Unbrauchbar und kontraproduktiv – Für die Abschaffung des Bundesnachrichtendienstes

von Gaby Weber

Niemand hat den BND je geliebt, doch keine der im Bundestag vertretenen Parteien plant seine Abschaffung. Im Gegenteil: Alle hoffen darauf, wenn sie nur endlich mal an den Schalthebeln sitzen, dass er auch ihnen zu Diensten sein könnte, zum Beispiel im Kampf gegen den politischen Gegner.

Ein bisschen Bespitzelung hier, ein wenig Telefonabhören dort – praktischerweise alles auf Steuerkosten. Es kommt ja nie heraus, im Zweifelsfall wird zur Vertuschung die „Nationale Sicherheit“ bemüht. Dabei ging die Rechnung eigentlich nie auf. Keine Regierung war je zufrieden mit dem Dienst. Konrad Adenauer wollte 1962, während der Spiegelaffäre, den BND-Präsidenten Reinhard Gehlen verhaften lassen. Sein Nachfolger warf die Pullacher Verbindungsgruppe aus dem Palais Schaumburg. Ludwig Erhard wörtlich: „Ich will mit diesen Leuten nicht unter einem Dach sitzen“. Willy Brandt ignorierte die „geheim“ gestempelten Berichte, die der Dienst aus der Zeitung abgeschrieben hatte. Helmut Schmidt schimpfte ihn einen „Dilettantenverein“, und Helmut Kohl strafte ihn mit Nichtachtung.

Jetzt soll der Dilettantenverein wieder näher an die politische Macht rücken. Spätestens im Jahr 2012 sollen mehr als die Hälfte der insgesamt 7.000 hauptamtlichen BND-Mitarbeiter ihre Plattfüße unter einen Schreibtisch in der Berliner Chausseestraße strecken. Die Kosten des Neubaus werden mit inzwischen über zwei Milliarden Euro veranschlagt, und niemand scheint sich daran zu stören, nicht mal in Krisenzeiten. Schließlich steht der Umzug in die Hauptstadt für einen Neuanfang.

Um ein Haar wäre es mit der Pullacher Behörde zu Ende gewesen. Nachdem sie jahrzehntelang, im Kalten Krieg, von einem Skandal in den nächsten gestolpert war, fiel am Ende zu allem Unglück auch noch die Berliner Mauer, und nach und nach flogen die Kundschafter der Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) auf. Beim BND saßen sie auf Leitungsebene, die Regierungsdirektorin Gabriele Gast und Alfred Spuhler, während umgekehrt kein einziger BND-Agent die Normannenstraße überhaupt nur betreten hat. „In 40 Jahren Ausspähung der DDR und der Sowjetunion hat der BND keinen Beamten verloren“, so Buchautor Hans Halter, „weil sie einfach keinen hingeschickt haben.“[1] Sie hatten keine Maulwürfe, und ihre Analysen waren dilettantisch. Den Bau der Berliner Mauer hatten sie nicht vorhergesehen, sondern dem Regierenden Bürgermeister am Tag nach dem Mauerbau mitgeteilt, dass an diesem Wochenende „mit keinen besonderen Vorkommen“ zu rechnen sei. Dafür übersahen sie auch den Fall der Mauer.

1990 hätte die Stunde einer Bilanz schlagen können. Und die wäre nicht nur peinlich, sondern lebensbedrohend gewesen, für den BND, nicht für die Republik. In der Vergangenheit hatte der Dienst versagt und für die Zukunft nichts anzubieten. Der Feind war abhanden gekommen und kein anderer in Sicht.

In den neunziger Jahren waren Terroristen, Drogenhändler und sonstige Dunkelmänner noch weitgehend Sache der Strafverfolger. Die Etats der Geheimdienste schrumpften weltweit, Pfründe drohten auf immer verloren zu gehen. Auch konservative Politiker überlegten sich, welche anderen Jobs für die bayerischen Spesenritter in Frage kämen, normale Jobs, mit festen Arbeitszeiten, wo Ausgaben belegt werden müssen, wo Arbeit am Erfolg gemessen und bewertet wird? Die wenigsten Schlapphüte wären den Anforderungen der freien Wirtschaft oder einer normalen Behörde gewachsen gewesen.

War ihre zwielichtige Beteiligung am Plutoniumskandal 1994 ein Versuch, sich ein neues Arbeitsfeld zu erschließen? Die Interna werden dem Parlament und der Öffentlichkeit bis heute vorenthalten, auf jeden Fall misslang der Versuch. Aber dann kam zum Glück der 11. September 2001, um die Sinnkrise zu überwinden. Ab diesem Zeitpunkt hieß es: Kampf dem internationalen Terrorismus mit den selben Methoden, die schon im Kalten Krieg gescheitert waren: unkontrolliertes Verschleudern von Steuermitteln, Bespitzelung breiter Bevölkerungskreise und ein absolutes Fehlen jeglicher Qualitätskontrolle. Die Hintermänner der An­schläge vom 11. September sind bisher nicht dingfest gemacht worden.

Von der Organisation Gehlen zum BND

Der BND wurde 1956 gegründet, an einem Ersten April. Bis dahin hatte er, unter der Führung der CIA, als „Organisation Gehlen“ gearbeitet, benannt nach dem Nazigeneral und Leiter der Abteilung „Fremde Heere Ost“. Zahlreiche „alte Kameraden“ hatte Reinhard Gehlen mitgebracht, also „versorgt“. In Zeiten des Kalten Krieges und des starren Blicks gen Osten reichte ein solider Antikommunismus als Eignungstest. Und es konnte ja niemand nachprüfen, was hinter den hohen Mauern des Pullacher Amtes wirklich geschah. Es arbeitete jahrzehntelang abgeschottet, unkontrolliert, ohne Gesetz. Seine einzige Rechtsgrundlage war ein Kabinettsbeschluss. Erst 1990 wurde der Dienst auf eine gesetzliche Grundlage gestellt, konnte aber weiter im Dunkeln werkeln. Im Gegensatz zu den USA, wo der „Freedom of Information Act“ auch Geheimdienstunterlagen der Öffentlichkeit zugänglich macht, hat das deutsche Informationsfreiheitsgesetz (IFG) die Nachrichtendienste von der Offenlegung ausdrücklich ausgenommen.

Durch die Presse geistern immer wieder angebliche Erfolgsmeldungen. Da ist die Rede von der Verhaftung von Terroristen, bei der der BND Hinweise gegeben haben soll. Ein anderes Mal sollen die Pullacher bei der Freilassung von Geiseln mitgewirkt haben. Beweise für die angeblichen Erfolgsmeldungen fehlen, alles bleibt unter dem ominösen Mantel der Geheimhaltung.

Der Geheimschutz verhinderte, dass die Verantwortlichen der Skandale jemals zur Rechenschaft gezogen wurden, niemand musste ins Gefängnis, die Beamtenlaufbahn blieb in geordneten Bahnen. Wenn die Öffentlichkeit Aufklärung und Strafverfolgung forderte, konterte man mit dem „Wohl des Bundes“, das bei Offenlegung in Gefahr sei. Damit kamen sie immer durch, so der Berliner Friedensforscher Otfried Nassauer: „Nur ihre Komplizen, nie die Beamten, gehen manchmal ein kleines Risiko ein, so etwa bei den illegalen Waffenexporten in Krisenregionen“.

Jahrelang bespitzelte der BND Journalisten, vor allem die, die über Geheimdienste recherchierten. Erich Schmidt-Eenboom war wegen seines Buches „Schnüffler ohne Nase“ ins Visier des Pullacher Amtes geraten. Um seinen Quellen auf die Spur zu kommen, ließ ihn der BND drei Jahre lang observieren, bis zu fünfzehn Beamte waren im Einsatz. Ob dies auch nur noch einen Anflug von Verhältnismäßigkeit hatte, fragte niemand. Als alles herauskam, beauftragte das Parlament den ehemaligen Bundesrichter Gerhard Schäfer mit der Aufklärung. Und dessen Bericht brachte 2006 noch mehr Rechtswidriges ans Tageslicht.[2]

Es passierte auch nichts, als die New York Times meldete, dass der BND kriegsentscheidende Informationen aus dem Irak an seine amerikanischen Freunde und Gönner geliefert hatte. Dies wurde zwar vom Bundesverwaltungsgericht später als „völkerrechtswidrig“ erklärt, aber kein Agent oder Mitwisser im Bundeskanzleramt und Außenministerium musste den Hut nehmen. Dem Untersuchungsausschuss wurden seitenweise geschwärzte Unterlagen vorgelegt, was ebenfalls später vor Gericht keine Gnade fand.[3] Aber außer erneuter Empörung in der Öffentlichkeit geschah nichts. Die Bundesregierung verschanzte sich hinter der Behauptung, der BND sei für die Sicherheit „unverzichtbar“, und die Medien fanden sich damit ab.

Nach jedem Skandal fordern die Politiker schärfere Kontrollen, die „nie greifen“, so Schmidt-Eenboom. Bis heute sind die „operativen Vorgänge“ des Geheimdienstes weder der parlamentarischen Aufsicht noch dem Bundesrechnungshof zugänglich. „Die Öffentlichkeit erfährt meist nur das, was Journalisten herausfinden“, sagt der Bielefelder Professor Christoph Gusy.

Auch die eingesetzten Untersuchungsausschüsse haben dubiose Sachverhalte kaum jemals erhellt. Zum Beispiel die „Plutoniumaffäre“, deren Aufklärung der BND erfolgreich verhindert hat. Im August 1994 war in München ein Lufthansajet mit knapp 400 Gramm Plutonium an Bord gelandet. Polizei und BND feierten die Beschlagnahme als großen Erfolg und Beweis für die Gefahr, dass nach Ende des kalten Krieges ein Handel mit Nuklearwaffen beginnen würde. „Das war kurz vor den bayerischen Landtagswahlen, und auf einen Schlag schien plötzlich bewiesen, dass es Plutoniumschmuggel wirklich gibt und folglich der BND nach dem Ende des Kalten Krieges eine neue Aufgabe hätte“ – so Nassauer. Später stand in der Presse, dass der BND den Plutoniumschmuggel über zwei angeworbene spanische Kleinkriminellen angekurbelt haben soll. Ein Untersuchungsausschuss wurde einberufen. „Ein Stückwerk“, erinnert sich Nassauer, wichtige Unterlagen verschwanden im Panzerschrank des Geheimdienstes.

Der Wegfall der DDR: ein echtes Drama

In den neunziger Jahren betrieb der BND Vorwärtsverteidigung gegen den Legitimitätsverlust. Er zauberte neue Aufgaben aus dem Hut: Drogen, illegale Migration, Geldwäsche und eben Proliferation (siehe Plutoniumskandal). In ihrer Not wollte der Dienst sogar den Mädchenhandel bekämpfen, erinnert sich Hans Halter: „Das hätte ihm natürlich gut gepasst, bis zu den Philippinen fliegen, Spesen machen in den Nachtbars …“

An den „alten Fronten“ habe er versagt, gibt Eric Gujer zu. Der Buchautor[4] und Redakteur der Neuen Zürcher Zeitung ist Mitglied des von BND-Pensionären ins Leben gerufenen „Gesprächskreises Nachrichtendienste“, „überzeugtes Mitglied“, meint er stolz. Der Dienst habe im Kalten Krieg versagt, die Gefahr durch Hacker nicht vorausgesehen und keine Antwort auf den islamistischen Terrorismus. Das Ende der Sowjetunion und der DDR sei für den BND „ein echtes Drama gewesen. Er war zentral ausgerichtet auf den Ostblock, während die CIA, wie die Franzosen und Briten gemäss ihrer postkolonialen Interessen, ein viel weiteres Spektrum der Aufklärung besessen haben.“

In Ermangelung eines äußeren Feindes begann man in Pullach mit internen Intrigen und verdächtigte sich gegenseitig. Es sei eine Berufskrankheit: die panische Angst vor Unterwanderung, die einfachen Weltbilder und die Gefahr, Politik als Produkt von Konspiration zu sehen. Gujer fordert eine „neue Sicherheitsarchitektur“. Welche Aufgabe der BND in ihr spielen solle? Er nennt den internationalen Terrorismus, die Geldwäsche und den Drogenhandel. Sind dies nicht klassische Aufgaben der Polizei, der die Strafverfolgung und die Gefahrenabwehr obliegt? Gewiss, so Gujer, aber der BND könne weiter im Vorfeld tätig sein.

Längst wildert der BND in polizeilichen Aufgabenfeldern, und das löst, zumindest hinter vorgehaltener Hand, Kritik bei der Polizei aus, die massive finanzielle Einschnitte hinnehmen musste, während die Schlapp­hüte nach wie vor ungeniert – weil unkontrolliert – aus öffentlichen Töpfen schöpfen. So hat der BND eigene Verbindungsbeamte in deutschen Botschaften platziert, die sich dort, sofern nicht gerade das BKA einen eigenen Mann vor Ort hat, auch um Drogenhandel kümmern sollen. Das Gemeinsames Analyse- und Strategiezentrum GASIM koordiniert den Informationsaustausch zwischen Strafverfolgern und Geheimdienstlern in Sachen „illegale Migration“. Und auch im Gemeinsamen Terrorabwehr-Zentrum GTAZ sitzt man an einem Tisch. Oder Stammtisch? Zu ihrer Anti-Terror-Datei haben Dienste wie Strafverfolger Zugang, nicht nur der BND auch die Verfassungsschützer. Dass damit das Trennungsverbot zwischen Polizei und Nachrichtendienst de facto aufgehoben und eine Art neue Gestapo errichtet wird, scheint die Politik nicht zu stören. Da die Öffentlichkeit nichts Genaueres erfährt, kann auch niemand den Sinn dieser Unternehmungen in Frage stellen.

Seit die Bundesregierung wieder deutsche Soldaten in die Welt schickt, ist die Rolle der Nachrichtendienste deutlich gewachsen, immer Hand in Hand mit Konzernen wie Siemens. Es war ausgerechnet die rot-grüne Bundesregierung Schröder/Fischer, die die Pullacher aufbretzelte.

Sind Geheimdienste heute noch sinnvoll?

…. oder werden Steuermittel verschwendet, das politische Klima vergiftet und andere Konfliktlösungen erschwert? Wären Informationen nicht billiger und seriöser zu erhalten? Wahrscheinlich, meint Professor Gusy und zitiert den ehemaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann, der nach der Lektüre von BND-Dossiers bemerkte, vielleicht sollte man den Nachrichtendienst besser abschaffen und fünf Abonnements der Neuen Zürcher Zeitung besorgen, da stünde im Wesentlichen dasselbe drin. Diese Diskussion sei sehr alt, werde aber im Haushaltskontrollgremium nicht geführt, so Gusy.

Wer die Spionage grundsätzlich in Frage stellt, muss sich zwei Argumente für ihren Erhalt anhören. Das eine wird oft von ehemaligen DDR-Geheimdienstlern erwähnt und lautet etwa so: Spionage mache die Gegenseite berechenbar und sei damit friedensstiftend. Davon ist Rainer Rupp, alias „Topas“, überzeugt. Der Jahrhundertspion hielt für Markus Wolf 16 Jahre auf oberster Ebene im NATO-Hauptquartier Augen und Ohren offen. Seine Berichte haben, glaubt Rupp, dem Frieden in Europa gedient. Aus ihnen habe der Warschauer Pakt erkennen können, dass das westliche Militärbündnis keinen nuklearen Erstschlag geplant habe.

Doch die Annahme, dass wir den Frieden in Europa einer Handvoll von Spionen verdanken, ist unsinnig. Ausschlaggebend war der politische Wille, sich in Europa nicht zu bekriegen. Ost und West wollten keinen Krieg und deshalb gab es keinen Krieg. Friedensprozesse sind stets von der Politik geschmiedet worden, auch die Entspannungspolitik, gibt Klaus Eichner zu, einst zuständig für „Aufklärung West“ bei Markus Wolf. „Entscheidend waren die vertrauensbildenden Maßnahmen, die in Helsinki und Stockholm 1986 vereinbart wurden.“ Danach sei es zu einer – für die Geheimdienstler – „sehr absurden Situation gekommen“. Während das MfS die DDR-Kasernen mit allen Mitteln der Aufklärung schützte und jeden verhaftete, der sich mit einer Kamera näherte, garantierten die vertrauensbildenden Maßnahmen der Gegenseite den offiziellen Zugang: „Beobachter der CIA nahmen plötzlich mit ihren Videokameras an unseren Manövern teil, was die Abwehr eigentlich verhindern wollte. Dies war durch politische Prozesse auf einmal Normalität geworden.“ Eine positive Normalität, die durch die Spionage fast gescheitert wäre. 1974 flog der MfS-Kundschafter Günther Guillaume in der unmittelbaren Nähe von Kanzler Willy Brandt auf. Das mühsam aufgebaute Vertrauen zwischen den beiden Staaten war schwer gestört. Brandt muss­te zurücktreten. Zum Glück war die Entspannungspolitik in Ost und West bereits beschlossene Sache, und Brandts Rücktritt änderte daran nichts.

Tim Weiner, Autor einer Studie über die CIA[5], kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: „Nachdem es der CIA nicht gelungen war, die Sowjetunion mit Agenten zu durchsetzen, baute man Spionage-Satelliten, die aus dem Weltraum heraus die sowjetischen Panzer und Raketen zählten und Truppenbewegungen meldeten. Das ermöglichte eine Waffenkontrolle. Beide Seiten setzten sich an einen Tisch und diskutierten, was sie brauchten, um sich sicher zu fühlen. 30.000 Sprengköpfe? Oder reichen 10.000? Das war ein gesunder Prozess. Und an ihm war weniger die CIA beteiligt, sondern das Weiße Haus, das State Department und die Militärs.“ Die Technologie habe diesen Prozess beschleunigt. Nachdem beide Seiten über Interkontinental-Raketen verfügten, hätte die andere Seite gerade noch dreißig Minuten Zeit zum Zurückschlagen gehabt. Dieser Weg, so Weiner, müsse im Interesse einer Friedenssicherung weiter verfolgt werden. Und das sei die Zuständigkeit der Politik und nicht der CIA. Deren Covert actions seien kontraproduktiv für die Nationale Sicherheit gewesen. Guantánamo und der völkerrechtswidrige Angriff auf den Irak habe die USA isoliert. Nicht einmal der „Krieg gegen den Terror“ habe eine positive Bilanz. Eine Million Personen wurden als „Terrorverdächtige“ identifiziert, darunter Abgeordnete, Nonnen und Journalisten, meldete die Bürgerrechtsorganisation ACLU.

Neben der Entspannungspolitik mit dem Osten hatte es in Deutschland zuvor einen zweiten Friedensprozess gegeben: die deutsch-französische Aussöhnung. Für sie steht der Name Konrad Adenauer. Und es waren auch hier Verhandlungen, Verträge, Kontrollen und nicht zuletzt die wirtschaftliche Kooperation, die ihn möglich machten. Nicht der Bundesnachrichtendienst, den Adenauer verachtete.

Das zweite Argument ist die Informationsbeschaffung in der globalisierten Welt. So beschreibt der BND seine Aufgaben auf seiner Homepage mit der Beschaffung von „Informationen über das Ausland, sofern diese von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik sind“. Das hört sich gut an, denn jede Regierung will und soll wissen, was in der Welt vor sich geht. Wobei in einer modernen Gesellschaft sicher nicht nur eingeweihte Politiker Bescheid wissen sollen, sondern alle sozialen und politischen Akteure. Aber die Geschichte hat bewiesen, dass der BND zu keinem Zeitpunkt seiner Existenz jemals auch nur annähernd dazu in der Lage war.

Das Gebot der Stunde: Schafft den BND ab

Eine Regierung braucht keinen Geheimdienst, um informiert zu sein. Ihr stehen nicht nur das Bundespresseamt und die Botschaften zur Verfügung, die die Presse der jeweiligen Länder auswerten. Bekanntlich beziehen die Geheimdienste über 95 Prozent ihrer Informationen aus öffentlichen Quellen. Das Problem beginnt ab dem Zeitpunkt, wo die Nachrichtendienstler diese Informationen verhunzen und mit dem Siegel „Nur für den Dienstgebrauch“ versehen. Denn jede Information ist verlässlicher, je offener sie diskutiert, kritisiert und korrigiert wird. Strategisch wichtige Nachrichten können nur ohne den Geheimschutz erhalten werden, denn der Geheimschutz schützt nur den Tölpel.

Wird eine rationale Debatte über Geheimdienste in Gang kommen? Das ist unwahrscheinlich, angesichts der Mediokrität der politischen Klasse. Tölpel halten sich gerne Tölpel, und es gilt das Motto: „Sie waren bisher zu nichts zu gebrauchen, aber davon brauchen wir in der Zukunft um so mehr“.

Streng geheim: BND-Akte „Eichmann“

Wenn eine historische Thematik in der Bundesrepublik offen sein müsste, dann die des Nationalsozialismus. Kaum einen anderen Zeitaum haben Historiker rund um den Globus so intensiv behandelt. Denn nur wer weiß, warum etwas wie passiert ist, kann eine Wiederholung vermeiden. Doch der gesunde Menschenverstand scheitert an Angela Merkel. Die hat gerade per Sperrerklärung die Akten über den Nazi-Massenmörder Adolf Eichmann bis, mindestens, 2017 für „streng geheim“ erklärt.

Vorgeschichte: Im Mai 2008 hatte mir das Bundeskanzleramt versichert, dass ich alle dortigen Akten zum Thema „Adolf Eichmann und die deutsch-argentinisch-israelische nukleare Zusammenarbeit“ einsehen dürfe. Eine Geheimakte gab es tatsächlich – angelegt nach der Verhaftung Eichmanns 1960, als Adenauer eine Art Krisenstab bildete, weil er Anschuldigungen aus dem Ausland fürchtete, dass in der Bonner Regierung noch viele Altnazis säßen. Leiter des Stabes wurde Staatssekretär Hans Globke, einst Vorgesetzter Eichmanns im Reichsinnenministerium und Mitverfasser eines Kommentars zu den Nürnberger Rassengesetzen. Was an den Unterlagen des Krisenstabes jemals „geheim“ war, ist aus heutiger Sicht unverständlich. Das sah auch das Kanzleramt ein. Es hob den Geheimschutz auf. Aber ich hatte nicht die Akten nach, sondern die vor Eichmanns Verhaftung beantragt. Doch mehr wollte das Kanzleramt nicht haben.

Ich stellte einen Antrag beim BND. Dass der über Unterlagen verfügt, weiß man spätestens seit der Freigabe der einschlägigen CIA-Akte. Darin findet sich ein Vermerk vom März 1958, wonach der BND nicht etwa dem Frankfurter Staatsanwalt, der Haftbefehl gegen den Kriegsverbrecher erlassen hatte, sondern der CIA den Aufenthaltsort Eichmanns in Argentinien und seinen Decknamen mitteilte. Die Antwort aus Pullach lautete: Man habe 4.500 Blatt zu Eichmann in Argentinien sowie zur deutsch-argentinisch-israelischen Zusammenarbeit, sie seien aber so geheim, dass sie nie veröffentlicht würden.

Ich legte Klage ein. Gemäß Bundesarchivgesetz müssen nach 30 Jahren alle Akten automatisch an das Bundesarchiv abgegeben werden. Zunächst schob der BND die Persönlichkeitsrechte seiner Agenten vor: Ein damaliger Spitzel sei noch am Leben und Anfang der achtziger Jahre „reaktiviert“ worden. Dann rechnete man die Anzahl der Blätter auf 3.300 herunter („ein Bürofehler“ – so der BND später gegenüber dem Gericht). Und schließlich behauptete Pullach: Diese Akten stammten vor allem von einem ausländischen Geheimdienst (Mossad) und der wünsche totale Geheimhaltung.

Ganz nach Wunsch des BND schob das Kanzleramt die Sperrerklärung nach. Wenn sich der Mossad über die Freigabe ärgere, könnten deutsche Dienste künftig von sensiblen Informationen ausgeschlossen werden. Dann wäre die Sicherheit der BRD gefährdet. Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit sei nur „abstrakt“, das Sicherheitsinteresse des Staates aber konkret, so die Merkel-Logik. Dass die CIA ihre Eichmann-Akten komplett freigegeben hat, erwähnt die Bundesregierung nicht. Es reicht das Totschlagsargument der „Nationalen Sicherheit“, und die hängt angeblich vom Mossad ab.

Ob das Verstecken von Nazi-Akten nicht dem Ansehen der Bundesrepublik schaden kann – diese Frage stellte sich Frau Merkel offensichtlich nicht.

(Gaby Weber)

[1] Halter, H.: Krieg der Gaukler, Göttingen 1993; Alle Zitate in diesem Text sind O-Töne aus einem Radio-Feature der Autorin für den WDR, s. www.wdr5.de/fileadmin/
user_upload/Sendungen/Feature_Serie/2008/Manuskripte/081005manNeu_01.pdf
[2] Offene Fassung des Berichts, s. www.spiegel.de/media/0,4906,13063,00.pdf
[3] Siehe den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts v. 17.6.2009, Az.: 2 BvE 3/07, www.bundesverfassungsgericht.de
[4] Gujer, E.: Kampf an neuen Fronten, Frankfurt/M. 2006
[5] Weiner, T.: Legacy of Ashes. The History of the CIA, New York 2007, deutsch: CIA – die ganze Geschichte, Frankfurt/M. 2008