Naziterror und Behördenversagen. Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags

von Gerd Wiegel

Im Januar 2012 begann der Untersuchungsausschuss seine Arbeit. Wie ist er zustande gekommen? Welche Möglichkeiten hat er? Was sind seine bisherigen Ergebnisse? Eine Zwischenbilanz.

Nachdem im November 2011 die Mord- und Verbrechensserie des sich selbst Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) nennenden Trios Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe publik wurde, war schnell klar, dass es sich um einen der spektakulärsten Kriminalfälle in der Geschichte der Bundesrepublik handelt: Eine Naziterrorzelle lebte mehr als 13 Jahre unerkannt im Untergrund und verübte in dieser Zeit neun rassistisch motivierte Morde, einen Mord an einer Polizistin und einen Mordversuch an ihrem Kollegen, zwei Bombenanschläge auf Geschäfte und Straßen mit migrantischer Bevölkerung und ca. 14 Banküberfälle. Eine verheerende Bilanz der Sicherheitskräfte des Landes wurde deutlich. Nicht nur hatte man nach eigenem Bekunden keinerlei Kenntnis einer solchen Terrorzelle; die Mordserie des NSU wurde über Jahre völlig falsch eingeschätzt, die Opfer und ihre Angehörigen zu Hauptverdächtigen erklärt. Institutioneller Rassismus und die völlige Verkennung der tödlichen Gefahr von rechts waren Vorwürfe, die gegen Polizei und Verfassungsschutz erhoben wurden.

Der öffentliche Druck für eine umfassende Aufklärung war durch die große mediale Berichterstattung von Anfang an vorhanden. Nachdem die Spitzen der Sicherheitsbehörden im November 2011 den Innenausschuss und das Parlamentarische Kontrollgremiums für die Nachrichtendienste (PKGr) über erste Erkenntnisse zum NSU unterrichteten, glaubte der Innenminister dem Bedürfnis nach Aufklärung mit einem Vorschlag nach Gutsherrenart begegnen zu können. Hans-Peter Friedrich setzte ein von ihm benanntes Gremium zur Untersuchung der Geschehnisse ein. Dem Gremium gehören Hansjörg Geiger, ehemals Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) und des Bundesnachrichtendiensts, Ulrich Kersten, Ex-Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), und der frühere CSU-Innenexperte Wolfgang Zeitlmann an. Allein die Idee, ehemalige Böcke zu Gärtnern zu machen, zeigte, dass Friedrich die Dimension des Geschehens nicht erkannt hatte. Bis heute hat man von diesem Gremium nichts mehr gehört und auch das Innenministerium breitet den Mantel des Schweigens darüber. Von LINKEN und Grünen wurde schnell die Forderung nach einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) laut, dem sich jedoch die SPD nicht sogleich anschließen wollte. Sowohl die Sozialdemokraten als auch Union und FDP setzten zunächst auf eine Bund-Länder-Kommission (BLK) zur Aufklärung, da es sich, so die Ansicht, vor allem um ein Problem der Länder handeln würde; lagen doch die Schwerpunkte des NSU in Thüringen und Sachsen bzw. –bezogen auf die Mordserie – in Bayern. Parallel zur Einsetzung des PUA berief Friedrich auch die BLK, der der frühere Berliner Innensenator Erhart Körting (SPD), der ehemalige Hamburger Innensenator, Heino Vahldieck (CDU), der Münchner Anwalt Eckart Müller (auf Vorschlag der FDP) und Ex-Bundesanwalt Bruno Jost (auf Wunsch der Grünen) angehören.

Möglicherweise auch mit Blick auf die eigene politische Verantwortung zur Zeit der Mordserie bevorzugten Teile der SPD zunächst die BLK. Im Gegensatz zum PUA hat sie jedoch keine gesetzliche Kompetenz gegenüber Behörden und Regierung und ist voll und ganz auf deren guten Willen angewiesen. Bis Anfang Januar 2012 rang sich dann aber auch die SPD zu einem Untersuchungsausschuss durch, der schließlich mit den Stimmen aller Fraktionen eingerichtet wurde. Schnell zeichnete sich ab, dass keine Fraktion als „Bremserin“ dastehen wollte, sondern alle ein demonstratives Interesse an einer umfassenden Aufklärung verkündeten. So wurde ein Untersuchungsauftrag formulieret, der die Chance auf eine weitgehende Aufklärung des Geschehens bietet, wenngleich diese durch die nur einjährige Untersuchungsdauer beschränkt wird. Der Gegenstand umfasst die Zeit von 1992 bis zur Festnahme Beate Zschäpes am 8. November 2011 und soll unter anderem folgende Fragen in den Blick nehmen: Welche Fehler und Versäumnisse der Sicherheitsbehörden können festgestellt werden? Welches Netzwerk umgab den NSU? Welche internationalen Verbindungen bestanden? Welche Rolle spielten die V-Leute der Dienste im Umfeld des NSU? Welche Schlussfolgerungen ergeben sich für die Aufstellung der Sicherheitsbehörden, welche für die Prävention zum Thema extreme Rechte und welche Folgerungen sind aus dem Umgang mit den Hinterbliebenen der Opfer zu ziehen?

Was kann der Ausschuss leisten?

Seit Februar 2012 tagt der PUA in jeder Sitzungswoche des Bundestages und hat bisher knapp 300 Beweisanträge im Konsens aller Fraktionen gestellt. Priorität hat die Herbeiziehung der Akten von Bundes- und Landesbehörden, die mit dem Fall befasst waren und sind. Der Ausschuss hat sich zu Beginn seiner Arbeit vier Untersuchungskomplexe vorgenommen: die Phase 1992-1997 als ideologischer Hintergrund und Herausbildung des NSU, die Jahre 1997-2000 als Zeit des Abtauchens des Trios, die Jahre 2000-2007, in denen die Morde und Anschläge stattfanden und schließlich den Zeitraum 2007-2011 nach dem Ende der Mordserie. Zunächst wurden drei Anhörungen durchgeführt: zur „Situation der Opfer und Hinterbliebenen/Opferperspektive“, zur „extremen Rechten seit den 90er Jahren“ und zur „Sicherheitsarchitektur beim Thema Rechtsextremismus“. Ende April begann der PUA mit den Zeugenvernehmungen. Nach der Vernehmung von bisher ca. 40 Zeugen in öffentlichen Sitzungen muss das anfängliche Bild der Ausschussarbeit revidiert werden. Gab es zunächst eine große Skepsis, welchen inhaltlichen Beitrag der PUA zur Aufklärung des Geschehens leisten könne, so muss man heute konstatieren, dass sich die bisherigen Ergebnisse sehen lassen können. Nicht zuletzt vier Rücktritte der Behördenchefs des BfV und der Landesämter für Verfassungsschutz (LfV) von Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt zeigen, dass die Arbeit (nicht nur des PUA) Wirkung zeigt. Mit Hilfe eines intensiven Studiums der Akten konnte in den Zeugenbefragungen zumindest herausgearbeitet werden, dass Polizei und Verfassungsschutz alle Hinweise in Richtung Rechtsextremismus mehr oder weniger ignoriert haben und sehr strikt an der einmal formulierten These festhielten, es müsse sich um eine Mordserie aus dem Bereich Organisierte Kriminalität handeln. Weiter konnte der Ausschuss das von Inkompetenz, Fahrlässigkeit bis hin zur Kumpanei reichende Verhältnis der Verfassungsschutzämter zu extremen Rechten verdeutlichen (für beides Beispiele weiter unten). Das Kompetenzgerangel der polizeilichen Ermittlungen zwischen Bund und Ländern wurde ebenso deutlich, wie das Konkurrenzverhältnis zwischen den unterschiedlichen Ämtern des Sicherheitsapparates. Eine ganz besondere Rolle nimmt dabei der Komplex V-Leu­te/Quellen der Dienste ein. Was sich dem Ausschuss hier offenbarte, forderte nach drastischen politischen Konsequenzen (Beispiele unten).

Bisher hat der PUA ausschließlich den Komplex der Mordserie bzw. der Sprengstoffanschläge des NSU behandelt. Ermittler, Staatsanwälte und Verfassungsschützer aus allen Tatortländern wurden vernommen. Nach der Sommerpause gab es Sitzungen zum Mord an der Polizistin in Heilbronn und weitere Befragungen von Ermittlern, Verfassungsschützern und politisch Verantwortlichen. Angesichts des engen Zeitrahmens bis zur nächsten Bundestagswahl ist es fraglich, ob der Ausschuss alle Untersuchungskomplexe umfassend abarbeiten kann. Immerhin hat bereits die von der Thüringer Landesregierung eingesetzte Kommission unter dem ehemaligen Bundesrichter Gerhard Schäfer die Phase des Abtauchens des Trios sehr genau beschrieben und auch die Fehler der Behörden herausgearbeitet.[1] Vor allem aber wird die Arbeit dadurch erleichtert, dass es in Thüringen, Sachsen und Bayern eigene Untersuchungsausschüsse gibt. Überhaupt bietet die Konstellation von parallelen Untersuchungen in Ländern und im Bund sehr viel größere Möglichkeiten. Der Austausch zwischen den Ausschüssen, die teilweise parallele Lektüre von Akten und das gerade gesteigerte mediale Interesse machen es Exekutive und Sicherheitsbehörden schwerer, Zusammenhänge zu verdunkeln. Die Erkenntnisse über die „Operation Rennsteig“[2] und die damit verbundene Schredderaktion des BfV bzw. die Weigerung der LfVs Thüringen und Sachsen, entsprechende Dokumente den Parlamentariern vorzulegen, haben schließlich zu den vier Rücktritten bzw. Entlassungen geführt.

Bei aller Freude über das mediale Desaster der Dienste bleibt es jedoch mehr als fraglich, ob daraus auch Konsequenzen gezogen werden, die über das Austauschen von Köpfen hinausgehen. Zwar wird inzwischen über eine völlige Neustrukturierung des Verfassungsschutzes gesprochen, seine Abschaffung wird aber weiterhin nur von der LINKEN gefordert. Am Ende könnte das Bundesamt als großer Gewinner aus dieser Neustrukturierung hervorgehen und für sein Versagen mit einem Kompetenzzuwachs belohnt werden. Und auch das BKA macht sich Hoffnungen, dass seine Kompetenzen auf Kosten der Länder ausgeweitet werden. Die inhaltliche Rolle des BKA beim NSU-Fall ist nicht dazu angetan, darin irgendeinen Fortschritt zu sehen. Schließlich bleibt es fraglich, welche Folgen aus dem strukturellen Rassismus erwachsen, den der Umgang mit der Mordserie offenbart hat. Hierzu hat der PUA bisher nur Frau Barbara John als Vertreterin der Hinterbliebenen und Opfer gehört. Forderungen aus der Zivilgesellschaft an das Parlament sind hier von besonderer Bedeutung, sonst wird dieser Punkt weiterhin randständig bleiben.

Wie sind die Informationszugänge?

Nach den Erfahrungen anderer Untersuchungsausschüsse war die Befürchtung groß, dass die geforderten Akten aus Bund und Ländern nur zögerlich kommen oder gar gerichtlich erstritten werden müssten. Dies hat sich nur zum Teil bewahrheitet bzw. teilweise ins Gegenteil verkehrt. Seit April 2012 ergießt sich eine wahre Papierflut über den Angehörigen des PUA, die von Abgeordneten und MitarbeiterInnen kaum zu bewältigen ist. Mehrere hunderttausend Seiten an Akten dürften dem PUA inzwischen zugegangen sein. Ein Großteil der Unterlagen ist offen oder nur als Verschlusssache – der niedrigsten Geheimhaltungsstufe – klassifiziert, so dass den Zeugen in öffentlicher Sitzung Vorhalte gemacht werden können. Fast schon prinzipiell schicken die Geheimdienste ihre Akten höher eingestuft, aber auch hier gelang in mehreren Fällen die Herunterstufung. Den Höhepunkt bildete sicherlich die umfassende Lieferung von Verfassungsschutzakten aus Thüringen, die zu wüsten Beschimpfungen des Bundeslandes seitens der anderen Länder und des Bundes führte. Aufklärung wird hier nach wie vor als Sicherheitsrisiko gesehen und offenbar gab es Überlegungen, die Thüringer Akten vor Erreichen des Ausschusses abzufangen. Ein Stück aus dem Tollhaus, nicht aus einem demokratischen Staat.

Hilfreich für das „Entgegenkommen“ der Regierung ist sicherlich die bis heute anhaltende Kooperation der Mitglieder des Ausschusses. Parteipolitische Mätzchen spielen im Ausschuss eine untergeordnete Rolle, was sich äußerst produktiv auf seine Arbeit auswirkt. Trotz unterschiedlicher Standpunkte ist bei allen das Interesse an einer möglichst weitgehenden Aufklärung vorhanden. Hinzu kommt der große mediale und moralische Druck angesichts des Themas Rechtsextremismus, der die Regierung zu einer gewissen Offenheit zwingt. Dass das BfV im Zusammenhang mit seiner Schredderaktion Klarnamen von V-Leuten offenlegte – ein außerordentlicher Vorgang –, war eben diesem Druck geschuldet.

Trotz dieser grundsätzlich positiven Informationslage gibt es zahlreiche Behinderungen. Immer wieder wird in Befragungen deutlich, dass die Akten nicht vollständig sind, was zu Nachforderungen führt. Aus einigen Bundesländern trafen Unterlagen – trotz langfristiger Beweisbeschlüsse – so spät ein, dass eine seriöse Zeugenvernehmung nicht möglich war. Hamburg lieferte letzte Akten weniger als zwölf Stunden vor Beginn der Befragung der Zeugen aus dem Bundesland. Aus Hessen trudelten die Akten trotz mehrfacher Mahnung so spät ein, dass der ehemalige Präsident des LfV abgeladen und seine Vernehmung auf später verschoben wurde, weil eine Vorbereitung unmöglich war. 48 Stunden vor der Einvernahme der Ermittler aus Hessen kamen ca. 2.500 Seiten Akten; die Ordner des LfV mit weiteren Tausend Seiten erhielten die Fraktionen noch später, nämlich erst in dem Nachmittagsstunden des Tages vor der Vernehmung.

Was kommt raus?

Die Frage nach den Ergebnissen des Ausschusses lässt sich bis heute nur eingeschränkt beantworten, hat der PUA doch erst einen Untersuchungskomplex genauer in den Blick genommen. Für diesen lassen sich an drei Themen einige Ergebnisse festhalten. (1.) Die zahlreichen Spuren in Richtung Rechtextremismus wurden von den Ermittlern nicht ernsthaft verfolgt bzw. schnell wieder fallengelassen. Hier zeigt sich eine sträfliche und systematische Unterschätzung des Gewaltpotenzials der extremen Rechten. Hinzu kommt eine Fixierung auf das Umfeld der Opfer, die sicherlich mit einem – nicht nur auf die Sicherheitsbehörden beschränkten – institutionellen Rassismus im Zusammenhang steht. (2.) Der Kompetenzstreit der Sicherheitsbehörden untereinander und zwischen Bundes- und Landesebene hat zumindest nicht zu einer Optimierung der Ermittlungen geführt. Hier werden vor allem CDU und SPD ansetzen wollen. Schließlich hat sich (3.) das Thema Verfassungsschutz und V-Leute als eine immer wiederkehrende Behinderung der Ermittlungen dargestellt. Die Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern haben bisher ein erbärmliches Bild geboten.

  1. Spuren in Richtung Rechtsextremismus: Nach sechs Jahren Ermittlungen in die falsche Richtung, wurde in Bayern, wo die Ermittlungen aufgrund von fünf Morden der Serie schwerpunktmäßig geführt wurden, im Jahr 2006 eine neue Fallanalyse in Auftrag gegeben. Nach den Morden acht und neun gab es keinerlei ernstzunehmende Spur mehr, die in Richtung Organisierte Kriminalität wies. Die bayerischen Fallanalytiker kamen zu der Einschätzung, es könne sich um einen Einzeltäter (im Gegensatz zu einer Organisation, d.h. auch zwei Personen können Einzeltäter sein) handeln, der aus Hass auf Türken morde und der eventuell Anhänger der extremen Rechten sein könnte. Damit kamen sie den Tätern so nahe wie niemand zuvor. Doch die Umsetzung dieser Theorie in konkrete Ermittlungen stellte sich für die Besondere Aufbauorganisation (BAO) Bosporus als schwierig dar. Anfragen zur rechtsextremen Szene in Bayern wurden vom dortigen Landesamt mit Verweis auf den Quellenschutz erst gar nicht und dann mit einer Verzögerung von sieben Monaten (!) beantwortet. Schließlich bekamen die Ermittler eine Liste mit Namen von Nazis aus zwei Postleitzahlbezirken im Raum Nürnberg, weil man davon ausging, der oder die Täter müssten dort einen Ankerpunkt haben. Bundesweit haben sich die Bayern nie um Informationen über die Naziszene bemüht. Eine dilettantische Mail ans BfV wurde rein formal beantwortet, danach wurde der Ansatz nicht weiter verfolgt. Ein Grund, warum aus dieser Spur unter dem Namen 195 nicht mehr wurde, war die vehemente Ablehnung auf die der neue Ermittlungsansatz bei den Ermittlern in den anderen Bundesländern und vor allem beim BKA stieß. Hier hielt man eisern an der Theorie fest, die Opfer seien in dunkle Geschäfte verwickelt gewesen und hier liege der Grund für die Mordserie. So verlief die einzig richtige Spur nach wenigen Monaten im Nichts und die Täter konnten weitere vier Jahre unerkannt bleiben.

Aber auch schon früher gab es Hinweise und Spuren in Richtung Rechtsextremismus. Den Bombenanschlag in der Keupstraße in Köln 2004 hatte selbst das BfV mit rassistischen Anschlägen von „Combat 18“ verglichen, hierzu sogar ein Dossier angefertigt, das die Ermittler aus Nordrhein-Westfalen jedoch niemals zur Kenntnis nahmen. Die mit einer Überwachungskamera gefilmten Täter in Köln wurden von der Zeugin eines Mordes in Nürnberg als mögliche Radfahrer am Tatort identifiziert. Die Hinweise auf Radfahrer gab es an zahlreichen Tatorten, dennoch unterblieb ein systematischer Vergleich des Bombenanschlags mit der Mordserie. Fast nie kam es den Ermittlern in den Sinn, dass die Herkunft der Opfer das entscheidende Motiv für die Täter sein könnte – ein Ergebnis der Tabuisierung des Rassismus in der deutschen Gesellschaft.

  1. Kompetenzstreit: Im Rahmen der Befragungen zur Mordserie spiel­te immer wieder das Thema der zentralen Ermittlungsführung eine große Rolle. Schnell wurde aufgrund der immer gleichen Ceska-Waffe klar, dass es sich um eine bundesweite Mordserie handelte, womit die Frage der zentralen Ermittlung im Raum stand. Fünf von neun rassistischen Morden fanden in Bayern statt, somit lag die Führung der Ermittlungen in Bayern. Dennoch einigte man sich nicht auf eine zentrale Ermittlungsführung, mit der ein klares Weisungsrecht verbunden gewesen wäre. Das hatte fatale Konsequenzen, denn so blieb jede Tatortermittlungsstelle im Großen und Ganzen ihrem jeweiligen Ansatz treu. Während die Zeugen im Ausschuss behaupten, die Ermittlungen seien in alle Richtungen geführt worden, sprechen die Akten eine andere Sprache. Wirkliche Anstrengungen wurden nur in Richtung Organisierte Kriminalität unternommen, das Thema Rechtsextremismus/Rassismus war, wenn überhaupt, randständig. Besonders deutlich wurde das 2006, als in Bayern die bereits genannte neue Fallanalyse einen „Einzeltäter“ aus dem rechten Spektrum nahelegte. Dieser Ansatz stieß bei den anderen Ermittlungsgruppen auf starke Ablehnung und wurde kaum ernsthaft verfolgt. Die bayerische BAO hatte keine Möglichkeit, die Ermittlungen in diese Richtung zu lenken.

Politisch wurde im PUA vor allem um die Frage der Übernahme des Falls durch das BKA gestritten. 2006, nach den Morden acht und neun, wollte das BKA den Fall übernehmen und intervenierte in diesem Sinne beim Bundesinnenministerium. Doch der Widerstand aus den Ländern, namentlich aus Bayern, verhinderte diese Übernahme. Während der ehemalige BKA-Vizepräsident Bernhard Falk die organisatorische Aufstellung der Ermittlungen in seiner Vernehmung „kriminalfachlich stümperhaft“ nannte, widersprach ihm BKA-Präsident Jörg Ziercke zwei Wochen später vehement und nannte die Ermittlungen erfolgreich, da ja die Morde nach 2007 aufgehört hätten – eine Meinung mit der er bis heute allein steht. Wie immer man die Frage der zentralen Ermittlungen bewertet, fest steht, dass von Seiten des BKA der Ermittlungsansatz in Richtung Rechtsextremismus mit aller Kraft zurückgedrängt wurde. Während Ziercke im Ausschuss behauptete, in der Nachrichtendienstlichen Lage im Kanzleramt habe das BKA im Zusammenhang der Mordserie selbstverständlich auch über einen möglichen rechtsextremen Hintergrund gesprochen, konnte sich BfV-Präsident Fromm an solche Diskussionen nicht erinnern. In den Akten und Sprechzetteln des BKA zur ND-Lage findet sich nicht einmal das Wort Rechtsextremismus.

  1. Versagen des Verfassungsschutzes: Vier Rücktritte beim Verfassungsschutz, diese Bilanz kann sich sehen lassen und ist angemessen für die Dimension des Versagens der Dienste. Der Verfassungsschutz hat sich, so muss man es formulieren, als Schutz der Täter erwiesen. Zentral dazu beigetragen hat das V-Leute-System und der mit ihm verbundene Quellenschutz. Immer wieder wurde bei den Vernehmungen im Ausschuss deutlich, wie die Verfassungsschutzämter wenig bis nichts dazu beigetragen haben, die spärlichen Ermittlungen in Richtung Rechtsextremismus zu unterstützen. In vielen Fällen haben die Ämter die Ermittlungen direkt behindert. So ist bekannt, dass das LfV Thüringen Erkenntnisse über das abgetauchte Trio 1998 und später dem LKA vorenthalten hat und so die Ermittlungen sabotierte. Ein Grund hierfür war der Schutz von Quellen des LfV. Mit eben dieser Begründung wollte das LfV Brandenburg den Hinweis eines V-Mannes, das Trio sei dabei sich Waffen zu besorgen, nicht an die Polizei weitergeben. In Bayern weigerte sich das LfV mit Hinweis auf den Quellenschutz, der BAO Bosporus umfassende Informationen zur extremen Rechten in Bayern zu liefern. Für die Beantwortung einer zurecht gestutzten Anfrage der Ermittler nahm sich das Landesamt sieben Monate Zeit! Aktuelle Erkenntnisse zu militanten rechten Strukturen lieferte man nicht und beschränkte sich auf einen Dienst nach Vorschrift.

Die Vernehmung des Hessischen Ermittlers zum Mord an Halit Yozgat in Kassel 2006 sorgte selbst im Ausschuss für Fassungslosigkeit. Wie allgemein bekannt, war bei diesem Mord ein Beamter des LfV Hessen im Internetcafé und hatte sich als einziger Zeuge nicht bei der Polizei gemeldet. Für die Polizei galt er über Wochen als einer der Hauptverdächtigen, zumal er selbst einen V-Mann aus der Naziszene führte und mit diesem direkt vor und nach dem Mord telefoniert hatte. Verständlich, dass die Polizei dringend auch diesen V-Mann vernehmen wollte. Doch, so musste es der Ausschuss lernen, Quellenschutz geht beim Verfassungsschutz vor der Aufklärung einer Mordserie. Das LfV Hessen verweigerte der Polizei die Vernehmung und der damalige Innenminister Bouffier unterstützte das Amt bei dieser Behinderung der Ermittlungsarbeit. Es handele sich doch ‚nur um ein Tötungsdelikt‘, dafür könne man nicht seine Quellen preisgeben, so las es sich in den Mails des LfV, die in den Akten zu finden waren.

Fraglich bleibt, ob aus diesem Versagen der Verfassungsschutzbehörden die richtigen Folgerungen gezogen werden und es nicht letztlich zu einer Stärkung des Bundesamtes kommt. Um dies zu verhindern, ist weiterhin eine kritische Begleitung und Kommentierung der Ausschussarbeit wichtig.

[1]      Schäfer, G. u.a.: Gutachten im Auftrag des Freistaats Thüringen zum Verhalten der Thüringer Behörden und Staatsanwaltschaften bei der Verfolgung des „Zwickauer Trios“, Erfurt Mai 2012
[2]     siehe den Beitrag von Andreas Förster in diesem Heft