Stinkendes Geld, schmutzige Geschäfte – Der polizeiliche Antikapitalismus führt in die Irre

von Heiner Busch

Die „Bekämpfung“ von Wirtschaftskriminalität und Geldwäsche lebt von einer antikapitalistischen Rhetorik. Dass Polizei und Strafverfolgungsbehörden bei diesem Kampf notwendigerweise an Grenzen stoßen, wird ebenso vergessen wie die Tatsache, dass sie dabei nicht nur gegen „Weiße-Kragen-Täter“ agieren.

Geschichten von „Geld und Gier“ haben Hochkonjunktur. Bürgerliche Zeitungen applaudieren auf ihren Wirtschaftsseiten, dass Staatsanwaltschaften und Polizei endlich auch „Topmanager wie Kriminelle behandeln“.[1] Schutzvereinigungen der AktionärInnen fordern die Verschärfung des Wirtschaftsstrafrechts, und Wirtschaftsprüfungsunternehmen, die noch vor kurzem selbst die Hühneraugen vor geschönten Bilanzen schlossen, verdienen ihr Geld nun mit „forensic accounting“, mit innerbetrieblicher Detektivarbeit also, oder beraten Banken über die besten Möglichkeiten im Kampf gegen Geldwäsche.[2]

Angesichts der moralischen Wende des Kapitals, der bürgerlichen Besorgnis um das schwindende Vertrauen in den Markt, fühlt sich auch ein Teil der Linken bestätigt: „Geld stinkt eben doch.“[3] Die neue Einheitsfront gegen „schmutzige Geschäfte“ erfreut sich an Staatsanwälten, für die „Kritik am Kapitalismus nicht gleichbedeutend ist mit Staatsverrat“ und an internationalen (quasi-)polizeilichen Organisationen wie der Financial Action Task Force (FATF), die keine Gelegenheit auslassen, die Gefahr der Geldwäsche in immer schillernden Farben zu zeichnen. Angesichts der neuen Begeisterung dafür, dass die repressiven Instrumente des (kapitalistischen) Staates auch einmal die Richtigen zu treffen scheinen, sind Hinweise auf die fürchterliche Wirkung legaler Ausbeutung oder legal produzierter und gehandelter Massenvernichtungswaffen genauso wenig gefragt wie Differenzierungen hinsichtlich der „dunklen“ illegalen Seite der sonst scheinbar sonnig hellen kapitalistischen Wirtschaft. In der öffentlichen und der polizeilichen Debatte über organisierte und Wirtschaftskriminalität finden sich kaum Analysen über die Rolle illegaler Praktiken in den verschiedensten Sektoren der legalen oder besser der „mainstream economy“, kaum Darstellungen der auch historisch sehr vielfältigen Beziehungen der legalen zur illegalen Wirtschaft oder der Bedeutung des wachsenden Graubereichs namens informeller Sektor – sei es in den armen und immer ärmeren Volkswirtschaften der Dritten Welt oder auch in den Zentren des entwickelten Kapitalismus.

Wirtschaft und Kriminalität: Geschichte einer Diskussion

Der Zusammenhang von wirtschaftlichem Handeln und Kriminalität war erstmals in den 70er Jahren, im „sozialdemokratischen Jahrzehnt“, zu einem größeren Thema der Kriminologie geworden. Bis zu diesem Zeitpunkt bestand die Debatte um Wirtschaftskriminalität vor allem aus „Einzelfallstudien von Praktikern aus dem Polizei- und Justizbereich“, das Bundeskriminalamt (BKA) interessierte sich in erster Linie für „Verfolgungsprobleme oder Erscheinungsformen und ihre Bekämpfung“.[4] Die interaktionistische Kriminologie nahm nun zur Kenntnis, dass die Klientel von Polizei und Strafjustiz in der Regel der „Unterschicht“ angehört(e). Debatten der US-amerikanischen Kriminalsoziologie über Weiße-Kragen-Kriminalität und „corporate crime“ wurden rezipiert. Die Einrichtung einer „Sachverständigenkommission zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität“ im Jahre 1972 ließ aus dem wissenschaftlichen Programm eine politische Aufgabe zur Neuordnung des Wirtschaftsstrafrechts werden. Schwerpunktstaatsanwaltschaften und Wirtschaftsstrafkammern entstanden. 1982, kurz vor ihrem Ende, präsentierte die sozialliberale Regierung den Entwurf eines 2. Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität. Das Gesetz mit neuen Strafbestimmungen wurde mit den Stimmen der konservativ-liberalen Parlamentsmehrheit 1986 verabschiedet. Die Jungen Kriminologen waren unzufrieden mit den neuen Straftatbeständen. Der Kapitalanlagebetrug „betrifft ja überwiegend Gutverdienende, eben Leute, die genügend Geld haben, es gewinnbringend anlegen zu können.“[5]

Seit Anfang der 80er Jahre war es erneut die Polizei, die die ökonomische Bedeutung von kriminellem Handeln thematisierte. Leitmotiv der Debatte war die Durchsetzung neuer verdeckter Methoden der „Verbrechensbekämpfung“. Geführt wurde sie diesmal aber nicht oder nur am Rande unter dem Label der Wirtschafts-, sondern unter dem der „organisierten Kriminalität“ (OK). Im Kern ging es dabei um den Drogenhandel, einen von der Produktion über die diversen Stationen des Handels bis hin zum Konsum illegalen Sektor. Illegale Praktiken in der legalen Ökonomie spielten allenfalls am Rande eine Rolle: 1983 organisierte die Polizei-Führungsakademie (PFA) ihr viertes OK-Seminar mit dem Untertitel „Wirtschaftskriminalität – Einschleusung und illegale Beschäftigung von Ausländern“. Erst zwei Jahre später beim sechsten OK-Seminar bemühte man sich, neben der Videopiraterie und der Euroscheckkriminalität auch den Anlagebetrug unter die Indikatoren der OK-Definition zu zwängen.[6]

„Macht sich Kriminalität bezahlt?“ fragte das BKA bei seiner jährlichen Arbeitstagung im November 1986.[7] Die Abschöpfung von Gewinnen aus Straftaten wurde zur „dritten Dimension der Verbrechensbekämpfung“. Mit der Kriminalisierung der Geldwäsche und mit Finanzermittlungen hoffen die Polizeien und Strafverfolgungsbehörden seit Ende des 80er Jahre, die „Achilles-Ferse des Drogenhandels“ zu treffen.

Geldwäsche und illegale Märkte

Fünfzehn Jahre nach seiner Verankerung in der UN-Konvention zur Bekämpfung des illegalen Drogenhandels 1988 ist das Konzept der Geldwäsche, das aus der polizeilichen Suche nach Ermittlungsansätzen geboren wurde, sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Sozialwissenschaft eingebürgert. Zwar wird mittlerweile auch von Geldwäsche bei Steuerhinterziehung geredet und das Auffinden von Konten gestürzter Diktatoren als Geldwäschebekämpfung tituliert, das moralinsaure Geschmäckle resultiert jedoch nach wie vor aus der Drogenprohibition. Geblieben ist damit auch die Bereitschaft, den Umfang des gewaschenen oder zu waschenden Geldes so hoch wie möglich anzusetzen und damit die Gefahr, dass die angeblich so saubere legale Wirtschaft durch die schmutzige illegale unterwandert wird, zu dramatisieren. Schätzungen der FATF gehen beim Drogenhandel typischerweise von Kleinhandelspreisen aus, einer Stufe des Marktes, auf der nichts zum Waschen übrig bleibt, weil der Erlös des Geschäfts konsumiert wird. Unterschätzt oder gar nicht zur Kenntnis genommen wird die Tatsache, dass ein großer Teil des auf illegalen Märkten erwirtschafteten Gewinns gar nicht in die Legalität transferiert werden muss, sondern für den ausgedehnten Konsum von Luxusgütern oder für die Finanzierung neuer illegaler Geschäfte verwendet wird. Die inzwischen durchaus ansehnliche Zahl von Veröffentlichungen über die Struktur illegaler Märkte schafft es nicht, die öffentlichen Mythen zu korrigieren.[8] Dass gerade Institutionen wie der internationale Währungsfonds und die Weltbank, die heute die Verunreinigung des sauberen Marktes beklagen, gegenüber Entwicklungsländern auf der Beseitigung von Handels- und Finanzschranken bestanden und damit beste Voraussetzungen für Geldwäschetransaktionen schafften, wird in den OK-Debatten geflissentlich übersehen.

Wer illegal mit schmutzig gleichsetzt, wird auch die positiven oder zumindest ambivalenten Wirkungen illegaler Märkte und des auf ihnen erzielten Geldes nicht wahrnehmen: Schwarzgeld kann Wechselkurse stützen. Illegal akkumuliertes Kapital kann die Voraussetzungen für die Entstehung durchaus wünschenswerter Zweige der legalen Ökonomie schaffen, sofern es nicht in Immobilien oder unproduktivem Luxus geparkt wird. Untergrundbanken dienen auch MigrantInnen zur Überweisung von Ersparnissen an ihre Familien im Ursprungsland. Und: Die Arbeit im informellen oder auch im illegalen Sektor schafft „Einkommen, das für manche von den legalen Märkten ausgeschlossene Bevölkerungsgruppen die Grenze zwischen Armut und Hunger zieht.“[9] Erst die genauere Analyse der Produktions- und Reproduktionsbedingungen auf den illegalen Märkten erlaubt Urteile, die über die Feststellung des Rechtsbruchs hinausgehen.

Wirtschaftskriminalität – Illegales im Legalen

Dasselbe gilt für das Verständnis illegaler Praktiken in der „mainstream economy“. „Wirtschaftskriminalität“ ist weder ein ökonomischer noch ein rechtlicher Begriff, sondern eine Zusammenfassung sehr unterschiedlicher „Straftaten im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsleben“, die vor allem die Zuständigkeit bei Polizei und Justiz sowie deren Schwierigkeiten bei der Bearbeitung solcher Delikte wiedergibt. Die Definition, die auch die Grundlage für die Erfassung in der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) abgibt, ist insofern nicht richtig oder falsch, sondern pragmatisch: Als Wirtschaftskriminalität werden danach zunächst einmal jene Straftaten des Strafgesetzbuches und vor allem des Nebenstrafrechts erfasst, die gemäß § 74c des Gerichtsverfassungsgesetzes vor den Wirtschaftsstrafkammern verhandelt werden. Gefordert wird zudem, dass die Delikte „im Rahmen tatsächlicher oder vorgetäuschter wirtschaftlicher Betätigung begangen“ wurden, dass sie (im Unterschied zum einfachen Betrug) nicht nur Einzelne schädigen „und/oder“ dass ihre „Aufklärung besondere kaufmännische Kenntnisse erfordert.“[10]

Der „Jahresbericht Wirtschaftskriminalität“ des BKA für 2001, der im Vorjahr noch „Bundeslagebild“ hieß, umfasst deshalb konsequenterweise alle möglichen Delikte vom Kapitalanlagebetrug in Form des Verkaufs von Phantasie-Wertpapieren mit angeblich überdurchschnittlichen Gewinnchancen über den Subventionsbetrug, den Insiderhandel und die Insolvenzdelikte bis hin zur Schwarzarbeit und illegalen Arbeitnehmerüberlassung. Die rund 110.000 im Jahre 2001 erfassten Fälle mit einer Schadenssumme von zusammen 13,19 Milliarden DM entsprechen 1,73 % aller in der Polizeilichen Kriminalstatistik registrierten Straftaten. Der Anteil der festgestellten Wirtschaftskriminalität an der Gesamtschadenssumme aus der PKS liegt dagegen bei 61,7 %. Verantwortlich für dieses Ungleichgewicht ist die simple Tatsache, dass es hier um wirtschaftliche Schäden geht, die in Geld bezifferbar sind. Die Steigerung der Schadenssumme gegenüber dem Vorjahr um 27 % erklärt sich laut Bericht in erster Linie aus dem Abschluss der polizeilichen Ermittlungen im FlowTex-Verfahren, auf das alleine 4,6 Milliarden DM entfielen. Das sind 35 % der Schadenssumme in Bezug auf die der Wirtschaftskriminalität zugeordneten Delikte und 22 % in Bezug auf die gesamte PKS. Eine „Vergleichbarkeit der Schadensdimension zu den Vorjahren“ sei, so das BKA, nicht gegeben und auch für die Folgejahre nicht zu erwarten.[11]

Vergleichsmöglichkeiten fehlen aber auch für die Fallzahlen. Ein einzelner Fallkomplex wie jener der Hanseatischen AG in Hamburg kann die Statistik erheblich aufblasen. So verzeichnet der Bericht für 2001 eine Steigerung der registrierten Fälle von Anlagebetrug um 194,1 %. Zurückzuführen ist das „auf den Abschluss mehrjähriger Ermittlungen gegen die Hanseatische Aktiengesellschaft“, die mit rund zwei Dritteln der 24.328 bundesweit registrierten Einzelfälle zu Buche schlägt.[12]

Auch das BKA weiß, dass die Statistik der Wirtschaftsdelikte (wie jede PKS) kein Abbild der „realen“ Kriminalität darstellt, dass sie nicht einmal (wie die PKS in anderen Bereichen) ein Bild der Anzeigenentwicklung präsentiert, weil hier nur wenige Anzeigen erstattet werden. Wirtschaftsdelikte seien typische „Überwachungs- und Kontrolldelikte“.[13] Das Dunkelfeld sei hoch und lasse sich kaum durch die üblichen kriminologischen Forschungen erhellen.

Graubereich als Teil wirtschaftlichen Handelns

Was unübliche kriminologische Studien können, zeigt die Arbeit von Eva Wyss über den gescheiterten und schließlich strafrechtlich verfolgten und verurteilten schweizerischen Financier Werner K. Rey.[14] Der moralisierende Dunkelfeldbegriff taucht darin nirgends auf. Ihr Ansatzpunkt ist nicht die Klage über die nicht überschaubaren und womöglich ständig zunehmenden Normbrüche, sondern die Ausdehnung des „Graubereichs“ zwischen Legalität und Illegalität als Folge der Deregulierungspolitik der 80er Jahre, der Aufblähung der internationalen Finanzmärkte und des damit zusammenhängenden Risikogeschäftes.

Rey wurde bis zum Zusammenbruch seiner Omni-Holding „von den Medien gefeiert und von den Banken gehätschelt. Es blieben nur wenige Skeptiker“ wie die von Wyss zitierte Journalistin Rita Flubacher, die das „Rey-Modell“ so skizzierte: „Man kaufe sich für wenig Geld das Unternehmen A und pumpe es mit fremdfinanzierten Firmenzukäufen auf. Wenn der Ballon groß genug ist, bringe man A an die Börse und lasse die Aktionäre die Schulden abtragen. Man sorge dafür, dass der Börsenkurs hoch ist, dann bringt man A zum aktuellen Börsenwert als Sacheinlage für eine Kapitalerhöhung in die Firma B ein. Mit den optisch enorm aufgewerteten Eigenmitteln gehe man zu den Banken und finanziere mit den Krediten weitere Firmenkäufe. Wenn auch der Ballon B groß genug ist und der Schuldenpegel an der Decke angelangt ist, bringe man B an die Börse und lasse die Anleger zur Ader …“ Dieses Verfahren wurde fortgesetzt und führte zu einem undurchschaubaren Firmenkonglomerat mit Ablegern auf „praktisch allen Finanzplätzen der Welt“.[15] Das „Modell Rey“ scheiterte erst, als die Börseneuphorie Ende der 80er Jahre nachließ und die Zinsen wieder stiegen.

„‚Window-dressing‘ sowie weitere Bilanzkorrekturen, Aktienstützungskäufe, Namenswechsel und Umstrukturierung von Firmen, Veränderung der gegenseitigen Beteiligungen und Firmenfusionen“ u.a. – Reys Geschäftspraktiken waren nicht ungewöhnlich und konnten auch im Börsenhoch der 90er Jahre wieder angetroffen werden. „Der Unterschied zwischen Reys Aktivitäten und vergleichbaren, nicht-kriminalisierten Vorgängen in der Wirtschaft besteht lediglich darin, dass sie dort nicht in der Häufung auftreten wie bei Rey. Dass die Grenze zwischen Legalität und Illegalität schwer zu ziehen ist, geht daraus hervor.“[16] Relevant wurde diese Grenze erst durch den Zusammenbruch des „Imperiums“.

„Rechtlich zweifelhaftes Handeln bis hin zu mehr oder weniger massiven Gesetzesverstößen“ sei, so Wyss, keineswegs nur bei dubiosen Unternehmen, sondern an jeder beliebigen Stelle der Wirtschaft anzutreffen.[17] Weder das systematische Versagen von Kontrollinstitutionen – Aufsichts- bzw. Verwaltungsräten, Wirtschaftsprüfungsfirmen – noch der Glaube (auch) der Banken an die alchimistische Geldvermehrung auf den Finanzmärkten sind Spezialitäten des Falls Rey.

Anlagebetrug

Die Begeisterung für riskante Geschäfte ist keineswegs auf die oberen Gefilde des Marktes beschränkt geblieben. „Seit der Börseneinführung der Telekom-Aktie (Ende 1996) und deren Propagierung als Volksaktie war eine sprunghafte Zunahme des Interesses breitester Bevölkerungsschichten an Börsen- und generell hochrentierlichen Finanzgeschäften zu registrieren, damit verbunden das rapide Ansteigen des Dilettantismus selbsternannter Finanzspezialisten und die Entwicklung von deren Pseudokompetenz sowie die virusartige Verbreitung unpräzis schwammiger Neologismen aus dem Analystenwortschatz in die Umgangssprache.“ So heißt es in einer BKA-Studie über die Motivation von Geschädigten in Fällen von Anlagebetrug.[18] Schon 1996 hatte Hans-Joachim Dohr vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen beklagt, dass immer mehr unbedarfte Leute ihr Geld auf dem Grauen Kapitalmarkt investierten und dabei einen Totalverlust riskierten. „Unter dem Begriff des Grauen Kapitalmarktes wird hier der Teil des Kapitalmarktes verstanden, der keinen oder keinen effektiven aufsichtsrechtlichen Regelungen unterliegt, so dass die Initiatoren praktisch freie Hand haben, Anlegern das Geld aus der Tasche zu ziehen … Im Grauen Kapitalmarkt betreibt der Staat nur bedingt Gefahrenabwehr, da er entweder a priori (‚freier Kapitalmarkt‘) oder faktisch nicht in diesem Marktbereich regulierend tätig wird … Die Verantwortung dafür, die Auswüchse dieses Marktes einzudämmen, liegt derzeit allein bei den Strafverfolgungsbehörden.“ Und diese könnten „in der Regel erst dann tätig werden, wenn der Vermögensschaden bereits eingetreten ist“.[19]

Für das „Massendelikt Anlagebetrug“ listet Dohr eine Vielzahl von Beispielen auf, denen bei aller Unterschiedlichkeit der Vorgehensweise eines gemeinsam ist: Die Anleger lassen sich von Gewinnchancen locken, die von vornherein unwahrscheinlich sind. Warnungen vor betrügerischen Angeboten hat es seither zuhauf gegeben – von Konsumenten- und Anlegerschutzorganisationen über die Banken bis hin zur Polizei. Trotzdem haben sie nichts gefruchtet. Das Motiv der Bereicherung scheint ungebrochen. Es wird – so das BKA in seinem Jahresbericht – mittlerweile ergänzt durch die Angst vor der Unsicherheit der Altersrenten und die Hoffnung, durch eine gewinnträchtige Anlage dem Sozialabbau entgehen zu können.[20]

Weil die Betroffenen sich schämen, einem Betrüger auf den Leim gekrochen zu sein, erstatten nur wenige Anzeige. Anzeigen unterbleiben aber auch, weil die Betrogenen oft selbst BetrügerInnen sind, im Klartext: weil sie bei dem Wertpapier-Glücksspiel schwarze Einnahmen an der Steuer vorbeischmuggeln und sie im gleichen Aufwasch auch noch vermehren wollten.

Solange der Wunderglaube an riskante Wertpapiergeschäfte anhält, dürfte auch der Anlagebetrug eine Zukunft haben. Vor dem Hintergrund der Deregulierung – einschließlich ihrer ideologischen Verbrämung – können das Strafrecht und die Strafverfolgungsbehörden allenfalls die Rolle der Linienrichter auf dem grauen Markt abgeben. Sie handeln reaktiv und heben ihre Fahne, wenn der Ball ins Aus geht, d.h. ein Unternehmen zusammenbricht oder eine Anzeige erstattet wird, was eher selten und meist zu spät passiert.

Vom Linienrichter zum Feldspieler

Die einzige Ausnahme für diese Regel stellt der illegale Arbeitsmarkt dar. Hier machen Polizei und Behörden nicht die Linienrichter, hier spielen sie mit, indem sie den Verfolgungsdruck gegen Sans-papiers systematisch erhöhen. Das Ausländerrecht stellt eine wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren des informellen Arbeitsmarktes dar. Je rechtloser die Arbeitskraft, desto attraktiver ist sie und desto niedrigere Löhne können gezahlt werden.

Hier geht es keineswegs nur um rückständige Branchen. Saskia Sassen zeigte für New York, dass der informelle Sektor seine Bedeutung einerseits den gehobenen Konsumbedürfnissen einer neuen wohlhabenden Oberschicht und andererseits der Verarmung breiter Bevölkerungskreise verdankt, die auf billige Waren und Dienstleistungen angewiesen sind.[21] Auch für westeuropäische Länder lässt sich die „moderne“ Rolle der illegalisierten Arbeitskraft erkennen. Sans-papiers und Asylsuchende ohne Arbeitsgenehmigung putzen Privatwohnungen und Büros (und schaffen so Grundlagen für das Funktionieren des Dienstleistungssektors). Sie arbeiten im Hotel- und Gastgewerbe, in der Intensivlandwirtschaft (und gerade nicht in den kleinen bäuerlichen Betrieben) und sorgen nicht zuletzt in der Bauwirtschaft dafür, dass kurze Fristen für die Fertigstellung eingehalten werden und Betriebe mit immer billigeren Angeboten bei den Ausschreibungen mitbieten können.

Auch bei den „Arbeitsdelikten“ können die Behörden nicht mit Anzeigen rechnen. Bei der „Bekämpfung“ dieser Art von Wirtschaftskriminalität geht es jedoch nicht um langwierige Ermittlungen, die nur mit Spezialkenntnissen möglich sind, sondern um schnelle und massive Kontrollen auf Baustellen und an anderen Arbeitsplätzen und um den systematischen Abgleich von Daten. Die Polizei, der Bundesgrenzschutz, der Zoll, die Arbeitsämter und Ausländerbehörden gratulieren sich zu einer immer besseren Zusammenarbeit, deren Erfolge allerdings selten die Arbeitgeber mit dem „weißen Kragen“, sondern vor allem die Ausgebeuteten erdulden müssen. Spätestens an diesem Punkt sollte für linke Leute mit dem polizeilichen Antikapitalismus Schluss sein.

Das Gerede von „schmutzigen Geschäften“ und „stinkendem Geld“ verstellt den Blick auf die Realität, auf die Produktions- und Reproduktionsbedingungen auf illegalen Märkten ebenso wie auf die Rolle illegaler Praktiken in legalen Sektoren der Wirtschaft. Wenn die neoliberale Deregulierungspolitik dafür sorgt, dass die Grenze zwischen legal und illegal immer mehr verwischt wird, kann kaum erwartet werden, dass Polizei und Strafverfolgung zu einer effizienten „Bekämpfung“ der Wirtschaftskriminalität in der Lage wären, selbst wenn zur gleichen Zeit ihre Zuständigkeiten durch neue Straftatbestände entgrenzt werden. Wenn eine repressive Migrationspolitik dazu führt, dass ein beachtlicher Teil der Arbeitenden aller Rechte der Gegenwehr beraubt wird, muss sich niemand über den Anstieg der Schwarzarbeit wundern. Der Ruf nach der Staatsmacht ist auch in dem hier skizzierten Bereich nichts anderes als der Verzicht auf Politik. Für die Seligsprechung des legalen Kapitalismus besteht nun wirklich kein Grund.

Heiner Busch ist Redakteur von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.
[1] Süddeutsche Zeitung v. 24.2.2003 und 8./9.3.2003
[2] Tages-Anzeiger v. 31.12.1998; Aargauer Zeitung v. 1.9.1999
[3] so der Titel eines Aufsatzes von Elmr Altvater, in: Prokla 124, 2001 H. 3, S. 327-351
[4] Liebl, K.: Wirtschaftskriminalität, in: Ders. (Hg.): Internationale Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der Wirtschaftskriminalität, Bd. 1, Pfaffenweiler 1987, S. 1-7 (2)
[5] Tiedemann, K. zit n. Liebl, K.: Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität: Höhenflug mit Bauchlandung?, in: Kriminologisches Journal 1986, H. 1, S. 50-59 (53)
[6] PFA: Organisierte Kriminalität IV, Schlussbericht des Seminars v. 21.-25.11.1983, Münster o.J.; Dies.: Organisierte Kriminalität VI, Schlussbericht des Seminars v. 11.-15.11.1985, Münster o.J.
[7] BKA (Hg.): Macht sich Kriminalität bezahlt? (BKA-Vortragsreihe, Bd. 32), Wiesbaden 1987
[8] s. Besozzi, C.: Illegal, legal – egal?, und: Ders.: Wohin mit der Beute?, beide Bern 2001
[9] Besozzi (Illegal) a.a.O. (Fn. 8), S. 147
[10] BKA: Polizeiliche Kriminalstatistik 2001, Wiesbaden 2002, S. 15
[11] BKA: Jahresbericht Wirtschaftskriminalität 2001, Wiesbaden 2002, S. 8
[12] ebd., S. 39
[13] ebd., S. 27
[14] Wyss, E.: Kriminalität als Bestandteil der Wirtschaft, Pfaffenweiler 1999
[15] ebd., S. 54, 60, 119
[16] ebd., S. 118
[17] ebd., S. 126
[18] Liebel, H.J.: Täter-Opfer-Interaktion bei Kapitalanlagebetrug. BKA – Polizei und Forschung, Neuwied 2002, S. 196
[19] Dohr, H.-J.: Anlagebetrug – ein Massendelikt, in: Bündnis 90/Die Grünen: Materialien zur öffentlichen Anhörung: „Tatort Wirtschaft“ am 24.10.1996, o.O., S. 26-32 (26)
[20] BKA, Jahresbericht a.a.O. (Fn. 11), S. 38
[21] Sassen, S.: Die informelle Wirtschaft, in: dies.: Machtbeben, Stuttgart 2000, S. 39-76

Bibliographische Angaben: Busch, Heiner: Stinkendes Geld, schmutzige Geschäfte. Der polizeiliche Antikapitalismus führt in die Irre, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 74 (1/2003), S. 6-15