Militarisierung des Protest Policing:  Polizeikrieger als autoritäre Konfliktlösung

Von Martin Kirsch

Die paramilitärische Aufrüstung der deutschen Polizeien im Namen des Antiterrorismus zeigt Stück für Stück sichtbare Wirkungen im Bereich des Protest Policing. Der „Bürgerkriegseinsatz“ der Spezialkräfte während des G20-Gipfels in Hamburg könnte sich als Wendepunkt entpuppen.

Noch 2014 erschienen die Bilder von militärisch bewaffneten Polizeikräften zur Niederschlagung der Proteste in der US-Kleinstadt Fergusson als erschreckender Anblick, der einer Erklärung bedurfte. Beispielhaft wies die Deutsche Welle damals darauf hin, dass die lokalen Polizeibehörden der USA seit dem Krieg gegen die Drogen in den 1990er Jahren im Rahmen eines Regierungsprogramms mit ausrangierten Waffen und Ausrüstungen des US-Militärs ausgestattet werden.[1] Mit dem Krieg gegen den Terror und der Beendigung des Kriegseinsatzes im Irak wurde das Programm mit dort verwendetem Material aufgestockt. In besagtem Beitrag wurde an kritischen Stimmen – sogar solchen aus den Reihen der US-Regierung – nicht gespart. Eine Bezugnahme zu den hiesigen Verhältnissen fand jedoch nicht statt. Das stellt sich mittlerweile als bedeutende Leerstelle heraus.

Mit den Anti-Terror-Paketen, die die Innenminister der deutschen Bundesländer ihren Polizeien seit 2015 verabreicht haben, kehren auch hier die Waffen der Kriege in der Ferne an die Heimatfront zurück. Das Schreckensbild der Anschläge in Paris Anfang 2015 diente als Begründung für Aufrüstungsprogramme, die bereits in den 2000er Jahren zaghaft begonnen wurden, nun aber mit beeindruckender Geschwindigkeit Fahrt aufnahmen. Die Neuanschaffung von Sturmgewehren und Schutzkleidung auf Kriegsniveau beschränkt sich dabei nicht auf ausgewählte Spezialeinheiten, die mittlerweile den Orts- und Häuserkampf trainieren. Selbst Streifenwagen werden mit entsprechendem Gerät bestückt und ihre Besatzungen in einem Vorgehen gegen TerroristInnen geschult, das sich seine Vorbilder im Militär sucht.[2] Die Aufrüstung der letzten Jahre legte die Grundlagen der Militarisierung des Protest Policing.

Den gesellschaftlichen Rahmen für das sichtbare Eindringen der neuen Taktiken und Gerätschaften in den Bereich des Protest Policing bildete der polizeistaatliche Ausnahmezustand, in den Hamburg rund um den G20-Gipfel versetzt wurde. Mit der stolz präsentierten Anzahl von rund 600 polizeilichen Spezialkräften aus allen Bundesländern und aus Österreich zum Schutz der Staatsgäste und als „Interventionskräfte“ im Fall von Terroranschlägen in der Stadt, waren paramilitärische Polizeieinheiten von Beginn an Teil der Einsatzplanung.

Schon die Checkpoints am Rand der Sicherheitszonen und bei den Hotels der Staatsgäste waren Orte, an denen ein Aufeinandertreffen von Spezialeinheiten und DemonstrantInnen nicht auszuschließen und eine klare Grenze zwischen Protest Policing und Anti-Terror-Einsatz schwerlich zu ziehen war. Zum gezielten Einsatz der Polizeikrieger gegen Protestierende, der nach offiziellen Verlautbarungen nicht geplant war, kam es dann in der Nacht vom 7. auf den 8. Juli 2017 im Hamburger Schanzenviertel. Nachdem die Polizei temporär die Kontrolle über das Viertel verloren hatte, setzte die Einsatzleitung Spezialeinheiten in Bewegung, um Häuser zu stürmen und die dortigen Unruhen durch die Drohung mit dem Einsatz von Sturmgewehren zu unterbinden.

Dass es sich dabei nicht um eine reine Verzweiflungstat der Polizeiführung handelte, sondern um einen Türoffner für autoritäre Gelüste zur Kontrolle aufbegehrender Bevölkerungsgruppen mit kriegerischen Mitteln, zeigte sich bereits in der folgenden Nacht: Teile des SEK-Sachsen und des SEK-Hamburg rückten erneut aus, um sich präventiv auf einer Straßenkreuzung am Neuen Pferdemarkt zu positionieren. Die Drohung der Schnellfeuerwaffen wurde erneuert, um bereits das Aufkommen von Auseinandersetzungen zu unterbinden. Als offizielle Begründung reichte völlig aus, dass „eine gleiche beziehungsweise ähnliche Einsatzlage wie am Abend zuvor befürchtet“ wurde.[3]

Von Hamburg nach Wurzen

Bereits zwei Monate nach dem Gipfel zeigte sich deutlich, dass die Ereignisse in Hamburg in Teilen des Polizeiapparates als Türöffner verstanden werden, den temporären Ausnahmezustand in eine Kontinuität zu überführen. Bei einer antifaschistischen Demonstration in Wurzen bei Leipzig kam es erneut zum Einsatz des SEK. Weil die Demo von Andreas Blechschmidt, einem Mitorganisator der „Welcome to Hell“-De­monstration während des G20-Gipfels, angemeldet worden war, gerieten Teile der Wurzener Bevölkerung in Panik. Sie befürchteten, Auseinandersetzungen zwischen Rechten und Linken könnten zu Bildern wie in Hamburg führen. Läden wurden verbarrikadiert, AnwohnerInnen brachten ihre Autos in Sicherheit.[4]

Die sächsische Polizeiführung nahm die Hilferufe der besorgten Bür­ge­rInnen zum Anlass, ein Großaufgebot nach Wurzen zu entsenden. Neben mehreren Hundertschaften der Bereitschaftspolizei und fünf Was­­serwerfern präsentierten sich rund 30 SEK-Beamte am Auftaktkund­ge­bungsort. Einer von ihnen trug gar einen Aufnäher mit faschistischer Symbolik auf seiner Uniform[5] – eine Drohung an die angereiste Leipziger An­tifa-Szene, die auch in den Augen des Dienstherren über das Ziel hinaus schoss. Auf Kritik am SEK-Einsatz erklärte ein Polizeisprecher: „Dass das SEK im Einsatz ist, soll keine Provokation sein. Es ist eine Spe­zialeinheit, wie sie bei größeren Demos immer im Hintergrund im Einsatz sind – für den Fall, dass es eskaliert. Die Polizei geht von einem fried­lichen Verlauf der Demonstration aus.“[6] Ein untauglicher Beschwichtigungsversuch, denn die sächsische Polizei erklärt damit die Anwesenheit von Polizeikriegern bei größeren Demonstrationen zum Normalfall – unabhängig von Gefahrenprognose und Verlauf der Versammlung.

Eine Kleine Anfrage im Landtag hat mittlerweile ergeben, dass die Präsenz von Spezialeinheiten bei Versammlungen in Sachsen bereits gängige Praxis ist.[7] Seit 2014 war das SEK des Landes in 25 Fällen mit Demonstrationsbezug im Hintergrund aktiv. In sechs Fällen ging es dabei um rechte Demonstrationen mit Gegenveranstaltungen in Leipzig und Dresden. Zweck des Einsatzes: „Intervention im Falle gewalttätiger Auseinandersetzungen“. Ob es sich hier um einen sächsischen Sonderweg handelt, bleibt vorerst ungeklärt.

Versammlungsrecht versus Abschreckung

Die Tendenz, Spezialeinheiten standardmäßig für größere Demonstrationen in Bereitschaft zu versetzen, trifft das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit im Kern. Am Beispiel des SEK-Einsatzes in Wurzen hat sich Johannes Franke auf dem Blog „Junge Wissenschaft im Öffentlichen Recht“ mit den juristischen Implikationen solcher Polizeipräsenz im Rahmen von Versammlungen auseinandergesetzt.[8] Er argumentiert, dass bereits die Anwesenheit eines großen sichtbaren Polizeiaufgebots und erst recht die Präsenz von Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE), von Wasserwerfern und Räumpanzern bei Demonstrationen einen Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit darstellen, weil sie eine abschreckende Wirkung entfalten. Während dieser Eingriff noch durch eine entsprechende Gefahrenprognose zu rechtfertigen und „bei Demonstrationen des politisch extremen Spektrums gängige Praxis“ sei, stelle „die deutlich sichtbare Anwesenheit einer mit Maschinenpistolen ausgerüsteten SEK-Einheit mehr als eine nur graduelle Steigerung der Polizeipräsenz“ dar.

Diese vor allem für die Terrorismusbekämpfung und Geiselbefreiungen ausgerüsteten Einheiten hätten keinen Bezug mehr zu versammlungsspezifischen Gefahrenlagen. Der Einsatz ihrer Schnellfeuerwaffen sei „selbst bei einem unfriedlichen oder aufrührerischen Verlauf“ von Demonstrationen „unvorstellbar“ und rechtswidrig. Als Begründung für die Anwesenheit von SEK-Einheiten am Rande von Versammlungen bliebe dann nur noch die Abschreckung, die damit zu einem nicht zu rechtfertigende Eingriff in das Recht auf Versammlungsfreiheit werde. Die Militarisierung der Polizei sei deshalb ein Irrweg. Das habe auch der Einsatz in Ferguson gezeigt.

Einsatzmittel der SEK – Testfeld unter Geheimhaltung

Die Rolle der Spezialeinheiten als Vorreiter der Aufrüstung der Polizei beschränkt sich nicht auf die in Hamburg und Wurzen zur Schau gestellten Sturmgewehre und Körperschutzausrüstungen nach militärischem Vorbild. Über die genaue Taktik und Ausrüstung der polizeilichen Spezialeinheiten wird von offizieller Seite zumeist geschwiegen. Begründet wird das mit der Gefährdung zukünftiger Einsätze und der dort eingesetzten BeamtInnen. Unter diesem Mantel der Verschwiegenheit werden auch sogenannte „weniger tödliche Waffen“, die sich besonders für das Protest Policing eignen, in den Spezialeinheiten getestet. So nutzte das SEK-Sachsen trotz unklarer Rechtslage in Hamburg Gummigeschosse gegen Personen auf Dächern, bevor die Beamten in die Häuser eindrangen.[9] Die dafür verwendeten Granatpistolen können ebenfalls zum Abschuss von Tränengasgranaten, Blendgranaten und Leuchtmunition verwendet werden. Bereits 2011 kam es bei der Auflösung einer Sitzblockade gegen einen Naziaufmarsch in Dresden zum Einsatz sogenannter Pepperball-Pistolen durch das SEK-Sachsen.[10]

Das SEK-Sachsen zeigt sich zwar als notorisches Testlabor für Waffensysteme zum Einsatz gegen Demonstrationen und Unruhen, Spezialeinheiten anderer Bundesländer stehen aber kaum dahinter zurück. Aktuell findet in Berlin eine äußerst umstrittene Erprobungsphase für Elektroimpulswaffen (Taser) im Streifendienst statt.[11] Auch diese für mehrere Todesfälle bekannte Waffe wurde zuvor in diversen SEK getestet und wird dort weiter eingesetzt.

Während mit dem Argument der Waffengleichheit gegenüber TerroristInnen Waffen und Ausrüstungen der Spezialeinheiten in den Polizeialltag vordringen, scheinen auch die letzten Hemmungen zu fallen, Kriegswaffen in die Hände von Polizeikräften zu legen. So fordert Thomas Strobl, Innenminister von Baden-Württemberg und stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender, die Einführung von Handgranaten für die Spezialeinheiten in seinem Bundesland.[12]

Militarisierung als Konfliktlösungsstrategie?

„Die Ausstattung mit spezifischen Waffen drückt die politische Bereitschaft zum Einsatz dieser Waffen aus. Zudem programmiert die Ausstattung mit spezifischen Waffen die Lösung innergesellschaftlicher Konflikte bis in Alltagssituationen hinein vor. In der Bewaffnung äußern sich Auftrag und Selbstverständnis der Polizei“, argumentierten die CILIP-Gründer schon in den 1980er Jahren.[13] Ausrüstung und offensive Taktiken der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten haben das Protest Policing in Deutschland in den letzten zwanzig Jahren geprägt.[14] Mittlerweile orientiert sich die Ausstattung sämtlicher Bereitschaftspolizeien an diesem Vorbild. Wenn jetzt militärisch bewaffnete SEK in die Einsatzplanung für Demonstrationen und Unruhebekämpfung eindringen, wird ein neuer Standard gesetzt. Dabei werden die Spezialeinheiten bereits jetzt vom BFE+ der Bundespolizei und der BFE Hamburg flankiert, die ebenfalls mit Sturmgewehren zur Terrorbekämpfung ausgestattet wurden.

Selbst wenn sich Stahlhelme und Sturmgewehre im Alltag des Proest Policing nicht als bevorzugte Ausrüstung durchsetzen werden, prägen sie zunehmend das Selbstverständnis der Polizei. In der Pose des Anti-Terror-Kriegers wird der Ausnahmezustand zum Normalzustand. Zunehmend mit autoritären Werkzeugen und Befugnissen ausgestattet, soll die Polizei dort agieren, wo die politische Klasse selbst den Anspruch auf Lösungen gesellschaftlicher Konflikte längst aufgegeben hat.

In dieser Perspektive werden Demonstrationen zu Störungen und politische Unruhen zum Bürgerkrieg, wie die Gipfeltage in Hamburg eindrücklich bewiesen haben. Mit der Drohung der Sturmgewehre gegen „Unruhestifter“ und der Aussetzung elementarer Grundrechte stellt der Staat die Demokratie zugunsten autoritärer Vorgehensweisen in Frage. Die Black-Lifes-Matter-Bewegung in den USA, eine gesellschaftliche Reaktion auf Rassismus und militarisierte Polizeigewalt, antwortet darauf mit der Forderung die Polizei als antidemokratisches Element abzuschaffen. Ihr Gegenvorschlag ist eine community-basierte Konfliktlösung und eine radikale Demokratisierung der Gesellschaft.

[1]   Deutsche Welle v. 16.8.2014
[2]   SWR-aktuell Rheinland-Pfalz v. 4.7.2017
[3]   Bürgerschaft Hamburg Drs. 21/9844 v. 25.7.17, S. 4
[4]   MDR-Sachsen v. 31.8.2017
[5]   Spiegel-online v. 7.9.2017
[6]   MDR-Sachsen v. 4.9.2017
[7]   Sächsisches Staatsministerium des Innern: Antwort v. 9.10.2017 auf die Kleine Anfrage des Abg. Valentin Lippmann, LT-Drs. 6/10668 v. 8.9.2017
[8]   Franke, J.: Grenzen der Abschreckung. Versammlungsfreiheit und polizeiliche Aufrüstung, www.juwiss.de/101-2017/ v. 12.9.2017
[9]   https://www.cilip.de/2017/08/24/gummigeschosse-beim-g20-gipfel-stammten-vom-sek-sachsen/
[10]  Sächsische Zeitung (SZ-online) v. 10.2.2010
[11]  Tagesspiegel.de v. 16.2.2017
[12]  Rhein-Neckar-Zeitung v. 10.5.2017
[13]  Busch, H. u.a.: Die Polizei in der Bundesrepublik, Frankfurt/M; New York 1988, S. 181f.
[14]  Eine kleine Demo-Geschichte, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 100 (3/2011), S. 48-62

Beitragsbild: SEK beim Gipfelprotest im Juli 2017 in Hamburg (Matthias Monroy)

2 Gedanken zu „Militarisierung des Protest Policing:  Polizeikrieger als autoritäre Konfliktlösung“

  1. Diese Thema erfordert eine Tagung, auch um europäische und globale Strategien aufzuarbeiten und Bürgerrechtspolitiken gegen diese Militarisierung zu entwickeln. Die grassierende kapitalistische Krise wird weitere Eskalationen provozieren.
    Dipl.Krim. W. Ehrhardt

  2. Eine weitere Aufrüstung und Verschärfung des Konflikts wäre eine Katastrophe. Weder Terror noch Extremismus lässt sich durch Gewalt beenden. Vielmehr schafft Gewalt noch mehr Gewalt. Deeskalation und Dialog müssen angestrebt werden. Sonst profitieren nur die Extremisten. Egal unter welchem Banner.

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