Kapitalismus war lange Zeit out. Seit Finanzkrise und Pandemie widmen sich soziale Bewegungen mit unterschiedlichen Verhältnissen zum repressiven Staatsapparat sowie die Kritische Kriminologie, in der abolitionistische Traditionen aufleben, verstärkt der kapitalistischen Vergesellschaftung. Der Beitrag umreißt, welche Fragen gestellt und künftig bearbeitet werden sollten.
Kontrolle im Kapitalismus zu betrachten, ist seit jeher das Metier der marxistisch inspirierten Kritischen Kriminologie. Schon die sogenannten „Neuen Sozialen Bewegungen“ und parallele Theorieentwicklungen seit den späten 1960er Jahren rückten bekanntermaßen Herrschaftsverhältnisse jenseits des Widerspruchs von Kapital und Arbeit verstärkt in den Blick. In Fortentwicklung und zugleich Kritik der Kritischen Kriminologie entstand etwa eine feministische Kriminologie, die Themen wie Abtreibung, Sexarbeit oder Vergewaltigung in den Blick nahm. Seit den 1990er Jahren sorgte die Verbreitung poststrukturalistischer Ansätze in der Wissenschaft und den sozialen Bewegungen für einen Perspektivwechsel. Kriminolog*innen und Aktivist*innen problematisierten nicht mehr „nur“ materielle Gegebenheiten wie die kapitalismusstabilisierende Wirkung des Strafjustizsystems, die ideologischen Hintergründe und materiellen Effekte einer geschlechtsblinden Klassenjustiz oder die „Definitionsmacht“[1] einer Polizei, die als strukturkonservative Institution oft auf der Basis traditioneller Vorstellungen von z. B. Frauen oder Migrant*innen agiert. Vielmehr wurden die Kategorien selbst grundlegend hinterfragt und das Verständnis von Macht erweitert. Bereits in den 1960er und 70er Jahren hatte der „labeling approach“[2] in der Kriminologie deutlich gemacht, dass Kriminalität schlicht das ist, was die Gesellschaft als solche versteht. Nun setzte sich die Erkenntnis durch, dass auch „Frau“ oder „Schwarzer“ keine natürlichen Tatsachen sind, sondern gesellschaftlich hervorgebracht werden – wobei die Subjekte nicht nur durch staatliche Ver- und Gebote sowie Ideologie reguliert werden, sondern durch die machtvollen Anrufungen auch hervorgebracht und tagtäglich in die Machtverhältnisse verwickelt sind, wie es Foucault und Autor*innen der Gouvernementalitätsstudien betonten.[3]Kontrolle im Kapitalismus: Eine intersektionale Perspektive weiterlesen →
Der verbrecherische Angriff der Hamas auf Israel hat auch in Deutschland zu heftigen Reaktionen geführt. Die Politik hat die Unterstützung Israels zur Staatsräson erklärt. Dennoch wird auch für die Unterstützung der Palästinenser*innen demonstriert. Versammlungsbehörden und Polizei schritten hiergegen im Oktober 2023 in breitem Umfang ein. Totalverbote von Versammlungen waren in Berlin-Neukölln, wo viele Menschen mit palästinensischem oder arabischem Hintergrund leben, über viele Tage die Regel. Dies wird nachfolgend aus ethnographischer und rechtlicher Sicht näher betrachtet. Ist dieses staatliche Vorgehen mit der Versammlungsfreiheit vereinbar, und war die überzogene und rechtlich fragwürdige staatliche Reaktion nicht gerade Anlass für zum Teil gewalttätige Auseinandersetzungen?
Seit dem schrecklichen Überfall der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 gehen die Wogen international wie auch in Deutschland zu dem Thema hoch. Jüdinnen und Juden in Deutschland äußern ihre nur zu berechtigte Besorgnis und Angst vor Übergriffen auch in Deutschland. Dass sie diese Sorge haben müssen, ist bedenklich und real, nicht erst seit dem 7. Oktober. Eine palästinensische Sicht jenseits der Berichte über die Hamas ist hingegen kaum wahrnehmbar oder gar auf der Straße sichtbar zu machen, ohne in Konflikte mit dem deutschen Staat zu geraten. Pro-Palästina Demos nicht erlaubt? Ethnographische und rechtliche Anmerkungen weiterlesen →
Das Grundrechtekomitee hat schon kurz nach seiner Gründung das Instrument der Demonstrationsbeobachtung zum Schutz des fundamentalen Grundrechts auf Versammlungsfreiheit etabliert. Eine genaue Beobachtung der vielfältigen Ereignisse ist die Grundlage für deren Einordnung in die politische Vorgeschichte und die Bewertung, basierend auf einem prinzipiellen Grundrechts- und Demokratieverständnis. Nach über 40 Jahren stellen wir die Erfahrungen auf den Prüfstand und kommen zu dem Ergebnis, dass es als radikal-demokratisches Werkzeug zur Verteidigung der Versammlungsfreiheit weiterhin notwendig bleibt.
Öffentliche Versammlungen sind sowohl Ausdruck als auch unmittelbarstes Werkzeug gelebter Demokratie. Das Grund- und Menschenrecht, demonstrieren zu können, gehört zu den wenigen im Grundgesetz garantierten Möglichkeiten, sich unmittelbar direkt öffentlich zu äußern. Die Demonstrierenden bestimmen selbst, wie sie thematisch und formal die Öffentlichkeit erreichen wollen. Dieses Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Grundgesetz) zu schützen und unverkürzt zu bewahren, ist ein wesentliches Ziel der Demonstrationsbeobachtungen, die das Komitee für Grundrechte und Demokratie seit 1981 organisiert. Ihre Wirkungsweise wollen wir mit diesem Artikel reflektieren. 40 Jahre Demobeobachtung: Bestandsaufnahme einer radikal-demokratischen Praxis weiterlesen →
Seit 150 Jahren setzt die kanadische Bundespolizei Interessen der privaten Industrieunternehmen gegen den Widerstand der Bevölkerung durch. In der vergangenen Dekade wurden insbesondere Demonstrationen von Umweltschutzgruppen und First Nations Ziel bedenklicher Dauerüberwachung. Der Beitrag analysiert neue Observationsmethoden wie die Einrichtung von Zentren für die Kooperation von staatlichen Behörden und Privatunternehmen, gegen die sich Betroffene kaum wehren können.
Zur Geschichte Kanadas gehört maßgeblich die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen gegen den Widerstand der indigenen Bevölkerung. Für diese haben ambitionierte Siedler*innenprojekte zum Ressourcenabbau stets gravierende Folgen für die Sicherung der eigenen Überlebensgrundlage. Indigene Proteste werden in der Regel als gewalttätig dargestellt und traditionell mit dem primären Mechanismus der Kolonialmacht beantwortet – der Polizei. Entsprechend rabiat wurden bereits frühere Proteste gegen Raubbau poliziert. Die Namen Kanehsatà:ke (Oka), Ts’Peten (Gustafsen-See), Aazhoodena (Ipperwash/Stoney Point) oder auch Kanonhstaton (Kaledonien) bleiben als Beispiele im kollektiven Gedächtnis. Das Polizieren indigener Proteste: Besondere Repression gegen besondere Rechte weiterlesen →
Nach auch für französische Verhältnisse übermäßiger Polizeigewalt droht Gérald Darmanin der Menschenrechtsliga mit Entzug der Finanzierung. Die Organisation hatte das brutale Vorgehen gegen Proteste am „Megabassin“ kritisiert.
Ein aktueller Trend stadtpolitischer Debatten ist die „Smart City“, in der eine umfassende Sensorik für effektive Steuerung von Verkehr und Ressourcen sorgen soll. Vermehrt tauchen in diesem Zusammenhang auch Ideen auf, wie die „smart city“ zugleich auch eine „secure city“ sein kann. Vernetzte Videoüberwachung und predictive policing sind hierfür zwei Schlagworte, die zugleich alte Visionen von Überwachung und Kontrolle wiederbeleben.
Was steckt hinter dem Modebegriff „Smart City“? Die deutschsprachige Wikipedia scheitert wortreich am Versuch einer Definition: „Effizienz“, „Nachhaltigkeit“, „Konzepte des Teilens“ gehören ebenso dazu wie „Bürgerbeteiligung bei Großbauprojekten“: Es sind allgemeine Ziele ohne Bezug zur Digitalisierung, die ebenso gut aus einer Stadtmarketing-Broschüre stammen könnten.
Wesentlich interessanter ist dieser Satz: „Die gesamte städtische Umgebung ist dabei mit Sensoren versehen, die sämtliche erfassten Daten in der Cloud verfügbar machen. So entsteht eine permanente Interaktion zwischen Stadtbewohnern und der sie umgebenden Technologie. Die Stadtbewohner werden so Teil der technischen Infrastruktur einer Stadt.“[1] Der missglückte Definitionsversuch zeigt einerseits, dass man unter diesem „Sammelbegriff für gesamtheitliche Entwicklungskonzepte“ alles und nichts verstehen kann. Andererseits legt der letzte Satz nahe, dass die „Smart City“ doch eine konkrete Eigenschaft hat – eine gefährliche, übergriffige Seite. Die „Smart City“ ist eine mikro-gemanagte Stadt mit dem Anspruch, in Echtzeit alles über uns zu wissen und uns (teil-)automatischen Regelkreisen zu unterwerfen. Nicht wirklich „smart“: Die Stadt als Daten-Ölfeld weiterlesen →
Bernard E. Harcourt erklärt im Interview den Zusammenhang zwischen der „expositorischen Gesellschaft“, in der die Menschen sich der Preisgabe persönlicher Informationen im Internet kaum noch entziehen können, moderner Aufstandsbekämpfung und der Militarisierung der US-Polizei.
Bernard Harcourt (geb. 1963) ist Juraprofessor und Direktor des Columbia Center for Contemporary Critical Thought an der Columbia Law School in New York City. Zuvor war er Professor für Politikwissenschaft an der Universität Chicago. Außerdem vertritt er als Menschenrechtsanwalt Mandanten in Alabama und vor dem Obersten Gericht der USA, die zum Tod oder zu lebenslangen Haftstrafen ohne Bewährung verurteilt wurden. Protest erscheint als Aufstand, der mit aller Macht unterdrückt werden muss weiterlesen →
Die EinwohnerInnen von Davos müssen sich nicht nur auf die BesucherInnen des World Economic Forum WEF gefasst machen, sondern auch auf die Präsenz Tausender bewaffneter Sicherheitskräfte.
Vom 23.-26. Januar 2018 findet die Jahrestagung des WEF in Davos statt. Bereits in der zweiten Januarwoche hat die Armee mit der Vorbereitung ihres Einsatzes begonnen. 341 Soldaten seien schon da, meldete das Verteidigungsministerium (VBS) am 12. Januar. Maximal 5000 können für den Dienst beim WEF aufgeboten werden, hatte das Parlament 2015 entschieden. Die Luftwaffe wird den Himmel über Davos überwachen – und weil die Grenze so nahe ist, wird sie das in Zusammenarbeit mit ihrem österreichischen Pendant tun. Am Boden werden Milizsoldaten für Sanitätsdienst, Objektschutz und Verkehrsregelung eingesetzt, Berufssoldaten für Personenschutz und Zutrittskontrollen. Die Truppe ist bewaffnet und verfügt über Polizeibefugnisse. Die Soldaten können also Personen anhalten, durchsuchen, festnehmen und dabei gegebenenfalls auch Zwang anwenden. Vor dem Weltwirtschaftsforum: Ausnahmezustand am Zauberberg weiterlesen →
Die paramilitärische Aufrüstung der deutschen Polizeien im Namen des Antiterrorismus zeigt Stück für Stück sichtbare Wirkungen im Bereich des Protest Policing. Der „Bürgerkriegseinsatz“ der Spezialkräfte während des G20-Gipfels in Hamburg könnte sich als Wendepunkt entpuppen.
Noch 2014 erschienen die Bilder von militärisch bewaffneten Polizeikräften zur Niederschlagung der Proteste in der US-Kleinstadt Fergusson als erschreckender Anblick, der einer Erklärung bedurfte. Beispielhaft wies die Deutsche Welle damals darauf hin, dass die lokalen Polizeibehörden der USA seit dem Krieg gegen die Drogen in den 1990er Jahren im Rahmen eines Regierungsprogramms mit ausrangierten Waffen und Ausrüstungen des US-Militärs ausgestattet werden.[1] Mit dem Krieg gegen den Terror und der Beendigung des Kriegseinsatzes im Irak wurde das Programm mit dort verwendetem Material aufgestockt. In besagtem Beitrag wurde an kritischen Stimmen – sogar solchen aus den Reihen der US-Regierung – nicht gespart. Eine Bezugnahme zu den hiesigen Verhältnissen fand jedoch nicht statt. Das stellt sich mittlerweile als bedeutende Leerstelle heraus. Militarisierung des Protest Policing: Polizeikrieger als autoritäre Konfliktlösung weiterlesen →
Eine EU-„Extremistendatei“ müsse her – das war eine der Forderungen, mit der die etablierte Politik auf die Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg reagierte. Seit dem EU-Gipfel von Göteborg im Juni 2001 und dem der G8 in Genua einen Monat später ist die Einrichtung einer solchen Datenbank über „troublemakers“ regelmäßig Gegenstand der einschlägigen EU-Gremien. Die Forderung – vor allem vorgetragen von deutschen Politiker*innen – ist aber ebenso regelmäßig gescheitert – an technischen und an rechtlichen Problemen. Aber auch ohne eine solche europäische Datei tauschen die „Sicherheitsbehörden“ anlässlich von Gipfeltreffen Daten aus – so auch beim Hamburger G20-Treffen. Kommentar: Die Hamburger Datenschlacht weiterlesen →
Seit 1978 Berichte, Analysen, Nachrichten zu den Themen Polizei, Geheimdienste, Politik „Innerer Sicherheit“ und BürgerInnenrechte.