Frontex – eine Vernetzungsmaschine – Koordinieren, analysieren, unterstützen, forschen

von Christoph Marischka

Frontex vernetzt zahlreiche zivile und militärische Behörden auf europäischer und nationaler Ebene. Die EU-Grenzschutz-Agentur soll ein „unpolitisches“ und effektives Regieren an der allgegenwärtigen Außengrenze ermöglichen.

Frontex ist das französische Akronym (frontières extérieures) für die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen, die Oktober 2005 in Warschau ihre Arbeit aufnahm. In ihrem Jahresbericht 2006 rühmt sie sich, vor der westafrikanischen Küste nahezu 5.000 „illegale Immigranten“ davon abgehalten zu haben, die gefährliche Reise über den Atlantik auf die Kanaren anzutreten, „die ihnen das Leben hätte kosten können“.[1] Nachdem Ende Mai 2007 die Bilder von 27 Menschen durch die Medien gegangen waren, die im Mittelmeer schiffbrüchig wurden, sich an ein Thunfischfangnetz klammern und dort tagelang ausharren mussten, weil sie niemand aufnehmen wollte, veranstaltete der Innen- und Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments eine öffentliche Anhörung über „die Tragödie der MigrantInnen auf See“.[2] Frontex-Exekutivdirektor Ilkka Laitinen hätte dort erläutern sollen, wie solche Tragödien zu verhindern und Rettungen gemäß dem internationalen Seerecht und den Menschenrechten durchzuführen seien. Er erschien nicht.

Noch kurz zuvor hatte sein Sprecher gegenüber einer maltesischen Zeitung behauptet, die MigrantInnen würden am Rande der libyschen Gewässer aufgeklärt, dass eine Weiterfahrt illegal sei und welche Konsequenzen sie hätte. Man stoppe die Boote aber nicht, sondern händige den Insassen Rettungswesten aus. Die maltesische Armee begleite die Weiterfahrt durch die Seerettungszone des Inselstaats in italienische Gewässer.[3] Wie gesagt, Laitinen erschien nicht zur Anhörung. Hätte er die Parlamentarier daran erinnern sollen, dass die Verordnung zur Einrichtung von Frontex zwar den Schutz der Außengrenze als Aufgabe der Agentur definiert, nicht aber den von Menschenleben?[4]

KritikerInnen nehmen Frontex oft als eine Art Grenzpolizei der EU wahr, deren Aufgabe darin bestehe, insbesondere auf See die Festung Eu­ropa gegen anstürmende illegalisierte MigrantInnen, die auf der Flucht vor Armut, Krieg und Umweltkatastrophen sind, abzuschotten und zu verteidigen. Bei der Erzeugung dieses Bildes wirken sowohl die Agentur selbst, als auch Medien und Kritiker unfreiwillig zusammen: Die Agentur mit ihrer Selbstmystifizierung und ihrer restriktiven Informationspolitik und die Medien mit ihrer auf eben diese Migrationsform konzentrierten Wahrnehmung.

2007 wurde die Agentur durch eine weitere EU-Verordnung berechtigt, so genannte Soforteinsatzteams für den Grenzschutz (Rapid Border Intervention Teams, RABITs) aufzubauen.[5] Diese dürfen bei ihren Einsätzen nun auch auf die jeweiligen nationalen Datenbanken des Einsatzlandes zugreifen und nach dessen Recht Gewalt ausüben – bis hin zum Gebrauch von Schusswaffen. Nach den Vorstellungen der Kom­mission sollen die Erfahrungen mit den RABITs und ihre ersten Einsätze als Grundlage für ein zu schaffendes Europäisches Grenzschutzcorps dienen. Ein solches stehendes Heer von EU-Grenz­wäch­terInnen soll dann jedoch eher außerhalb von Frontex entstehen. Für die RABITs hingegen gilt noch, dass deren Einsatzkräfte von den Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt werden müssen und nur auf Anfrage des jeweiligen Staates auf dessen Gebiet tätig werden dürfen. Gewalt dürfen sie – sofern keine unmittelbare Gefahr droht – nur in Anwesenheit von nationalen Grenzschützern ausüben. Eine erste Übung der RABITs, für die die Mitgliedsstaaten mittlerweile 572 Einsatzkräfte zugesagt haben, fand im November 2007 in Porto statt und basierte auf folgendem Szenario:

„Viele Bewohner des fiktiven Inselstaats ‚Zentralamerikanische Republik (CAR)‘ kommen am Flughafen von Porto an, mit sehr gut gefälschten Dokumenten, die sie von einem Fälscherring in ihrem Heimatland erhalten. Seit Anfang Oktober wurde eine neue Fluglinie zwischen CAR und Porto eingerichtet, die zweimal täglich frequentiert wird. Der Anbieter benutzt Flugzeuge des Typs Boeing 747, was auf etwa 450 Passagiere pro Flug hinweist. Es ist bekannt, dass die schlechte ökonomische Situation in CAR die Menschen bewegt, das Land zu verlassen. Wegen der strengen Visa-Bestimmungen der EU benutzen sie die gefälschten Ausweise krimineller Netzwerke. Porto ist der einzige Flughafen im Schengenraum, der von der CAR aus angeflogen wird … Am 15. Oktober kündigte die Fluglinie an, aufgrund der großen Nachfrage zwei weitere Flüge täglich anzubieten … Die portugiesischen Behörden verfügen nicht über ausreichend ausgebildetes Personal und haben deshalb [Frontex] um Unterstützung gebeten.“[6]

Trotz ihrer (eingeschränkten) Befugnisse zur Gewaltanwendung, scheinen die RABITs also keine martialischen Gendarmerie-Ein­heiten zu sein, sondern eher uniformierte Expertenteams für Befragungen und die Erkennung gefälschter Dokumente. Die derzeit gut hundert Mitarbeiter von Frontex selbst sind hingegen im Normalfall nicht uniformiert und auch nicht zur Ausübung exekutiver Befugnisse befugt.

Das Dickicht des integrierten Grenzmanagements

Die Aufgaben der Agentur sind in der Frontex-Einrichtungsverordnung eindeutig festgelegt:

  1. Koordinierung der operativen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Bereich des Schutzes der Außengrenzen;
  2. Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Ausbildung von Grenzschutzbeamten einschließlich der Festlegung gemeinsamer Ausbildungsnormen;
  3. Durchführung von Risikoanalysen;
  4. Verfolgung der Entwicklungen der für die Kontrolle und Überwachung der Außengrenzen relevanten Forschung;
  5. Unterstützung der Mitgliedstaaten in Situationen, die eine verstärkte technische und operative Unterstützung an den Außengrenzen erfordern;
  6. Bereitstellung der notwendigen Unterstützung für die Mitgliedstaaten bei der Organisation gemeinsamer Rückführungsaktionen.

Frontex soll darüber hinaus einen Beitrag zur Terrorbekämpfung leisten.[7] Die Agentur orientiert sich am Konzept des „integrierten Grenzmanagement“, soll also die zahlreichen Akteure, die auf verschiedenen Ebenen mit einem sehr weit gefassten „Schutz der Außengrenzen“ und damit des „gemeinsamen Marktes“ beschäftigt oder für diesen nutzbar sind, vernetzen. Dazu gehören nicht nur die Grenzpolizeien der Mitgliedstaaten, aus denen sich das Frontex-Personal rekrutiert, sondern auch andere nationale Stellen – von den Zollbehörden über die Ausländerverwaltungen bis hin zu den Konsulaten, die die Visa ausstellen.

Mit dem „Management“ von Migration sind diverse inter- und supranationale Organisationen wie das UN-Flüchtlingskommissariat (UN­HCR), die International Organization for Migration (IOM) oder das in Wien ansässige International Center for Migration Policy Development (ICMPD) beschäftigt. Sie mögen ihre Arbeit humanitär begründen, sind aber politisch und finanziell von den mächtigsten Staaten abhängig. Vor allem die beiden letzteren Organisationen erhalten einen Großteil ihrer Aufträge von EU-Mitgliedstaaten oder von der Kommission. Sie werden regelmäßig von Frontex konsultiert, nehmen an Tagungen der Agentur teil oder sind durch ihre Projekte in deren Arbeit eingebunden.[8]

Auf EU-Ebene kooperiert Frontex mit diversen Agenturen und Einrichtungen aus dem Polizei- und Zollsektor wie Europol, Eurojust, die (Zoll-) Be­trugsbekämpfungsbehörde (OLAF) oder die Europäische Polizeiakademie (CEPOL). Sieht man von letzterer ab, so zeichnen sich die genannten Stellen ähnlich wie Frontex dadurch aus, dass sie zwar „operative“ Aufgaben haben, aber – vorerst noch – keine oder allenfalls begrenzte exekutive Befugnisse. Diese liegen weiter bei den Behörden der Mitgliedstaaten. Ihre Bedeutung und Macht erhalten die genannten EU-Ämter zum einen durch ihre weit gefassten Kompetenzen im Bereich Information und „intelligence“, zum andern dadurch, dass sie auch das exekutive Handeln der nationalen Behörden koordinieren: Europol zum Beispiel durch die Einbindung in gemeinsame Ermittlungsgruppen, Frontex durch die „gemeinsamen Operationen“, Pilotprojekte und diverse andere Dienstleistungen. Frontex kooperiert aber auch mit Institutionen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU: mit dem Lagezentrum der Auslandsgeheimdienste (SITCEN) und dem Europäischen Satellitenzentrum (EUSC), aber auch mit der Europäischen Rüstungsagentur (EDA), die Rüstungsprogramme koordinieren soll, und dem Joint Research Center (JRC), das Sicherheitsforschung betreibt und Informationen über die europäische Rüstungsindustrie sammelt.

Unterhalb der EU-Ebene gibt es informelle Gremien insbesondere im Bereich der Migrations- oder der Sicherheits- bzw. Rüstungsforschung, mit denen Frontex kooperiert oder kooperieren soll: z.B. das im Herbst 2007 auf Initiative der Kommission gegründete Europäische Forum für Sicherheitsforschung und Innovation (ESRIF), an dem sich Rüstungsvertreter, Sicherheitsexperten aus Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Behörden und Nichtregierungsorganisationen beteiligen.

Andere Initiativen sind auf Betreiben von Frontex entstanden: Für das seit 2007 existierende Europäische Patrouillen-Netz (EPN) im Mittelmeer mit Beteiligung Frankreichs, Griechenlands, Italiens und Spaniens hatte die Agentur eine Machbarkeitsstudie (MEDSEA) vorgelegt. Frontex hat außerdem einen European Mid-Level Course, ein Ausbildungsprogramm für Grenzschützer der mittleren Führungsebene, entwickelt und hierfür Polizeiakademien in Deutschland (Lübeck), Litauen, Ungarn und Slowenien zertifiziert, die nun gemeinsame Kurse anbieten.

Koordination – keineswegs harmlos

In den Jahren 2006/2007 hat Frontex insgesamt 33 „gemeinsame Aktionen“ und zehn so genannte Pilotprojekte organisiert, an denen sich jeweils mehrere Mitgliedstaaten mit Personal und Material beteiligten.[9] Deren Erfolg misst sich nicht nur in der Zahl der zurückgewiesenen MigrantInnen, sondern zeigt sich vor allem in der Entwicklung und Einübung gemeinsamer Standards. Solche Operationen können auch der Disziplinierung lokaler Grenzpolizeien der neuen EU-Staaten dienen.

„So wurde etwa in der Operation Poseidon die Zurückweisung von MigrantInnen zu Land, in der Luft wie zur See erprobt, und zwar im Großraum um die türkisch-griechische Grenze. Im Zuge der Osterweiterung der EU und des Schengenraums ist nun die Ukraine Anrainerstaat an drei Schengen- sowie einen weiteren Mitgliedstaat der EU (Polen, Slowakei, Ungarn sowie Rumänien). Im Pilotprojekt ‚Five Borders‘ erforschte Frontex die Möglichkeiten der Zusammenarbeit der jeweiligen nationalen Grenzschutz­einheiten mit ihren ukrainischen Gegenparts, in vier Operationen (Ursus I-IV) wurde diese Kooperation jeweils für rund eine Woche geübt.“[10]

Am 13. Februar 2008 legte die Kommission als Teil ihres „Grenzpakets“ eine erste Evaluation von Frontex vor, in der sie fordert, die Agentur solle zukünftig die Koordination des ICO-Net übernehmen, an welches die Agentur bislang nur angeschlossen war.[11] Das internetbasierte, verschlüsselte ICO-Net bietet erstens eine Kommunikationsplattform für die grenzpolizeilichen Verbindungsbeamten der Mitgliedstaaten in Dritt­ländern, zweitens Erkenntnisse über aktive „Schleusernetzwerke“, ein­zelne Migrationsrouten und gefälschte oder unsichere Dokumente sowie drittens Informationen für die Behörden über geplante Abschiebeflüge.

Nachdem Abschiebungen in Linienflügen durch die einzelnen EU-Staaten immer schwieriger und angreifbar wurden (Piloten verweigerten ihre Dienste, Menschenrechtsgruppen klärten über diese Praxis einzelner Fluglinien auf), wird vermehrt auf Charter-Abschiebungen zurückgegriffen. Ganze Flugzeuge werden gemietet, um Menschen unter Androhung und Anwendung von Zwang ins Ausland zu verfrachten. Dies ist freilich sehr teuer, weshalb gesichert sein muss, dass ausreichend Menschen aus der entsprechenden Region zur Abschiebung „zur Verfügung“ stehen, damit sich der finanzielle Aufwand „lohnt“. Deshalb setzt die Kommission schon länger auf gemeinsame Abschiebungen durch mehrere Mitgliedstaaten, was aber einen gewissen Aufwand an Koordination mit sich bringt. In den vergangenen zwei Jahren hat Frontex bereits an 13 solchen Abschiebungen mit insgesamt 361 unfreiwilligen Passagieren mitgewirkt. Nach Auffassung der Kommission soll die Agen­tur diese Tätigkeit massiv ausweiten und hierfür gegebenenfalls auch eigene Flugzeuge anschaffen.

Damit Abschiebungen erfolgreich durchgeführt werden können, ist das Einverständnis und die Zusammenarbeit der Zielstaaten notwendig. Zwar sind die EU-Mitgliedstaaten bereits seit dem Gipfel in Tampere 1999 angehalten, in alle Verträge mit Drittstaaten über Entwicklungshilfe etc. Standardklauseln einzufügen, welche diese zur Rücknahme ihrer Staatsangehörigen verpflichten. Die praktische Umsetzung scheitert jedoch oft: Beispielsweise werden die Betroffenen nicht als Staatsangehörige anerkannt, oder die Ausstellung von Papieren wird verweigert. Deshalb hat Frontex den Auftrag, auf technischer Ebene mit Drittstaaten und deren Behörden Vereinbarungen auszuhandeln. Solche Vereinbarungen strebte die Agentur im Jahre 2007 mit Russland und der Ukraine, den Staaten Nordafrikas und des westlichen Balkans, mit Moldawien und Georgien sowie China, Pakistan, Indien, Kanada und den USA an. Diese Abkommen sind zwar völkerrechtlich nicht bindend, auf der praktischen Ebene wahrscheinlich aber effektiver als zwischenstaatliche Abkommen, bei denen allerlei politische Befindlichkeiten beachtet werden müssen. Die Agentur betont bei diesen Verhandlungen ihren „unpolitischen“ Charakter und dass sie nicht für die EU sprechen könne, etwa was Zusagen für Entwicklungshilfegelder angeht. Dennoch gibt sie ihren Verhandlungspartnern entsprechende Tips, welche Budgets existieren etc.[12]

„Vernetzte Sicherheit“ und ihre Folgen

Dieses „unpolitische“ effiziente Regieren ist das Leitbild der Kommission und soll durch eine weitgehend von den Parlamenten und den Mitgliedstaaten entkoppelte Vernetzung der Sicherheitsbehörden und der Sicherheitsindustrie ermöglicht werden. Dies bezieht explizit militärische Akteure mit ein und verwischt systematisch die Grenzen zwischen Krieg und Frieden, innerer und äußerer Sicherheit, Katastrophenschutz, Terrorbekämpfung und Verteidigung. Auf der Strecke bleiben die Grund- und Menschenrechte, da sie auf europäischer Ebene kaum einklagbar sind und die Vernetzung von Sicherheitsbehörden deren Handlungsspielräume tendenziell erweitert – hierfür abschließend einige Beispiele:

Das bereits genannte Europäische Patrouillen-Netz vernetzt nicht nur zivile und militärische Behörden der beteiligten Mitgliedstaaten, sondern zwingt diese, nationale Koordinationszentren einzurichten, in welchen die Informationen der beteiligten Stellen kontinuierlich zusammenlaufen. Eine ähnliche Zentralisierung gibt es bei gemeinsamen Einsätzen – etwa zwischen den Kanaren und Westafrika: Für die Mission HERA I wurde bei der Guardia Civil ein Koordinationszentrum (Centro de Coordinacion Regional de Canarias, CCRC) mit zwanzig Mitarbeitern aus den verschiedenen Behörden, die mit dem „Kampf gegen die illegale Migration“ zu tun haben, eingerichtet. Seine Aufgabe ist es,

„Informationen zu zentralisieren und zu verteilen … Unter den vielen Einrichtungen, die es zu koordinieren gilt, sind Polizeikräfte im auswärtigen Dienst, Marineflugzeuge der Armee und von Frontex, nationale Polizeieinheiten, der Zoll und eine große Bandbreite an Einrichtungen für die Aufnahme von Immigranten, maritime Rettungsdienste und das Rote Kreuz sowie andere Organisationen, die humanitäre Hilfe leisten.“[13]

An HERA waren nicht nur Militärs der EU-Staa­ten beteiligt; in die Patrouillen vor den Küsten Senegals und Mauretaniens wurden auch deren Armeen einbezogen. Außerdem konnte Frontex auf die Hilfe des EU-Sa­tellitenzentrums (EUSC) nahe Madrid zurückgreifen, das die westafrikanische Küste überwachte, „um potentielle Infrastruktur für den Bau von Schiffen sowie alle anderen Begebenheiten, die mit illegaler Migration in Verbindung stehen, aufzuklären“.[14] Mit einem weiteren Programm zur Vernetzung der Satellitenaufklärung, dem von der Kommission und der Europäischen Weltraumagentur ins Le­ben gerufenen Global Monitoring for Environment and Security (GMES), soll Frontex beim LIMES-Projekt zusammenarbeiten. Neben der Überwachung der internationalen Schifffahrtswege sowie von Grenzen und „kritischer Infrastruktur“ an Land verspricht LIMES geographische Daten für humanitäre Hilfe.[15]

Ein Großteil der EU-Staaten hält den Schutz kritischer Infrastrukturen gegen Terroranschläge oder gar die Terrorismusbekämpfung schlechthin für eine militärische Aufgabe. Gemäß dem regelmäßig aktualisierten Aktionsplan des Rates zur Terrorismusbekämpfung soll Frontex gemein­sam mit Europol und SITCEN Risikoanalysen erstellen und die Möglichkeiten verbessern, „die Bewegung von Terrorverdächtigen über unsere internen und externen Grenzen zu verhindern“.[16]

Zuletzt dient Frontex als Katalysator für eine Umstellung der Rüstungsindustrie auf die neuen Aufgaben der Sicherheitskräfte und Soldaten, die nicht mehr in der Verteidigung gegen eine feindliche (Panzer-)
Armee bestehen, sondern in der kontinuierlichen, interoperablen und flexiblen Überwachung und Kontrolle der Bevölkerung und dem Schutz „kritischer Infrastrukturen“ vor dieser.[17] So hat Frontex Studien zur bio­metrischen Erfassung von Menschen, zum Einsatz unbemannter Flug­zeuge und U-Boote an den Grenzen und in Häfen sowie zur Vernetzung der zur Verfügung stehenden Überwachungstechnologie an den südlichen Außengrenzen erstellt. Die erstgenannten entstanden in Kooperation mit dem JRC, welches zugleich ein Projekt Mapping of the European Defence Industry (MEDI) betreibt, bei dem die europäischen Rüstungsfirmen und ihre jeweiligen Fähigkeiten erfasst werden. Die letzte Studie ist zwar öffentlich nicht zugänglich, liegt aber offensichtlich den Rüstungsunternehmen Thales und Finmeccanica vor, die sich mit einem Projekt für dessen Umsetzung beim 7. Forschungsrahmenpro­gramm (FRP7) der EU bewarben. Mit dessen Schwerpunkt „Sicherheitsforschung“, der 1,3 Mrd. Euro über einen Zeitraum von sieben Jahren umfasst, hat die EU klammheimlich schon jetzt einen Rüstungsetat aufgestellt. Die Kommission hat in ihrem „Grenzpaket“ alle diese Vorschläge begrüßt: die biometrische Erfassung aller, die in die EU einreisen, und deren automatisierte und zentrale Speicherung, den Einsatz von Drohnen und den Aufbau eines „European Border Surveillance System“ (EUROSUR) durch die Vernetzung und Ergänzung der vorhandenen Aufklärungstechnologien. Sie bekräftigte bei dieser Gelegenheit die Nutzung des FRP7 hierfür:

„Das 7. Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung (Themenbereiche Sicherheit und Weltraum) sollte herangezogen werden, um die Leistungsfähigkeit und den Einsatz von Überwachungsinstrumenten zu verbessern, damit das erfasste Gebiet ausgeweitet werden kann, mehr verdächtige Aktivitäten aufgedeckt, potenziell verdächtige Zielobjekte leichter identifiziert werden können und der Zugriff auf Daten hochauflösender Beobachtungssatelliten erleichtert wird.“[18]

All die beschriebenen Prozesse nimmt das europäische Parlament allenfalls zur Kenntnis. Die nationalen Regierungen sind über sie nicht einmal offiziell informiert. „Interne Ablaufprozesse der Agentur“ lägen nicht in ihrer Zuständigkeit, erklärt die deutsche Bundesregierung. Frontex habe „eine eigene Informations- und Datenhoheit“.[19]

Welche Rolle der Schutz der Menschenrechte bei dieser Vernetzung der Sicherheitsbehörden spielt, wurde ebenfalls in der Evaluation der Kommission deutlich. Über zwei Jahre nach den ersten operativen Ein­sätzen der Agentur rät die Kommission: „Die Ausbildung für Grenzschutzbeamte sollte den einschlägigen Bestimmungen der europäischen und der internationalen Asylvorschriften, dem Seerecht und den Grundrechten Rechnung tragen, die auch Teil der Ausbildung sein sollten.“[20] Dann kann ja nichts mehr schief gehen.

[1] www.frontex.europa.eu/annual_report
[2] www.europarl.europa.eu/meetdocs/2004_2009/organes/libe/libe_20070703_0900_hear ing.htm
[3] Times of Malta v. 25.6.2007
[4] Verordnung 2007/2004, in: Amtsblatt der EU (ABl. EU) L 349 v. 25.11.2004
[5] Verordnung 863/2007, in: ABl. EU L 199 v. 31.7.2007
[6] Frontex Press Release v. 6.11.2007; zu den Hintergründen: Marischka, C.: Frontex simuliert den Notstand, IMI-Standpunkt 2008/012 (www.imi-online.de)
[7] so Peter Gridling, Leiter des Bereichs Terrorbekämpfung bei Europol bei den „Österreichischen Sicherheitstagen“ im Oktober 2007, vgl.: Sabitzer, W.: Österreichische Sicherheitstage, in: Öffentliche Sicherheit 2008, H. 1-2, S. 6-14; s.a. den aktuellen EU-Aktions­plan zur Terrorismusbekämpfung, Ratsdok. 7233/07 v. 9.3.2007
[8] Typisch eine Konferenz von Frontex, Europol und ICMPD Ende Januar 2008 in Genf, an der zahlreiche arabische und afrikanische Regierungen beteiligt waren, s. Frontex press release v. 1.2.2008. Die Tagung war Teil des von der Kommission finanzierten ICMPD-Projekts „Mediterranean Transit Migration“ (MTM); s. www.icmpd.org/maghreb.html.
[9] s. die Evaluation durch die Kommission, KOM(2008) 67 endg. v. 13.2.2008
[10] Kasparek, B.: Frontex: Zur Militarisierung der EU-Migrationspolitik, Studien zur Militarisierung Europas 35/2008, www.imi-online.de/download/EU-Studien-35-2008.pdf
[11] KOM(2008) 67 endg. v. 13.2.2008
[12] Frontex-led EU Illegal Immigration Technical Mission to Libya, www.infinitoedizioni.it/ fileadmin/InfinitoEdizioni/rapporti/LibyaMissionMayJune07ReportFrontex.pdf
[13] Arteaga, F.: Maritime Illegal Migration Towards the EU: The Command and Control Centre in the Canary Islands, Madrid 2007, www.realinstitutoelcano.org
[14] EUSC Annual Report 2006
[15] Beschreibung des LIMES-Projekts auf www.gmes.info
[16] Aktionsplan i.d.F. v. 2006, Ratsdok. 5771/1/06 v. 13.2.2006
[17] Marischka, C.: Rüsten für den globalen Bürgerkrieg, IMI-Studie 2007/08
[18] KOM(2008) 68 endg. v. 13.2.2008
[19] BT-Drs. 16/1752 v. 6.6.2006
[20] KOM(2008) 67 endg. v. 13.2.2008