Chronologie

zusammengestellt von Martina Kant

August 2005

01.08.: Vietnamesische Beamte verhören Asylsuchende: Eine Delegation des vietnamesischen Innenministeriums überprüft im hessischen Mühlheim die Identität von 300 aus Vietnam stammenden Asylsuchenden. Dabei werden weder Anwälte noch andere Begleitpersonen zugelassen. Der Hessische Flüchtlingsrat protestiert scharf dagegen, das Darmstädter Regierungspräsidium verweist auf das deutsch-vietnamesische Rückübernahmeabkommen. Ähnliche Überprüfungen gab es bereits vor einigen Jahren. Dabei waren die Flüchtlinge auch durch den vietnamesischen Geheimdienst u.a. nach politischen Aktivitäten in ihrer Heimat befragt worden.

04.08.: Polizeikontrolle gegen Muslime: Bei konzertierten Großkontrollen in Baden-Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz überprüft die Polizei rund 1.400 Personen in der Umgebung vermuteter „Islamistentreffpunkte“ wie Cafés oder Gebetsräume. Ziel sei es, illegal eingereiste Personen mit falschen Ausweisen zu finden, Erkenntnisse über länderübergreifende Strukturen islamischer Fundamentalisten zu gewinnen und die Szene aufzuhellen. Festnahmen gibt es nicht.

10.08.: Weltjugendtag mit ausgewählter Jugend: Rund 1.000 jugendlichen Katholiken aus Kamerun, Togo, Niger und den Philippinen wird vom Auswärtigen Amt die Einreise nach Deutschland verweigert. Als Grund wird u.a. genannt, die Jugendlichen würden die Gelegenheit nutzen, in Deutschland zu bleiben.

11.08.: Durchsuchung von anti atom aktuell: Wegen des Verdachts der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten durchsucht die Staatsanwaltschaft Lüneburg die Wohn- und Arbeitsräume zweier Atomkraftgegner und beschlagnahmt Computer und Material der Zeitschrift anti atom aktuell. Den beiden wird als Domain-Inhaber der Internetseite des Prekär-Camps vorgeworfen, mit einer sog. Yomango-Aktion zu Protest-Diebstählen aufgerufen zu haben. Am 19.9. erklärt das Landgericht Lüneburg die Polizeiaktion für rechtswidrig. (S. S. 76 ff. in diesem Heft.)

12.08.: Pfahls verurteilt: Der ehemalige Staatssekretär im Verteidigungsministerium Ludwig-Holger Pfahls wird vom Augsburger Landgericht wegen Steuerhinterziehung und Vorteilsnahme zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Er hatte zugegeben, vom Rüstungslobbyisten Karlheinz Schreiber während seiner Amtszeit fast zwei Millionen Euro Schmiergeld angenommen zu haben. Am 1.9. wird Pfahls gegen Meldeauflagen aus der Haft entlassen.

15.08.: Kennzeichnung für Berliner Polizisten: Ab heute gilt eine Geschäftsanweisung des Polizeipräsidenten, nach der jede Einsatzgruppe mit bis zu acht Beamten mit einer Buchstaben- und Zahlenkombination bei Einsätzen gekennzeichnet wird. Bisher waren nur Einsatzhundertschaften sowie Züge mit 40 Beamten gekennzeichnet. Der Koalitionsvertrag zwischen SPD und PDS sieht allerdings individualisierbare Kennungen aller Beamten vor.

16.08.: Verbot des Hess-Gedenkmarsches in Wunsiedel: Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) weist einen Eilantrag gegen das Verbot der Veranstaltung durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurück. Das Verbot des Aufmarsches stützt sich auf die seit Mai geltende Strafvorschrift, die die Billigung und Verherrlichung des Nationalsozialismus sanktioniert. In einem Hauptsacheverfahren könne die Verfassungsmäßigkeit des neuen § 130 Abs. 4 Strafgesetzbuch überprüft werden (Az.: 1 BvQ 25/05). In Berlin und Nürnberg demonstrieren am 20.8. mehrere hundert Rechtsextreme; knapp 4.000 Menschen versammeln sich zu Gegendemonstrationen.

19.08.: al Motassadeq erneut verurteilt: Das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) in Hamburg verurteilt den Marokkaner Mounir al Motassadeq wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu einer Haftstrafe von sieben Jahren. Eine Beihilfe zum Mord in 3.066 Fällen bei den Anschlägen von New York und Washington am 11.9.2001 konnte ihm nicht nachgewiesen werden. Die erste Verurteilung gegen al Motassadeq zu 15 Jahren Haft war wegen Verfahrensmängeln vom Bundesgerichtshof (BGH) aufgehoben worden. Verteidigung und Bundesanwaltschaft legen am 23.8. Revision ein.

21.08.: Auslandsaufklärung für Bundeswehr durch BND: Bundeskanzleramt und Verteidigungsministerium verständigen sich darauf, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) künftig die Informationsbeschaffung für Auslandseinsätze der Bundeswehr übernehmen wird. Dazu werden 270 neue Stellen eingerichtet.

26.08.: Terror-Großfahndung in Hamburg: Über 1.000 Polizisten suchen nach drei terrorverdächtigen Männern, die vermeintlich einen Anschlag geplant haben. Ein ägyptischer Passant hatte Gesprächsfetzen auf arabisch mitgehört, wonach die Männer gesagt hätten, „wir werden morgen als Held vor Allah stehen.“ Einer der Gesuchten wird festgenommen, die anderen melden sich freiwillig bei der Polizei. Ein Terrorverdacht bestätigt sich nach stundenlangen Verhören nicht.

27.08.: Razzia gegen Linke: Rund 300 Beamte durchsuchen in Berlin Lokale, zwei Wohnungen und Bürogemeinschaften der linken Szene wegen des Vorwurfs der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten. Im Internet und bei einer Demonstration sei den Besuchern ein Freigetränk für jedes abgerissene Wahlplakat einer rechtsextremen Partei versprochen worden. Die Polizei überprüft die Personalien von 135 Personen, 53 Wahlplakate werden gefunden; zahlreiche Computer werden beschlagnahmt.

29.08.: Pornobilder-Affäre bei Thüringer Polizei: Die Staatsanwaltschaft Gera teilt mit, dass etwa die Hälfte der eingeleiteten Verfahren gegen 663 Polizisten erledigt sei. Ein Teil sei wegen Geringfügigkeit eingestellt worden, bei anderen habe sich der Verdacht auf Verbreitung pornografischer Bilder aus dem Internet nicht bestätigt.

September 2005

05.09.: Kurdische Zeitung und islamischer Verein verboten: Das Bundesinnenministerium begründet das Verbot der türkischsprachigen Zeitung „Özgür Politika“ mit deren Einbindung in die Organisation der verbotenen PKK. Bei dem Verein „YATIM Kinderhilfe e.V.“ handele es sich um einen Spendensammelverein für die palästinensische Hamas. Im Zusammenhang der Verbote durchsucht die Polizei an 60 Orten Büros und andere Räume und stellt umfangreiches Material sicher. Am 18.10. gewährt das Bundesverwaltungsgericht der kurdischen Zeitung vorläufigen Rechtsschutz und erklärt das Verbot für rechtswidrig. (S. S. 76 ff. in diesem Heft.)

12.09.: Razzia gegen Monatsmagazin „Cicero“: Wegen des Verdachts der Beihilfe zum Geheimnisverrat durchsucht die Potsdamer Staatsanwaltschaft die Redaktionsräume und die Privatwohnung des Cicero-Autors Bruno Schirra und beschlagnahmt umfangreiches Recherchematerial. Schirra hatte im April einen Artikel über den Terroristen al Zarqawi veröffentlicht und dabei aus einem als vertraulich eingestuften Bericht des BKA zitiert. Am 15.10. teilt die Berliner Staatsanwaltschaft mit, dass in einem weiteren Fall gegen Schirra ermittelt werde, da bei der Durchsuchung geheime Papiere des Bundessicherheitsrates und aus dem Parteispenden-Untersuchungsausschuss gefunden worden seien. (S. S. 76 ff. in diesem Heft.)

23.09.: Überlange Untersuchungshaft verfassungswidrig: In seinem Beschluss rügt das BVerfG eine U-Haftdauer von acht Jahren als Verstoß gegen das Freiheitsgrundrecht. Eine vermeidbare, durch ein Verschulden der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte verursachte Verfahrensverzögerung könne nicht zu Lasten des Betroffenen gehen. (Az.: 2 BvR 1315/05)

27.09.: Großrazzien gegen vermeintliche Islamisten: In einer hessenweiten Polizeiaktion zur „vorbeugenden Bekämpfung krimineller islamistischer Strukturen“ überprüfen rund 500 Polizeibeamte insgesamt 1.260 Personen in Restaurants, Döner- und Gemüseläden. 38 Personen werden festgenommen, darunter drei aufgrund eines Haftbefehls und 33 wegen fehlender Aufenthaltserlaubnis.

Bewährungsstrafe nach polizeilichem Todesschuss: Wegen eines tödlichen Schusses auf einen Kollegen wird ein Polizist vom Kölner Landgericht zu acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Im Februar 2004 hatte der Beamte bei einer Übung statt einer Übungswaffe die Dienstpistole gezogen. (Vgl. CILIP 79 (3/2004), S. 82 f.)

30.09.: Länder stoppen Fahndung per SMS: Nach zweijähriger Probephase erklären die Länderinnenminister die SMS-Fahndung für gescheitert. Schleswig-Holstein meldet einen Treffer in zwei Jahren. Zur Mitarbeit bereite Bürger sollten per SMS mit Täter- oder Vermisstenbeschreibungen versorgt werden, um so ein dichteres Fahndungsnetz zu schaffen.

Oktober 2005

01.10.: Neonazi-Aufmarsch gestoppt: Mit einer Straßenblockade bringen in Leipzig ca. 1.500 Demonstranten einen Aufmarsch von Rechtsextremisten nach wenigen Metern zum Stillstand. Die eingesetzten 2.100 Polizisten lehnen eine Räumung der Blockade wegen Unverhältnismäßigkeit ab.

06.10.: Polizeibeamten-Allergie: Es wird bekannt, dass ein Arzt im nordrhein-westfälischen Unna die Behandlung eines Polizeibeamten mit der Begründung abgelehnt hat, er habe sich über die Polizei so sehr geärgert, dass er Fehler bei der Behandlung von Polizisten nicht ausschließen könne.

Bundesverwaltungsgericht rügt Ausweisungspraxis: Die baden-würt­tem­bergische Ausweisungspraxis ohne Widerspruchsverfahren gegenüber straffälligen EU-BürgerInnen und türkischen Staatsangehörigen ist rechtswidrig und verstößt gegen europäisches Gemeinschaftsrecht. Zudem hätte der erfolgreich klagende, in Berlin geborene straffällige Türke nicht allein zur Abschreckung ausgewiesen werden dürfen, sondern nur, wenn von ihm persönlich eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgehe. (Az.: 1 C 5.04)

07.10.: Leipziger Erich-Mielke-Gedächtnispreis verliehen: Die Aus­zeichnung der Überwachungskritiker erhalten Robert Clemen (MdL, CDU), das Aktionsbündnis Stattbild und drei Leipziger Law-and-Order-Politiker für populistische Werbung für Videoüberwachung, rigoroses Vorgehen gegen legales und illegales Graffiti und „Randgruppen“.

13.10.: Juristisches Nachspiel zum Castor-Transport 2003: Ein Beschluss des Landgerichts Lüneburg wird bekannt, nach dem die Ingewahrsamnahme von GleisblockiererInnen im November 2003 unrechtmäßig war, soweit sie über den Zeitpunkt der Durchfahrt des Zuges fortdauerte.

15.10.: Foltervorwurf vor Menschenrechtsgerichtshof (EuGHMR): Das Bundesjustizministerium bestätigt, dass die Bundesrepublik vom EuGH­MR aufgefordert wurde, zu den Foltervorwürfen im Falle des Frankfurter Polizeivizepräsidenten Daschner Stellung zu nehmen. Der verurteilte Mörder und Entführer Gäfgen klagt wegen der Folterandrohung.

16.10.: Heimliche DNA-Proben von Castor-Gegnern?: Bei einer fried­lichen Protestaktion im Landkreis Lüchow-Dannenberg beobachten Teilnehmer, wie Polizeibeamte mit Handschuhen bekleidet weggeworfene Zigarettenstummel einsammeln und einzeln in Plastiktüten verpacken. Auch nach einer Demonstration am 22.10. in Uelzen wird dieses Vorgehen beobachtet. Innenminister Uwe Schünemann (CDU) bestreitet in seiner Antwort auf eine parlamentarische Kleine Anfrage die Kippensammelei seiner Beamten. Er räumt lediglich ein, dass die Bundespolizei Zigarettenreste, Plastikbecher und anderen Müll eingesammelt und entsorgt hätte. Die Castor-Gegner befürchten hingegen, dass die Kippen für DNA-Analysen verwendet werden könnten. Die Polizei hatte die Demonstranten auch gefilmt. (S. S. 85 in diesem Heft.)

24.10.: Urteil gegen „Spätzle-Stasi“ rechtskräftig: Der Einsatz eines Verdeckten Ermittlers (VE) des baden-württembergischen Landeskriminalamts in den Jahren 1991 bis 1992 war nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Freiburg rechtswidrig. Der VE sollte die linke Szene ausforschen. (Az.: 1 K 439/05 ) (S. S. 39 ff. in diesem Heft)

25.10.: Tausende verdachtslose Kontrollen gegen Muslime: Nach einer Mitteilung des niedersächsischen Innenministeriums hat die Polizei seit 2003 bei verdachtsunabhängigen Kontrollen zur Terrorbekämpfung in der Umgebung von Moscheen und islamischen Kultureinrichtungen rund 14.000 Personen und 6.000 Fahrzeuge überprüft. Dabei sei eine Person aufgefallen, die der Unterstützung des „Kalifatstaats“ verdächtig sei, 16 anderweitig Gesuchte seien festgenommen worden, darunter 10 wegen nichtbezahlter Geldstrafen und 24 weitere, überwiegend wegen asyl- und ausländerrechtlicher Verstöße.

Großrazzia gegen Rechtsextremisten: In Hessen durchsucht die Polizei fünf Wohnungen führender Mitglieder der rechtsextremistischen Szene, die der Kameradschaft „Freie Nationalisten Rhein-Main“ zugeordnet werden. Gegen die Gruppe wird wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt.

Entscheidung im Stolpe-Streit: Nach einem Beschluss des BVerfG darf Manfred Stolpe nur dann als Stasi-IM „Sekretär“ bezeichnet werden, wenn gleichzeitig zum Ausdruck gebracht wird, dass diese Sicht umstritten und der Sachverhalt nicht wirklich aufgeklärt ist. (Az.: 1 BvR 1696/98)

26.10.: Verurteilung im Al-Tawhid-Prozess: Das Düsseldorfer OLG verurteilt vier Palästinenser und einen Algerier wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu Haftstrafen von acht bzw. fünf Jahren. Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass die Männer als Mitglieder einer Al-Tawhid-Zelle Anschläge auf zwei Restaurants in Düsseldorf und die Jüdische Gemeinde in Berlin geplant hätten.

Knüppelorgie bei Großem Zapfenstreich: Ohne erkennbaren Grund gehen Polizeibeamte bei einer Demonstration gegen die Feierlichkeiten zum 50-jährigen Bundeswehrbestehen in Berlin brutal mit Knüppeln gegen friedliche DemonstrantInnen vor. Gegen einen Beamten wird ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt eingeleitet.

28.10.: Big Brother Awards 2005: Die Auszeichnung für Datenkraken geht in diesem Jahr u.a. an Otto Schily für sein Lebenswerk, an das WM-Organisationskomitee des DFB für die Ticketvergabe und an den hessischen Innenminister Bouffier wegen zahlreicher neuer Überwachungsmaßnahmen im Polizeirecht.

29.10.: Demonstrationen am Al-Quds-Tag: 350 Menschen beteiligen sich in Berlin an einer friedlich verlaufenden Demonstration gegen die israelische Präsenz in Jerusalem. Gleichzeitig versammeln sich ca. 200 Gegendemonstranten. Im Vorfeld waren Ausschreitungen befürchtet worden, da der iranische Präsident wenige Tage zuvor die Tilgung Israels von der Landkarte gefordert hatte.

Aufmarsch von Rechtsextremisten blockiert: 3.200 GegendemonstrantInnen und brennende Barrikaden verhindern in Göttingen eine Kundgebung von 350 NPD-Anhängern.

31.10.: Rechtsschutz durch BVerfG gestärkt: Bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen wie Freiheitsentziehungen haben Betroffene das Recht, gerichtlich feststellen zu lassen, dass der erlittene Eingriff (in diesem Fall U-Haft) von Anfang an rechtswidrig war. (Az.: 2 BvR 2233/04)

November 2005

01.11.: Einführung biometrischer Reisepässe: Als erster EU-Staat führt Deutschland Pässe mit biometrischen Merkmalen ein. In einem RFID-Chip im Deckel des Dokuments ist zunächst das digitalisierte Foto des Inhabers gespeichert. Ab 2007 sollen in neuen Pässen zwei Finger­abdrücke digital erfasst werden.

Bundespolizei wird Blau: Bei der Bundespolizei werden blaue Dienstuniformen eingeführt. Die Umstellung für die knapp 32.000 PolizeivollzugsbeamtInnen erfolgt aus Kostengründen über mehrere Jahre.

Schleswig-Holstein verschärft Polizeirecht: Die CDU-SPD-Landes­regie­rung einigt sich auf einen Gesetzentwurf, der weitreichende Eingriffsbefugnisse für eine präventive Telekommunikationsüberwachung, automatisierte Kfz-Kennzeichenabfrage, Schleierfahndung und eine Ent­fristung der Regelung über die Rasterfahndung vorsieht.

02.11.: Imam zu Unrecht ausgewiesen: Nach einer Entscheidung des VG Bremen war die Ausweisung des ägyptischen Imam einer Bremer Moschee wegen mutmaßlicher „Hasspredigten“ rechtswidrig, zudem seien die Vorwürfe nicht ausreichend belegt. Bremens Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) kündigt Rechtsmittel an.

04.11.: Kein Asyl für Kaplans Familie: Die Klagen der Ehefrau und der Tochter des 2004 in die Türkei abgeschobenen „Islamistenführers“ gegen den Asyl-Aberkennungsbescheid weist das Kölner Verwaltungsgericht ab.

05.11.: Demonstranten vertreiben Neonazis: 5.000 GegendemonstrantInnen versperren rund 250 Neonazis den Weg durch Potsdam und verhindern so einen Aufmarsch. Rund 2.000 Polizisten aus fünf Bundesländern sind im Einsatz; es kommt zu 95 Platzverweisen und fünf Ingewahrsamnahmen von Gegendemonstranten.

08.11.: BND überwachte Journalisten: Es wird bekannt, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) seit Ende 1993 über mehrere Jahre den Journalisten und Wissenschaftler Erich Schmidt-Eenboom und dessen Forschungsinstitut überwacht hat, um dessen Informanten zu enttarnen. Noch bis 2003 habe der BND das Altpapier des Instituts gesammelt und ausgewertet. Eenboom hatte 1993 ein BND-kritisches Buch veröffentlicht. Seine Informationen hat der Verfasser nach eigener Aussage von hochrangigen BND-Mitarbeitern erhalten. Ein Redakteur des „Focus“ war ebenfalls bespitzelt worden. Die „Berliner Zeitung“ berichtet am 19.11. von mehreren Medienvertretern, die bis Ende der 90er Jahre als „operative Verbindungen“ vom BND geführt und auch bezahlt wurden.

09.11.: Neue TKÜV in Kraft: Die geänderte Telekommunikations-Überwachungsverordnung enthält nun auch Umsetzungsvorschriften für präventiv-polizeiliche Überwachungsmaßnahmen nach Landesrecht und für die sog. Auslandskopfüberwachung.

10.11.: Verstärkte Polizei-Zoll-Kooperation: Vertreter der Polizeipräsidien Nord- und Osthessen, des Zolls in Fulda sowie der Bundespolizei unterzeichnen ein Rahmeneinsatzkonzept für Nord- und Osthessen. Mit der Unterzeichnung wird die Kooperation auf Alltagskriminalität ausgeweitet. Die drei Behörden wollen gemeinsam die Sicherheitslage analysieren, die Präsenz auf den Straßen durch gemeinsame Streifen verstärken und durch gegenseitige Information den Fahndungsdruck erhöhen.

12.11.: Neonazi-Aufmarsch in Halbe: Letztinstanzlich entscheidet das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, dass der Aufmarsch am Soldatenfriedhof stattfinden darf und weist damit eine Beschwerde des Polizeipräsidiums Frankfurt (Oder) zurück. Den mehr als 1.600 Rechtsextremisten stellen sich rund 2.200 Gegendemonstranten entgegen und verhindern das „Heldengedenken“. 2.000 Polizisten sind im Einsatz.

16.11.: Anklage wegen Terrorverdacht: Der Generalbundesanwalt er­hebt vor dem OLG Stuttgart Anklage gegen drei mutmaßliche Mitglieder der terroristischen Vereinigung Ansar el Islam. Den Irakern wird vorgeworfen, einen Anschlag auf den irakischen Übergangspräsidenten Ijad Allawi bei dessen Berlin-Besuch im Dezember 2004 geplant zu haben.

Prozess gegen Ex-Verfassungsschutzchef Roewer beginnt: Vor dem Landgericht Erfurt muss sich der frühere Leiter des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz, Helmut Roewer, mit zwei seiner ehemaligen Mitarbeiter verantworten. Ihm werden 63 Fälle von Untreue z.T. in Tateinheit mit Betrug vorgeworfen. Er soll 1996 einen Schein-Verlag gegründet und darüber Honore für Veröffentlichungen ohne Gegenleistung vom Landesamt erhalten haben. Wegen Unklarheiten um eine Aussagegenehmigung für Roewer wird der Prozess am 21.11. ausgesetzt und voraussichtlich Ende Januar 2006 fortgeführt.

20.11.: Rechtsradikale Attacke in Wittstock: Sechs Männer im Alter von 20 bis 24 Jahren prügeln und treten einen vermeintlich „Linken“ 24-jährigen Lübecker krankenhausreif. Der Mann erleidet schwere Gesichts- und Schädelverletzungen. Gegen die Schläger wird Haftbefehl erlassen.

21.11.: Proteste gegen Castor-Transport: Geschützt von 10.000 Polizeibeamten treffen im niedersächsischen Dannenberg zwölf Castor-Behälter ein. Zuvor räumt die Polizei eine Sitzblockade von 250 DemonstrantInnen. Der Transport kommt nur kurzzeitig zum Stillstand. In der Ortschaft Klein Gusborn errichten Bauern mit 160 Traktoren eine zwölfstündige Straßenblockade; die Polizei beschlagnahmt 70 Trecker. Am 26.11. wird bekannt, dass zwei Konfliktmanager der niedersächsischen Polizei bei einer Rangelei von Berliner Kollegen mit Faustschlägen traktiert wurden. Die Demonstranten gingen dazwischen. Die Staatsanwaltschaft Lüneburg ermittelt gegen die Berliner.

22.11.: Autonomer nach § 129a verurteilt: Wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt das OLG Naumburg einen 24-jährigen Studenten zu zwei Jahren Jugendhaft. Er soll 2001 und 2002 an mehreren Brandanschlägen in Sachsen-Anhalt, darunter auf das LKA, beteiligt gewesen sein. Die erste Verurteilung hatte der BGH 2004 wegen eines Formfehlers aufgehoben.

23.11.: Schäuble neuer Bundesinnenminister: Wolfgang Schäuble (CDU) übernimmt das Amt des Bundesinnenministers von Otto Schily (SPD). Schäuble hatte das Amt bereits von 1989 bis 1991 inne.

EU-Statistik über rassistische Vorfälle: Die „Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ (EUMC) teilt mit, dass in Deutschland von 2003 bis November 2004 6.474 Fälle rechtsgerichteter politisch motivierter Kriminalität registriert wurden. Damit liegt Deutschland auf Platz zwei hinter Großbritannien, das aufgrund anderer Kriterien 52.694 Übergriffe gemeldet hatte.

Anklage gegen Polizisten und Arzt wegen schwerer Misshandlung: Die Staatsanwaltschaft Bonn erhebt Anklage gegen drei Polizeibeamte und einen Polizeiarzt wegen gemeinschaftlicher schwerer Körperverletzung im Amt. Den Männern wird vorgeworfen am 16.11.2004 einen 30-jährigen Italiener in einer Gewahrsamszelle mit derart massiver körperlicher Gewalt fixiert zu haben, dass er einen Herzstillstand erlitt, dauerhaft ins Koma fiel und einen irreparablen Hirnschaden davontrug.

25.11.: Hürden für nachträgliche Sicherungsverwahrung: Der BGH hat die Voraussetzung zur Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung präzisiert und der Beschwerde eines Betroffenen stattgegeben. Der BGH betonte, dass erhebliche neue Tatsachen während der Haft auftreten müssen, die von ihrer Schwere her für sich betrachtet im Hinblick auf mögliche Beeinträchtigungen von Leib, Leben, Freiheit und sexueller Selbstbestimmung anderer Gewicht haben. Der wegen schweren Raubes verurteilte Beschwerdeführer hatte Therapiemaßnahmen nicht in Anspruch genommen, sich einer Alkoholkontrolle gewaltsam widersetzt und als Waffen einsetzbare Gegenstände besessen. (Az.: 2 StR 272/05)

Martina Kant ist Bundesgeschäftsführerin der Humanistischen Union und Redakteurin von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.