von Norbert Pütter
Bereits die Bezeichnungen sprechen für die Idee. Ob „bürgerorientierte“, „bürgernahe“ oder „gemeinwesenbezogene Polizeiarbeit“ – wer, so muß man fragen, „möchte keine bürgernahe, demokratisch organisierte und demokratisch eingestellte Polizei?“[1] Insofern ist es nicht verwunderlich, wenn sich Polizeistrategen wie -praktiker durchgängig positiv auf das Konzept der Bürger(innen)orientierung beziehen. Allerdings zeigt der Blick in die Praxis recht schnell, daß der Begriff besonders zur polizeilichen Selbstdarstellung taugt. Die angenehme Rhetorik verbirgt nicht nur eine Konfusion der Begriffe, sie legitimiert auch die unterschiedlichsten Sicherheits- und Ordnungskonzepte, die nicht auf mehr, sondern auf weniger Demokratie hinauslaufen.
Wer die Polizei an den Interessen der BürgerInnen orientieren will, kann sich in Deutschland auf höchste Autoritäten berufen. In der Fortschreibung ihres „Programms Innere Sicherheit“ hat die Innenministerkonferenz den Vorzug der Prävention vor der Repression betont. Dies bedeute „eine bürgernahe Präventionsarbeit insbesondere auf kommunaler Ebene“.[2] In einem Grundsatzpapier, das sich mit der Bedeutung von „Community Policing“ für die Polizeien auseinandersetzte, appellierte die „Projektleitung Polizeiliche Kriminalprävention“ – eine Untergliederung der Innenministerkonferenz – an die Länder und Kommunen, eine „bürgernahe, problemlösungsorientierte und pro-aktive Polizeiarbeit im Rahmen einer deutschen Kommunalen Sicherheits- und Ordnungspartnerschaft“ zu unterstützen.[3]
Begründungen
Jenseits dieser bekenntnishaften Aufforderungen werden in der von Polizeistrategen, Kriminalisten und KriminologInnen geführten Diskussion immer wieder einige Argumente genannt, die dafür sprechen (sollen), daß die Polizei (wieder) enger an die BürgerInnen rückt.
- Die Polizei brauche „den vertrauensvollen Umgang mit den Bürgerinnen und Bürgern, um ihre Aufgaben erfüllen zu können“: 90% aller Anzeigen würden von BürgerInnen erstattet; in rund der Hälfte der Fälle würden Täter oder Verdächtige mit der Anzeige „mitgeliefert“. Ohne das bürgerschaftliche Vertrauen in die Polizei sei deren Leistungsfähigkeit erheblich gefährdet.[4]
- Auch um den lokalen Sicherheitsbedürfnissen entsprechen zu können, sei „ein ständiger Kontakt mit dem Bürger“ wichtig. „Je dichter der Kontakt, desto besser die Möglichkeit der gegenseitigen Information (…) Hinweise auf Probleme und Gefährdungspotentiale sind Voraussetzung für eine erhöhte Wirksamkeit der polizeilichen Tätigkeit.“[5]
- Sofern die Polizei die Sicherheitsbedürfnisse nicht ernst nehme, sei sie auf Dauer der Konkurrenz der Privaten Sicherheitsdienste nicht gewachsen. „Wer ständig am Markt vorbei produziert, läuft Gefahr, die Kundschaft zu verlieren, auch wenn er ein Monopol innezuhaben glaubt.“[6] Durch „Kundenorientierung“ könne die Polizei ihre Position gegenüber anderen Anbietern sichern. Gleichzeitig würde damit verhindert, daß sich zukünftig nur noch Reiche Sicherheit leisten könnten.[7]
- Daß es der deutschen Polizei an „Bürgernähe“ fehle, wird auf die Polizeireformen der 70er Jahre zurückgeführt. Die Zentralisierung (Verstaatlichung der Gemeindepolizeien, Auflösung der Reviere) und Professionalisierung (EDV-Einführung, spezialisierte Kriminalitätsbekämpfung) der Apparate habe zu unerwünschten Folgen geführt. Die Polizei sei deshalb heute weniger in den Gemeinden verankert; der Polizeialltag und die Interessen der BürgerInnen hätten sich auseinander entwickelt. Hier müsse es zu einer neuen Balance kommen.[8]
- Polizeiarbeit, die auf Verbrechensbekämpfung durch Spezialisten setzt, sei an ihre Grenzen gestoßen. Für deren weiteren Ausbau seien weder die Ressourcen vorhanden, noch sei zu erwarten, daß durch sie die registrierte Kriminalität gesenkt oder den Sicherheitsbedürfnissen der BürgerInnen entsprochen werden könnte. „Bürgerorientierte Polizeiarbeit“ stelle einen Ausweg aus diesem Dilemma dar.[9]
Elemente
Die Merkmale, die eine Polizei als „bürgerorientiert“ auszeichnen sollen, betreffen die Ziele, Mittel und Organisation polizeilichen Handelns sowie die Fähigkeiten der PolizistInnen.[10] Dies bedeutet im einzelnen:
Ziele: „Vordringlich erscheint es, die bestehende Prioritätensetzung von der Kriminalitätsbekämpfung hin zu mehr Bürgerservice zu verschieben.“[11]
Mittel: „Dringlich wäre eine Aufwertung des Streifen- und Revierdienstes zur kompetenten Krisenintervention (…) für die Bürger und mit den Bürgern. Das setzt Präsenz und Wahrnehmbarkeit voraus“.[12] Die Polizei müsse mit Personen und Institutionen lokal zusammenarbeiten, „um gemeinsam geeignete Strategien zur Problembewältigung zu entwickeln“.[13] Gleichzeitig komme es darauf an, den BürgerInnen „Tätigkeitsangebote zu machen, um ‚Aktionspartizipation‘ im Sinne von tätiger Teilhabe an Projekten, Modellen u.ä. zu ermöglichen.“[14]
Organisation: „Die Organisation der Polizei (muß) dezentralisiert, die Führung problem- (und nicht kriminalitäts-)orientiert und die praktische Tätigkeit kommunikativ und nicht direkt strukturiert sein.“[15]
Qualifikation: Durch gezielte „Fortbildungsmaßnahmen“ müßten die PolizistInnen in die Lage versetzt werden, den neuen Anforderungen (Konfliktschlichtung, soziale und kommunikative Kompetenzen) gerecht zu werden.[16]
Insgesamt, so Feltes, sei „Dienstleistung am, im und mit dem Gemeinwesen (…) gefragt, nicht bürokratische Abwicklung von Vorgängen oder hierarchisch-gewaltmonopolistisches Denken.“[17]
Die Diskussion über „bürgerorientierte Polizei“ zielt häufig auf Reformen. Insofern ist sie ein Indikator für die Kritik an der Polizei, die offenkundig von vielen geteilt wird. Allerdings unterscheiden sich bereits die Reformvorschläge erheblich. Nahezu alle reden von mehr „Bürgernähe“, aber bei dem einen erschöpft sie sich in der Forderung nach mehr polizeilichen Fußstreifen, während andere eine grundlegende Reform des polizeilichen Selbstverständnisses anstreben. Noch gravierender werden die Unterschiede, wenn man sich der polizeilichen Praxis zuwendet – also dem, was bundesdeutsche Polizeien bereits gegenwärtig als „bürgerorientierte Polizeiarbeit“ bezeichnen.
Die Aktivitäten der „Polizei vor Ort“ lassen sich zur Zeit nicht umfassend bilanzieren. Überall, so hat es den Anschein, wird reformiert und experimentiert, werden Modelle erprobt, die unterschiedlichen Ansätzen folgen. Manches wird von der politischen Führung (Innenministerien) forciert, manches entsteht aber auch durch die spezifischen Bedingungen und Konstellationen in den Städten. Im folgenden wird zwischen fünf Varianten „bürgerorientierter Polizeiarbeit“ unterschieden. Obwohl aktuelle Beispiele genannt werden, handelt es sich um eine Typisierung, die verdeutlichen soll, wie groß die Unterschiede sind, wenn heutzutage von einer „bürgerorientierten Polizei“ in Deutschland die Rede ist. In der Polizeiwirklichkeit tauchen diese typischen Reaktionsweisen regelmäßig in Mischformen auf.
Erstens: „Bürgerorientiert“? – Schon immer!
Man darf vermuten, daß die Meinung, die deutsche Polizei sei schon immer bürgerorientiert, innerhalb der Polizei(führung)en weit verbreitet ist. Naturgemäß findet man diese Stimmen eher selten, denn wer eine Selbstverständlichkeit zu oft betont, macht sich verdächtig. Besonders prägnanten Ausdruck findet diese Position in der Antwort auf die vom Autor selbst gestellte Frage, ob denn die Kripo bürgernah sei: „Die Kriminalpolizei der Bundesrepublik Deutschland ist bürgernah – der Bürger merkt es nur nicht!“[18] Verstärkte Öffentlichkeitsarbeit, Informationen der Geschädigten und ZeugInnen über Stand und Ergebnisse der Ermittlungen sollen dieses Defizit ausgleichen.[19] Mitunter werden leichte Modifikationen vorgeschlagen. Die Polizei solle nicht nur mehr Mitteilungen an die BürgerInnen schicken, sondern mehr mit ihnen reden: Sie soll „Bürgersprechstunden“ oder „zivile Beiräte“ einrichten, in denen Anregungen an die Polizei weitergegeben werden könnten.[20]
Vorgeschlagen und praktiziert werden auch Formen der „aufsuchenden Polizeiarbeit“, etwa indem PolizistInnen ohne Anforderung Eigenheimbesitzer zum Thema „Einbruch und Urlaub“ beraten, „um so polizeiliche Präsenz und Gesprächsbereitschaft zu vermitteln“.[21] Die Meinung, daß die Polizei schon längst bürgerorientiert arbeite, kommt auch in den häufigen Hinweisen auf die Kontaktbereichsbeamten (KOB) zum Ausdruck[22] – dabei ist der KOB schon seit seinen Anfängen in den 70er Jahren das Feigenblatt des polizeilichen Rückzugs aus der Öffentlichkeit. Im Grundsatz, so läßt sich diese Position zusammenfassen, ist mit unserer Polizei alles in Ordnung; kleinere Modifikationen sind erwünscht, bestätigen aber nur die positive Gesamtdiagnose.
Zweitens: Organisationsreformen und Bürgerorientierung
„Bürgerorientierung“ ist ein Aspekt der gegenwärtig allenthalben unternommenen Polizeireformen. Kennzeichnend für diese Reformen ist, daß durch sie mehrere Ziele gleichzeitig erreicht werden sollen; „Bürgerorientierung“ gehört regelmäßig zu diesen Zielen. Zwei Beispiele illustrieren diesen Typus:
- Im sogenannten „Berliner Modell“ praktiziert die Berliner Polizei nach eigenen Angaben „bürgernahe Polizeiarbeit“.[23] Das seit Februar 1998 in einer Direktion praktizierte Modell[24] überträgt einen Teil der bislang kriminalpolizeilichen Sachbearbeitung auf die Schutzpolizei. Die „bürgernahen“ Elemente bestehen darin, daß Anzeigenaufnahme und Ermittlungen nun in einer Hand liegen. Außerdem sollen die PolizistInnen in ihrem Bezirk häufiger präsent sein, durch Fußstreifen oder indem sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Einsatzort fahren. Das strategische Ziel des „Berliner Modells“ besteht jedoch darin, durch innerpolizeiliche Arbeitsumverteilung und durch Rationalisierungen mehr Kapazitäten bei der Kriminalpolizei zu schaffen, um schwere Kriminalität intensiver bekämpfen zu können.
- In Nordrhein-Westfalen wird das Neue Steuerungsmodell bei der Polizei erprobt. Zielvereinbarungen auf der Ebene der Kreispolizeibehörden, dezentrale Entscheidungskompetenzen und Budgetierung sind Elemente dieses Modells. Um „die Sicherheitsbedürfnisse der Bürger vor Ort (…) so gut wie möglich befriedigen zu können“, sei „eine wesentliche Verstärkung bürgerorientierter Polizeiarbeit“ erforderlich.[25] Die größten Potentiale zu mehr Bürgernähe sieht die Landesregierung im Bezirks- und Wachdienst, bei denen „eigenverantwortliches Handeln, Kreativität und Initiative“ der PolizeibeamtInnen gefragt seien. „Dies geschieht im Rahmen des Neuen Steuerungsmodells durch Vereinbarung persönlicher Arbeitsziele.“[26]
Der Stellenwert der „Bürgerorientierung“ in beiden Reformkonzepten ist nicht eindeutig. Ob sie am Ende mehr darstellt als einen Rückgriff auf eine wohlklingende, Zustimmung versprechende Idee, kann nur die Praxis zeigen.
Drittens: BürgerInnenaktivierung
Die Polizei fühlt sich überfordert. Sie ist deshalb auf der Suche nach Verbündeten. Auf lokaler Ebene sind dies vor allem die Bürgerinnen und Bürger. Durch polizeiliche „Initiativen zur Förderung der Eigensicherung, Nachbarschaftshilfe und Mitwirkung an Projekten und Maßnahmen zur Kriminalitätsverhütung“ werde das „Gemeinschaftsbewußtsein“ gefördert. Vielfach habe sich auf diesem Wege „sogar schon ein völlig neues Zusammengehörigkeitsgefühl und Verantwortungsbewußtsein gegenüber den Mitmenschen entwickelt“.[27] Derartige Vorschläge zielen regelmäßig darauf ab, durch erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber „Auffälligkeiten“ und „verdächtigen Personen“ Straftaten zu verhindern.[28]
Die britischen „Neighbourhood Watch“-Programme sind die unmittelbaren Vorbilder dieser Projekte. Angeleitet durch die englische Partnerstadt hat das hessische Bensheim seit 1997 in einigen Stadtbereichen damit begonnen, die BürgerInnen in diesem Sinne aktiv zu beteiligen. Die Grenzen der „betreuten Bereiche“ wurden durch Straßenschilder mit der Aufschrift „Wachsame Nachbarn – Sicherheit verbindet“ markiert. Mitte 1998 hatten sich „fast 200 Haushalte einschließlich der Kaufleute“ schriftlich bereit erklärt, an das „Informationssystem Ringmaster“ angeschlossen zu werden. Die Stadt Bensheim finanziert die Hardware. Mit „Ringmaster“ soll der Informationsaustausch zwischen Polizei, Stadtverwaltung, Wirtschaft, Schulen, BürgerInnen etc. verbessert und beschleunigt werden. Mit „Ringmaster“ sollen Suchmeldungen und sonstige Aufrufe an die Bevölkerung verbreitet werden. Gleichzeitig sehe der „Bürger, (…) daß die Behörden ‚etwas bringen‘ und bereit sind, für ihn und die Stadt aktiv zu werden“. Durch den Informationsaustausch kontrolliere der Bürger „die öffentlichen Einrichtungen“, und er werde zur weiteren Zusammenarbeit „motiviert, weil diese seine Hilfe annehmen und seinen Hinweisen nachgehen.“ Darüber hinaus haben sich „viele Bürger“ als „concerned citizens“ in Listen eingetragen, um „als ständiger Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen“.[29]
In diesen Versuchen klingt die aus der angloamerikanischen Diskussion stammende Hoffnung an, durch das Anliegen „Sicherheit“ ließen sich Nachbarschaften und damit informelle Kontrollformen (wieder)herstellen. Für die Polizeipraxis entscheidend ist jedoch, daß die BürgerInnen zu einer Art Früherkennungssystem werden, das die Polizei mit Informationen aus den sozialen Nahbereichen versorgt. Ein Klima des Mißtrauens gegenüber „Fremden“ und „Auffälligem“ ist der Preis derartiger „Bürgerorientierung“.
Wird diese Logik weitergedacht und „Bürgerorientierung“ als „Einbindung des Bürgers in polizeiliche Belange“ verstanden,[30] dann lassen sich nicht nur die alten Polizeireserven in Berlin und Baden-Württemberg,[31] sondern auch die Sicherheitswachten in Bayern und Sachsen oder der neue „Freiwillige Polizeidienst“ in Hessen als Elemente bürgerorientierter Polizeiarbeit begreifen. Die Idee einer „bürgerorientierten Polizei“ wird jedoch vollends konturlos, wenn sie auch Hilfspolizeien und staatlich ermächtigte Freizeitpolizisten umfassen soll.
Viertens: Null-Toleranz als BürgerInnenauftrag
In der polizeilichen Strategiedebatte und in den Selbstdarstellungen der PraktikerInnen sind die repressiven Elemente bürgernaher Polizeiarbeit unübersehbar. Dies beginnt bereits bei der Suche nach den Ursachen für die gegenwärtige Polizeimisere. Nach Ansicht des Vizepräsidenten des Bundeskriminalamtes haben vor allem zwei politische Weichenstellungen das Verhältnis zwischen Polizei und BürgerIn belastet. Erstens habe der Verzicht einiger Landesgesetzgeber auf die „öffentliche Ordnung“ als polizeiliche Aufgabe zur Kluft zwischen polizeilichem Auftrag und den Sicherheitsbedürfnissen der BürgerInnen geführt. Die Politik müsse sich nun fragen, ob nicht „hier ein fast aufgegebenes polizeiliches Aufgabenfeld wiederbelebt werden soll“.[32] Zweitens habe die Verrechtlichung polizeilichen Handelns („Belehrungs-, Protokollierungs- und Verwendungsvorschriften“) „zwangsläufig hemmend auf das Gespräch zwischen Bürger und Polizei“ gewirkt.[33] In dieser Argumentation wird „Bürgerorientierung“ zum willkommenen Anlaß, alles abzuschaffen, was von Polizeiführungen schon immer als störend empfunden wurde.
Daß die neuen lokalen Polizeikonzepte, ob sie „Sicherheitsnetz“, „Sicherheitspartnerschaften“ oder „Ordnungspartnerschaften“ genannt werden, im Kern auf vermehrte Überwachung des öffentlichen Raumes, auf niedrigschwelliges Einschreiten von Ordnungskräften, auf (räumliche) Ausgrenzungen zielen, ist nicht neu.[34] Immer wieder frappierend ist jedoch, wie unvermittelt hinter der bürgerfreundlichen Selbstinszenierung durchaus unfreundliche Praktiken auftauchen:
- Der Bundesgrenzschutz will „Bürgerkontaktbeamte“ als Ansprechpartner vor Ort zur Verfügung stellen; sie sollen sichtbare Präsenz zeigen und damit das Sicherheitsgefühl steigern. An den deutschen Ostgrenzen wurden die „Bürgerkontaktbeamten“ bereits eingesetzt: Sie „konnten gute Erfolge bei der Verhinderung unerlaubten Einreisens und der Bekämpfung der Schleuserkriminalität vorweisen.“[35]
- In der schleswig-holsteinischen Kleinstadt Heide besteht seit Mitte 1998 eine Vereinbarung zwischen Polizei und Stadt zur „Stärkung der öffentlichen Sicherheit und der Erhöhung des individuellen Sicherheitsgefühls“. Die Stadt will die ordnungsrechtlichen Grundlagen für den polizeilichen Einsatz schaffen, während die Polizei – „bei hoher Sensibilität für Erscheinungen der öffentlichen Unordnung“ – „konsequentes und niedrigschwelliges Einschreiten“ verspricht.[36]
- Eine klarere Sprache bevorzugt die bayerische Polizei, wenn sie die Elemente der Münchner „polizeiübergreifenden Kooperation“ aufzählt. Auch hier steht an erster Stelle die „Verbesserung des Sicherheitsempfindens“. Aber ebenfalls in der Liste der „Zielvorstellungen“ – und keineswegs als Mittel – geht es in München um „die Verhinderungen/Unterbindung von Sicherheits- und Ordnungsstörungen durch Angehörige sozialer Randgruppen“.[37]
- Nahezu durchgängig werden dichtere Kontrollen (uniformierte Streifen des Ordnungsamtes[38]) und die Aktivierung des gemeindlichen Ordnungsrechts[39] als Elemente bürgerorientierter Polizeiarbeit aufgeführt. Die Zahl der erreichten Abschiebungen und der erteilten Platzverweise werden dann zu Erfolgsindikatoren.[40]
Diese Liste ließe sich noch weiter fortsetzen. Offenkundig ist, daß die Polizei, wenn sie in diesem Kontext von „Bürgerorientierung“ spricht, nur ganz bestimmte „Bürger“ meint, deren Interessen oder Vorstellungen sie berücksichtigen will. Alle, die in der Polizei-Bürger-Harmonie stören, werden bereits begrifflich ausgeschlossen: Mit ihnen wird nicht zusammengearbeitet, sondern sie werden mit polizeilichen Mitteln abgedrängt und kriminalisiert.
Fünftens: Präventive Alltagsorientierung
Besonders nachdrücklich wird eine bürgerorientierte Reform der deutschen Polizei seit langem von einigen Kriminologen verlangt.[41] Ihre Forderungen stützen sich auf drei Argumente.
- Empirisch sei erwiesen, daß die Polizei von den BürgerInnen als eine unspezifische Hilfeinstanz in alltäglichen Konfliktlagen gerufen wird. Auf diese Nachfrage müsse sich die Polizei einstellen.
- Das auf Kriminalitätsbekämpfung orientierte Polizeimodell sei an seine Grenzen gelangt. Weder werde mehr Repression die Sicherheitsprobleme lösen, noch sei deren Ausbau finanzierbar oder rechtsstaatlich wünschenswert. Lokale Prävention biete hier eine Alternative.
- Das bedrohte Sicherheitsgefühl, die alltäglichen Verunsicherungen verlangten nach anderen als (bloß) polizeilichen Antworten.
Bürgernahe Polizeiarbeit wird deshalb aus dieser Perspektive in unmittelbarem Zusammenhang mit kommunaler Kriminalprävention gesehen; es handele sich um Konzepte, „die sich gegenseitig bedingen und nicht ausschließen“.[42] Welcher Stellenwert in diesem Kontext der Polizei zukommen soll, ist jedoch nicht klar. Es wird von ihr erwartet, „durch physische Präsenz das Sicherheitsgefühl (zu) stabilisieren“[43] und Ordnungsverstöße zu verhindern.[44] Im Hinblick auf die Ursachen von Unsicherheit und Kriminalität soll sie sich darauf beschränken, ihr Fachwissen an andere weiterzugeben.[45] Wenn sich die Polizei jedoch mit allgemeinen (gesellschaftlichen) Ursachen von Kriminalität beschäftigen, wenn sie ihre Arbeit an den Sicherheitsbedürfnissen der BürgerInnen ausrichten und wenn sie versuchen soll, auf alltägliche Belästigungen und Konflikte angemessen zu reagieren, dann entstehen „Vorstellungen einer proaktiven Sozialzuständigkeit der Polizei“.[46] In vorsichtigen Worten klingen die neuen Repressionschancen, die einer solchen Polizei erwachsen können, auch in der Bemerkung von Feltes an, daß „‚bürgernahe Polizeiarbeit‘ ohne strukturelle Konsequenzen zum gesamtgesellschaftlichen Unwohlsein führen“ könne.[47] Von solchen „strukturellen Konsequenzen“ ist die deutsche Polizei aber gegenwärtig weit entfernt.
Hilfe, bürgernahe Polizei
Insgesamt hinterläßt der Blick auf „bürgerorientierte Polizei“ in Deutschland einen doppelten Eindruck: Sofern eine solche Polizeiarbeit umgesetzt wird, ist sie regelmäßig mit verschärfter Repression, mit Strategien der Strafandrohung, des Strafens und der Ausgrenzung verbunden. Und sofern angestrebt wird, die Polizei stärker an der mittelfristigen Lösung von Kriminalitäts- und Sicherheitsproblemen zu beteiligen, ist eine erhebliche Ausweitung polizeilicher Zuständigkeiten, des polizeilich verfügbaren Wissens und damit auch der polizeilichen Handlungsmöglichkeiten die unausweichliche Folge.
Gegen die vordergründig so sympathisch scheinende Idee einer bürgerorientierten Polizei sind deshalb auch grundlegende Bedenken erhoben worden. Die „Interessen und vor allem das Wohlwollen ‚der Bürger'“, wie regelmäßig in diesen Konzepten unterstellt, fielen in einer demokratischen Gesellschaft als „eine eindeutige Orientierung polizeilichen Handelns aus“. Denn nach der Polizei werde immer nur dort gerufen, wo man sich selbst in der Rolle des potentiellen Opfers sehe. „Für die Verfolgung krimineller Minderheiten wird die Polizei immer mehr Unterstützung finden als für die Verfolgung (verkehrs-)ordnungswidriger Mehrheiten.“[48] Angesichts der deutschen Ordnungsdebatte geht es jedoch längst nicht mehr um „kriminelle“ Minderheiten, sondern um solche Gruppen, die von lokal mächtigen Kreisen als störend definiert werden: Obdachlose, BettlerInnen, Drogenabhängige, MigrantInnen, Jugendliche etc.
Auch die Vorstellung, „daß die Polizei als Problemlöser über ihren eigentlichen Auftrag hinaus auftreten soll und nicht als Helfer im Einzelfall und beschränkt auf Kriminalitätskontrolle“, ist auf Bedenken innerhalb der Polizei gestoßen. Wer eine solche Ausweitung anstrebe, der müsse sich u.a. der Frage nach der „Machterweiterung für die Polizei“ stellen. „Kriminalitätsbekämpfung“ sei „eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe (…); dies verbietet, eine Institution für alles zuständig zu machen.“[49]
Eine bürgerorientierte Polizei im demokratischen Sinne ist deshalb nicht mit Modellen vereinbar, die polizeiliche Zuständigkeiten ausweiten und/oder soziale Probleme mit polizeilichen Mitteln lösen wollen. Statt dessen wäre es erforderlich,
- daß die Polizei „sich trennen muß von der Vorstellung, eine umfassende und omnipotente Sicherungsinstanz zu sein“ und
- „daß diese Polizei sich begreifen muß als eine gesellschaftliche Zwangsinstanz, die primär zum Schutz der BürgerInnen vor alltäglichen Gefahren und alltäglicher Gewalt da ist.“[50]