Inkrafttreten des Schengen-Abkommens zum 1.1.93 darstellen (Wortlaut siehe Dokumentation auf S. 56). Die Bekämpfung der Drogenkriminalität bildet hier einen Arbeitsschwerpunkt. US-amerikanischen und deutschen Vorbildern folgend sollen „Rauschgift-Verbindungsbeamte“ in alle Welt entsandt werden.
Hauptsächlich aus Kostengründen sollen dabei die bereits in nationaler Ei-geninitiative entsandten Beamten in den jeweiligen Stationierungsländern „auch die Interessen der anderen EG-Staaten mit wahrnehmen.“ Aus Sicht des Bundeskriminalamtes, das das am besten ausgebaute Netz von Verbindungsbeamten einbringt, hat ein solches Vorgehen noch einen weiteren Vorteil: „Aufgrund der bereits getroffenen Abmachungen gehen wir davon aus, daß unsere Partner uns im Gegenzug Zugang zu ihren Informationen verschaffen werden“, heißt es in einer vom Bonner Innenministerium herausgegebenen Publikation.
Nicht so recht von der Stelle allerdings kommt der Kampf gegen die „Organisierte Kriminalität“. Gemeinsame Ermittlungsgruppen scheitern nach wie vor an Sprachproblemen, insbesondere aber an den unterschiedlichen nationalen Gesetzen des Straf- und Finanzrechtes.
TREVI IV
Seit langem geplant, vorliegenden Informationen zufolge bislang jedoch nicht realisiert, ist eine Arbeitsgruppe, die den Schutz von Atomkraftwerken und Nukleartransporten sowie Zivilschutzmaßnahmen bei grenzüberschreitenden Katastrophen beraten und koordinieren soll. Auch die AG „Brandschutz“ hat bislang nur wenige Aktivitäten an den Tag gelegt.
Auf anderen Gebieten ist man da schneller: so wurde 1988, unter deutschem Vorsitz, eine ad-hoc-Arbeitsgruppe „Einwanderung“ ins Leben gerufen. Außerdem beauftragte die Ministerkonferenz im Dezember 1988 eine weitere ad-hoc-Arbeitsgruppe, die durch die geplante Abschaffung der Grenzkontrollen befürchteten „Sicherheitsdefizite“ festzustellen und entsprechende „Ausgleichsmaßnahmen“ aufzuzeigen. Aus dieser, TREVI 92 genannten AG, ging die heutige Arbeitsgruppe TREVI IV „Ausgleichsmaßnahmen“ hervor. In direktem Zusammenhang damit steht zudem die unterdessen eingerichtete ad-hoc-Arbeitsgruppe „Einwanderung“, deren Federführung die Bundesrepublik übernommen hat.
Besondere Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang der Ausbau des innereuropäischen Kommunikations- und Datenverbundes.
(Siehe hierzu Weichert, Europol und Datenschutz, in diesem Heft S. 47)
Schlußbetrachtung
Nach und nach hat TREVI die polizeiliche und geheimdienstliche Zusammenarbeit auch über die EG-Grenzen ausgeweitet: 1986/87 wurden konkrete Übereinkünfte mit Marokko, Österreich, Kanada, Japan, USA, VR China, Jugoslawien und Thailand getroffen. Die Zusammenarbeit mit diesen Ländern umfaßt dabei im wesentlichen die Terror-, Rauschgift- und Schwerverbrechensbekämpfung. Mit Norwegen, Schweden, Schweiz, Türkei und Malta finden Gespräche statt.
Fachleuten gilt TREVI denn auch als das bisher konstruktivste Beispiel von Sicherheitskooperation. Dies mußte zwangsläufig andere, z.T. konkurrierende Organisationen hellhörig machen, und so befürchtet man bei Interpol wohl nicht ganz zu unrecht, daß der Aufbau eines eigenen EG-internen Informations- und Kommunikationsssystems möglicherweise zu erheblichen Mängeln bei der dortigen Informationssammlung führen könnte. „TREVI kann keine Alternative zu IKPO-Interpol sein“, lautet dort die Devise und entsprechend ist man bemüht, eine Beteiligung an den Sitzungen der TREVI-Arbeitsgruppe III zu erreichen, damit die „weltweiten, polizeilichen Kooperationszwänge nicht aus den Augen verloren werden.“