Ein „schärferes“ Versammlungsrecht? Wie die „Zeichen gegen Rechtsextremismus“ nicht gesetzt werden dürfen

von Helmut Wolf

Rechtsextremistische Demonstrationen einfacher verbieten zu können – das ist das gemeinsame Ziel dreier Vorschläge zur Änderung des Versammlungsgesetzes (VersG). Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern haben Gesetzesanträge im Bundesrat gestellt, die CDU/CSU hat einen Gesetzentwurf im Bundestag eingebracht.[1] Letzterer ist am 16. März 2001 in erster Lesung behandelt und von den anderen Fraktionen abgelehnt worden.

Den Gesetzgebungsvorhaben ist gemeinsam, dass sie gegenüber dem geltenden Recht mehr Handhaben dafür geben wollen, Versammlungen von Rechtsextremisten zu unterbinden oder einzuschränken. Diese Absicht ist angesichts all des abscheulich Schrecklichen, das sich rechtsaußen in unserem Land tut, allzu verständlich. Es ist nur sehr schwer begreiflich zu machen, dass Rechtsextremisten ihre Parolen auf Versammlungen verbreiten dürfen, dass die Polizei solche Versammlungen zu schützen hat und dass die Gerichte bis hin zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Demonstrationen von Rechtsextremen ermöglichen.

In der politischen Diskussion um Änderungen des Versammlungsrechts ist es gängig, von dessen „Verschärfung“ zu sprechen. Grundrechtlich betrachtet, ist dies bereits im Ansatz problematisch. Denn das in Art. 8 Abs. l GG gewährleistete Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln, ist ein Abwehrrecht gegen den Staat; schon begrifflich kann dieses nicht verschärft werden. Daher kann mit dem Versammlungsrecht, das verschärft werden soll, nicht das Grundrecht gemeint sein. Gegenstand der Rechtsänderung ist vielmehr der ebenfalls als Versammlungsrecht bezeichnete Bestand der vor allem im Versammlungsgesetz (VersG) niedergelegten Normen des einfachen Rechts, die gemäß Art. 8 Abs. 2 GG das Grundrecht des Abs. l für Versammlungen unter freiem Himmel beschränken. Das Versammlungsgesetz gibt auch Eingriffsbefugnisse, deren wichtigste in § 15 Abs. l VersG enthalten ist. Danach kann eine Versammlung verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, „wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist“. Um die Änderung oder Ergänzung dieser Vorschrift geht es. Das ist nur begrenzt möglich. Das unbequeme Grundrecht setzt enge Schranken.

In den Schutzbereich des Grundrechts fallen zahlreiche Veranstaltungen, die in der Praxis keine ernsthaften Probleme aufwerfen: Aufzüge und Versammlungen in einem Rahmen und zu Zwecken, die in Staat und Gesellschaft allgemein oder überwiegend gebilligt oder akzeptiert werden, wie Wahlversammlungen demokratischer Parteien, Kundgebungen der Gewerkschaften zum l. Mai oder kirchliche Prozessionen. Solche affirmativen Veranstaltungen wären in aller Regel auch nicht in Frage gestellt, wenn es das Grundrecht nicht gäbe.

Benötigt wird der Schutz durch das Grundrecht für Versammlungen, die Opposition ausdrücken. Dort aber erweist sich, dass kaum ein anderes Grundrecht so unbequem ist wie die Freiheit zu Versammlungen unter freiem Himmel. Es werden Meinungen artikuliert, die gerade nicht allgemeinen Anschauungen entsprechen. Dadurch soll außerhalb der üblichen institutionellen Wege – auf eine Weise, die oft als „Druck der Straße“ und damit als illegitim angesehen wird – Einfluss auf die Willensbildung und auf Entscheidungen von Staatsorganen genommen werden. Das geschieht durch Inanspruchnahme des öffentlichen Verkehrsraums, verbunden mit zuweilen überaus lästigen Beeinträchtigungen anderer. Behörden und Polizei sind gehalten, dafür zu sorgen, dass gerade auch unliebsame Versammlungen durchgeführt werden können, und sie müssen dabei von Verfassungs wegen ggf. das Grundrecht gegen Bürger, die ihrer eigenen Haltung näher stehen, verteidigen.

Auseinandersetzungen um Demonstrationen ziehen sich durch die gesamte Geschichte der Bundesrepublik. Das wird auch in Zukunft so bleiben. In seinem Brokdorf-Beschluss vom 14.5.1985,[2] der Verwaltungspraxis und Rechtsprechung nachhaltig im Sinne einer dem Grundrecht freundlicheren Handhabung veränderte, hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verfassungsrechtliche Maßstäbe formuliert, an denen sich auch jede Gesetzgebung messen lassen muss, die das Grundrecht (weiter) beschränken will.

Indessen werden immer noch häufig Versammlungen rechtswidrig verboten oder mit Auflagen versehen. Im Allgemeinen entstehen zwar keine Schwierigkeiten zwischen den Anmeldern und der zuständigen Behörde, die nicht im Rahmen der Kooperation einverständlich ausgeräumt werden könnten. Anders verhält es sich jedoch, wenn extremistische Demonstrationen angemeldet werden. Hier nehmen die Anmeldenden häufig Rechtsschutz gegen ein Verbot oder Auflagen in Anspruch. Meistens haben sie dabei vollständig oder im Wesentlichen Erfolg. Die Erfahrungen, die ich in Mecklenburg-Vorpommern seit 1992 als Vorsitzender des für das Versammlungsrecht zuständigen Senats des Oberverwaltungsgerichts (OVG) gemacht habe, dürften nicht untypisch sein. Nach meiner Erinnerung an die Fälle mit rechtsextremem Hintergrund haben wir nur zweimal Versammlungsverbote aufrecht erhalten. Sonst aber hat das OVG – ggf. mit Auflagen – die aufschiebende Wirkung des vom Anmelder erhobenen Widerspruchs wieder hergestellt bzw. entsprechende Beschlüsse der Verwaltungsgerichte bestätigt. Hinzu kommt eine Reihe von Fällen, in denen die Versammlungsbehörde eine für sie negative Entscheidung des Verwaltungsgerichts akzeptiert hat, ohne ein Rechtsmittel einzulegen. Es zeigt sich also, dass ablehnende Bescheide im Versammlungsrecht wohl mehr als Bescheide auf irgendeinem anderen Gebiet mit dem gerichtlichen Verdikt der Rechtswidrigkeit versehen werden. Auch das BVerfG hat, wenn es gegen ablehnende Entscheidungen der Fachgerichte angerufen wurde, in überdurchschnittlicher Zahl einstweilige Anordnungen erlassen.

Ursache rechtswidriger Ablehnungen ist aus meiner Sicht weniger, dass die Behörden (und in geringerem Umfang die Gerichte) das Versammlungsrecht nicht richtig anwenden können, sondern dass sie es nicht richtig anwenden wollen. Diese Wertung darf nicht als Anprangerung missverstanden werden. Man kann viel Verständnis dafür aufbringen, dass Oberbürgermeister und Landräte durch das Verbot einer Versammlung von Neonazis „ein Zeichen setzen“ wollen, auch wenn sie wissen, dass das Verbot aller Voraussicht nach vor Gericht keinen Bestand haben wird. Indessen fragt der Richter: Ist es dem allgemeinen Rechtsbewusstsein – das nicht zuletzt in den neuen Ländern leicht irritiert werden kann – zuträglich, wenn die Verwaltung Entscheidungen trifft, von denen sie wissen müsste, dass sie rechtswidrig sind? Sollten die so dringend notwendigen Zeichen nicht anders gesetzt werden als durch rechtlich fragwürdige Verbote? Sollte dies nicht dadurch geschehen, dass die Bevölkerung der betroffenen Regionen aufsteht und ihren Abscheu so eindrücklich zeigt, dass nicht Versammlungen der Neonazis, sondern – um Beispiele aus Mecklenburg-Vorpommern zu nennen – das Rostocker Sonnenblumenfest vom 19. September 1998 oder der Aufzug der 7.000 in Greifswald am 14. Januar 2001 das Bild des Tages, die Berichterstattung und die Erinnerung bestimmen?

Die vorgelegten Vorschläge für Gesetzesänderungen sind ersichtlich von der Absicht getragen, ein Zeichen dafür zu setzen, dass der Staat nicht bereit ist, die Umtriebe von Rechtsextremisten in der Öffentlichkeit tatenlos hinzunehmen. Indessen sind die vorgesehenen Regelungen in verschiedener Hinsicht fragwürdig und – gemessen an der Grundrechtsinterpretation des BVerfG – verfassungsrechtlich höchst bedenklich. Abgesehen davon, wären sie meist auch wenig Erfolg versprechend bei Versuchen, strikter gegen Versammlungen vorzugehen.

Um rechtsextremen Versammlungen Einhalt zu gebieten, beschreiten die Gesetzgebungsvorhaben drei Wege: Erstens wollen CDU/CSU und Rheinland-Pfalz an bestimmten Örtlichkeiten – sämtliche – Versammlungen grundsätzlich verboten sehen. Die CDU/CSU will zweitens bestimmte öffentliche Belange von Gesetzes wegen ausdrücklich in den Begriff der unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung einbeziehen. Drittens will Mecklenburg-Vorpommern eine Regelvermutung aufgestellt sehen, dass gewisse Inhalte zu erwartender Äußerungen ein Versammlungsverbot rechtfertigen.

Die „Würde“ von Orten

Beschränkungen des Versammlungsrechts werden ins Auge gefasst bei „öffentlichen Einrichtungen oder Örtlichkeiten, die von herausragender nationaler und historischer Bedeutung sind“ – so der Entwurf der CDU/CSU (Nr. 4 Buchst. c) – bzw. an „Orten von herausragender nationaler und historischer Bedeutung“ – so der Antrag aus Rheinland-Pfalz (Nr. l). Die CDU/CSU will dem Bund und den Ländern die Befugnis geben, für die genannten Orte durch Gesetz befriedete Bezirke zu bestimmen; nach der Begründung folgt aus dem hohen Rang der Versammlungsfreiheit, dass Demonstrationen dort nicht absolut verboten sind, sondern erlaubt sein müssen, wenn sie mit der Würde des Ortes vereinbar sind. Rheinland-Pfalz will an den umschriebenen Orten Demonstrationen „grundsätzlich verboten“ sehen; nach der Begründung werden die Länder gehalten sein, im Gesetz „die Möglichkeit von Ausnahmen mit konkreten Zulassungsmaßstäben festzulegen“.

Zum Kern des Grundrechts gehört das Recht der sich Versammelnden, selbst den Ort ihrer Versammlung zu bestimmen. In dieses greifen die beabsichtigten Vorschriften ein. Motiv für sie ist, dass künftig Geschehnisse wie der Marsch von Neonazis durch das Brandenburger Tor vom 29. Januar 2000 unterbunden werden sollen. Verfassungsrechtlich äußerst bedenklich sind die Gesetzgebungsvorhaben schon deshalb, weil sie weit über das angestrebte Ziel hinausschießen. Denn in bestimmten Bereichen sollen alle Versammlungen, nicht nur solche von Extremisten, grundsätzlich verboten sein. Einen verfassungsrechtlich tragfähigen Grund für ein grundsätzliches Verbot sämtlicher Versammlungen an Orten von herausragender Bedeutung gibt es mit Sicherheit nicht. Es wäre eine einschneidende, nicht hinnehmbare Einschränkung des Grundrechts, allen Veranstaltern zu untersagen, sich den Symbolwert solcher Orte für ihre Versammlungen zunutze zu machen. Mit der Vorschrift werden im Ergebnis alle dafür haftbar gemacht, dass bei einigen wenigen Anlass für ein Verbot gesehen werden mag.

Dem lässt sich nicht mit dem Hinweis begegnen, dass nach den Entwürfen die Gesetze der Länder (und des Bundes, CDU/CSU), in denen die herausragend bedeutsamen Orte bestimmt werden, Ausnahmen vom Versammlungsverbot vorzusehen hätten. Denn bei Anwendung der neuen Vorschriften wäre es wegen des Grundrechts der Versammlungsfreiheit unvermeidlich, dass nicht ausnahmsweise, sondern in der Regel ein Anspruch auf Genehmigung von Versammlungen an solchen Orten bestünde. Eine Norm aber, der aus verfassungsrechtlichen Gründen bei der Rechtsanwendung ein ihrem Wortlaut entgegengesetzter Inhalt gegeben werden müsste, ist verfassungswidrig.

In beiden Gesetzgebungsvorhaben soll die Regelung jeweils in den Zusammenhang der Vorschrift des § 16 VersG über Bannkreise gestellt werden. Inwieweit Versammlungsverbote am Sitz von Verfassungsorganen gerechtfertigt sind, ist hier nicht zu diskutieren. Festzuhalten ist jedoch, dass ein dem Schutzgut der dafür einschlägigen Regelungen – der ungestörten Arbeit der Verfassungsorgane – entsprechendes Schutzgut für ein grundsätzliches Verbot von Versammlungen an herausragend bedeutsamen Orten fehlt.

Hingegen kann es im Einzelfall angebracht sein, eine Versammlung an einem bestimmten Ort zu verbieten, z.B. eine rechtsextreme Demonstration an einem ehemaligen Konzentrationslager. In diese Richtung weist der im rheinland-pfälzischen Gesetzesantrag vorgesehene § 16 a Nr. 2 VersG, wonach an Orten von hervorgehobener Bedeutung Versammlungen verboten werden können, „wenn durch sie die Würde des Ortes gestört zu werden droht“. Der Grund des Verbots ist dann nicht die nationale oder historische Bedeutung des Ortes, auch nicht eigentlich dessen Würde, sondern die der Menschen, die dort gequält und umgebracht worden sind. Das erscheint verfassungsrechtlich unbedenklich.

Belange der Bundesrepublik

Die CDU/CSU will ferner in einem neuen § 15 Abs. 2 VersG regeln, dass ein Verbotstatbestand auch vorliege, „wenn erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere außenpolitische Interessen oder völkerrechtliche Verpflichtungen beeinträchtigt werden und dadurch einer der Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 92 Abs. 2 StGB missachtet wird. Dies ist regelmäßig anzunehmen, wenn die Versammlung oder der Aufzug Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung politischer, religiöser oder sonstiger Belange öffentlich unterstützt oder befürwortet oder hervorzurufen bezweckt oder geeignet ist“. Schon die Kompliziertheit der Vorschrift zeigt, auf welch schwierigem Gelände man sich hier bewegt.

Der zu schaffende § 15 Abs. 2 wird als „Konkretisierung“ und „Klarstellung“ des in Abs. 1 verwendeten Begriffs der unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung verstanden. Eine solche soll auch in den genannten Fällen vorliegen. Als Anlass dafür wird eine Rechtsprechung angegeben, die eine unmittelbare Gefährdung nicht schon bei Äußerungen verfassungsfeindlicher Inhalte aus einem Aufzug heraus annimmt, sondern erst bei Begehung von Straftaten.

Die Rechtsprechung im Einzelnen ist hier nicht zu erörtern. Denn schon vom Ansatz her müssen Bedenken gegen den Gesetzentwurf deshalb erhoben werden, weil die Rechtsprechung, die durch die Neuregelung überwunden werden soll, im Grundsatz durch diejenige des BVerfG vorgezeichnet ist. Dieses hat im Brokdorf-Beschluss[3] erkannt, dass – damit dem Art. 8 GG genügt wird – an ein Versammlungsverbot weitaus striktere Anforderungen als nach allgemeinem Ordnungsrecht zu stellen sind. Insbesondere muss eine konkrete, auf Grund von Erkenntnissen greifbare Gefährdung hochrangiger Rechtsgüter in der Weise vorliegen, dass deren Schädigung wahrscheinlich ist.

Nach dem Gesetzentwurf soll insbesondere außenpolitischen Interessen und völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland der Rang wichtiger Gemeinschaftsgüter zuerkannt werden, hinter welche die Versammlungsfreiheit zurückzutreten habe. Solch eine Einschränkung greift in den Kern des Grundrechts ein und ist nicht hinnehmbar. Das Grundrecht bedeutet insbesondere das Recht, missliebige Veranstaltungen abzuhalten. Der Inhalt der auf einer Versammlung zu erwartenden Meinungsäußerungen darf daher in aller Regel für die Entscheidung über deren Verbot oder Beschränkung keine Rolle spielen. Das folgt auch aus dem Zensurverbot des Art. 5 Abs. l Satz 3 GG. Ferner können extremistische Parteien ihre Ansichten frei vertreten, solange sie nicht nach Art. 21 Abs. 2 GG verboten worden sind.

Das Ansehen des Staates und seiner Einrichtungen ist kein Belang, der das Einschreiten gegen eine Versammlung rechtfertigen könnte. Auch befürchtete außenpolitische Schwierigkeiten als Folge einer Versammlung können deren Verbot nicht legitimieren. Gerade an die Beeinträchtigung des Ansehens der Bundesrepublik knüpft aber die Regelung an. Das zeigt bereits die Problembeschreibung eingangs des Gesetzentwurfs. Eine Spezifizierung dessen, was unter außenpolitischen Interessen und völkerrechtlichen Verpflichtungen zu verstehen sei, findet sich in der Begründung nicht. Im Dunkeln bleibt, wie Veranstalter oder Teilnehmer einer Versammlung völkerrechtliche Verpflichtungen (die sie als Personen nicht binden) beeinträchtigen könnten.

Vermögen schon die in der Norm unter „insbesondere“ genannten Belange eine Einschränkung des Versammlungsrechts nicht zu rechtfertigen, so wird die Unhaltbarkeit der Vorschrift noch deutlicher daran, dass generell „erhebliche Belange“ der Bundesrepublik einen Grund für Verbot oder Beschränkung von Versammlungen darstellen sollen. Diese Ergänzung des Gesetzes wird in der Begründung als Bezugnahme auf entsprechende polizeiliche Spezialermächtigungen – so im Passgesetz, im Vereinsgesetz und im Ausländergesetz – bezeichnet. Mit der Übernahme von Einschränkungen aus anderen Bereichen in das Versammlungsrecht wird die Bedeutung des Art. 8 GG als Garantie der freien Mitwirkung an der Willensbildung im Gemeinwesen grundlegend verkannt.

Die Beeinträchtigung der erheblichen Belange als solche soll gemäß dem Entwurf allerdings noch nicht genügen; hinzukommen muss, dass durch deren Beeinträchtigung Verfassungsgrundsätze missachtet werden. Diese Verknüpfung ist bereits logisch schwer nachvollziehbar; denn missachtet werden können Verfassungsgrundsätze nicht durch die Beeinträchtigung, sondern allenfalls durch Handlungen, deren Wirkung die Beeinträchtigung ist. Selbst wenn die Vorschrift so verstanden würde, wäre sie nicht verfassungsmäßig. Das zeigt die Begründung selbst. Nach ihr geht es darum, „dass die Versammlungsfreiheit nicht zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Verfassungsordnung missbraucht wird“. Damit sind die Voraussetzungen einer Grundrechtsverwirkung umschrieben, die nach Art. 18 GG einzig das BVerfG, nicht aber der Gesetzgeber oder gar eine Verwaltungsbehörde aussprechen darf.

Damit erübrigt es sich eigentlich, auf die Regelvermutung in Satz 2 einzugehen. Bemerkt sei aber: Mit Sicherheit wird nicht jegliche Befürwortung von Gewaltanwendung – was ist in diesem Zusammenhang mit „Gewalt“ gemeint? – als Befürwortung von Gewalt- und Willkürherrschaft im Sinne von § 92 Abs. 2 Nr. 6 StGB gewertet werden können. Im Übrigen stehen alle dort genannten Handlungen einer im Einzelfall bestehenden unmittelbaren Gefahr von der Art, die nach Art. 8 GG die Versammlungsfreiheit zurückdrängen könnte, durchaus fern.

Menschenwürde und Versammlungsrecht

Der Antrag des Landes Mecklenburg-Vorpommern folgt einem anderen Konzept: Er setzt an der in Art. l Abs. l GG gewährleisteten Menschenwürde an, die mehr als alles andere den Staat des Grundgesetzes prägt; dieses Rechtsgut dürfe der Gesetzgeber dem Versammlungsrecht als Grenze ziehen. Im Unterschied zu den Vorschlägen zum Schutz bestimmter Orte nimmt dieser Ansatz den Schutz von Menschen in den Blick und vermeidet ferner die viel zu weitgehende Anknüpfung an Belange der Bundesrepublik. Zu Recht zeigt man sich skeptisch gegenüber den Plänen des Landes Rheinland-Pfalz und der CDU/CSU.

Noch nicht ausgereift ist die systematische Verortung des von Mecklenburg-Vorpommern vorgeschlagenen Verbotsgrundes. In dem vorgesehenen § 15 Abs. 2 VersG ist er als ein „Verbotsgrund nach Absatz l“ bezeichnet. Das heißt, dass die Missachtung der Menschenwürde als unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung gewertet wird. Damit verfehlt der Gesetzesantrag sein eigenes Ziel. Er geht nämlich davon aus, dass dem Verbotsgrund des Abs. l ein anderer an die Seite zu stellen sei, bei dem es gerade nicht auf die konkret fassbare Verwirklichung von Straftatbeständen ankomme. Demgemäß wäre der neue Verbotsgrund als eigenständig für sich stehende Regelung zu formulieren. Dabei wäre wohl der bessere Weg, ohne weitere Auffächerung die Missachtung der Menschenwürde anderer als Verbotstatbestand vorzusehen. Dieser der Verfassung vorgeordnete höchste Rechtswert dürfte im Versammlungsrecht verteidigt werden können, ohne dass nach Art. 18 GG eine Grundrechtsverwirkung ausgesprochen worden ist. Die im Gesetzesantrag enthaltene Auffächerung indessen ist in verschiedener Hinsicht fragwürdig.

So stellt der Gesetzesantrag die „Darstellung“ von Repräsentanten nationalsozialistischer Ideen als Beispiel der Verherrlichung von Gewalt- und Willkürherrschaft heraus. Darin wird nicht ohne weiteres ein Angriff auf die Menschenwürde zu sehen sein. Die Verharmlosung von Massenmord, Krieg oder Vertreibung ist sicherlich von Übel. Es sei aber gefragt, ob damit auch die Befürwortung von Kriegen wie beispielsweise in Vietnam, im Kosovo oder im Irak verboten werden soll. Ferner: Soll es verboten sein, öffentlich die Bevölkerungsverschiebungen im ehemaligen Jugoslawien, die Vertreibung waren, gutzuheißen? Die Anstachelung anderer Menschen zum Rassenhass richtet sich gegen die Menschenwürde. Gilt das aber nicht ebenso, wenn Rassenhass geäußert wird, ohne darüber hinaus andere anzustacheln? Der Gesetzesantrag entgeht mithin nicht den fundamentalen Schwierigkeiten, die im Versammlungsrecht jede Einschränkung der Meinungsäußerung aufwirft.

Von den eingebrachten Entwürfen ist nicht nur wegen verfassungsrechtlicher Erwägungen abzuraten. Die Anwendung der vorgeschlagenen Regelungen würde die Autorität des Staates nicht erhöhen, sondern mindern. Denn die Veranstalter rechtsextremistischer Versammlungen würden – wie bereits jetzt – ihre Ziele auf Demonstrationen so umschreiben, dass man zwar erkennt, was gemeint ist, jedoch nicht so klar aussprechen, wie es erforderlich wäre, damit ausnahmsweise das Grundrecht zurückgedrängt werden darf. Im Zweifel aber ist zugunsten der Versammlungsfreiheit zu entscheiden.

Erwägenswert erscheint die Einführung einer Vorschrift, dass im Einzelfall Versammlungen an bestimmten Orten oder zu bestimmten Zeiten verboten oder beschränkt werden können, wenn dies zum Schutz der Menschenwürde anderer erforderlich ist. Damit würde das Verfassungsgebot des Art. l Abs. l Satz 2 GG für das Versammlungsrecht konkretisiert – eine u.U. hilfreiche Verdeutlichung der bereits nach geltendem Recht möglichen Verbote und Auflagen um der Menschenwürde willen. Der 3. Senat des OVG Greifswald hat der NPD 1998 ermöglicht, in Rostock ihre Abschlussveranstaltung zum Bundes- und Landtagswahlkampf durchzuführen.[4] So war zu entscheiden, nachdem die NPD nicht mehr darauf bestand, ihre Kundgebung nahe jenem Haus in Lichtenhagen abzuhalten, das 1992 von einem ausländerfeindlichen Mob in Brand gesetzt worden war. Eine Kundgebung an diesem Ort hätte der Senat unterbunden. Die l. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat Anfang dieses Jahres bestätigt, dass einer rechtsextremen Organisation die Auflage erteilt werden darf, eine Versammlung vom 27. Januar, dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, auf einen anderen Tag zu verlegen.[5]

Wie auch immer der Gesetzgeber sich entscheidet: Aus guten Gründen lassen sich Versammlungen von Extremisten (soweit ihre Organisationen nicht verboten sind) nur sehr begrenzt unterbinden oder einschränken. „Zeichen setzen“ können hier die Gesetzgeber, die Verwaltung und die Gerichte kaum. Das müssen ständig und ohne nachzulassen die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes tun.

Helmut Wolf ist Vizepräsident des Landesverfassungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern in Greifswald.
[1] Rheinland-Pfalz: BR-Drs. 545/00 v. 12.9.2000, Mecklenburg-Vorpommern: BR-Drs. 758/00 v. 16.11.2000, CDU/CSU-Fraktion: BT-Drs. 14/4754 v. 27.11.2000
[2] Bundesverfassungsgericht, Entscheidungen (BVerfGE), Bd. 69, S. 315
[3] ebd., S. 353f.
[4] Beschluss vom 18.9.1998, Az.: 3 M 92/98
[5] Beschluss vom 26.1.2001, Az.: 1 BvQ 9/01