Polizeiliche Todesschüsse 2000

von Otto Diederichs

Da die Innenministerkonferenz (IMK) für die zurückliegenden Jahre 1998 und 1999 ohne Angabe von Gründen von ihrer langjährigen Praxis abgewichen ist, eine Statistik über den polizeilichen Schusswaffengebrauch zu veröffentlichen, fehlen offizielle Angaben für diesen Zeitraum.

Erfreulicherweise hat Sachsen-Anhalts Innenminister Manfred Püchel (SPD) als amtierender IMK-Vorsitzender diese Praxis seiner Amtsvorgänger aus Thüringen und Nordrhein-Westfalen nicht übernommen, sondern ist zur alten Vorgehensweise zurückgekehrt. Demnach starben im vergangenen Jahr insgesamt sechs Menschen an den Folgen von Polizeischüssen, während das CILIP-Archiv hier nur fünf Fälle aufweist. Trotz intensiver Bemühungen ist es leider nicht gelungen, diesen Fall nachträglich zu recherchieren.

Während es für 1998 also an jeglichem offiziellen Zahlenmaterial mangelt, liegen für das Jahr 1999 zumindest Angaben des nordrhein-westfälischen Innenministeriumssprechers gegenüber der in Berlin erscheinenden „tageszeitung“ vor. Einem Vergleich dieser Zahlen mit jenen der IMK-Statistik für das Jahr 2000 zufolge ist der polizeiliche Schusswaffengebrauch in den letzten zwei Jahren weitgehend stabil geblieben. So machte die Polizei im Jahr 2000 in insgesamt 3.594 Fällen von der Schusswaffe Gebrauch. 1999 waren es 3.410 Fälle. Mit 3.382 Schüssen galten sie in 2000 in ihrer überwiegenden Mehrzahl gefährlichen, verletzten oder kranken Tieren (1999: 3.227). In 120 Fällen wurden im letzten Jahr Warnschüsse abgegeben (1999: 107) und 40-mal erfolgte der Schusswaffengebrauch gegen Sachen (1999: 23).

Auffällig ist hingegen der Unterschied bei den Folgen von gezielten Schüssen auf Personen. So wurde im Jahr 2000 in 52 Fällen die Schusswaffe gegen Personen eingesetzt. Bei diesen Einsätzen wurden 6 Personen getötet und 30 verletzt. 1999 waren es bei 53 Schüssen – den Zahlenangaben aus Nordrhein-Westfalen zufolge – 33 Verletzte und 15 Tote. Nach CILIP-Recherchen ist die Zahl der Getöteten mit insgesamt 19 sogar noch höher. Gründe für diesen signifikanten Unterschied sind nicht zu erkennen. Dennoch liegt die Zahl polizeilicher Schussabgaben mit Todesfolge für das Jahr 2000 erfreulicherweise deutlich unter einem zu erwartenden Jahresdurchschnitt von etwa 10 Toten.

Wie in den vor 1998 veröffentlichten IMK-Statistiken gibt es auch für das Jahr 2000 wiederum keine Angaben zu sogenannten unbeabsichtigten Schussabgaben. Da dies auch für jene Fälle gilt, in denen ein Mensch getötet wird, bleibt dieses Defizit auch künftig ein Problem bei der amtlichen Erfassung polizeilicher Schusswaffenfolgen. Weiterhin unbefriedigend ist auch das anhaltende Desinteresse der Medien am polizeilichen Schusswaffengebrauch als dem härtesten Indikator staatlicher Gewaltfähigkeit. Trotz der vorherigen zweijährigen Abstinenz der Innenminister bei der Veröffentlichung der Schusswaffengebrauchsstatistik fand lediglich die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ die Pressemitteilung Püchels einer kurzen Nachricht wert. Das mediale Desinteresse zeigt sich auch darin, dass – wie eingangs geschildert – der fehlende sechste Fall selbst durch eine breit angelegte Internet-Recherche in allen erreichbaren (Lokal-)Zeitungen nicht gefunden werden konnte.

Polizeiliche Todesschüsse 2000

Fall 1
Name/Alter unbek. Mann, 40 J.
Datum 27.1.2000
Ort/Bundesland Mengen, Baden-Württemberg
Szenarium Nach einem Überfall auf einen Supermarkt, bei dem er 10.000 DM erbeutet, flieht der Räuber. Als er kurz darauf von der Poli­zei gestellt wird, richtet er seine Waffe auf die Beamten. Daraufhin gibt ein Beamter zwei Schüsse auf den Mann ab und tötet ihn.
Opfer mit Schusswaffe Ja
Schusswechsel Nein
Sondereinsatzbeamte Nein
Verletzte/getötete Beamte Nein
Vorbereitete Polizeiaktion Nein

 

Fall 2 3 4 5
Name/Alter unbek. Mann, 52 J. unbek. Mann, 24 J. unbek. Mann, 22 J. unbek. Mann, 28 J.
Datum 20.2.2000 6.3.2000 4.4.2000 19.9.2000
Ort/Bundesland Dreiborn, Nordrhein-Westfalen Nürnberg, Bayern Mannheim, Baden-Württemberg Ulm, Baden-Württemberg
Szenarium Ein offenbar verwirrter Landwirt schießt Mitte Januar zunächst mit einem Schrotgewehr auf einen Mann und anschließend auf einen herbeigerufenen Polizisten. Der Beamte schießt zurück und trifft den Landwirt ins Becken. Dabei verletzt die Kugel mehrere Gefäße. Er wird in einem Krankenhaus zunächst erfolgreich operiert, verstirbt jedoch knapp einen Monat nach dem Vorfall. Ein mehrfach vorbestrafter Freigänger tankt an einer Tankstelle, ohne zu bezahlen. Die alarmierte Polizei versucht zunächst ihn anzu­halten. Der Mann flieht. Da­raufhin nehmen insgesamt 5 Streifenwagen die Verfolgung auf. Als der Mann nach dem Rammen von Polizeifahrzeugen ge­gen die Leitplanke prallt, steigt er aus und zielt mit einer Pistole auf die Beamten. Als er auf Anrufe nicht reagiert, sondern zwei Be­amte direkt bedroht, schießen zwei ihrer Kollegen auf den Mann. Ein Schuss trifft ihn in den Hinterkopf und tötet ihn. Während eines Familienstreits verletzt ein junger Türke seine Mutter mit einem Messer lebensgefährlich. Danach sticht er auf einen Nachbarn ein. Als die alarmierte Polizei eintrifft, schießt er aus dem Fenster auf die Beamten. Die Polizisten schießen zurück und töten ihn mit drei Schüssen in den Oberkörper. Eine Frau alarmiert die Poli­zei und teilt mit, dass auf ei­nem in einem Wald gele­ge­nen Trimm-Pfad ein Mann mit einem Gewehr hantiere. Als Beamte einer Funkstrei­fe den Mann an­rufen und auf­fordern, die Waffe fallen zu lassen, geht er auf sie zu. Die Be­amten fühlen sich be­droht und schießen 22-mal auf den Mann. Insgesamt 9 Schüsse treffen ihn, ein Schuss in die Brust ist tödlich. Die Beamten ge­ben an, in der Dämmerung nicht erkannt zu ha­ben, dass es sich um ei­nen geistig Be­hinderten mit einem Spielzeuggewehr handelte.
Opfer mit Schusswaffe Ja Ja (Spielzeugpistole) Ja (Schreckschusspistole) Ja (Spielzeuggewehr)
Schusswechsel Ja Nein Ja Nein
Sondereinsatzbeamte Nein Nein Nein Nein
Verletzte/getötete Beamte Nein Nein Nein Nein
Vorbereitete Polizei-
aktion
Nein Nein Nein Nein