It takes a village to prevent a crime. Community Policing in den USA [1]

von Albrecht Funk

Was immer man auch unter „Community Policing“ verstehen mag, sicher ist, daß aus einer Philosophie einiger Polizeitheoretiker und -praktiker in den 80er Jahren eine breite Reformbewegung erwachsen ist. Bereits 1994 gaben in einer Umfrage 42% der befragten Polizeichefs an, CP zu betreiben.[2] Die Zahl hat in der Zwischenzeit noch beträchtlich zugenommen.

Der „Violent Crime Control and Law Enforcement Act“ der Clinton-Regierung zielte auf die Veränderung der traditionellen polizeilichen Verbrechensbekämpfung, indem das eigens eingerichtete „Office of Community Oriented Policing Services (OCOPS)“ die Finanzierung von 100.000 Stellen bei den lokalen Polizeien in Aussicht stellte. Im Mai 1999 konnte das Department of Justice stolz vermelden, daß das Büro gerade die 100.000. Stelle eines „community policing officer“ bewilligt habe.[3]

Wörtlich übersetzt benennt der Begriff des Community Policing (CP) eine Banalität. In den USA wurde die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Alltag nie als eine staatliche Funktion verstanden.[4] Zuständig für die Polizei sind die Städte, Counties und Gemeinden. In den Kommunen, nicht auf der Ebene der Bundesstaaten oder gar der Federal Government, entscheidet sich deshalb letztendlich, in welcher Weise Polizei organisiert wird und an welchen Handlungskonzepten diese sich ausrichtet. Generalisierungen über polizeiliches Handeln sind aus diesem Grunde nur schwer möglich. Community Policing bedeutet Unterschiedliches selbst in sozio-ökonomisch vergleichbaren Kommunen. Kaum ein Polizeichef, Bürgermeister oder Sheriff in Idaho versäumt es zwar heute, von „community orientation“, „neighborhood control“ oder „problem-oriented policing“ zu reden. Doch sie verfolgen sehr unterschiedliche, häufig sogar diametral entgegengesetzte Ziele. In ihrem Versuch, möglichst alle Polizeien mit ihrem „100.000 Beamte auf die Straße“-Programm anzusprechen, vermeidet das OCOPS deshalb auch jede konkrete Bestimmung des Konzepts und umschreibt Community Policing statt dessen blumig-allgemein als eine neue „policing philosophy designed to reduce crime and disorder in communities by fostering trust, respect, and collaboration between police officers and citizens“.[5]

Die Frage ist nur, wodurch konkret mehr Vertrauen, Respekt und Zusammenarbeit geschaffen werden sollen. Durch ein kohärentes Bündel von Zielen, umzusetzen etwa durch eine Reform von Organisation, Ausbildung und Einsatzkonzeption der Polizei, lassen sich die vielfältigen CP-Projekte nicht beschreiben. Was die diversen Projekte und Konzepte eint, ist zum einen die Kritik am traditionellen Policing – der professionell-polizeilichen Verbrechensbekämpfung – und zum anderen der Bezug auf eine notwendige Reorientierung der Polizei auf die Bedürfnisse der Kommunen und ihrer BürgerInnen. Die Handlungsmuster und Organisationskonzepte, welche in dieser Diskussion auftauchen, kreisen um vier thematische Schwerpunkte. Skogan/Harnett, haben sie in ihrer exemplarischen Untersuchung der Chicagoer Reformbemühungen in vier allgemeinen Prinzipien des CP zusammengefaßt.[6]

Dezentralisierung der Polizeiarbeit

In der amerikanischen Polizeidiskussion besteht heute Konsens darüber, daß eine flächendeckende Kontrolle des Raumes durch Streifenwagen und eine möglichst schnelle Reaktion auf Notrufe kaum zu einer effizienteren Verbrechenskontrolle beiträgt.[7] Im Gegenteil, der Rückzug aus den alten Revieren, die zunehmende Abschließung und Zentralisierung polizeilicher Entscheidungsprozesse und die Delegation von Aufgaben von oben nach unten hat in vielen „neighborhoods“ zu einer viel beklagten Kluft zwischen Polizei und BürgerInnen geführt.[8]

Versuche, die Kommunikation zwischen BürgerInnen und PolizistInnen durch eine Reorganisation des schutzpolizeilichen Einzeldienstes zu erleichtern, gehören deshalb zum festen Bestandteil aller CP-Programme. Sie reichen von Kontaktbereichen bis hin zu weitreichenden Bemühungen, die zentral gesteuerten Streifenwageneinsätze zu ersetzen durch ein „neighborbood policing“: In den mit Hilfe der BewohnerInnen definierten „neighborhoods“ sollen die Beamten vor Ort weitgehend selbstbestimmt Prioritäten setzen können.[9]

Unstrittig ist darüber hinaus, daß die neuen Kommunikationstechnologien es erlauben, Informationsaustausch und -beschaffung auf das „customer-contact level“ zurückzuverlagern. Sie erlauben es BürgerInnen wie der Polizeiführung, zu jeder Zeit mit den „beat officers“ vor Ort in Verbindung zu treten. Laptops – ausgerüstet mit Stadtplänen, Revierinformationen und allen notwendigen Formularen – ermöglichen ein „automated field reporting“ von jedem beliebigen Ort aus. Während Telefon, Automobil und Zentralcomputer in den letzten Jahrzehnten zentrale Entscheidungsfindung und Aufgabenerledigung gefördert haben, ermöglichen nun die neuen Mikrosysteme eine Rückverlagerung von Entscheidungsprozessen, ohne daß dies zu einem Verlust an Informationen und Kontrolle in der Organisation führt.

Ob durch Community Policing jedoch Hierarchien abgebaut werden und den PolizistInnen vor Ort mehr Entscheidungsgewalt zugesprochen wird, ist fraglich. In keinem mir bekannten Fall umfaßt die Reform die gesamte Organisation – auch in dem von Skogan/Harnett hoch gelobten Chicagoer Beispiel werden die Kriminalpolizei und andere zentrale Einrichtungen ausgespart.[10] Vielfach wird nur eine „neighborhood police“ der Öffentlichkeit präsentiert, ohne daß es zu einer Integration der neuen Stellen in den schutzpolizeilichen Normalbetrieb kommt.

Problem-oriented Policing (POP)

POP bezieht sich auf die einfache Erkenntnis, daß immer wiederkehrende Vorkommnisse, mit denen die Polizei zu tun hat, häufig auf die gleiche Ursache zurückzuführen sind. Anstatt Feuerwehr zu spielen, komme es deshalb darauf an, so Herman Goldstein in einem der meist zitierten Aufsätze zum CP, die Faktoren ausfindig zu machen, welche zu immer wiederkehrenden Einsätzen führen.[11] Ausdruck findet die neue Problemorientierung in zwei sehr unterschiedlichen Strategien: Zum einen in der kriminalgeographischen Erfassung und Analyse von „hot spots“, d.h. von Problembereichen aller Art – sei es eine Anhäufung von Raubtaten, Klagen über Drogenhandel, Belästigung von Passanten durch Obdachlose und Alkoholiker oder die Klagen über jugendliche Gangs.[12] Das rigoroseste „hot spot“-policing hat der frühere Police Chief William Bratton in New York eingeführt, der mit seinen inzwischen kommerziell genutzten Computerstatistiken (COMPSTAT©) die Revierleiter zum Durchgreifen antrieb.[13]

Zum anderen erwachsen aus POP Versuche, durch die Kombination polizeilicher Mittel und den Ressourcen anderer kommunaler Instanzen Ordnungsprobleme zu lösen und Straftaten zu verhindern.[14] Policing wird als Gesamtauftrag aller öffentlichen Einrichtungen verstanden. Sofern die BürgermeisterInnen die gesamte Verwaltung zur direkten Kooperation aller Ämter und Dienste verpflichten, führt dies „zu einer Expansion des Polizeimandats“.[15] Die Palette der Maßnahmen reicht vom Erlaß von Halteverboten zusammen mit den Verkehrsbehörden, um den Drogenhandel oder das „cruising“ von Jugendlichen in bestimmten Straßen zu unterbinden, über gerichtliche Anklagen von Besitzern leerstehender Häuser, die als Drogenumschlagplatz benutzt werden, bis hin zu einem „MOM and COP“-Programm (Managing our Maternity Services with Community-Oriented Policing System), in dem Polizeibeamte schwangere Frauen in Vorsorgeprogramme des Gesundheitsdienstes vermitteln (um Fälle der Kindesvernachlässigung oder -aussetzung zu verhindern).[16]

Bürgerorientierte Setzung der Handlungsprioritäten

Kellings und Wilsons These, daß es die Bedrohungen der öffentlichen Alltagsordnung sind, die Verbrechensangst und Unbehagen bedingen, nicht aber ein rechtlich als Delikt definierter Vorfall,[17] ist heute Allgemeingut in der amerikanischen Polizeidiskussion. Sie hat Forderungen von CP-Theoretikern nach einer stärkeren „customer orientation“ großen Auftrieb gegeben. Diese Kundenorientierung reicht von der Einrichtung von Stellen, in denen BeamtInnen (liason officer) Kontakte zu Geschäftsinhabern oder Jugendgruppen pflegen, über die Einrichtung von Nachbarschaftstreffen, auf denen Ordnungsprobleme diskutiert und Vorschläge gemacht werden können, bis hin zur Betreibung eines Limonadenstands als Anlaufstelle für BürgerInnen in einem „Anti-crime“-Programm in Naples, Florida.[18]

In manchen Fällen zielt Community Policing über eine bloße Kundenorientierung hinaus auf die aktive Mobilisierung der BürgerInnen. Im kalifornischen San Diego werden freiwillige Helfer nicht nur für eine Vielzahl von Kontroll- und Überwachungsaufgaben mit herangezogen. VertreterInnen von Stadtteilinitiativen und ExpertInnen werden auch in die strategische Langzeitplanung des Polizeidepartments mit einbezogen. In Chicago haben Stadtverwaltung und Polizei den Aufbau einer „Alliance for Neighborhood Safety“ aktiv gefördert. Ihr kommt die Rolle zu, die Initiativen von Polizei und Verwaltung in die Bürgerschaft hinein zu vermitteln.

Aktive Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger

Der Anspruch einiger akademischer Anhänger des CP ist jedoch in zweierlei Hinsicht höher gesteckt. Der Bezug auf die BürgerInnen wird von SozialwissenschaftlerInnen, aber auch von PolitikerInnen gerne als eine neue Form der direkten demokratischen Beteiligung ausgegeben. „Community policing is democracy in action“, heißt es etwa in dem „framework of action“, welcher dem Violent Crime Control Act und der Gründung des OCOPS zugrunde lag.[19] Wie sich diese demokratische Beteiligung realisieren soll, bleibt jedoch in den Verlautbarungen des OCOPS und in den meisten akademischen Veröffentlichungen eine offene, scheinbar im Prozeß selbst zu klärende Frage.

Eine pointierte, wenngleich abstrakte Antwort auf diese Frage kommt von den Kommunitaristen. Sie erwarten eine Aktivierung und Mobilisierung der BürgerInnen durch eine radikale Reform des Criminal Justice Systems insgesamt.[20] Die sozialen Gemeinschaften sollen durch die Reform von Polizei und Justiz die Möglichkeit und Fähigkeit direkter sozialer Kontrolle wiedergewinnen. Diese sei den sozialen Bedürfnissen der BürgerInnen angemessener als das abstrakte staatliche Sicherheits- und Strafprogramm. CP ist in dieser kommunitaristischen Philosophie ein Schritt hin zum „self-policing“. Gleichzeitig sollen den BürgerInnen die rechtlichen Mittel zurückgegeben werden, Rechtsverstöße zu ahnden (community justice).[21]

Community Policing – Versuch einer Typisierung

Die vier skizzierten Schwerpunkte des CP stellen kein in sich geschlossenes Konzept dar. Zwar versuchen Akademiker und Policy-Experten gleichermaßen, ihre Ideen als in sich schlüssige Reformprogramme zu verkaufen. Faktisch stellt CP jedoch nur einen Baukasten von allgemeinen Ideen und konkreten Maßnahmen dar, der lediglich zusammengehalten wird durch eine allgemeine Philosophie der Orientierung an den Bedürfnissen der BürgerInnen. Generalisierende Aussagen über das „community policing“ sind deshalb nicht möglich. Identifizieren lassen sich jedoch sehr wohl verschiedene Typen, die unterschiedliche Elemente des CP in verschiedener Weise kombinieren. In radikaler Vereinfachung lassen sich vier Typen unterscheiden.

Symbolische Politik: CP – Pittsburgh Style

Von den Bürgermeistern ernannt (Police Chiefs der Großstädte) oder sogar gewählt (County Sheriffs) sind die Polizeichefs direkt in die Lokalpolitik eingebunden. Die Fähigkeit, polizeiliches Handeln in der Kommunalpolitik als Erfolg zu vermitteln, entscheidet über Karrieren. Wer sich als effizienter Polizeimanager und -reformer einen Namen verschafft, wird zur begehrten Person, die von Städten mit aktuellen Problemen (wie Los Angeles nach den Rodney King-Unruhen) oder neu gewählten Bürgermeistern eingekauft wird. CP ist für Polizeimanager zur Zeit sicherlich der wohlfeilste Artikel auf dem Markt. Wo die Suche nach einer kommunalen (republikanischen) Wertegemeinschaft die öffentliche Diskussion bestimmt und Washington 100.000 Stellen in den Kommunen finanziert, beherrscht der CP-Jargon zwangsläufig polizeiliche Selbstdarstellung und Reformrhetorik.

Faktisch haben sich jedoch die Polizei und ihr Policing in vielen Städten und Gemeinden nicht verändert. CP wird zur Aufgabe einzelner neu geschaffener Stellen: von Verbindungsoffizieren – zuständig für Jugendliche, Kinder, Alte – oder aber von einzelnen neuen Nachbarschaftsrevieren. Ansonsten bleibt die alte Polizeiorganisation und -ausbildung unangetastet. Die Resultate eines solchen CP sind zwangsläufig widersprüchlich. In Pittsburgh etwa reklamiert die Polizei für sich, CP zu betreiben, gleichzeitig besteht eine erhebliche Kluft zwischen der Polizei und Teilen der Bürgerschaft. Das Mißtrauen vieler BewohnerInnen wuchs erheblich nach der Erschießung von mehreren Schwarzen. Dies führte schließlich dazu, daß die Mehrheit der Pittsburgher WählerInnen die Einrichtung eines Police Review Board, d.h. einer Kontrollinstanz, durchsetzte – nicht als Teil eines CP, sondern gegen den erbitterten Widerstand der Polizei und des Bürgermeisters.

Null-Toleranz-Politik: CP – New York Style

Die Anhänger einer Null-Toleranz-Politik nutzen zwar Techniken des Problem-oriented Policing und bedienen sich der Rhetorik des Community Policing.[22] Genauer betrachtet handelt es sich aber um die bloße Fortsetzung der Verbrechensbekämpfung durch professionelle „crime fighter“ mit neuen Mitteln, legitimiert als effektiverer Dienst an den BürgerInnen als Sicherheitskunden. Das New York Police Department (NYPD) steht für diese Politik wie keine andere Stadt in den USA.[23]

Ausgangspunkt des Null-Toleranz-Policing ist zum einen die auf dem „Broken-Windows-Theorem“ begründete systematische Vorverlagerung polizeilicher Interventionen auf Störungen und Deliktsbereiche, die das Sicherheitsgefühl der BürgerInnen beeinträchtigen (Graffiti, Treffen von Gangs etc.) und/oder als Mittel zur Verhinderung von Straftaten benutzt werden können (z.B. Durchsuchung nach Waffen).[24] Die Zahl der Festnahmen wegen einfacher Vergehen hat auf diese Weise in New York zwischen 1993 und 1996 um ca. 40% zugenommen, die Verhaftungen wegen einfacher Drogendelikte haben sich im selben Zeitraum gar verdoppelt.[25]

Gleichzeitig hat die New Yorker Polizeiführung die 76 Precinct Commanders (Reviervorsteher) einem rigiden Regime sozialgeographischer „Hot-spot“-Analysen unterworfen. Ziel ist es, eine Anhäufung von Delikten frühzeitig zu erkennen, gezielt und schnell darauf zu reagieren und durch permanente Erfolgskontrollen zu einer Reduktion von Kriminalität zu kommen.

Wie immer man den Erfolg der Strategie auch beurteilt, sicher ist, daß die anfängliche Begeisterung vieler BewohnerInnen in Problemgebieten wie Washington Heights über ein Zurückdrängen des Drogenhandels und des „drive-by shootings“ inzwischen einer offenen Ablehnung des „policing“ mit harter Hand gewichen ist. Hierzu haben nicht nur die Erschießungen Unschuldiger beigetragen, sondern vor allem auch die alltäglichen Übergriffe von Beamten, die im Kampf gegen das Verbrechen zu Null-Toleranz und Erfolg verpflichtet werden. Um Urteile der Strafgerichte zu vermeiden, zahlt das NYPD viele Millionen Dollar Schadenersatz für außergerichtliche Vergleiche, alleine zwischen 1994 und 1996 waren dies 70 Mio. Dollar.[26] Mehr und mehr muß sich nun das NYPD in spektakulären Prozessen verantworten, in denen nicht nur die Polizisten, sondern auch die Politik des Departments vor Gericht stehen.

Attraktiv bleibt diese Politik für viele BürgerInnen New Yorks, wahrscheinlich sogar für die Mehrheit gleichwohl. Denn es sind (arme) Schwarze, afrikanische und lateinamerikanische Immigranten, die schwer mißhandelt oder erschossen werden. Drei Viertel aller Klagen, die beim Civilian Complaint Review Board eingehen, werden von Afro-AmerikanerInnen gestellt.[27] Kein Grund also für die BewohnerInnen der Park Avenue in Manhattan, sich über mangelnde Bürgernähe zu beklagen.

Township and Suburbia Style

In hunderten von Ortschaften ist der direkte Bezug der Polizei zu den BürgerInnen auch in der Ära der Funkstreifenwagen und der zentralen Einsatzplanung nie verloren gegangen. Selbst wenn der Cop aus den Vororten New Yorks oder im ländlichen mittleren Westen Verbrechensbekämpfung als seine wichtigste Aufgabe betrachtete, so blieb doch sein Alltag genau von den Aufgaben bestimmt, die von den CP-Politikern als wichtig für das Sicherheitsempfinden der BürgerInnen und deren Vertrauen in die Ordnungsleistungen der Polizei angesehen werden: Hilfeleistungen, Überwachung von verdächtigen Fremden, Ahndung von Übertretungen und Störungen der öffentlichen Ordnung, insbesondere durch Jugendliche etc.

Die heile Welt der amerikanischen Vororte, in denen weiße Mittelschichtfamilien Zuflucht vor den Gefahren der Metropolen suchten, erweist sich jedoch in den achtziger und neunziger Jahren als ebenso anfällig für Gewaltverbrechen und Drogengebrauch wie die Großstädte. Die Angebote und Vorschläge, welche das OCOPS und viele Fachblätter in ihren „Toolboxes“ und „What works“-Kompendien unterbreiten, werden deshalb von vielen lokalen Police Chiefs und Sheriffs gerne aufgegriffen. In Maplewood (New Jersey) etwa stattete das Police Department in seinem „Eyes on the Neighborhood“-Programm nicht nur die Müllmänner mit Sprechfunkgeräten aus, so daß sie bei der Polizei über alles Auffällige Meldung machen können – „von verdächtigen Autos über zerbrochene Fensterscheiben bis hin zu offen stehenden Haustüren“. In einem zweiten Schritt wurden nun auch die 30 Postboten mit einem Handy ausgerüstet, mit dem sie sich mit der Polizei in Verbindung setzen können. „They know the people, they know the cars“.[28] Ob diese Form des CP die Erosion informeller sozialer Kontrollen kompensieren kann, ist fraglich. Sicher ist nur, daß gerade das Versprechen, den Traum einer heilen „american suburbia“ zu restaurieren, diese Form des CP für weiße Mittelschichtangehörige so attraktiv macht.

Community-oriented Policing – San Diego, Chicago Style

Es ist kein Zufall, daß die beachtenswertesten Beispiele des CP in Städten mit einer sozial, ökonomisch und ethnisch heterogenen Bevölkerung zu finden sind; in Städten also wie Baltimore oder Philadelphia, San Diego oder Chicago. Denn anders als in einer Kleinstadt im Mittelwesten läßt sich in diesen Städten die Frage, was denn die (Sicherheits-)interessen der BürgerInnen sind, nicht mehr durch Rückbezug auf die Werte einer christlichen, konservativen, weißen Mittelschicht beantworten. Mit ein paar Kontaktbereichsbeamten und/oder der Organisierung freiwilliger Ordnungsdienste (neighborhood block watch, citizen’s patrol groups) lassen sich Vertrauen, Respekt und Zusammenarbeit der Polizei mit den BewohnerInnen der Gebiete, die die höchsten Verbrechensraten aufweisen, sicher nicht wiederherstellen.

Die Reformversuche in Chicago oder San Diego zielen deshalb vor allem darauf ab, die Legitimität des polizeilichen Handelns zu erhöhen:

  • durch die Dezentralisierung des regulären schutzpolizeilichen Dienstes,
  • durch die Bündelung kommunaler und polizeilicher Ressourcen (etwa des Straßenreinigungsdienstes, des Gesundheitsdienstes etc.) und durch gemeinsame Lösungsansätze, die den BürgerInnen gerade der vernachlässigten Slumgebiete wieder ein Gefühl von Recht und Ordnung geben sollen,
  • durch die Beteiligung der BürgerInnen in den Nachbarschaften an der Definition der Ziele und Mittel des CP selbst.

In San Diego etwa hat die Polizeiführung eine Vielzahl von kommunalen Gruppierungen und Aktivisten in die strategische Planung des Community Policing mit einbezogen.[29] In Chicago nahmen in der Pilotphase des CP-Projekts ca. 15.000 BürgerInnen an regelmäßig stattfindenden Versammlungen teil, auf denen sie mit den in den jeweiligen Bezirken diensttuenden PolizistInnen über die Probleme im Stadtteil und den möglichen kommunalen Lösungsstrategien diskutierten.[30]

Was bewirkt CP?

Der Erfolg der Polizei und deren Reform bemißt sich in der Kommunalpolitik und in der öffentlichen Diskussion vor allem an einem Kriterium: ob die Polizei und ihr Policing Verbrechen verhindert und so zu einer sinkenden Kriminalitätsrate geführt hat. Die Anhänger der Null-Toleranz-Politik reklamieren dies ohne Einschränkungen für sich.[31] Aber auch Polizeichefs, die für sich beanspruchen, CP zu betreiben, erliegen oft der Versuchung und heften sich diesen Erfolg an die Brust. Tatsache ist jedoch, daß die Kriminalitätsraten – vor allem bei Gewaltverbrechen – quer durch die USA gesunken sind, selbst in Orten wie New Orleans, dessen Polizei bis vor kurzem nur durch Korruption, brutale Übergriffe und Morde an lästigen Zeugen aufgefallen ist. Was immer also den spektakulären Rückgang bewirkte, dem Policing kommt höchstens die Rolle einer intervenierenden Variable zu.[32]

Die CP-Vertreter betonen deshalb vor allem, daß diese Strategie im Gegensatz zu den traditionellen Bekämpfungsansätzen (Zero-Tolerance etc.) vor allem darauf ausgerichtet sei, „to support and sustain vital elements of community social organisation that can inhibit crime and built safer neighborhoods over the long run“.[33] Ansätzen zu einer solch weitreichenden Gesellschaftspolitik sind jedoch enge Grenzen gesetzt. Empirische Studien verweisen zunächst durchgängig auf den Widerstand in der Polizei gegenüber Versuchen, andere Organisationen oder gar die BürgerInnen selbst an der Bestimmung der Ziele und Mittel polizeilichen Handelns teilhaben zu lassen. CP entfernt sich zum zweiten von dem in der Praxis allemal schon aufgeweichten Ideal der Herrschaft des Gesetzes und dessen gleichförmiger Durchsetzung: Der Gleichheitsgrundsatz macht noch mehr als bisher einem selektiven Policing Platz – im Interesse kommunaler Interessengruppen (Grundbesitzer, Geschäftsinhaber, Lokalpolitiker) und einer Mittelschichtsklientel.[34] Der Anspruch auf Einbeziehung und demokratische Beteiligung der BürgerInnen schließlich läßt sich nicht aufrechterhalten. Dies gilt nicht nur für Slums und „high crime areas“, sondern auch für die vielen (prosperierenden) weißen Mittelschichtkommunen. Die Identifikation amerikanischer BürgerInnen mit ihren Kommunen ist zwar immer noch mehr als doppelt so hoch als mit der Federal Government.[35] Doch das von Putnam beobachtete Verschwinden des sozialen Kapitals, auf dem die Bereitschaft der BürgerInnen beruht, sich politisch zu engagieren, erstreckt sich auch auf die Kommunen.[36]

Selbst wenn man viele CP-Projekte als eine Bereicherung der Polizeidebatte ansieht, bleibt die gesellschaftspolitische Bilanz ernüchternd: Den Verlust der sozio-ökonomischen Basis der (schwarzen) Innenstadtreviere kann CP ebensowenig kompensieren wie die Erosion traditioneller Formen kommunaler Beteiligung. CP stellt nur eine, sicher nicht die wichtigste Antwort des amerikanischen Justizsystems auf diese Entwicklungen dar. „Tough on crime“, die massive Anwendung der Todesstrafe, eine Verdoppelung der Gefängnispopulation in den letzten 15 Jahren oder die Bestrafung von Kindern als Erwachsene sind Entwicklungen, die das CP eher zu einer wichtigen symbolischen Polizeiphilosophie machen als zu einer Reformbewegung, die das amerikanische Polizei- und Strafverfolgungssystem grundlegend verändern wird.

Albrecht Funk ist Mitherausgeber von Bürgerrechte & Polizei/CILIP und lebt zur Zeit in Pittsburgh, Pennsylvania.

[1] Etzioni, A.: Community Watch, in: National Institute of Justice and the Executive Office for Weed and Seed (ed.): What can the federal government do to decrease crime and revitalize communities?, Washington 1998, pp. 21-23
[2] Trojanowicz, R.; Woods, D.; Harpold, J. et al.: Community policing: A survey of police departments in the United States, Washington 1994
[3] Presseinformation v. 15.11.1999; s. die Web-Site des Office: http://www.usdoj.gov/03press/03_1.html
[4] Knöbl, W.: Polizei und Herrschaft im Modernisierungsprozeß, Frankfurt/M. 1998, S. 243 ff.
[5] Office of Community Policing Services (OCOPS): 100.000 Officers and Community Policing Across the Nation, Washington 1997
[6] Skogan, W.G.; Hartnett, S.M.: Community Policing – Chicago Style, New York, Oxford 1997, pp. 5 ff.
[7] Sherman, L.; Gottfredson, D.; MacKenzie D. et al.: Preventing Crime: What works, What doesn’t, What’s Promising. A Report to the United States Congress, Washington, D.C. 1999, http://www.ncjrs.org/works
[8] Kelling, G.L.; Coles C.M.: Fixing Broken Windows. Restoring order and reducing crime in our communities, New York 1996, pp. 249 ff.
[9] San Diego Police Department: Neighborhood Policing. Building a Problem Solving Partnership, San Diego 1997, http://www.sannet.gov/police/general-info/np.shtml
[10] Skogan; Harnett a.a.O. (Fn. 6), p. 237
[11] Goldstein, H.: Improving Policing: A Problem-Oriented Approach, in: Crime & Delinquency 1979, pp. 236-258
[12] Sherman L.W.: Repeat Calls for Service: Policing the „Hot Spots“, in: Kenney, D.J. (ed.): Police and Policing. Contemporary Issues, New York, Westport, London 1989, pp. 150-165
[13] Bratton, W.: Turnaround: How America’s Top Cop Reversed the Crime Epidemic, New York 1998, p. 233
[14] Bureau of Justice Assistance: Understanding Community Policing. A Framework of Action, Washington 1994, pp. 13 ff.
[15] Skogan; Harnett a.a.O. (Fn. 6), p. 241
[16] s. etwa Bureau of Justice Assistance: Revitalizing Communities: Innovative State and Local Programs, Washington 1997, p. 119
[17] Wilson, J.Q.; Kelling, G.L.: Broken Windows, in: Atlantic Monthly, March 1982, pp. 29-38
[18] On the Beat, OCOPS, Department of Justice (periodical, http://www.usdoj.gov/cops/), 1998, No. 10, p. 6
[19] Bureau of Justice Assistance 1994 a.a.O. (Fn. 14), p. 4
[20] Grundlegend: Braithwaite, J.: Crime, shame and reintegration, New York 1989
[21] Nicholl, C.G.: Community Policing, Community Justice, and Restaurative Justice, OCOPS, U.S. Department of Justice, Washington 1999
[22] Greene, J.A.: Zero Tolerance: A Case Study of Police Policies and Practices in New York City, in: Crime & Delinquency 1999, pp. 171-187 (173)
[23] Bratton a.a.O. (Fn. 13)
[24] Wilson; Kelling a.a.O. (Fn. 17)
[25] Greene a.a.O. (Fn. 22), p. 184
[26] Human Rights Watch: Shielded from Justice. Police Brutality in the US, Washington 1998 (Kapitel New York). Der vollständige Bericht kann im Internet unter http://www.igc.org/hrw/reports98/police/ abgerufen werden.
[27] Greene a.a.O (Fn. 22), p. 177
[28] On the Beat a.a.O. (Fn. 18), 1999, No. 12, p. 6
[29] San Diego Police Department a.a.O. (Fn. 9)
[30] Skogan; Harnett a.a.O. (Fn. 6), pp. 110 ff.
[31] Bratton a.a.O. (Fn. 13)
[32] Blumstein, A.: The context of recent changes in crime rates, in: National Institute of Justice and the Executive Office for Weed and Seed (eds.): What can the federal government do to decrease crime and revitalize communities?, Washington 1998, pp. 15-19 (15); Greene a.a.O. (Fn. 22), pp. 183 ff.; Sherman; Gottfredson; MacKenzie et al. a.a.O. (Fn. 7), Chapter 8
[33] Greene a.a.O. (Fn. 22), p. 185
[34] Skogan, W.G.: Disorder and decline: Crime and the Spiral of Decay in American Cities, Chicago 1990
[35] Bennet, L.W.: The UnCivic Culture: Communication, Identity, and the Rise of Life Style Politics, in: PS: Political Science and Politics, 1988, pp. 741 ff.
[36] Putnam, R.D.: Tuning in, Tuning out. The Strange Disappearance of Social Capital in America, in: PS: Political Science and Politics 1995, No. 4, pp. 664-683