Literatur – Rezensionen und Hinweise

Literatur zum Schwerpunkt

Wer eine Vorstellung über die kleine Bürgerrechtsbewegung der BRD erhalten will, dem sei zu allererst ein Blick durch die 34 Jahrgänge der nunmehr bei Leske & Budrich erscheinenden Vorgänge. Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftskritik empfohlen. Die Hefte, die anfangs vom Mitbegründer der ‚Humanistischen Union‘ (HU) Szesny verlegt wurden, aber nie den Charakter eines HU-Vereinsblattes hatten, werden seit einigen Jahren von einem Beirat aus Mitgliedern der HU, des ‚Komitees für Grundrechte‘ und der ‚Heinemann-Initiative‘ unterstützt. In einem Anhang sind dort auch häufig Stellungnahmen der genannten Organisationen abgedruckt. Das ‚Komitee für Grundrechte und Demokratie‘ bringt seit einigen Jahren ferner ein Jahrbuch heraus, das nicht nur seine eigene Arbeit dokumentiert, sondern auch schlaglichtartig für jeden Monat ein bürgerrechtsrelevantes Thema aufgreift. Mehr im Stile eines Informationsblattes für Mitglieder sind dagegen die HU-Mitteilungen gehalten.

Über die Geschichte der Bürgerrechtsbewegung wird man nach größeren Veröffentlichungen leider umsonst suchen. Ansätze hierzu finden sich in
Roos, Alfred: Nicht-parlamentarische Politik und Opposition. Die Bürger-rechtspolitik der Humanistischen Union, in: Vorgänge 123, 1993, H. 3, S. 75-89, sowie
ders./ Willems, Ulrich: Moralische Rationalisten oder rationale Moralisten, in: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, 1994, H. 1, S. 70-83.

Der Zusammenhang von Bürgerrechtspolitik und sozialen Bewegungen ist nicht nur an den politischen Inhalten erkennbar, sondern auch in der Kontinuität von Personen. Dies wird u.a. deutlich in
40 Jahre Soziale Bewegungen. Von der verordneten zur erstrittenen Demokratie, Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, Sonderheft, November 1989,
Mit Klaus Vack und Jürgen Seifert kommen zwei langjährige Bürgerrechts-aktivisten zu Wort.
In einer Festschrift für den mittlerweile verstorbenen Werner Holtfort, der u.a. einer der Gründer des ‚Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein‘ war, äußert sich
Jürgen Seifert: Zu unterschiedlichen Ansätzen für Bürgerrechtspolitik, in: Fabritius-Brand, Margarete: Rechtspolitik „mit aufrechtem Gang“, Baden-Baden (Nomos) 1990, S. 201-207.
Zwar bleiben seine Kritik an der Staatsbezogenheit von Rechtspolitik und sein Versuch, einen materialistischen Ansatz in der Bürgerrechtspolitik zu benennen, recht kurz. Lesenswert ist er allemal.

Sonstige Neuerscheinungen

Backes, Uwe/ Jesse, Eckard (Hg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie, 5. Jg., Bonn (Bouvier) 1993, 450 S., DM 68,-
Zunächst etwas Positives: Dieses Jahrbuch enthält neben einigen interessanten Literaturnotizen auch eine ausgesprochen gut zu lesende Rezension des Verfassungsschutzberichts für 1991 von Eike Hennig, der die schiefen Wer-tungen des Geheimdienstes, sein Unverständnis gegenüber unkonventionellen politischen Ausdrucksformen (z.B. der Autonomen), die legitimatorische Funktion des Berichts und seinen Charakter als eines kontextlosen Datenpan-optikums aufzeigt, bei dem der Hintergrund der Wertungen nicht aufgedeckt wird. Am Beispiel des Rechtsextremismus macht Hennig deutlich, daß für dessen Verständnis nicht die ‚geistig-politische Auseinandersetzung‘ mit den diversen Organisationen und Gruppen aus der äußersten rechten Ecke erfor-derlich wäre, sondern die Befassung „mit den herrschenden Tendenzen z.B. der ‚Asylbewerberproblematik'“ voraussetzt.
Damit konterkariert er genau jene staatsschützerische Sichtweise, die nicht nur dem Verfassungsschutzbericht, sondern auch dem vorliegenden Jahrbuch (auch schon in den vorhergehenden Bänden) zugrundeliegt. Backes/ Jesse präsentieren eine sich wissenschaftlich gerierende Version des Verfassungs-schutzberichts. Nicht ganz so dämlich wie das Original aus dem Kölner Stammhaus, sondern gerade so, daß es auch für AkademikerInnen möglich ist, sich die Brille der Schlapphüte aufzusetzen und einen Aufsatz des BfV-Vize Peter Frisch (S. 51-68) zu lesen. Der beläßt es nicht beim Rechts- und Linksextremismus, sondern rechnet nun auch die ‚Organisierte Kriminalität‘ und die diversen Sekten zu den „andersartigen Erscheinungsformen des poli-tischen (!) Extremismus“ und begründet damit die Ambitionen seines Amtes auf eine Ausweitung von Zuständigkeiten. Die Nähe der Herausgeber zum Verfassungsschutz zeigen nicht nur die Artikel und Rezensionen von Frisch und Horchem, sondern auch die eigenen: Etwa der Vergleich der Neuen Rechten mit der Neuen Linken (S. 7-28) oder die Dossiers über Wahlen und Organisationen, die sie zu großen Teilen den Verfassungschutzberichten entnommen haben. Wenn Jesse in einer Rezension die „Neigung“, den Rassismus „an ungewohnten Orten aufzuspüren (z.B. den demokratischen Parteien in den Parlamenten)“ als „déformation professionelle“ moniert (S. 332), so fällt er just unter die Kritik Eike Hennigs am Verfassungsschutzbericht. Das Jahrbuch dokumentiert mehr als alles andere, daß es für die politikwissenschaftliche Zunft kein Problem darstellt, sich zum wissenschaftlichen V-Mann zu machen. Da darf eine Rezension von Jesse über ein Buch zum Schmücker-Verfahren durchaus eine leicht kritische Wertung der Rolle des Dienstes enthalten, aber bitte: auch der Verfassungsschutz ist „vor Pannen und Fehlleistungen nicht gefeit“ (S. 327).

Kriminologische Zentralstelle (Hg.)/ Sohn, Werner (Bearb.): Referatedienst Kriminologie, Ausgabe 1994, Folge 4, Wiesbaden 1994, 336 S., DM 28,-
Aus der Literaturdatenbank von Juris wurden hier zum vierten Mal über 500 Aufsätze aus deutschsprachigen kriminologischen, juristischen und Polizei-fachzeitschriften mit Fundstellen und kurzer Inhaltsangabe nachgewiesen. Der Band, der ein Autoren- und ein Sachregister enthält, ist ein nützliches Hilfsmittel für die schnelle Literatursuche. Erhältlich im Buchhandel und bei der Kriminologischen Zentralstelle, Adolfsallee 32, 65185 Wiesbaden.

Kube, Edwin/ Störzer, Hans Udo/ Timm, Klaus Jürgen (Hg.): Kriminalistik. Handbuch für Praxis und Wissenschaft, 2 Bde., Stuttgart (Boorberg) 1992/ 1994, 908 und 827 S., zusammen DM 238,-
„Die Methoden der Straftäter werden immer subtiler. (…) Umso mehr ist es Aufgabe der Polizei, Prävention und Aufklärung von Straftaten in gleicher-maßen raffinierter Weise zu betreiben.“ Die alte Mär von der Polizei auf dem Tretroller, die dem Verbrecher im Ferrari nachjagt. Damit preist der Verlag im Waschzettel sein zweibändiges Handbuch an und benennt damit genau die Endlosspirale, die seit über einem Jahrhundert den Ausbau (kriminal-) poli-zeilicher Methoden und Instrumente und die Entwicklung der Kriminalistik antreibt. Kritisches zur polizeilichen Entwicklung wird man hier umsonst su-chen. Die Bandbreite der Autoren des Handbuchs entspricht jener der gleich-namigen Zeitschrift. Auch der Inhalt kumuliert gewissermaßen den Stand der Debatte, wie er sich in den vergangenen Jahrgängen des Leitorgans der deut-schen Kripo findet. Dies erspart auf jeden Fall viel Zeit. Neben unfreiwilli-ger Komik (etwa in Stümpers Beitrag zur „Verbrechensvorbeugung“, Bd. 1, S. 365 ff.) finden sich durchaus viele nützliche Informationen (etwa in den Beiträgen zu kriminaltechnischen Methoden oder in Timms Aufsatz zur poli-zeilichen EDV, Bd. 1, S. 311 ff.). Die langen Literaturlisten erhöhen den Gebrauchswert. Unverständlich bleibt aber, nach welcher Gliederungsmethode Herausgeber und Verlag die durchnummerierten Beiträge geordnet haben.

Meyzonnier, Patrice: Les forces de police dans l’union européenne, Paris (L’Harmattan) 1994, 366 S., FF 180,-
Der im Rahmen des ‚Institut des Hautes Études de la Sécurité Interieur‘ (IHESI) entstandene Band gibt einen Überblick über die Polizeien der 1994 noch 12 Mitgliedstaaten der EU. Die einzelnen Länderstudien enthalten jeweils allgemeine Daten, einige Angaben zur Geschichte, eine Beschreibung der Organisationsstruktur (einschl. Organigrammen) sowie Informationen über Befugnisse, Personal, Zulassung von Gewerkschaften etc. Im Unterschied zu dem von Semerak und Kratz verfaßten Machwerk (Die Polizeien in Europa, Stuttgart 1989) ist der vorliegende Band ein nützliches Nachschlagewerk, auch wenn ein analytisches Kriterium für einen Vergleich fehlt.

Ambos, Kai: Drogenkrieg in den Anden. Rahmenbedingungen und Wirksamkeit der Drogenpolitik in den Anbauländern mit Alternativen, München (AG SPAK) 1994, 215 S., DM 32,-
Diese Untersuchung, die in ausführlicherer Form 1993 beim Max-Planck-Institut in Freiburg erschien, gehört zu den wenigen, die angesichts der latein-amerikanischen Drogenunternehmer und des sog. Drogenkriegs nicht auf die üblichen Mythen zurückgreift. Im Gegensatz zu vielen journalistischen und akademischen Schnellschüssen weist er seine Quellen – vor allem Literatur und Interviews aus und in den Andenländern – genau aus. Er zeichnet nicht nur ein realistischeres Bild etwa des Medellin-Kartells, er zeigt vor allem die ökonomischen Zusammenhänge der Drogenproduktion und das Scheitern einer auf Repression ausgerichteten Bekämpfungsstrategie unter dem Einfluß US-amerikanischer Konzepte. Konsequenterweise liegt der Schwerpunkt seiner Alternativforderungen auf einer „kontrollierten Legalisierung“ und einer Reform von Justiz und Polizei der Andenstaaten. Weswegen er am Ende seiner Arbeit zum Kampf gegen die organisierte Kriminalität gerade verdeckte (proaktive) Ermittlungsmethoden befürwortet, wird allenfalls dadurch ver-ständlich, daß Ambos aus einer lateinamerikanischen Perspektive schreibt. Der ergänzende Blick auf die bundesdeutsche Realität hätte dem Autor gezeigt, wie berechtigt die Feststellung ist, daß weder das Drogenproblem noch dessen finanzielle Seite (Geldwäsche) durch diese Methoden effektiv, geschweige denn grundrechtsadäquat, bekämpft werden können. Hier rächt es sich, daß die KritikerInnen der herrschenden Drogenpolitik jeweils nur von einem bestimmten Blickwinkel aus argumentieren.

Huber, Bertold (Hg.): Handbuch des Ausländer- und Asylrechts, München (Beck) 1994, ca. 1700 S., DM 228,-
Im Unterschied zum 1992 im selben Verlag erschienen Handbuch des Poli-zeirechts von Lisken/Denninger ist das vorliegende Werk als Loseblattsammlung erschienen. Das ist kein Zufall. Denn das Ausländer- und Asylrecht unterlag in den vergangenen 20 Jahren mehr noch als das Polizeirecht einer ständigen Änderung – ein Prozeß, der auch auf längere Sicht leider nicht abreißen wird. Nachträge werden deshalb nicht nur folgen, weil die geplante Anlage des Werkes noch nicht vollständig ist, sondern auch, weil insbesondere im zwischenstaatlichen und europäischen Bereich davon auszugehen ist, daß neue Verträge demnächst geschlossen werden. Mit dem Schengener, dem Dubliner und weiteren Rückübernahmeabkommen nimmt das Handbuch genau diese europäische Dimension mit auf. Die Dokumentation von Gesetzesmaterialien anstelle des üblichen fait accompli der fertigen Gesetzestexte macht das Werk auch für politische AktivistInnen zu einer lohnenden Investition.

Bresler, Fenton: Interpol – Der Kampf gegen das internationale Verbrechen von den Anfängen bis heute, München (C.Bertelsmann) 1993, ca. 500 S., DM 42,-
Die Literatur zu Interpol ist nach wie vor dünn gesät und überwiegend in englischer Sprache. In Deutsch findet man allenfalls einige juristische Arti-kel, die sich vorwiegend auf den unklaren rechtlichen Status der Organisation beziehen, sowie wenige Beiträge in der Polizeifachpresse, die zumeist noch in den 80er Jahren erschienen sind. Insofern ist Breslers Buch durchaus eine Bereicherung, auch wenn es sehr journalistisch gehalten und damit an Personen und Fällen orientiert ist. Brauchbar sind vor allem die Kapitel 12-15, welche die Krise der Organisation in den 70er Jahren beleuchten. Das französisch dominierte Generalsekretariat verweigerte seinerzeit die Bearbeitung von Fällen aus dem Terrorismus-Bereich und konnte auch den Ansprüchen anderer westeuropäischer und nordamerikanischer Polizeien auf eine stärkere Informatisierung seiner Arbeit nicht entsprechen. Interpol verlor damit seine Monopolstellung als bis dahin einzige Organisation für die internationale Kooperation der Kripo. Grundsätzliche Kritik an den Gefahren der interna-tionalen Polizeikooperation für die Bürgerrechte findet man in diesem Buch aber nicht.

IG Medien, Fachgruppe Journalismus: Hände weg von den Medien. Informationen und Tips zum Umgang mit der Staatsgewalt, 24 S. Din A 4, kostenlos zu beziehen über die Landesbezirksbüros der IG Medien oder als Beilage zur IG-Medien-Zeitschrift M, 1995, H. 3
Die in der IG Medien organisierten JournalistInnen haben in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder zu Fragen des „Umgangs mit der Staatsgewalt“ Stellung bezogen. Übergriffe gegen JournalistInnen, insb. gegen Foto-grafInnen, sind nicht erst Thema, seitd der Hamburger Rundfunkjournalist Oliver Neß am 30.5.94 am Rande der Proteste gegen den österreichischen Rechtsausleger Jörg Haider (FPÖ)  vor laufenden Kameras von Polizeibeamten gequält wurde. Die vorliegende Beilage zur Zeitschrift der IG Medien, die auch einzeln bezogen werden kann, enthält nicht nur die Darstellung einiger spektakulärer Fälle, sondern auch eine Chronologie der Übergriffe gegen Me-dienschaffende seit 1990. Angesprochen werden auch: Durchsuchungen in Redaktionen, Fragen des Zeugnisverweigerungsrechts und des Schutzes von Informanten (der Journalisten) sowie der Zugang zu den eigenen bei der Polizei gespeicherten Daten. Insgesamt eine Broschüre, die nicht nur von JournalistInnen zur Kenntnis genommen und weiter verbreitet werden sollte.
(Sämtlich: Heiner Busch)

Hassemer, Winfried/Starzacher, Karl (Hg.): Organisierte Kriminalität – geschützt vom Datenschutz? (Forum Datenschutz 2), Baden-Baden (Nomos) 1993, 94 S. DM 28,-
Wer die Liste der ReferentInnen liest, die der Hessische Datenschutzbeauf-tragte und der Präsident des Hessischen Landtags 1993 zum Thema OK und Datenschutz eingeladen hatten, wird zurecht keine Überraschungen erwarten. Bekannte Positionen werden erneut vertreten: Auf der einen Seite die Staats-anwälte und Polizisten, auf der anderen Datenschützer und Rechtsanwälte. Während die eine Seite OK bereits als „Krebsgeschwür“ in unserer Gesellschaft ausgemacht hat (Schoreit), eine „Überinterpretation des Volkszählungsurteils“ beklagt (Schaefer) und „truppentaugliche“ Vorschriften für die Polizei fordert (Gemmer), betont die andere die demokratische Notwendigkeit von Zweckbindungen (Simitis), die Begrenzungen von Eingriffsbefugnissen und die Einrichtung von Kontrollverfahren (Grimm) sowie die Gefahren, die von der OK-Bekämpfung ausgehen (Strate). Wer die OK-Debatte verfolgt, findet in diesem Protokollband nur vertraute Argumente und Standpunkte. Da die Referate sich auch nicht als Einführung in die Problematik eignen, bleibt der Sinn der Veröffentlichung fraglich.

Rzepka, Dorothea: Polizei und Diversion. Das Bielefelder Modell der In-formationsvermittlung, Bielefelder Rechtsstudien Bd. 3, Frankfurt/M. (Lang) 1993, 312 S., DM 89,-
Voß, Silvia: Staatsanwaltschaftliche Entscheidung – Beeinflussung durch sy-stematische Informationsweitergabe, Bielefelder Rechtsstudien Bd. 4, Frankfurt/M. (Lang) 1993, 233 S., DM 65,-
Die rechtswissenschaftlichen Dissertationen von 1990 untersuchen die beiden Seiten des „Bielefelder Informationsmodell“ genannten Versuchs, polizeiliches Wissen verstärkt für staatsanwaltschaftliche Entscheidungsprozesse verfügbar zu machen. Das vom NRW-Justizministerium initiierte, im Bereich des Polizeipräsidenten Bielefeld und der örtlichen Jugendstaatsanwaltschaft 1987/88 realisierte Projekt versuchte, durch gezielte polizeiliche Informati-onserhebung bei der Beschuldigtenvernehmung (Informationsbogen) diversi-onsorientierte Entscheidungen der Staatsanwaltschaft an Stelle förmlicher Strafverfahren in ausgewählten jugendtypischen Delikten (Diebstahl, Körper-verletzung und Sachbeschädigung) zu befördern. Die beiden Untersuchungen sind als wissenschaftliche Begleitforschung zu dem Modell entstanden. Mit einem unterschiedlichen methodischen Arrangement (Aktenanalysen, Beobachtung von Vernehmungen, Interviews und schriftlichen Befragungen) wurden Voraussetzungen, Realisierung und Folgen des Informationsmodells analysiert. Hinsichtlich der zentralen Frage „Befördert das Informationsmodell Diversionsentscheidungen?“ kommen die Autorinnen zu einem differenzierten, aber insgesamt eher negativen Ergebnis. Das Informationsmodell verschob zwar die Obergrenzen für Einstellungen (ohne die Entscheidungskriterien selbst zu verändern) und erhöhte deren Zahl, aber dieser Effekt war auch für eine Vergleichsregion (ohne polizeilichen Informationsbogen) zu beobachten. Für schwere Begehungsformen, auf die das Diversionsanliegen besonders gerichtet war, konnte die Quote der Verfahrenseinstellungen mit Auflagen nicht erreicht werden. Nach der überzeugend vorgetragenen Ansicht von Voß steht die Arbeitsorganisation der Staatsanwaltschaft einer vermehrten Informalisierung entgegen. Während das Bielefelder Modell offensichtlich nicht zur Ausweitung sozialer Kontrolle durch die vernehmenden Polizisten führte, weist Rzepka darauf hin, daß polizeiliche Bewertungen tendenziell soziale Randständigkeiten verstärken. Obleich sie große Diversionsbereitschaft auf seiten der Polizei diagnostiziert, lehnt sie es ab, ihr die Entscheidung zur informellen Bewältigung zu überlassen, da eine täterstrafrechtliche Orientierung für die PolizistInnen kennzeichnend sei. Sie schlägt deshalb die Beibehaltung des institutionellen Status quo zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei vor. Einerseits sollte die polizeiliche Informationserhebung jedoch stärker von der Staatsanwaltschaft strukturiert, andererseits sollten auch Einstellungsentscheidungen begründet ergehen, damit sie kontrolliert und ggf. angefochten werden können. Durch (bundes)einheitliche verbindliche Richtlinien für die Bearbeitung von Ermittlungsverfahren müßten zudem einheitliche Einstellungskriterien eingeführt werden. Diversions-entscheidungen sollten nach Ansicht der Autorinnen nur für mittelschwere und schwere Delikte in Betracht kommen. Aus Gründen der Rechtssicherheit und -gleichheit sei im Bereich der Bagatellen eine gesetzliche Entkriminalisierung vorzuziehen.
(Sämtlich: Norbert Pütter)

Black, Ian/Morris, Benny: MOSSAD – SHIN BET – AMAN. Die Geschichte der israelischen Geheimdienste, Heidelberg (Palmyra) 1994, 880 S., 78,- DM
Raviv, Dan/Melman, Yossi: Die Geschichte des MOSSAD. Aufstieg und Fall des israelischen Geheimdienstes, München (Heyne) 1992, 505 S., 19,80 DM
Der beste Geheimdienst, so eine alte Agentenweisheit, sei immer der, über den am wenigsten geredet wird. Wenn dieser Satz zuträfe, so wäre der israelische MOSSAD, neben CIA und KGB einer der miserabelsten. Doch auch wenn über den Auslandsgeheimdienst MOSSAD (und seit einiger Zeit auch über den Inlandsdienst SHIN BET) häufig geredet wird, so war Substantielles zur Struktur und Arbeitsweise doch weitgehend unbekannt. Diese Situation hat sich gründlich gewandelt, seit in den letzten Jahren gleich zwei Bücher sich diesem Thema widmeten. Beide sind dabei im Inhalt weitgehend identisch. Wo sie voneinander abweichen, ergänzen sie sich eher, als daß sie sich widersprächen. So drängt sich den LeserInnen im Laufe der Lektüre denn auch unweigerlich der Verdacht auf, die Autoren beider Werke könnten u.U. identisch sein.
Die Stärke beider Bücher liegt in einer recht umfassenden Darstellung von 50 Jahren israelischer Geheimdienstgeschichte. Dabei wird deutlich, welche zentrale Rolle MOSSAD und SHIN BET in der israelischen Politik spielten und spielen, sei es bei der Sicherung und Verteidigung des israelischen Staates gegen die arabischen Nachbarn, sei es im Kampf gegen palästinensische Terrorkommandos oder bei der Rückführung immigrationswilliger Juden aus anderen Staaten. Kaum ein israelischer Politiker (die häufig ohnehin eine Karriere im Geheimdienst oder im Militär vorzuweisen haben oder ihnen an-derweitig stark verbunden sind) hat sich dem Ansinnen des MOSSAD widersetzt. Wo dies gelegentlich doch einmal geschah, unternahmen die Dienste ihre Aktionen häufig genug ohne offizielle Zustimmung – und zumeist ohne tiefergehende Konsequenzen.
Während das Buch von Black/Morris über einen ausführlichen Anhang mit Quellenangaben, Anmerkungen und Register (ca. 120 Seiten) verfügt, fällt dieser Teil bei Raviv/Melman (die sich insgesamt eher für einen romanhaften Stil entschieden haben) weitaus bescheidener aus. Dafür listen sie im Anhang jedoch noch einmal die wichtigsten Führungsfiguren der drei Geheimdienste gesondert auf. Für eine wissenschaftliche Befassung mit den israelischen Ge-heimdiensten ist das Buch von Black/Morris in jedem Falle sinnvoller. Wer sich jedoch einfach nur informieren will, ist mit dem weitaus preiswerteren von Raviv/Melman ebenso gut beraten.

Horchem, Hans-Josef: Auch Spione werden pensioniert, Herford-Berlin-Bonn, (Verlag E.S. Mittler & Sohn), 1993, ca. 250 S., DM 49,80

Nach Reinhard Gehlen (BND), Günther Nollau und Richard Meier (beide BfV) hat nun auch Hans-Josef Horchem, von 1969 bis 1980 Chef des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz und seinerzeit einer der wichtigeren ‚Schlapphüte‘ der BRD seine Memoiren vorgelegt. Wer sich schon einmal die Erinnerungen von Geheimagenten angetan hat, weiß daß diese hauptsächlich aus Erinnerungslücken bestehen. Da wo es wirklich interessant zu werden beginnt, endet zumeist das Mitteilungsbedürfnis der Herren. Gleichwohl erfahren geübte LeserInnen doch immer das eine oder andere, das – bei anderen Autoren gegengelesen – das Mosaik der deutschen Geheimdienstwerkelei stets ein Stück weiter komplettiert. Dies ist auch bei Horchem hin und wieder der Fall (insb. S. 153-200), allerdings weitaus seltener und flacher als man dies bei seinen Kollegen gewohnt ist. Im wesentlichen ist das Buch eher zu einem sprunghaften und zerfaserten Stammtischgeschwätz eines selbstverliebten Geheimdienstpensionärs geraten.

Summers, Anthony: J. Edgar Hoover. Der Pate im FBI, München/Berlin (Langen Müller) 1993, 490 S., 58,- DM
Niemand hat das amerikanische Polizeiwesen mehr geprägt als J. Edgar Hoover, Chef des FBI von 1924-72. Dennoch ist dies kein Buch über das FBI, sondern ein Sittengemälde der USA zu Beginn der 30er bis tief in die 60er Jahre. Daß ein offensichtlich ausgemachter Psychopath wie Hoover nicht nur an die Spitze der amerikanischen Bundespolizei gelangen konnte, sondern sie zur mächtigsten Sicherheitsbehörde ausgestalten und dabei gleichzeitig nach ‚Gutsherrenart‘ führen konnte, ist das eigentlich Erschreckende. Glaubt man Summers, und es gibt bei der Lektüre des Buches zunehmend Grund dies zu tun, so war Hoover das passende Pendant zu den Gangstergrößen seiner Zeit: Charles ‚Lucky‘ Luciano, Meyer Lansky, Bugsy Siegel und alle anderen (insb. Kap. 21ff), die dem deutschen Publikum hauptsächlich durch die amerikanischen Krimiserien der 50er und 60er Jahre bekannt sind. Hoover war nicht nur ein notorischer Spieler und homosexuell, was ihn besonders erpressbar machte – er war zugleich auch selbst ein Erpresser, was insbesondere führende Washingtoner Politiker immer dann zu spüren bekamen, wenn an Hoovers Stuhl oder seinen Kompetenzen gerüttelt werden sollte (insb. Kap. 19) und somit seine lange Amtszeit erklärt. Daß Summers seine Recherchen und Schlußfolgerungen in hohem Maße auf die Aussagen von Zeitzeugen stützen muß und weniger auf nachprüfbare Quellen liegt da in der Natur der Sache.
Was den Wert des insgesamt lesenswerten Buches schmälert, sind zum einen die fehlenden Kapitelüberschriften, die eine schnelle Orientierung verhindern und die durchgängige Benennung Hoovers als Edgar. Diese Titulierung, vom Autor gewählt, „um ihn in der Perspektive eines Sterblichen zu sehen“ (S. 14), führt leicht dazu, den entscheidenden Bezugsrahmen, die Verlogenheit von (Sicherheits)Politik zu verlieren und in die Betrachtung eines bemitlei-denswerten, seelisch und charakterlich gestörten Menschen abzurutschen.

Tucker, Louise (Hg.): Bewaffnung und Ausrüstung von Spezialeinheiten. Ein Bildlexikon, Stuttgart (Motorbuch) 1994, ca. 60 S., DM 36,-
Das Buch erhebt den Anspruch, ein „Bildlexikon“ zu sein. Dementsprechend liegt das Gewicht denn auch auf den über 200 farbigen Abbildungen. Die jedem einzelnen ‚Kapitel‘ vorangestellten sog. „Begleittexte“ sind dabei nicht nur recht kurz, sondern auch auffallend flach geraten. Wie wenig Mühe man sich mit ihnen gegeben hat, zeigen am eindrücklichsten die Seiten 8 und 14: Während auf der erstgenannten der frühere Geheimdienst OSS richtigerweise den Amerikanern zugeordnet wird, ist er sechs Fotoseiten weiter zu einem britischen Dienst mutiert. Allenfalls die RequisiteurInnen von Filmgesell-schaften könnten aus den Abbildungen einigen ‚Honig saugen‘. Darüber hinaus wäre ‚Bilderbuch für Waffennarren‘ sicherlich ein treffenderer Untertitel gewesen.
(Sämtlich: Otto Diederichs)