von Norbert Pütter und Otto Diederichs
Wie so oft in der bundesdeutschen Polizeiarbeit besaß man anfangs auch bei der Untergrundfahndung zwar praktische Erfahrungen, ohne jedoch auf einen entsprechenden rechtlichen Rahmen verweisen zu können. Mitte der 80er Jahre setzte sich dann eine offizielle Terminologie durch: Klar unterschieden wird nun zwischen „Vertrauens-Personen“ (VP) und „Verdeckten Ermittlern“ (VE). Bei der VP, so die Richtlinien von 1985, handelt es sich seither um „eine Person, die, ohne einer Strafverfolgungsbehörde anzugehören, bereit ist, diese bei der Aufklärung von Straftaten auf längere Zeit vertraulich zu unterstützten, und deren Identität grundsätzlich geheimgehalten wird“. Während ein „Gelegenheitsinformant“ der Polizei sein Wissen nur punktuell und anlaßbezogen mitteilt, kommt es mit V-Personen zu einer direkten und auf Dauer angelegten Zusammenarbeit. Die V-Person wird somit zur „freien“ MitarbeiterIn der Polizei, erhält bestimmte Aufträge und wird für ihre Arbeit entlohnt. Bei den „Verdeckten Ermittlern“ hingegen handelt es sich um „besonders ausgewählte und ausgestattete Polizeivollzugsbeamte, die unter einer Legende Kontakte zur kriminellen Szene aufnehmen, um Anhaltspunkte für Maßnahmen der Strafverfolgung zu gewinnen, und deren Identität auch im Strafverfahren geheimgehalten werden soll“.
Zu diesem Zeitpunkt konnte das polizeiliche Mittel des „VE“ bereits auf ca. 15 Jahre Einsatzerfahrung zurückblicken und um die heute mit einiger Verve geführte Debatte, ob diese Beamten denn zur Vertrauensbildung auch „milieubedingte Straftaten“ begehen dürfen, machte man sich ursprünglich keine Gedanken.
Die Anfänge
Obgleich bis heute weitgehend unklar geblieben ist, welche konkreten Gründe beim Bundeskriminalamt (BKA) für die Einrichtung einer Abteilung zur polizeilichen Untergrundfahndung ausschlaggebend gewesen sein mögen, die apparative Keimzelle kann als geklärt gelten: Sie liegt in den seinerzeitigen Abteilungen „EO“ und „EA“. Zu ihrem Aufbau wechselten Ende der sechziger Jahre die Beamten des Bundesnachrichtendienstes (BND) Gerhard Folger, Walter Schill und ein dritter, von dem nicht ganz klar ist, ob es sich hierbei um Dr. Hans Kollmar gehandelt hat, zum BKA. Als erster Schritt wurde die neue Abteilung aus dem Bundeskriminalamt ausgegliedert in den fünften Stock eines Geschäftshochhauses in der Wiesbadener Friedrichstraße. Dort wurde unter der Deckadresse „Fernmeldeamt 4, Fernmeldetechnisches“ auch die Telefonüberwachung des BKA eingerichtet. „EO“ stand dabei für „Ermittlungen in originärer Zuständigkeit“, d.h. die Zuständigkeiten dieser Abteilung ergaben sich aus den Aufgabenzuweisungen die das BKA-Gesetz von …. dem Bundeskriminalamt übertragen hatte: Bandenkriminalität, Kidnapping, Rauschgifthandel, internationaler Waffenhandel, internationale Kfz-Verschiebung etc. – also alles das, was heute der sog. OK zugerechnet wird. „EA“ stand für „Ermittlungen im Auftrag“, wobei die Auftragsvergabe sowohl durch andere Landeskriminalämter, Staatsanwaltschaften, den Generalbundesanwalt oder auch durch EO erfolgen konnte.
Nachdem das BKA damit den „Startschuß“ gegeben hatte, interessierten sich auch die Landeskriminalämter (LKÄ), allen voran Baden-Württemberg für diese Methode. Bereits 1973 richtete man dort die erste Ermittlungsgruppe zur verdeckten Fahndung ein . Seine organisatorisch intensivste Ausprägung findet sich in der Folge dann in der Drogenfahndung , doch auch für andere Kriminalitätsbereiche wurden sog. „Operative Ermittlungsgruppen“ aufgestellt. Der damalige LKA-Präsident Kuno Bux und der baden-württembergische Landespolizeipräsident Alfred Stümper, bis in die späten 80er Jahre die graue Eminenz bundesdeutscher Sicherheitspolitik , wurden fortan die offensivsten Vertreter des neuen Konzepts – bis hin zur „Aufstellung von Polizeisondereinheiten nach Art von Geheimdiensten“, die Bux 1977 forderte. Die zweite wichtige Rolle bei der Durchsetzung polizeilicher Untergrundfahndung spielte Hamburg. 1974 veröffentlichte dort der Kriminaldirektor Hans Zühlsdorf das erste polizeiliche Fachbuch. Das Landeskriminalamt der Hansestadt gilt seit Jahren unumstritten als das mit der „wohl umfassendsten Konzeption“, und hier wurden am 1.11.83 auch die ersten Richtlinien für den Einsatz verdeckt arbeitender Beamter erlassen. Andere Polizeibehörden folgten diesen Vorreitern und parallel dazu begann auch die Justiz mit der Errichtung sog. Schwerpunktstaatsanwaltschaften, deren Aufgabe die ausschließliche Bearbeitung von Fällen ist, die der OK zugerechnet werden.
Die ersten Polizeiagenten
Bei der Auswahl ihrer „Verdeckten Ermittler“ hatte die Polizei zunächst keine sehr glückliche Hand bewiesen. Der erste, der – quasi als Freischaffender – für die neue BKA-Abteilung EO in den Untergrund ging, war der später zu höchst zweifelhaftem Ruhm gelangte Privatdetektiv Werner Mauss. Er war im Fahrwasser seines V-Mann-Führers „Götz“, Klarname Gerhard Folger, in den Agententransfer vom BND zum BKA geraten.
Die Konstruktion des „freien Mitarbeiters“ hatte für beide Seiten Vorteile. Mauss konnte arbeiten, ohne durch Beamtenrichtlinien und bürokratische Fesseln behindert zu werden und das Bundeskriminalamt bekam (neben der Möglichkeit, sich ggf. glaubhaft distanzieren zu können) die Gelegenheit, mit einem Versuchskaninchen erste Erfahrungen zu sammeln. (Eine spätere, sowohl vom BKA-Präsidenten Horst Herold wie auch Mauss betriebene Festanstellung scheiterte an den damals zuständigen FDP-Innenministern Werner Maihofer und Rudolf Baum.
Einer der ersten verbeamteten „VE“, mit denen das BKA seine Testphase fortsetzte, war der Kriminaloberkommissar Frank P. Heigl, (Dienstnummer 000013), der 1974 aus dem aktiven Dienst ausschied, nachdem er zuvor zwei Jahre als angeblicher Pilot der belgischen (?) Fluglinie „Sabena“ im Frankfurter Rotlicht-Milieu agiert hatte. Heigl nutzte seine Kontakte und Kenntnisse danach im einträglicheren Geschäft des Nachrichtenhandels bis seine Unseriosität sich allgemein herumgesprochen hatte und die Abnehmer ausblieben.
Im Frühjahr 1976 schließlich begann der bislang bekannteste BKA-Mann, Kriminalhauptkommissar Hans-Georg Haupt, der zuvor im Unterreferat „EO 11/1 (Koordinierungsstelle für V-Mann-Angelegenheiten)“ als VP-Führer den Agenten Mauss geführt hatte sein Doppellen. Es führte ihn rund fünf Jahre durch die renommiertesten Hotels im In- und Ausland führte und selbst „Interpol“ partizipierte zeitweilig daran. Das Ende kam jäh: Am 9.6.81 beantragte der Duisburger Staatsanwalt Gerd Schnittcher Haftbefehl gegen Haupt wegen des „dringenden Verdacht des Betruges, der Unterschlagung und der Amtsanmaßung“. Mit der Festnahme Haupts einen Tag später erfuhr auch die breitere Öffentlichkeit erstmals vom polizeilichen Instruments des „Verdeckten Ermittlers“. Auf die denkbar unrühmlichste Art endete damit aber nicht nur eine Polizeikarriere. Auch die, trotz langjähriger Praxis noch immer in den Kinderschuhen steckende Untergrundfahndung hatte einen schweren Rückschlag erlitten.
Verrechtlichung
Nachdem in der Folge des Hamburger Beispiels auch in einigen anderen Bundesländern Anfang der 80er Jahre Richtlinien erlassen worden waren , einigten sich die Justiz- und die Innenministerkonferenz 1985 auf zwei Thesenpapiere, in denen die Zusammenarbeit mit V-Personen und der Einsatz „Verdeckter Ermittler“ geregelt wurden. 1986 wurden diese dann in Erlasse oder Verfügungen umgesetzt. Sie sind für die Bereiche Informanten und V-Personen bis heute unverändert in Kraft; allerdings regeln sie ausschließlich die Zusicherung der Vertraulichkeit, sprich die Geheimhaltung: Im Regelfall ist demnach vor der Zusage der Vertraulichkeit durch die Polizei die Zustimmung der Staatsanwaltschaft herbeizuführen. Für den Bereich der Bagatellkriminalität schließen ie Vertraulichkeitszusicherungen aus; nur in begründete Einzelfällen sollen sie im Bereich „mittlerer Kriminalität“ zulässig sein. Als eigentliches Einsatzgebiet werden „insbesondere“ der „Bereich der Schwerkriminalität, der organisierten Kriminalität, des illegalen Betäubungsmittel- und Waffenhandels, der Falschgeldkriminalität und der Staatsschutzdelikte“ genannt.
Aussagen über die praktischen Beziehungen zwischen der Polizei und ihren Helfern enthält dieser (öffentlich bekannte) Teil der Richtlinien nicht: Nichts über Bezahlung, Art der Aufträge oder die Führung der VP.
Bis 1992 war auch der Einsatz „Verdeckter Ermittler“ lediglich durch Richtlinien geregelt. Als gesetzliche Grundlage wurde auf die Strafprozeßordnung (161, 163 StPO) verwiesen: Mit verschiedenen Entwürfen zur StPO-Novellierung unterstrich auch die Bundesregierung schließlich, daß der VE-Einsatz einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage bedürfe. Der gezielte VE-Einsatz in einem Ermittlungsverfahren wurde nun an die Zustimmung der Staatsanwaltschaft gebunden. Die Polizeiforderung, ein „VE“ müsse von Strafverfolgungspflicht befreit werden und sog. „milieubedingte Straftaten“ begehen können, wurde abgelehnt; allerdings wurde ermöglicht, aus kriminaltaktischen Gründen Ermittlungsmaßnahmen zeitweilig zurückzustellen.
Durch das „Gesetz zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität“(OrgKG) von 1992 und die damit verbundene Aufnahme in die StPO ( 110a, 110b StPO) wurden die Bestimmungen über den VE-Einsatz differenzierter, ohne jedoch begrenzende Wirkung zu versprechen.
Eingang in das Polizeirecht fanden VP und VE zunächst durch den „Musterentwurf für ein einheitliches Polizeigesetz“ (MEPolG). In der jüngsten Version eines Vorentwurfs von 1986 sind in der Alternative zu 8c als „besondere Methoden der Datenerhebung“ „der Einsatz von Polizeivollzugsbeamten unter einer Legende (verdeckte Ermittler)“ sowie „der Einsatz sonstiger Personen, deren Zusammenarbeit mit der Polizei Dritten nicht bekannt ist“ erwähnt. In den Folgejahren haben die Bestimmungen für den VE-Einsatz Eingang in fast alle Landespolizeigesetze gefunden. Lediglich Niedersachsen und Schleswig-Holstein haben in ihren Gesetzes-Novellen auf entsprechende Bestimmungen verzichtet.
Die Vorschriften in den anderen Ländern variieren stark: So überträgt das Berliner Gesetz die Anordnungsbefugnis für VE-Einsätze auf den Polizeipräsidenten , während Hessen für dauerhafte Einsätze eine richterliche Anordnung vorschreibt. Auch die Bestimmungen über V-Personen wurden nicht in alle Polizeigesetze übernommen (z.B. Baden-Württemberg, Bayern). Wo sie aufgenommen wurden, ist ihre Regelungsqualität indes äußerst gering, da sie lediglich die Anordnungsbefugnis innerhalb der Polizei festlegen.
V-Personen
Die Einsatzkonzepte für V-Personen variieren ebenso wie ihre institutionelle Anbindung. So werdem sie z.B. (nur) in einigen Ländern (Hessen, NRW) von den LKÄ registriert; eingesetzt werden sie jedoch immer von der jeweils ermittlungsführenden Dienststelle. Mitunter ist ihr Einsatz sehr eng an den „Verdeckter Ermittler“ gebunden. Nach anderen Konzeptionen agieren beide grundsätzlich getrennt. Als VP-Führer wiederum kommen je nach Bundesland entweder der Ermittlungssachbearbeiter oder besonders spezialisierte VP-Führer in Frage.
Ermittlungstaktisch kommt der VP die Funktion zu, die Polizei gezielt mit Informationen über bestimmte Personen oder Gruppen eines Milieus sowie deren geplante oder durchgeführte Straftaten u.ä. zu versorgen. Vor allem für das Eindringen in ausländische Gruppen ist die VP ein äußerst wichtiges polizeiliches Instrument, da (deutsche) VE kaum einschleust werden können und andere operative Methoden (z.B. Telefonüberwachung) wegen der (ethnischen) Geschlossenheit der Gruppen nicht ohne weiteres eingesetzt werden können. Für solche Aufgaben sind VP geradezu prädestiniert, da es sich in der Regel selbst um Kriminelle oder zumindest Personen aus dem Randbereich des kriminellen Milieus handelt. Eine Untersuchung der in Hessen eingesetzten VP kam 1992 zu dem Ergebnis, daß 71% wenigstens ein Mal vorbestraft waren, knapp 40% diser Vorstrafen erfolgte aufgrund von Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Damit ist das Haupteinsatzfeld bereits genannt: Mehr als zwei Drittel wurden in der Drogenbekämpfung eingesetzt. (Insgesamt kann wohl davon ausgegangen werden, daß die hessischen Relationen für die gesamte Republik gelten).
Für die Rekrutierung von VP sind noch die folgenden Angaben von Interesse: 37% hatten keinen Beruf erlernt und nur 20% hatten sich – außerhalb eigener Ermittlungsverfahren – der Polizei angeboten. Bei den Motiven überwog denn auch der Verweis auf die Bezahlung sowie die Hoffnung auf sonstige Vorteile aus der Zusammenarbeit mit der Polizei.
In welchem Umfang V-Personen von der Polizei eingesetzt werden, ist nicht bekannt. Die seltenen Angaben die hierzu existieren , zeigen allenfalls einen kleinen Ausschnitt. Längst haben sich VP mittlerweile als kriminalpolizeiliche Standardmaßnahme durchgesetzt. Erwähnenswert wird da allenfalls, wenn ein Innenminister verkündet, keine VP einzusetzen, wie dies der niedersächsische Innenminister … Glogowski – mit Ausnahme für den rechtextremistischen Bereich – im Januar 1993 verkündete.
Die Erfahrungen mit VP in Strafverfahren sind für die BRD systematisch noch nicht zusammengetragen worden. Dies dürfte indes auch nehezu aussichtslos sein; zu oft spielen sie dort (etwa im Rauschgiftbereich) eine Rolle. Dabei geht es in der Regel immer um den schmalen Grad zwischen Tatprovokation durch die VP und bloßer Teilnahme. (Eher selten werden jene Einsätze publik, in denen das Vorgehen so konspirativ war, daß die V-Personen verschiedener Polizeigliederungen unter sich Scheingeschäfte abwickelten.) Auch hinsichtlich der Rechtstreue von VP im Einsatz gibt es kaum offizielle Aussagen: Für Nordrhein-Westfalen etwa berichtete das Innenministerium 1985 von ca. 10 Ermittlungsverfahren gegen V-Personen. Die jedoch „zum größten Teil mangels hinreichenden Tatverdachts“ eingestellt wurden. Zwischen 1975-85 wurde beim BKA lediglich das Verhalten einer V-Person beanstandet. Ein Strafverfahren konnte jedoch nicht durchgeführt werden, weil der Aufenthaltsort der VP nicht mehr bekannt war. Einen gänzlich anderen – wenngleich ebenfalls unvollständigen – Eindruck vermitteln die Urteilsnotizen in der juristischen Fachliteratur.
Verdeckte Ermittler
Die Einsatzmodalitäten verdeckt ermittelnder Polizeibeamter sind parallel zur Verrechtlichung stets unübersichtlicher geworden. Der durch das OrgKG von 1992 in die StPO eingefügte 110a definierte Verdeckte Ermittler als „Beamte des Polizeidienstes, die unter einer ihnen verliehenen, auf Dauer angelegten, veränderten Identität (Legende) ermitteln.“ Mit dem Merkmal „auf Dauer“ wurde der VE-Begriff für den Bereich des Strafprozeßrechts eingeschränkt. In der Begründung des OrgKG unterschied die Bundesregierung den VE ausdrücklich von jenem Beamten, „der nur gelegentlich verdeckt auftritt und seine Funktion nicht offenlegt (z.B. einem Scheinaufkäufer). Dessen Einsatz regelt sich nach den allgemeinen Bestimmungen“. Nach der Verabschiedung des OrgKG wurden auch die Richtlinien über den VE- (und VP-) Einsatz novelliert. Begrifflich schloß man sich zunächst der Definition der StPO an; in den Bestimmungen selbst wird aber ausdrücklich die „Ermittlungstätigkeit sonstiger nicht offen ermittelnder Polizeibeamter“ erwähnt. Mit anderen Worten: Alle nicht mit einer auf Dauer (?) angelegten Legende verdeckt ermittelnden PolizistInnen tun dies weiter ohne gesetzliche Grundlage auf der Basis von Verwaltungsvorschriften.
Durch diese Entwicklung hat der VE-Begriff seine vormalige Eindeutigkeit verloren. Faktisch muß heute zwischen mindestens drei Gruppen verdeckt ermittelnder PolizistInnen unterschieden werden:
- Erstens die VE in der Definition der StPO, die auf Dauer eingesetzt und mit einer falschen Identität versehen, von Spezialdienststellen geführt geführt werden. Diese VE im engeren Sinne sollen auf kriminelle Organisationen oder Zielpersonen angesetzt werden. Sie sollen sich im vermuteten Kernbereich organisierter Kriminalität bewegen und dazu beitragen, hochkarätige Zusammenschlüsse vom Zentrum aufzulösen.
- Zweitens der (einfache) Scheinkäufer. Dabei handelt es sich um Beamte (Sachbearbeiter), die im Rahmen der Ermittlungsverfahren auch einmal einen fingierten Kauf abwickeln, um dabei den Verkäufer festzunehmen. Der Scheinkäufer arbeitet ohne Legende und tritt auch im späteren Prozeß offen als Zeuge auf.
- Bei der dritten Gruppe handelt es sich um eine Zwischenspezies, die entweder als „qualifizierte Scheinaufkäufer“ oder als „Nicht offen ermittelnde Polizeibeamte“ (NoeP) bezeichnet werden. Im Unterschied zu Scheinkäufern treten sie unter einer Legende auf, die jedoch nicht wie beim „echten“ VE nach geheimdienstlichen Muster durchgängig und auf Dauer angelegt ist. Der „NoeP lebt somit nicht in seiner falschen Identität, sondern legt sie nur fallbezogen an; auch soll er mit der Legende nicht am „eigentlichen Rechtsverkehr“ teilnehmen. (Um die Begriffsverwirrung noch zu steigern, unterscheidet das BKA zudem noch zwischen zentralen und dezentralen VE-Einsätzen, wobei die zentralen den auf Dauer angelegten VE und die dezentralen den anlaßbezogen eingesetzen VE entsprechen).
Ob und welchem Ausmaß die eine oder andere Variante verdeckter Ermittlungen angewendet wird, ist nicht bekannt. Die Verhältnisse scheinen auch hier zwischen den Bundesländern unterschiedlich zu sein. 1991 teilte die Bundesregierung mit, das BKA habe in den Jahren 1988-90 insgesamt 125 zentrale und 152 dezentrale VE-Einsätze angeordnet. Ebenfalls 1991 legte das Innenministerium Baden-Württemberg eine Erfolgsbilanz der dortigen VE-Arbeit vor. Demzufolge führten die Einsätze von 1983-90 zu insgesamt 2.547 Festnahmen und zur Beschlagnahme von Waren (Rauschgift, Diebesgut, Waffen, Geldfälschungen etc.) im Gesamtwert von mehr als 814 Mio. DM. Andere Zahlen geben einen Hinweis auf die Verbreitung von VE: 1993 wurden in 25 der insgesamt 73 baden-württembergischen OK-Verfahren, „Verdeckte Ermittler“ eingesetzt. In Rheinland-Pfalz kam es in den Jahren 1988-90 in 313 Fällen zum VE-Einsatz. (Sie richteten sich überwiegend gegen Straftäter im Betäubungsmittelbereich = 174 Fälle).
Über Pannen oder unerwünschte Begleiterscheinungen von VE-Einsätzen schweigen sich die offiziellen Erfolgsbilanzen aus. Werden Einzelfälle bekannt, hüllt man sich unter Hinweis auf Geheimhaltungsbedürftigkeit in Schweigen: „Zu konkreten Aspekten der Einsätze von verdeckten Ermittlern durch den Bund oder durch die Ländern nimmt die Bundesregierung grundsätzlich öffentlich nicht Stellung.“ In anderen Fällen müssen sich Parlamentarische Untersuchungsausschüsse darum bemühen, ein wenig Licht in die Wirklichkeit polizeilicher Untergrundfahndung zu bringen.
VP und VE in der Praxis
Naturgemäß weiß die Öffentlichkeit somit über den tatsächlichen Einsatz von VP und VE sehr wenig. Und bei dem, was bekannt wird, ist zu berücksichtigen, daß es sich um Informationen handelt, die die Polizei oder die Innenverwaltungen für veröffentlichungsfähig halten. Insofern zeigen auch diese Quellen nur einen kleinen, ausgewählten Ausschnitt verdeckter Polizeiarbeit. Weitere Hinweise ergeben sich aus Strafverfahren, doch sie bleiben auf Einzelfälle beschränkt, die immer nur Schlaglichter werfen.
Zusammenfassend kann jedoch festgestellt werden, daß V-Personen häufig den Weg für den Einsatz eines Verdeckten Ermittlers bereiten und bei dessen Einschleusung mitwirken. Ebenso werden VE (und VP) in vielen Fällen gleichzeitig mit anderen operativen Methoden eingesetzt. Gerade „dem Zusammenwirken der verdeckten Ermittlungsmethoden wie Observation, Einsatz technischer Mittel, Einsatz von V-Personen und Einsatz von Verdeckten Ermittlern“, kommt nach Ansicht des früheren baden-württembergischen Innenministers …. bei der OK-Bekämpfung „entscheidende Bedeutung“ zu. Anders ausgedrückt: Hat die Polizei eine ihr verdächtig und „hochkarätig“ erscheinende Zielperson oder -gruppe ausfindig gemacht, so setzt sie ggf. ihr gesamtes Repertoire operativer Methoden ein. Im Hinblick auf ein späteres Strafverfahren kommt dem unerkannt ermittelnden VE (oder der VP) dabei dan vor allem die Aufgabe zu, andere gerichtsverwertbare Beweise herbeizuschaffen, da sie selbst vor Gericht nicht (offen) auftreten sollen.
Etablierte Methoden: neu-alte Probleme
Der Einsatz nicht offen ermittelnder Polizeibeamter sowie die kontinuierliche Zusammenarbeit mit Spitzeln aus dem kriminellen Milieu sind in den letzten 20 Jahren Teil des polizeilichen Standardrepertoires geworden. Während die quantitative Zunahme solcher Einsätze nur mit einiger Plausibilität vermutet werden kann, ist jedoch offensichtlich, daß mit der Einrichtung von Spezialdienststellen, mit den gesetzlichen Normierungsversuchen und der Herausbildung differenzierter Formen des verdeckten Einsatzes eine Professionalisierung dieser Arbeitsform stattgefunden hat. VE/VP sind in diesem Sinne also „normal“ geworden sind; ihre Problematik hat sich dadurch indes nicht verkleinert. Jenseits der strafprozessualen Problematik sind vor allem folgende Punkte bedeutsam:
– Legt man die naive Vorstellung zugrunde, daß in einem
demokratischen Rechtsstaat Eingriffe des Staates in die Rechte der BürgerInnen zumindest einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, so fällt die Bilanz gleich mehrfach negativ aus. Selbst für den ideologisch hier unverdächtigen, für verdeckte Ermittlungen aber zweifellos sachkundigen Frankfurter Oberstaatsanwalt Harald Körner ist das „Ansetzen eines V-Mannes an einen Tatverdächtigen (…) der umfassendste und schwerwiegendste Eingriff in die Grundrechte des Bürgers.“ Doch gerade dieser Eingriff wird bislang strafprozessual nur in Verwaltungsrichtlinien und polizeirechtlich lediglich in einigen Bundesländern geregelt. Daß gesetzliche Bestimmungen dabei keineswegs mit begrenzenden Wirkungen verbunden sind, zeigen die Bestimmungen der StPO: Weder die deliktischen Umschreibungen, noch die Anordnungsbefugnisse begrenzen die VE-Praxis, noch bringen sie eine größere Tansparenz oder Kontrollierbarkeit. Es handelt sich lediglich um die gesetzliche Absicherung bestehender Verhältnisse; mehr war auch nicht versprochen worden. Die neuen Formen verdeckter Polizeiarbeit, der Scheinkäufer und der NoeP, die man nun zu typisieren versucht, stellen sich vor diesem Hintergrund als Versuche dar, selbst die Bestimmungen der StPO noch zu unterlaufen.
– Bei den, semantisch zu „Vertrauens-Personen“ hochstilisierten Spitzeln handelt es sich in aller Regel um Kriminelle, die sich von ihrer Zusammenarbeit mit der Polizei Geld oder sonstige individuelle Vorteile versprechen. Die Kalküle solcher Personen können vielfältig sein und reichen von einfacher Wichtigtuerei über ein Ablenken von eigenen Taten/Tatbeiträgen bis hin zu dem Bestreben, einen Konkurrenten aus dem Weg räumen. Sofern es der Polizei nicht gelingt, die Informationen ihrer VP mit anderen Mitteln zu überprüfen, läuft sie Gefahr, selbst Opfer solchen Kalküls zu werden. Doch selbst wo dies gelingt oder es sich um die seltene Spezies der sog. „nachrichtentreuen“ VP handelt, macht sich die Polizei tendenziell abhängig von deren Informationen.
– Der „Verdeckte Ermittler“ muß sich ebenfalls im kriminellen Milieu bewegen. Versucht er ernsthaft, Kontakt zu zentralen Figuren aufzubauen, wird er sich zwangsläufig den Gewohnheiten seiner neuen, kriminellen Umwelt anpassen müssen. Die sowohl im polizeilichen wie auch politischen Raum seit Jahren erhobene Forderung, man solle „milieubedingte Straftaten“ für VE legalisieren oder „bei Straftaten minderen Gewichts zugunsten des Verdeckten Ermittlers von der Strafverfolgung absehen“, ist nur die logische Konsequenz. Daß dies – entgegen den Bestimmungen – längst Praxis ist, bezeugte vor zwei Jahren ein ehemaliger VE.
Der Kriminologe Arthur Kreuzer war bereits 1975 deutlicher geworden: „Der (…) polizeiliche Untergrundfahnder wird nicht selten vom Abenteuerdrang inspiriert sein. Parallelen zur Spionage und Spionageabwehr liegen auf der Hand. Abgesehen von seinem eigenen erheblichen Sicherheits- und beruflichen Risiko ist nicht auszuschließen, daß er die nötige rechtliche und funktionale Distanz und Unabhängigkeit gegenüber dem Gegenstand seiner speziellen Aufgabe verliert. (..) Solche Gefahren werden unter Eingeweihten als so ernst erachtet, daß man auf einer Fachtagung von der Notwendigkeit sprach, spezialisierte Untergrundfahnder vor ihrer Rückführung in andere Dienstaufgaben für die übliche polizeiliche Tätigkeit zu „resozialisieren“.“
Davon ist heutigentags kaum noch die Rede. So gefaßte sich im Zusammenhang mit der Beratung des OrgKG eine bundesweite Polizeiarbeitsgruppe mit den VE-Regelungen. Nach Angaben ihres Vorsitzenden ……. führt einfach „kein Weg an der Tatsache vorbei, daß Verdeckte Ermittler, wollen sie erfolgreich sein und die Gefährdungsschwelle für sich so niedrig wie möglich halten, im Einzelfall um strafrechtlich relevante Normverletzungen nicht herumkommen. (…) Bei dieser Sachlage müßten wir konsequenterweise alle Verdeckten Ermittler zurückziehen. Wir tun das nicht, weil wir das Feld nicht resignativ den kriminellen Organisationen überlassen wollen und können. Wir tragen das volle Risiko.“
Der politische Streit um diese Frage ist somit eine Scheindebatte. Legalisiert man schließlich die „milieubedingten“ Rechtsbrüche, womit nach bisheriger Erfahrung zu rechnen ist, so ist damit nicht nur der letzte Hauch rechtlicher Unsicherheit, von dem eine begrenzende Wirkung erhofft werden kann, beseitigt.