von Christine Hohmeyer
Die Bundesregierung plant ein staatliches Programm, um Angehörigen rechtsextremistischer Gruppierungen den Ausstieg zu erleichtern. Erreicht werden soll eine Schwächung der Szene. Doch wenngleich in der Öffentlichkeit bereits viel Wirbel darum gemacht wurde – mehr als vage Konturen zeichnen sich gegenwärtig noch nicht ab.
Reichlich Aufregung hatte es im Februar dieses Jahres gegeben – ausgelöst durch die Aussage von Innenminister Otto Schily, ein einzelner Aussteiger könne den Staat bis zu 100.000 DM kosten. Diese Summe müsse für Wohnungswechsel oder den anfänglichen Unterhalt eingeplant werden. Während Politik und Presse nun darüber stritten, ob Neonazis damit das Leben „versüßt“ oder „subventioniert“ werde, blieben die tatsächlich neuralgischen Punkte des Vorhabens im Dunkeln. Unklar ist bislang, ob sich das Programm an Führungspersonen oder Mitläufer richten wird, ob Aussteiger sich freiwillig melden oder angesprochen werden sollen. Übernehmen der Verfassungsschutz, die Polizei oder die Jugend- und Sozialbehörden die heikle Mission? Und nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob der Staat Gegenleistungen für seine Ausstiegshilfe verlangen wird.
Dürftige Informationen
Bereits Mitte Februar hatte Schily öffentlichkeitswirksam verkündet, „in Kürze“[1] werde eine bundesweite Hotline für Ratsuchende und potentielle Aussteiger eingerichtet. Doch das Kontakttelefon lässt auf sich warten. Dies könnte damit zusammenhängen, dass bislang niemand so recht weiß, was mit den potentiellen Aussteigern zu tun und wer für die geplanten Maßnahmen zuständig sein wird. Nun hat das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ein Konzept vorgelegt, das zusammen mit dem Bundeskriminalamt (BKA) erarbeitet wurde und im Mai von den InnenministerInnen beraten werden soll.
Warum dieses Konzept nur zum Dienstgebrauch vorliegt und klandestin verhandelt wird, bleibt angesichts des dürftigen Informationsgehaltes unverständlich. Mehr als Eckdaten bietet der Entwurf des Verfassungsschutzes nämlich nicht. Einerseits soll sich das Programm an „Führungspersonen und Schlüsselfiguren/Multiplikatoren“ richten. Durch deren „öffentlichen Ausstieg“ soll die „rechtsextremistische Szene verunsichert und geschwächt werden.“ Kontakt werde gezielt vom Verfassungsschutz aufgenommen. Andererseits sollen aber auch Mitläufer ermuntert werden. Weiterhin sieht das Konzept eine Reihe von Maßnahmen vor: „Lösen aus dem sozialen Umfeld (u.U. Hilfe bei Arbeitsplatz- und Wohnungssuche/Umzug), Beraten der Ausstiegswilligen und Knüpfen von Verbindungen, in begrenztem Umfang Hilfe durch finanzielle Unterstützung (Kredite), ggf. Knüpfen von Kontakten zur Justiz.“[2]
Verwirrte Länder, eilige Programme
Für die fachliche und finanzielle Unterstützung des Programms sieht der Entwurf des BfV den Aufbau eines Hilfsnetzes in den Ländern vor: die Landesämter für Verfassungsschutz „mit ihren Verbindungen zu entsprechenden kommunalen Einrichtungen (z.B. zu Sozial-, Jugend- und Arbeitsämtern) sollen deshalb bereits in die Planung des Konzepts einbezogen werden.“[3] Von diesem Konzept zeigten sich die meisten Länder überrascht. Unter Zugzwang gesetzt, reagierten sie jedoch eilfertig. Sachsen, Rheinland-Pfalz und Hamburg wollen die Initiative unterstützen, in Hessen und Bremen wurden eigene Projektgruppen zur Vorbereitung gegründet. Berlins Innensenator Werthebach bekannte zwar, dass er Schilys Ankündigungen „mit Erstaunen zur Kenntnis genommen habe.“[4] Gleichwohl wurde das Thema im Ausschuss für Verfassungsschutz des Berliner Abgeordnetenhauses umgehend diskutiert. Auch Bayerns Innenminister Beckstein betrachtete das Programm „mit einer gewissen Skepsis“, installierte aber bereits am 1. Februar ein Hinweistelefon beim Verfassungsschutz, wo Aussteigewilligen Unterstützung angeboten wird.[5] Nach „exakter Prüfung“ – das ergab ein Anruf bei der Hotline – stelle man „Kontakt zu den zuständigen Stellen“ her. In Brandenburg gründete Innenminister Jörg Schönbohm in der Abteilung Verfassungsschutz die Projektgruppe „RAUS“, um den Rohentwurf des Bundes für Landesbedürfnisse zuzuschneidern.
Vorreiter unter den Ländern sind derzeit Baden-Württemberg und Niedersachsen. In Niedersachsen hatte Justizminister Christian Pfeiffer bereits für Februar die Einstellung zweier Ausstiegshelfer angekündigt. Nicht der Verfassungsschutz, sondern Sozialpädagogen sollten, unter der Federführung des Justizministeriums, „in enger Zusammenarbeit mit Vollzugsbeamten, Bewährungshelfern und Mitarbeitern der Jugendhilfe auf die Täter zugehen.“[6] Zielpersonen sind in erster Linie Personen, die wegen rechtsextremistischer Gewalttaten verurteilt wurden. Sofern sie sich noch im Strafvollzug befinden, wird ihnen als Gegenleistung vorzeitige Haftentlassung in Aussicht gestellt.
Auch in Baden-Württemberg ist die Eigeninitiative schon weiter gediehen. Motor der Entwicklung ist hier die Polizei, die im Februar die „Beratungs- und Interventionsgruppe gegen rechts – BIG“ gegründet hat. BIG ist dem LKA unterstellt und soll von sich aus „einschlägige Gruppierungen ansprechen und dazu beitragen, Gruppen oder Einzelpersonen aus dem rechtsextremistischen Spektrum herauszubrechen.“[7] Gleichzeitig wurde beim LKA eine Kontakthotline eingerichtet, die rund um die Uhr Informationen und Beratungen zum Aussteigerprogramm anbietet – auch anonym. Seine Motivation für diese Maßnahmen sei, so der baden-württembergische Landespolizei-Präsident Erwin Hetger, „die Aussagebereitschaft gewaltbereiter Jugendlicher zu erhöhen … Allerdings nur, wenn sie die Polizei in ihren Ermittlungen weiterbringen -, beispielsweise, um eine rechte Gruppierung zu zerschlagen`. Dazu sei es nötig, dass die Polizei die Betroffenen unterstütze“.[8]
Staatliche Interessen
Die Aussage des baden-württembergischen Polizeichefs weist auf einen Aspekt hin, der in der Debatte eher am Rande erwähnt wird, für die geplante Konzeption aber ausschlaggebend sein wird: Welche Gegenleistungen wird der Staat für seine Hilfen verlangen? Otto Schily hat die Richtung bereits benannt: Damit das Programm nicht in Verruf gerate, sollten die Aussteiger in keinem Fall als Spitzel genutzt werden, „sondern allenfalls abgeschöpft“ werden.[9] In diesem Zusammenhang wird nicht von ungefähr die Wiedereinführung der 1999 abgeschafften Kronzeugenregelung diskutiert, für die aus dem Bundesjustizministerium bereits eine neue Fassung vorliegt. Auch wenn diese nicht speziell für Rechtsextremisten, sondern allgemein gelten soll, so sei sie doch, so Schily, „hilfreich“ für das geplante Aussteigerprogramm.[10]
Spätestens an diesem Punkt stellt sich die Frage, ob staatliche Organe, allen voran der Verfassungsschutz, die richtigen Instanzen für solche Ausstiegshilfen sind. Selbst wenn die Neuauflage der Kronzeugenregelung abgewendet werden könnte, so stünde stets das „Erkenntnisinteresse“ von Verfassungsschutz und Polizei sichtbar hinter dem Programm. Was aber ist mit potentiellen Aussteigern, die nicht auspacken können – weil sie nur kleine Rädchen sind – oder aus Angst nicht wollen? Kann das „Prinzip des schmutzigen Deals“[11] handlungsleitend für einen Ausstieg sein?
Exit – Beispiele aus Schweden und Berlin
Um diese Fragen zu beantworten, lohnt ein Blick dorthin, wo bereits Erfahrungen mit Aussteigern aus der rechten Szene vorhanden sind. 1998 wurde in Stockholm das Aussteigerprogramm „Exit“ gegründet. Seither wurden etwa 100 Personen durch die Organisation betreut. Die Maßnahmen ähneln dem geplanten Bundesprogramm: Auch hier wird versucht, Ausbildungsplätze, Jobs oder Sozialhilfe zu vermitteln, im Ernstfall wird zu einer geschützten Identität verholfen. Die Unterschiede: Der Verein ist ein Selbsthilfeprojekt, das vom Kultusministerium und Sponsoren finanziert wird. Das Projekt helfe auch bei Problemen „gegenüber Polizei und Justiz“. Und Kent Lindahl, Gründer und Hauptfigur der Organisation, ist selbst Aussteiger.
Zehn Jahre lang war Lindahl Neonazi, saß wegen verschiedener Gewalttaten im Gefängnis. Er kennt die Schwierigkeiten, die sich für die Betroffenen ergeben: „Der Ausstieg war sehr hart. Ich hatte niemanden, der mir sagt, wie man damit umgehen muss, dass die alten Kameraden einen verfolgen und bedrohen. Dass man plötzlich keine Freunde mehr hat.“[12] Entsprechend dieser Erfahrung versucht Lindahl zu handeln. „Wenn zu mir einer kommt, der aussteigen will – herzlich gerne. Wenn er wieder abspringt – kein Problem. Ich helfe ihm auch beim nächsten Versuch wieder.“ Er meine es ernst, „und meine Kunden spüren das. Deshalb vertrauen sie mir.“ Im Ernstfall lasse er auch schon mal einen Aussteiger bei sich wohnen.[13] Gleichzeitig verlangt Lindahl aber auch von seinen „Kunden“ ernste Absichten. Sieben Neonazis habe er aus dem Programm wieder hinausgeworfen, weil sie die Szene nicht verlassen wollten. Ansonsten aber haben sich mit Hilfe von Exit in dieser Zeit über 80 Personen aus der Szene losgelöst.
Exit-Gruppen gibt es inzwischen in Norwegen, Dänemark und Finnland. Und seit vergangenen Herbst auch in Berlin, gegründet von dem Ex-Staatsschutz-Polizisten Bernd Wagner, der inzwischen das „Zentrum Demokratische Kultur“ leitet. Das Berliner Exit hat vier Mitarbeiter, verfügt über eine verdeckte Wohnung und unterhält gegenwärtig bereits Kontakte mit ca. 100 potentiellen Aussteigern. Das Projekt bietet neben konkreten Ausstiegshilfen auch Beratungen für Angehörige – ein in der Bundesrepublik bislang vernachlässigter Service. Wie in Schweden sind auch in der Arbeit des Berliner Vereins zwei grundlegende Prinzipien zu erkennen: Wichtig ist zum einen die eigene Verantwortung für den Ausstieg. Dies äußere sich u.a. darin, „dass die Betroffenen von sich aus aktiv werden und die Helfer kontaktieren.“[14] Zum anderen stellt sich auch Exit in Berlin hinter die Aussteiger: „Rechtsprobleme, die im Zusammenhang mit dem Exit auftreten, bedürfen in ihrer Bewältigung professioneller juristischer Unterstützung und unter Umständen auch anwaltlicher Vertretung. Diese Hilfe soll EXIT vermitteln. Natürlich kann eine strafrechtliche Verantwortlichkeit im Falle der Strafverfolgung durch EXIT nicht abgewendet werden. Es besteht aber ein Vertrauensverhältnis, wie es in der Sozialarbeit zum Berufsethos gehört. Dazu gehört aber auch, dass beim Aussteiger die Bereitschaft besteht, rechtliche Verantwortung zu übernehmen.“[15]
Verantwortung und Vertrauen
Es mag zunächst bizarr erscheinen, angesichts rechter Kameraden auf Prinzipien wie Verantwortung und Vertrauen zu setzen. Dennoch wird der Einstieg in den Ausstieg in hohem Maße von der Glaubwürdigkeit und Integrität der Personen abhängen, denen der Aussteiger zu einem bestimmten Grad ausgeliefert ist. Auch scheint es wichtig, dass die potentiellen Kandidaten von sich aus an die zuständigen Stellen herantreten – nicht umgekehrt. Beide Prinzipien lassen sich mittels „Ansprache“ durch den Verfassungsschutz oder szenekundige Beamte nicht realisieren, sondern nur in Hilfs- und Beratungsangeboten, die nicht zuletzt auch für Angehörige so niedrigschwellig wie möglich angeboten werden müssten.
Ob das geplante Bundesprogramm erfolgreich arbeiten kann, wird maßgeblich von den Rahmenbedingungen und der Glaubwürdigkeit der beteiligten Institutionen abhängen. Gerade letztere scheint derzeit nicht gewährleistet. Für eilige Programme, öffentlichkeitswirksame Reden und schmutzige Deals ist das Ganze jedenfalls ein viel zu heikles Terrain.