Von Spitzeln umzingelt. Der NSU und die V-Leute des Verfassungsschutzes

von Andreas Förster

Selten war der Unsinn des V-Leute-Wesens offensichtlicher: Mindestens 17 Spitzel tummelten sich im Umfeld des „Nationalsozialistischen Untergrunds“.

Das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) legt – wenn man ihm glauben will – bereits seit Jahren hohe Maßstäbe an Lebenswandel und Selbstverständnis seiner Quellen an. Maßstäbe, die laut dem Bundesamt deutlich über den Kriterien liegen, nach denen die meisten Landesämter ihre sogenannten Vertrauenspersonen vulgo Spitzel auswählen. Und natürlich soll der Bundesmaßstab nun künftig auch von den Ländern angelegt werden, regt Köln als Konsequenz aus dem Desaster um die rechte Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) an.

Der Verfassungsschutz – so konnte man es kürzlich in den Zeitungen nachlesen – will sich seine künftigen Spitzel nach folgendem Rezept backen: Man nehme gereifte Persönlichkeiten, die psychisch stabil sind und mit der Erkenntnis leben können, dass sie eigentlich Verräter sind. Gleich aussortiert werden sollten jene Kandidaten, die ausschließlich am Geld interessiert seien. Natürlich sollen sich die Spitzel auskennen in ihrer Szene, dort aber keine Führungsposition haben und auch keinen Hang zur Wichtigtuerei erkennen lassen. Hände weg von Gewalttätigen, Alkoholikern, Rauschgiftsüchtigen und Straftätern. Tabu sind ebenfalls Beschäftigte des öffentlichen Diensts sowie die einer Schweigepflicht unterliegenden Pfarrer, Anwälte und Ärzte. Meiden soll der Geheimdienst auch junge Leute, die noch bei ihren Eltern wohnen, sowie überforderte Väter und Mütter, die von ihrem Haushalt zu sehr in Beschlag genommen werden.

Der Verfassungsschutz will künftig also nach dem Motto „Keiner spioniert reiner“ arbeiten. Fragt sich bloß, ob das den Inlandsgeheimdienst auch inhaltlich voranbringt. Was die Aufklärung von Nazistrukturen anbelangt, wohl kaum – potenzielle Spitzelkandidaten, die die neuen „VS-Reinheits-Kriterien“ erfüllen, dürften sich in der rechten Szene nicht finden lassen.

Deswegen werden die hehren Absichten wohl nicht lange vorhalten und durch Ausnahmeregelungen aufgeweicht werden. Denn die NSU-Affäre, die vor allem auch eine VS-Affäre ist, hat sich für den Verfassungsschutz als echter Schlag ins Kontor entpuppt. Und das betrifft nicht nur das Image des Dienstes. Weil eine ganze Reihe von – mitunter schon seit Jahren abgeschalteten – Quellen publik geworden sind, fällt es den Geheimdienstlern derzeit so schwer wie nie, neue Spitzel zu rekrutieren und bereits geworbene V-Leute bei der Stange zu halten. Schon warnen Sicherheitspolitiker und VS-Beamte lautstark davor, dass die Informationsgewinnung im rechtsextremen Milieu und in anderen Kriminalitätsfeldern enormen Schaden genommen habe. Angeblich gelingt es derzeit überhaupt nicht mehr, potentielle Informanten anzuwerben. In den letzten Monaten registrierten demnach die Anwerber eine Absagenquote von 100 Prozent. Ohne die Informanten aber, so warnen die Behörden, sei das Ausleuchten von gefährlichen Zirkeln in Zukunft sehr schwer.

Das mag sein. Aber das Beispiel NSU zeigt auch, dass selbst mit Informanten ein solches Ausleuchten nicht gelingen muss. Und dass die Beamten im Verfassungsschutz mit den ihnen gelieferten Informationen nicht effektiv umgehen können oder wollen. Fast 14 Jahre lang waren Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt auf der Flucht. Sie lebten mit Hilfe von rechten Gesinnungsgenossen ein unauffälliges Leben im Untergrund. Um sie herum platziert waren – nach bisherigem Wissensstand – mindestens 17 V-Leute deutscher Sicherheitsbehörden. Es ist schier unglaublich, dass Geheimdiensten und Polizei dennoch das Trio durch die Lappen ging. Versagen oder Absicht?

Operation Rennsteig

Da war zunächst die „Operation Rennsteig“, die dem Verfassungsschutz zwischen 1997 und 2003 gleich acht Quellen aus der Thüringer Neonaziszene in die Arme trieb. Anlass für die Operation war die damals zunehmende Militanz der rechten Szene in Thüringen. Bombenattrappen wurden verschickt, Jugendliche trainierten mit scharfen Waffen auf stillgelegten Übungsplätzen der Armee, der „Thüringer Heimatschutz“ (THS) koordinierte die Aktionen der versprengten Neonazi-Kameradschaften des Freistaats. In anonymen Schreiben drohten Rechte Ende 1996 ganz offen mit einem bewaffneten Kampf gegen den Staat. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) regte daraufhin eine gemeinsame Geheimdienstoperation in dem Freistaat an. Zusammen mit dem Militärischen Abschirmdienst und den Landesämtern in Thüringen und Bayern wollte man sich so einen Einblick verschaffen in Strukturen und Aktionen der Neonazis.

Zum Jahresbeginn 1997 startete das BfV die „Operation Rennsteig“. Zielpersonen waren insgesamt 35 namentlich aufgelistete Thüringer Neonazis – die Dienste wollten sie aufklären oder als Informanten werben. Darunter befanden sich auch die späteren mutmaßlichen NSU-Terroristen Mundlos und Böhnhardt sowie ihre Helfer Holger Gerlach und Ralf Wohlleben.

Bis zum Jahr 2003 lief „Rennsteig“. Das BfV warb spätestens ab 1999 acht Nazi-Spitzel aus dem THS an. Ihre Decknamen begannen alle mit dem Buchstaben T: „Treppe“ wurde als erster rekrutiert, ihm folgten „Tobago“ und „Tonfall“, die immerhin bis 2001 Informationen lieferten. Auch zwei Jahre lang, ab 2000, spitzelte „Tonfarbe“; „Tusche“ hingegen blieb nur ein Jahr bei der Stange. Länger hielten es „Terrier“, „Tinte“ und „Trapid“ aus, von denen die beiden letztgenannten spätestens mit Ende der Rennsteig-Aktion 2003 vom BfV an den Thüringer Verfassungsschutz übergeben wurden. Und dann gab es da noch den V-Mann „Tarif“, der aus Thüringen stammte, vor allem aber über die rechte Szene in Niedersachsen berichtete.

Rechnen wir zusammen: Das BfV führte acht V-Leute im THS; das LfV Thüringen hatte mit Tino Brandt und Marcel Degner sowie einer namentlich bislang nicht bekannten Gewährsperson insgesamt drei Informanten, die über den Heimatschutz berichteten; schließlich gab es noch eine MAD-Quelle, die von Mai 1999 bis Mai 2003 den THS ausspionierte – insgesamt waren damit also zwölf V-Leute allein im „Thüringer Heimatschutz“ aktiv. Eine bemerkenswerte Spitzeldichte, denn der bis 2001 existierende THS hatte nur rund 140 Mitglieder. Und dennoch kam man dem untergetauchten Trio, das ja selbst dem THS angehört hatte, nicht auf die Spur?

Die Gründe dafür lassen sich kaum mehr analysieren. Vor allem deshalb, weil sich die Identität der „T-Quellen“, also der im Rahmen von „Rennsteig“ angeworbenen V-Leute, heute nicht mehr eindeutig nachvollziehen lässt – einige der Quellen seien aus „operativen Gründen“ nicht in die Computerdatei des BfV eingetragen worden, musste das Amt einräumen. Angeblich habe aber keiner der V-Leute zum Führungskreis des Heimatschutzes gehört. Zudem hätten „sämtliche damals geworbenen V-Leute nicht zum ,Nationalsozialistischen Untergrund‘ (NSU) berichtet“, wie es in einem Bericht des damaligen BfV-Chefs Heinz Fromm heißt.

Das kann man glauben oder nicht. Eine Überprüfung ist nicht mehr möglich, weil ausgerechnet an dem Tag, als die Bundesanwaltschaft die Übernahme der Ermittlungen im Fall des NSU bekanntgab, die „Aktion Reißwolf“ im BfV begann. Am 11. November 2011, eine Woche nach dem Tod von Mundlos und Böhnhardt und dem Auffliegen der Zwickauer Zelle, wurden sieben der acht Dossiers der „T-Quellen“ in Köln geschreddert. Nur die Akte von „Trapid“ überstand die Vernichtungsaktion.

Starke …

Nach Abschluss von „Rennsteig“ im Jahr 2003 startete das BfV eine Nachfolgeoperation in Thüringen unter der Bezeichnung „Saphira“. Gemeinsam mit dem Erfurter Landesamt sprachen die Verfassungsschützer zwischen 2003 und 2005 rund 25 Neonazis an. In mindestens zwei Fällen war die Werbung erfolgreich. Einer der beiden V-Leute wurde nach 2005 an das Erfurter LfV übergeben. Details über diese V-Leute oder gar deren Identität sind bislang nicht bekannt.

Dafür sind in den vergangenen Wochen die Namen zweier bislang nicht bekannter V-Leute öffentlich geworden, die von Ermittlern dem Umfeld des NSU zugerechnet werden: Thomas Starke, der jahrelang für das Berliner Landeskriminalamt als Informant arbeitete, und Thomas Richter, den das BfV unter dem Decknamen „Corelli“ in den Jahren 1997 bis 2002 als V-Mann führte.

Vor allem Starke kannte Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe sehr gut. Dabei stammt er gar nicht aus Thüringen, sondern aus Sachsen und war auch ein paar Jahre älter als die drei. Als Starke 1967 geboren wird, heißt seine Heimatstadt noch Karl-Marx-Stadt. Er wird Fußballfan, einer von der harten Sorte. „Satan Angels“ nennen sie sich, Hooligans, die weniger wegen ihres Klubs FC Karl-Marx-Stadt ins Stadion gehen als wegen der Randale. Nicht nur deswegen fällt Starke immer wieder auf: In Diskotheken prügeln er und seine Freunde sich mit anderen Jugendlichen, sie zerkratzen Autos und werfen Grabsteine um. Er gerät ins Visier der Volkspolizei – als Rowdy, aber auch als Informant. Die stasiähnliche Kripoabteilung K 1, vergleichbar mit dem heutigen Staatsschutz, führt ihn als Spitzel.

Nach der Wende lebt Starke seine rechte Gesinnung offen aus. Er ist Skinhead, geht oft auf Konzerte von rechtsradikalen Bands. Auf einem davon, nach seinen Angaben 1991/92, lernt er Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt kennen. Anders als er, der „Action“ bevorzugt, seien die Thüringer Neonazis politisch orientierter gewesen, erinnert sich Starke an die gemeinsame Zeit. 1993 muss er in Haft, zweieinhalb Jahre wegen gefährlicher Körperverletzung und schwerer Brandstiftung. Es ist seine erste Verurteilung, drei weitere werden bis 2005 folgen. Es geht um szenetypische Straftaten – Landfriedensbruch, Körperverletzung, Volksverhetzung. In Chemnitz gehört er zu den sogenannten „88ern“, einer gewalttätigen Skinhead-Trupp, die die Stadt terrorisiert.

Bei seiner ersten Haftstrafe, die er in Waldheim absitzt, wird er von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos betreut: Sie besuchen ihn, schreiben ihm Briefe, die mit „Deine drei Jenaer“ unterzeichnet sind. Nach der Entlassung 1996 hat er eine kurze Affäre mit Beate Zschäpe. Als Mundlos ihn um Sprengstoff bittet, liefert er ihm – „in einem Päckchen in der Größe eines kleinen Schuhkartons“, wie er 2012 aussagt – rund ein Kilo TNT. Nur wenig später, Ende Januar 1998, findet die Polizei das TNT in einer Garage in Jena, der Bombenwerkstatt des Trios. Zeitgleich mit dem Fund gehen die drei in den Untergrund.

Ihr erster Anlaufpunkt ist Thomas Starke, der inzwischen Vizechef der „Blood&Honour“-Sektion in Sachsen geworden ist. Von Chemnitz aus organisiert er Rechtsrock-Konzerte sowie Skinhead-Partys und produziert das B&H-Fanzine „White Supremacy“, das eine Melange aus Konzertberichten und rassistischen Texten bietet. „Starke verfügt über eine Vielzahl auch überregionaler Kontakte … (und) ist außerdem für die Erledigung konspirativer Aufgaben … einschlägig bekannt“, heißt es in einem Verfassungsschutzbericht. Starke vermittelt den Flüchtigen einen Unterschlupf bei einem Freund in Chemnitz. Später stellt er für sie vermutlich auch den Kontakt zu der im Raum Johanngeorgenstadt aktiven Kameradschaft „Weiße Bruderschaft Erzgebirge“ (WBE) her. WBE-Aktivisten werden bis zum Auffliegen des NSU im November 2011 die engsten Bezugspersonen des 2001 nach Zwickau umgesiedelten Trios bleiben.

Starke selbst gibt an, im April oder Mai 1998 den letzten Kontakt zu den drei Jenaer Neonazis gehabt zu haben. Allerdings kennt er offenbar Kameraden, die in die Betreuung des Trios eingebunden sind. Was er von ihnen erfährt, erzählt er der Polizei. Denn seit 2000 ist Thomas Starke wieder Spitzel. Doch nicht Beamte des sächsischen Landeskriminalamtes haben ihn angeheuert, sondern deren Kollegen in Berlin. Die Dresdner hätten – so behaupten sie es zumindest – „erhebliche rechtliche Zweifel“ an einer Kooperation gehabt, da gegen Starke wegen des bundesweiten Vertriebs verbotener Nazi-Musik ermittelt wurde. Im Berliner Landeskriminalamt herrschten dagegen weniger Skrupel. Die dortigen Staatsschützer werben den Neonazi im November 2000 als Informant und führen ihn bis zum Januar 2011 als Vertrauensperson „VP 562“, mehr als zehn Jahre lang. Die Beamten sind vor allem an seinen Kenntnissen über die rechte Musikszene interessiert. Fünfmal zwischen 2001 und 2005 erzählt Starke bei den Gesprächen auch, was er über das flüchtige Trio gehört hat. So gibt er etwa bei einem Treffen 2002 auch den Tipp, sein Freund und einstiger B&H-Chef in Sachsen, Jan Werner, soll Kontakt „zu den drei Personen aus Thüringen“ gehabt haben. Als brisant schätzen die Ermittler die Informationen aber offenbar nicht ein.

Starke, mittlerweile 44 Jahre alt, wohnt heute mit seiner Familie in Dresden, in einem Mehrfamilienhaus an einer verkehrsberuhigten Seitenstraße. Mit der Szene hat er vor gut zehn Jahren gebrochen, sagt er. Die Bundesanwaltschaft führt noch ein Verfahren gegen ihn, aber es wird wohl ohne Anklage eingestellt werden. Die Übergabe des Sprengstoffs 1997 und die Fluchthilfe 1998 sind verjährt.

und „Corelli“

So dicht dran an dem Trio wie Starke war Thomas Richter alias V-Mann „Corelli“ nicht. Aber auch er kannte die drei Neonazis aus Jena aus den 1990er Jahren immerhin so gut, dass sich sein Name und die Nummer seines Postfachs auf einer Adressenliste in der Jenaer Garage fand, die dem Trio als Bombenwerkstatt diente. Auf dieser Liste tauchen viele weitere Namen mutmaßlicher NSU-Helfer auf, darunter auch der von Ralf Wohlleben, der dem Trio nach dessen Untertauchen zwei Waffen besorgt haben soll.

Thomas Richter gehörte um die Jahrtausendwende herum zu den führenden Neonazis in Sachsen-Anhalt. „HJ Tommy“, wie ihn seine rechten Kameraden nannten, galt laut einem internen Bericht des Bundeskriminalamts als „Namengeber und Initiator“ des „Nationalen Widerstands Halle/Saale“. Unter dem Dach dieser am Vorbild des THS orientierten Sammlungsbewegung hatte sich auch die regionale Sektion des militanten Neonazinetzwerks „Blood & Honour“ organisiert. Über das B&H-Netzwerk wurden auch Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt nach ihrer Flucht mit Waffen und Geld unterstützt.

Der heute 42-jährige, aus Halle/Saale stammende Richter war über viele Jahre hinweg ein wichtiges Verbindungsglied zwischen den militanten Nazi-Strukturen in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Baden-Württemberg. Er gab die Zeitung „Nationaler Beobachter“ heraus und betrieb zahlreiche Internetseiten mit rechtsextremer Hetze. Auf einer dieser Seiten befand sich die Internetpräsenz des rassistischen Fanzines „Der Weisse Wolf“. Das Magazin erhielt laut einem V-Mann-Bericht des Schweriner LfV im Jahr 2002 über verschiedene Zwischenstationen eine Geldspende in Höhe von 2500 Euro. Im darauffolgenden Heft bedankte sich die Redaktion beim Spender: „Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen. Der Kampf geht weiter …“, heißt es dort. Die kurze Dankesnotiz gilt als erste bekannte öffentliche Erwähnung des NSU.

Ob Richter von der Geldspende oder den Stiftern wusste und darüber vielleicht auch dem Verfassungsschutz berichtete, ist derzeit noch nicht bekannt. Möglich wäre es, schließlich war der Neonazi von 1997 bis mindestens 2002 unter dem Decknamen „Corelli“ einer der wichtigsten Zuträger des Kölner Bundesamtes. Ausführlich berichtete er über die Naziszene in seinem Heimatland Sachsen-Anhalt, über geplante Aktionen, Konzerte und Demonstrationen in Ostdeutschland und über den 1998 von ihm mitgegründeten „European White Knights of the Ku Klux Klan“, einem deutschen Ableger des rassistischen Geheimbunds in den USA. In „Corellis“ Berichten finden sich auch die Namen der Mitglieder des deutschen KKK-Ablegers, darunter fünf Polizisten aus Baden-Württemberg. Einer der Beamten, den Richter und seine Leute 2001 in den antisemitischen Geheimbund aufgenommen hatten, war war laut Untersuchungsbericht des baden-württembergischen Innenministeriums schwerpunktmäßig an Einsätzen mit „rechtem Hintergrund“ beteiligt. In der Bereitschaftspolizei Böblingen war der Beamte darüber hinaus zusammen mit Michèle Kiesewetter eingesetzt. Am 25. April 2007, als die junge Polizistin mutmaßlich von Böhnhardt und Mundlos in Heilbronn erschossen wurde, war das frühere Klan-Mitglied als ihr Dienstvorgesetzter im Einsatz.

Richter lebt heute mit seiner Verlobten in Leipzig und betreibt im Internet das Portal „Nationaler Demonstrations-Beobachter“ mit Nachrichten zu Neonazi-Themen und dem „Netzradio Germania“. Bei Neonaziaufmärschen fotografiert er schon mal Gegendemonstranten und stellt die Bilder anschließend ins Netz.

Folgen aus der Staatsaffäre?

17 V-Leute deutscher Sicherheitsbehörden, davon allein 15 vom Verfassungsschutz, waren im näheren und weiteren Umfeld des NSU-Trios unterwegs. Mindestens 17 muss man sagen, denn die Enttarnung weiterer Spitzel ist nicht ausgeschlossen. Die Informationen, die sie lieferten, führten nicht zum Aufspüren der flüchtigen Neonazis. Warum? Diese Frage ist der eigentliche Kern der Staatsaffäre hinter dem NSU-Skandal.

Das Versagen insbesondere des Verfassungsschutzes auf Bundes- wie Länderebene müsste von unabhängigen Experten analysiert und aufgearbeitet werden. Diese würden dann auf das Grundproblem des Inlandsgeheimdienstes stoßen: Der Verfassungsschutz hängt am Gängelband des jeweiligen Innenministers und hat vor allem dessen politische Vorgaben und Interessen umzusetzen. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und der Hamburger Terrorzelle um Mohammed Atta war die muslimische Szene das Aufklärungsobjekt Nummer Eins. Vor und nach dem G-8-Gipfel von Heiligendamm 2007 entwickelten sich die Linken – von der PDS über die Autonomen bis hin zu den Extremisten – zum Schwerpunkt der Geheimdienstarbeit. Und nach dem Auffliegen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ im vergangenen November sind plötzlich die so lange vom Verfassungsschutz vernachlässigten Neonazis und Rechtsextremisten en vogue.

So aber schützt man nicht die Verfassung, sondern setzt nur die (manchmal auch partei-)politischen Interessen des jeweiligen Dienstherrn um. Der Verfassungsschutz braucht nicht nur für seine V-Leute neue Qualitätsmaßstäbe. Seine Einrichtungen und sein Aufgabenbereich müssen ebenso einer an demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen ausgerichteten, strukturellen Reform unterzogen werden.

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