Bürgerrechte & Polizei/CILIP II – Unter Beobachtung

von Udo Kauß

Die Frage stelle ich mir immer wieder einmal: Ist Bürgerrechte & Polizei/CILIP nur im lesenden Visier des Verfassungsschutzes? Werden die Hefte nur über eine Deckadresse abonniert und in den Archiven des Verfassungsschutzes bibliographisch verarbeitet, oder wird uns darüber hinaus nähere, gleichsam persönliche Aufmerksamkeit gewidmet? Gründe gäbe es aus Sicht der Schnüfflerbehörde wohl einige. Obwohl nur die Polizei im Titel steht, gab und gibt es kaum ein Heft, in dem nicht mehr oder minder um-fangreich auch die Geheimdienste der Republik Aufmerksamkeit und kritische Erwähnung finden. Die Redaktion bzw. die basisgebenden Forschungsprojekte der HerausgeberInnen hatten über die Jahre hinweg ja viele BesucherInnen, und bei manchen stellte sich ein merkwürdiges Gefühl ein – das uns jedoch nicht anfocht: Hatten wir doch von Anfang an das Prinzip der Transparenz auch zum eigenen Arbeitsprinzip erklärt und hierin allein schon deshalb auch die Sicherheitsdienste eingeschlossen, um nicht auf die abschüssige Bahn der szene-typischen Überwachungsangst mit dem entsprechenden ‚Wer-könnte-es-sein-Spiel‘ zu geraten.

Zehn Jahre nach dem Erscheinen der ersten Nummer führte dann kein Weg mehr daran vorbei. Im Herbst 1988 war bekannt geworden, daß das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) sich systematisch für bestimmte Zeitungen und Journalisten interessierte. Im Mittelpunkt des geheimdienstlichen Interesses stand die in Berlin erscheinende ‚tageszeitung‘ (taz), die – wie sich in der Folgezeit herausstellte – sich auch manifesten Interesses durch die damals noch realsozialistischen Geheimdienste erfreute – bis hin zur Personalunion von taz-Schreiber und Lieferant an die Stasi . Eher nebenbei wurde bekannt, daß auch Bürgerrechte & Polizei/CILIP und dessen MitarbeiterInnen ins Blickfeld geraten und als linksextremistisch bewertet worden waren . In den wohlgesetzten Worten des damaligen Bundesministers des Inneren, Wolfgang Schäuble (CDU), auf eine entsprechende parlamentarische Anfrage der Bundestagsfraktion der GRÜNEN: „Bei der Wahrnehmung seines Auftrages, extremistische Bestrebungen zu beobachten, hat das BfV seinerzeit festgestellt, daß sich Mitglieder und Anhänger linksextremistischer Organi-sationen an den Zeitungsprojekten ‚die tageszeitung‘, ‚Die Neue‘ und CILIP beteiligten. Solche Informationen wurden in Akten gesammelt.“

Erste Runde

Welche Informationen da gesammelt waren, das sollte eine entsprechende Auskunftsanfrage erbringen, die gleichsam zur Nagelprobe für die Reichweite der rechtlichen Auskunftsbestimmungen in den einschlägigen Gesetzen geriet. Im März 1989 wurde unter Hinweis auf die öffentliche Erklärung des Bundesinnenministers das Bundesamt für Verfassungsschutz um Auskunft ge-beten, welche Informationen über die Zeitschrift, ihre Herausgeber und Mit-arbeiterInnen gesammelt seien. Vier Monate später lag die Antwort des Kölner Amtes vor. Es teilte mit, daß es bei Wahrnehmung seiner gesetzlichen Aufgaben festgestellt habe, daß Mitglieder und Angehörige linksextremistischer Organisationen sich am Informationsdienst Bürgerrechte & Polizei/CILIP beteiligten, das Amt unter Hinweis auf 13 Abs. 2 des zu jener Zeit geltenden Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) aber von der Pflicht zur Auskunft befreit sei und also eine darüber hinausgehende Antwort nicht erteilt werden könne. In fürsorglicher Manier versicherte das BfV jedoch, daß die „bloße Mitarbeit“ bei Bürgerrechte & Polizei/CILIP nicht als Betätigung im Sinne von 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (keine linksextremistische Bestrebung, Anm. UK) gesehen werde und daß insoweit keine Speicherung vorhanden sei.
Nun entspann sich ein zäher Grabenkrieg, denn natürlich wollte die Redaktion in anwaltlicher Vertretung des Autors dieses Beitrages wissen, was unter „bloßer Mitarbeit“ zu verstehen sei und wer vom Redaktionsteam oder sonst von der Autorenschaft sich linksextremistischer Umtriebe schuldig gemacht habe. Also: Widerspruch gegen die ablehnende Entscheidung des Kölner Amtes. Antwort: Widerspruch zurückgewiesen! Also: Klage beim Verwaltungsgericht Köln mit dem am Ende zumindest insoweit sicheren Ergebnis, daß die rechtlichen Auskunftsbefugnisse gegenüber Geheimdiensten Makulatur, sprich völlig unzureichend sind. Denn nach der Klageerhebung war das Bundesver-fassungsschutzgesetz (BVerfSchG) datenrechtlich bzw. ‚bereichsspezifisch‘ angepaßt worden und an Stelle des von den Geheimdiensten so verstandenen gesetzlichen Ausschlusses der Auskunftserteilung das positive Recht der BürgerInnen (und damit auch die Pflicht der Dienste) Gesetz geworden, unter bestimmten Bedingungen Auskunftsersuchen von BürgerInnen zu beantworten. Angesichts der zwischenzeitlichen Veränderung der Rechtsgrundlagen war die bisherige pauschale Ablehnung des Bundesamtes nicht mehr haltbar. Unter dem helfenden Druck des Gerichts in der Mündlichen Verhandlung hob das Bundesamt seine bisherigen ablehnenden Bescheide auf und versprach, nun gemäß der neuen Rechtslage Auskunft zu erteilen. Der (erste) Prozeß war damit beendet

Zweite Runde

Die Antwort kam drei Monate später unter Anwendung der dem Verfassungsschutz vom Gesetzgeber eingeräumten Möglichkeiten zur Verballhornung des bürgerlichen Auskunftswunsches: Der Pflicht nämlich, in jeder Auskunftsanfrage genau zu bezeichnen, wo bzw. weswegen man denke, gespeichert zu sein. Weil von uns, den Auskunftssuchenden, in der Anfrage und während des gesamten ersten Prozesses vor dem Verwaltungsgericht Köln angeblich „kein Hinweis auf einen konkreten Sachverhalt im Sinne des 15 Abs. 1 BVerfSchG“ geliefert worden sei, könne keine weitere als die schon erteilte Auskunft gegeben werden. Den Hinweis auf den Zusammenhang mit Bürgerrechte & Polizei/CILIP wollte man nicht als konkreten Sachverhalt anerkennen. Abschließend ließ das Amt verlauten, „daß der zur Begründung ihrer Aufmerksamkeit ihrer Auskunftsersuchen dargelegte Sachverhalt nicht die Annahme eines datenschutzrechtlich relevanten Vorgangs in unserem Hause rechtfertige und die Befürchtung konkreter Nachteile durch eine eventuell unrichtige oder unzulässige Datenspeicherung nicht hinreichend dargetan sei“. Was hätten die Auskunftssuchenden noch dartun können, als ihre Befürchtung bzw. Vermutung, von Linksextremisten unterwandert oder selbst solche zu sein.

Also erneuter Widerspruch gegen solches Ansinnen, wieder Klage beim Verwaltungsgericht in Köln und parallel die Einschaltung des Bundesdaten-schutzbeauftragten. Dieser teilte im Januar 1991 mit, immerhin 19 Monate nach Einschaltung, daß keiner der HerausgeberInnen beim Verfassungsschutz gespeichert sei und „lediglich noch eine kurze Zusammenstellung über den betroffenen Personenkreis in einer Sachakte über Auskunftsbegehren bei der zuständigen Abteilung aufgrund Ihrer früheren Eingabe“ vorhanden sei. Der Datenschutzbeauftragte hatte also insgesamt nur weniges, allerdings nichts linksextremistisches, in den Dateien des BfV gefunden.

Dritte Runde und K. O.

Die Redaktion wollte es dennoch genauer wissen. Wieder wurde Widerspruch eingelegt, wieder mußte Klage beim Verwaltungsgericht Köln erhoben werden. Am 14.5.93 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht statt. Und nun offenbarte der Verfassungsschutz, daß überhaupt keine Auskunft mehr gegeben werden könne, da über die Auskunftssuchenden im Amte keinerlei Daten mehr vorhanden seien, nicht einmal die vom Datenschutzbeauftragten erwähnten Unterlagen. Ob und welche Daten einmal gespeichert gewesen seien, dazu wollte bzw. konnte der Vertreter des Amtes vor Gericht nur sagen, daß auf Grund der zwischenzeitlichen Löschung auch nichts mehr über bisherige Speicherungen gesagt werden könne: „Wir löschen wirklich!“
So blieb nur übrig, die Klage für erledigt zu erklären, denn eine Auskunfts-klage auf Daten, die bereits gelöscht sind, machte nach Auffassung des Ge-richts wenig Sinn. Kleiner Trost: Der Verfassungsschutz wurde für diese hinhaltenden Praktiken immerhin zur Übernahme der Hälfte der nicht uner-heblichen Verfahrenskosten verurteilt.

Das Dilemma aller Auskunftssuchenden lautet somit: Wenn der Verfassungsschutz in einem Prozeß in die Gefahr gerät, seine Daten tatsächlich offenbaren zu müssen, so löscht er diese lieber vorher, weil sie nun plötzlich nicht mehr gebraucht werden bzw. nicht mehr notwendig im Sinne des Gesetzes sind. Eine Überprüfung der vormals gespeicherten Daten, der Übermittlung an andere Stellen, überhaupt der Rechtmäßigkeit deren Erfassung und Speicherung ist dann nicht mehr möglich.

Nebenrunde mit Punktsieg

Anders waren die Erfahrungen in den parallel geführten Berliner Aus-kunftsersuchen bei gleicher Rechtslage . Der Berliner Verfassungsschutz ge-währte den Auskunftssuchenden unmittelbare Akteneinsicht in die verfas-sungsschützerisch niedergelegte politische Vita der Mitglieder des Redakti-onsteams. Allein die kurze Episode rot-grüner Regierungskoalition hatte dies möglich gemacht. Selbst ein Redaktionsmitglied, dem noch zwei Jahre zuvor vom Verfassungsschutz schriftlich mitgeteilt worden war, es seien keine Daten beim Verfassungsschutz gespeichert, konnte nun seine über Jahre geführte reichlich gefüllte Verfassungsschutzakte in Augenschein nehmen.

Fazit: Einerseits kann man froh sein, daß der Verfassungsschutz letztlich so wenig wirklich bedeutsames und insgesamt unvollständiges Material gespeichert hat. Andererseits aber gibt gerade die wiederholte Erfahrung, auf welcher schmalen und verkürzten Informationsbasis der Verfassungsschutz seine Verdächtigungen stützt, damit Politik macht und damit u. U. über Lebens-planungen zu entscheiden vermag , Grund zur Sorge. Mit den geltenden Auskunftsbestimmungen ist jedenfalls keine Transparenz zu erreichen. „Verfassungsschutz“ vollzieht sich weiterhin im Dunkeln, und da läßt sich bekanntlich gut munkeln.

Dr. Udo Kauß ist Rechtsanwalt in Freiburg i. Breisg., Mitarbeiter und Mitherausgeber von Bürgerrechte und Polizei/CILIP und war Prozeßvertreter der Redaktion gegen den Verfassungsschutz.
Vgl. Der Tagesspiegel v. 28.1.92, die tageszeitung v. 31.1.92,
Vgl. Bürgerrechte & Polizei/CILIP 33 (2/89), S. 20ff.
BT Drs. 11/4294, S. 7ff.
Vgl. Kauß/Werkentin, in: Kritische Justiz 4/91, S. 492ff.
Vgl. Bürgerrechte & Polizei/CILIP 36 (2/90), S. 75ff.
Vgl. Seifert, J., in: Vorgänge 1982, 21. Jg., H. (55), S. 46-60.