Blaue Gefühlswelten: Emotion und Affekt digitaler Polizeiarbeit

von Ben Hundertmark

In sozialen Netzwerken beteiligen sich Polizeibehörden an der Gefühlsaufladung ihrer Institutionen: Mit humoristischen und personalisierten Kommunikationsangeboten suchen sie den Kontakt zu Bürger*innen. Das Verhältnis zwischen staatlichen Organisationen und der Zivilgesellschaft wird im digitalen Raum neu verhandelt.

Im Januar 2020 pointierte Marcus da Gloria Martins, ehemaliger Pressesprecher der Polizei München, bei der Vortragsreihe TEDx TALKS ein Dilemma polizeilicher Öffentlichkeitsarbeit in sozialen Netzwerken:

„Social Media funktioniert nur mit Emotionen, nur. Ganz im Ernst: Finden Sie uns wahnsinnig emotional? Nein, oder? … Und dann müssen wir Humor? Dann müssen wir Emotionen? Das ist sehr schwierig“[1]

Einerseits sind Polizeibehörden in Deutschland an rechtliche Grundsätze der Neutralität, Sachlichkeit und Richtigkeit gebunden, welche auch im Kontext von Kommunikationsangeboten an Bürger*innen im digitalen Raum gelten. Andererseits wollen sie eben dort Sichtbarkeit, Ansprechbarkeit und Präsenz vermitteln. Dafür müssen sie sich im Wetteifern um Aufmerksamkeit und Reichweite den Kommunikationskulturen und sozioalgorithmischen Funktionslogiken sozialer Netzwerke anpassen, was die kontinuierliche (Re-)Produktion von Emotionen sowie das Hervorrufen affektiver Reaktionen bei adressierten Nutzer*innen erforderlich macht.

Sei es bei einem Imagefilm für die Hamburger Wasserschutzpolizei auf YouTube, der den polizeilichen Alltag der selbsternannten „Baywatcher“ als actionreichen Ritt über die Wellen inszeniert, bei humoristischen Kurzvideos auf einem polizeilichen Account auf TikTok oder bei nahezu intim wirkenden Einblicken in das Privatleben sogenannter Instacops, die ihren Follower*innen auf Instagram virtuelle Urlaubsgrüße senden: Die polizeiliche Öffentlichkeitskommunikation der Gegenwart kommt vielfach im Gewand popkultureller Referenzen und digitaler Medienkulturen daher.[2] Vertreter*innen von Polizeibehörden stellen sich dafür in sozialen Netzwerken als humorvoll, sympathisch, authentisch und menschlich dar. Auf personalisierten Accounts orientieren sich Polizist*innen mittels vermeintlicher Nähe, Privatheit und Intimität an der (Bild-)Sprache von Influencer*innen und inszenieren sich als vertrauenswürdige Sicherheitsdienstleister*innen, transparente Bürger*innenbeauftragte und nahbare „Menschen hinter der Uniform“.

Affektive Dynamiken digitaler Polizeiarbeit

Digitale Polizeiarbeit in sozialen Netzwerken ist längst humoristisches Meme, geteilte Ästhetik und gemeinsames Lebensgefühl geworden. Als pro-polizeiliche Deutungsangebote konstruieren Polizeibehörden und ihre Vertreter*innen im digitalen Raum nicht nur geschlossene Realitätsentwürfe und unterbreiten Nutzer*innen normative Orientierungsangebote. Über anschlussfähige Narrative, geteilte Ästhetik, kollektivierende Hashtags oder visuelle Referenzen formen sie virtuelle Gefühlsgemeinschaften der Fürsprache für polizeiliche Perspektiven und der Anteilnahme an behördlichen Wirklichkeitsentwürfen. Polizeiliche Kommunikationsangebote evozieren dabei affektive Reaktionen bei Nutzer*innen. Niedliche Tiervideos, humorvolle Bilder oder schockierende „Einblicke“ in den Alltag deutscher Polizeibehörden bieten momentane und flüchtige Impulse, Intensitäten, Unterbrechungen und Zerstreuungen. Hier liegt die Verfänglichkeit polizeilicher Öffentlichkeitskommunikation im digitalen Raum: Ihre Beiträge verfangen bereits vor der Emotion.

Affekt, verstanden als unbewusste Erfahrung von Intensität, ist dem Medienwissenschaftler Eric Shouse zufolge „the body’s way of preparing itself for action in a given circumstance by adding a quantitative dimension of intensity to the quality of an experience. … It is always prior to and/or outside of conscious awareness“.[3] Affektives Erleben ist entsprechend symptomatisch für den Konsum sozialer Netzwerke. Es bindet Nutzer*innen nachhaltig an die jeweiligen Plattformen, da sie mit jeder noch so kleinen virtuellen Interaktion für Konsum und Teilhabe, Aufmerksamkeit und Anteilnahme belohnt werden, wie die Medientheoretikerin Jodi Dean ausformuliert:

„The subject gets stuck doing the same thing over and over again because this doing produces enjoyment. Post. Post. Post. Click. Click. Click. … Social networks … produce and circulate affect as a binding technique. Affect … is what accrues from reflexive communication, from communication for its own sake, from the endless circular movement of commenting, adding notes and links, bringing in new friends and followers … Every little tweet or comment, every forwarded image or petition, accrues a tiny affective nugget, a little surplus enjoyment, a smidgen of attention that attaches to it, making it stand out from the larger flow before it blends back in“[4]

Jene Dynamiken greifen keineswegs ausschließlich bei polizeilichen Beiträgen, sondern funktionieren ebenso bei Katzenvideos oder Fail Compilations, die tagtäglich in unzählbaren Mengen das Internet fluten. Im Kontext rechtlicher Grundsätze der Neutralität, Sachlichkeit und Richtigkeit entfalten sie jedoch für Polizeibehörden eine besondere Brisanz.

Im Folgenden möchte ich zwei polizeiliche Kommunikationsangebote in sozialen Netzwerken – welche ich als blaue Gefühlswelten beschreibe – näher unter die Lupe nehmen. Sie können als exemplarische Einblicke verstanden werden, welche die Bandbreite an Gefühlsangeboten polizeilicher Akteur*innen im Netz ausschnitthaft wiedergeben, zugleich aber die Dynamiken polizeilicher Arbeit im digitalen Raum greifbar machen sollen.

„These are my ladies“ – Die Polizei NRW auf TikTok

Seit April 2020 betreibt die Polizei Nordrhein-Westfalen (NRW) einen institutionellen Account auf TikTok. Dort möchte sie sich potenziellen Bewerber*innen und Interessierten am Polizeiberuf „persönlich und kurzweilig“ präsentieren, dabei aber stets „informativ und relevant“ bleiben sowie einen „nicht immer ganz ernsten Blick hinter die Kulissen“ vermitteln.[5] Das Videoportal TikTok ermöglicht Nutzer*innen die Produktion und Verbreitung kurzer Videoclips, die mit Musik hinterlegt oder um audiovisuelle Effekte ergänzt werden können. Ein erster Blick auf den Account der Polizei NRW verrät, dass die Behörde keineswegs erfolglos auf der Plattform interagiert: Über 440.000 Personen folgen den dort veröffentlichten Beiträgen und bereits 3,9 Millionen Mal haben Nutzer*innen mit einem Like auf Posts reagiert (Stand: Januar 2022).

Offizielle polizeiliche Kommunikationsangebote auf TikTok sind im deutschsprachigen Raum aktuell (noch) rar gesät. Neben der Behörde aus NRW betreibt zurzeit lediglich die Polizei Berlin einen Account, der explizit auf die Anwerbung von Nachwuchs ausgelegt ist. Auf beiden Accounts werden interessierte Nutzer*innen in kurzen Abständen mit humoristischen Videoclips versorgt, welche die Polizeibehörden als attraktiven Arbeitgeber inszenieren sollen. Die gewählten Darstellungsformen orientieren sich vielfach am plattformtypischen Look (und Sound) von Beiträgen nichtpolizeilicher Nutzer*innen: In einem Kurzvideo ist ein uniformierter Polizist zu sehen, welcher auf einem elektrisch betriebenen Longboard in Richtung Sonnenuntergang rollt und sich einhändig mit der Handykamera filmt. Er bewegt seine Lippen zum Text der Hintergrundmusik, einer elektronischen Coverversion von Dreams der britisch-US-amerikanischen Rockband Fleetwood Mac. Der Post gefällt dem digitalen Publikum; immerhin 88.000 Personen hinterlassen ein Like für diesen Beitrag oder kommentieren annähernd begeistert wie eine Nutzerin: „Wie cool ist der denn bitte drauf. He‘s a REAL ONE.“

Die Polizei NRW hat das Potential derartiger Posts in sozialen Netzwerken erkannt: „Content is King“, erklärt die Behörde ihr Vorgehen auf der hauseigenen Website.[6] Auf der Suche nach Aufmerksamkeit und Reichweite passt sich die Polizei NRW den Kommunikationskulturen auf TikTok flexibel an. Behördliche Grundsätze scheinen dabei in den Hintergrund zu geraten oder nicht mit der Schnelllebigkeit sozialer Netzwerke schritthalten zu können. Denn nach Auffassung der Polizei NRW sei „Wandel … in der Kommunikation die einzige Konstante“.[7] Die behördliche Präsenz auf TikTok kann als versuchte Antwort auf jenen Wandel gelesen werden, die sich mit aller Macht in Duktus und Ästhetik der Plattform anzupassen versucht.

Auf TikTok ist es der Polizei NRW möglich, ein junges und medienaffines Publikum zu adressieren, welches über herkömmliche Kanäle polizeilicher Öffentlichkeitskommunikation weniger effektiv und schnell zu erreichen wäre. Dass Nutzer*innen der Plattform in besonderer Weise mit Inhalten zu erreichen sind, die Emotionen mobilisieren und affektive Reaktionen hervorrufen sollen, zeigt sich an einem weiteren Post auf dem Account. Unter dem Titel „cuteness overload“ erscheint ein 22-sekündiges Video, welches mit dem Soundtrack original sound von Justin wyss hinterlegt ist. Eine rauchig klingende Stimme spricht zu relaxtem Technosound:

„These are my ladies. This is Jill. This my lady Amy. Little Suzy. Briana … y‘know why we call her Briana, right? Yeahhh, it‘s a long story. Shaniqua. Helga. Miss Kitty. Jeannie. I dream of … Theresa. This is Theresa right here.“

Die Textpassage ist aus dem Animationsfilm Surf‘s Up entnommen, in welcher der Pinguin Tank Evans voller Stolz seine Sammlung an Surf-Trophäen präsentiert. In der polizeilichen Variation auf TikTok verlassen ein Dutzend Malinois-Welpen in Zeitlupe eine Rampe, erkunden mit zaghaften Schritten weiß gekachelte Flure, auf denen ihre tapsigen Pfoten immer wieder an Halt verlieren. Eine Hand kommt ins Bild, zu der umgehend ein Welpe hochspringt, um sie freudig abzuschlecken. Mit drolliger Verspieltheit entdecken die jungen Hunde das Gebäude. Das Video ist ein Zusammenschnitt aus mehreren Szenen, das ausgewählte Impressionen von den kleinen Vierbeinern zusammenzuführen scheint. Kommentare unter dem Beitrag wie „Oh, jetzt hab ich nen Zuckerschock“, „ich schmelze“ oder „Paradies auf Erden mit diesen Fluffyballs“ zeigen, dass das Video unmittelbar affizierend auf andere Nutzer*innen der Plattform wirkt.

Die Welpen sprechen das Publikum auf TikTok in besonderer Weise an: Sie sind entzückt vom niedlichen Hundenachwuchs, schenken der Polizei einen flüchtigen Moment digitaler Aufmerksamkeit oder bleiben gleich im konstanten Feed an Beiträgen der Behörde hängen. Die Konsument*innen des Beitrags lassen sich als virtuelle Gefühlsgemeinschaft denken, welche ein positives Bild der Institution Polizei vermittelt bekommen soll. Dass sich Hunde (und insbesondere knuffige Welpen) für die Kommunikation in sozialen Netzwerken eignen, haben nicht nur Polizeibehörden erkannt. Längst ist Hunde- bzw. Tier-Content zu einer eigenständigen Vermarktungsstrategie in sozialen Netzwerken avanciert, die Nutzer*innen ansprechen, positive Emotionen mobilisieren und Beziehungen zur beworbenen Marke, Dienstleistung oder Institution herstellen soll.[8] Auf TikTok funktionieren derartige Inhalte besonders gut:

„Emotional experience … aims to capture the user’s attention and induce emotional reactions … The characteristic of TikTok is the short video of music, which combines the strong expression ability of music with the expression of the popular culture potential of short video … TikTok, with the slogan of recording a good life, has been recognized by users for spreading the atmosphere and sharing fun. Young people always have the feeling of being unable to stop browsing. This unconscious emotional experience captures the user’s attention and improves the ability to watch TikTok“.[9]

Angesprochene Nutzer*innen sollen die Polizei NRW nicht nur als humorvolle, tierliebe und sorgetragende Institution in Erinnerung behalten, sondern ihr ganz allgemein positive Eigenschaften zusprechen. Die intendierte Wirkung derartiger Beiträge geht weit über den flüchtigen Moment des Konsums hinaus. Vielmehr soll die Polizei NRW nachhaltig mit positiven Emotionen verbunden werden und sich in guter Erinnerung in das Weltbild adressierter Nutzer*innen einfügen. Dafür ist die Polizei NRW bereit, rechtliche Grundsätze polizeilicher Öffentlichkeitskommunikation zu umgehen. Denn mit sachlicher Informationsversorgung der Bevölkerung hat dieses Kommunikationsverhalten wenig zu tun. Vielmehr versucht sich die Polizei NRW als Influencerin, indem die Behörde nach allen Regeln der digitalen Kommunikationskunst agiert und dabei ihre rechtsstaatliche Rolle im behördlichen Verwaltungsgefüge missachtet.

„Nicht alltäglich(er)“ Beruf – Digitales Community Policing

Die Personalisierung polizeilicher Öffentlichkeitskommunikation in sozialen Netzwerken sowie die Adaption medialisierter Kommunikationskulturen der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie erfährt mit der Figur sogenannter Instacops ihre Vollendung. Seit 2019 umfasst das Kommunikationsangebot der Polizei Niedersachsen personalisierte Accounts von Polizist*innen auf Instagram, welche unter dem Hashtag #instacops mit Bürger*innen in virtuellen Kontakt treten und „digital auf Streife“ gehen sollen.[10] „Offenheit, Sensibilität und Vertrauen“ stehen dabei im Mittelpunkt des sogenannten Digitalen Community Policings (DCP), in dessen Rahmen Beamt*innen im digitalen Raum Präsenz zeigen und ihre jeweiligen Polizeibehörden visuell ansprechend repräsentieren sollen.[11] Bei der Umsetzung des DCP‘s orientiert sich die Polizei Niedersachsen am plattformtypischen Kommunikationsstil des Influencer*innen-Marketings und ersucht mittels persönlich und privat anmutender (Bild)Sprache das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei zu stärken.[12]

Dabei kommunizieren die Instacops ungewohnt emotional und intim mit Bürger*innen: Sie teilen Details aus ihrem Privatleben, zeigen sich abseits der Uniform oder berichten über berufliche Belastungen, Zweifel und Vulnerabilität. Auch wenn positive Darstellungsformen des polizeilichen Alltags auf den Accounts überwiegen – Hundewelpen, lässig dreinblickende Polizist*innen und humoristisch intendierte Beiträge sind auch dort in überwiegender Mehrheit zu finden –, möchte ich im Folgenden Kontraste zum zuvor gezeigten aufspannen. Mich interessieren dabei insbesondere die Wirkungsweisen und Funktionen von polizeilichen Selbstrepräsentationen, die Betroffenheit, Mitgefühl oder Bestürzung evozieren und damit Nutzer*innen in besonderer Weise zum Mitfühlen polizeilicher Perspektiven einladen.

Ein Blick auf den Instagram-Account von Polizeioberkommissar und Instacop Marius Beernink aus Hannover vermittelt das Bild von einem freundlichen, kompetenten und kollegialen Polizisten, der interessierte Nutzer*innen einlädt, „gemeinsam“ mit ihm auf Streife zu fahren, „besondere“ Einsätze im Fußballstadion oder bei der Hubschrauberstaffel zu erleben und ihm in den Sommerurlaub zu „folgen“. Der junge Beamte gibt sich dabei nicht nur tierlieb und kinderfreundlich, sondern teilt bereitwillig seine Begeisterung für Sport und Reisen. Nutzer*innen sollen ihm bei seinem persönlichen Werdegang innerhalb der Polizei Niedersachsen begleiten, Einblicke in seine beruflichen Stationen als angehender Kommissar erhalten und in regelmäßigen Abständen mit den neusten Highlights aus seinem polizeilichen Arbeitsalltag versorgt werden.

Ein Beitrag des niedersächsischen Instacop scheint nicht in die schier endlose Reihe positiver Eindrücke aus dem Leben des Polizisten zu passen. Am 2. Februar 2020 postet Marius Beernink ein Bild, das ihn auf Gehhilfen lehnend in privater Kleidung auf einem Gehsteig zeigt. Sein Lächeln wirkt leicht erzwungen, eine gewisse Niedergeschlagenheit steht ihm ins Gesicht geschrieben. Der Text neben dem Bild verrät den Grund dafür: Bei einer körperlichen Situation habe er sich das Kreuzband gerissen, weshalb er bis auf Weiteres keinen Streifenwagen mehr fahren könne. Im Kontext der personalisierten Selbstdarstellung auf dem Account soll der Post Mitgefühl und Betroffenheit für den verletzen Polizisten evozieren. Denn für Konsument*innen seiner Beiträge, die dem Account unter Umständen bereits über einen längeren Zeitraum folgen, soll Marius Beernink nicht irgendein Polizist sein: Nutzer*innen sollen das Gefühl bekommen, die Person Marius Beernink zu kennen, ihr nahe zu kommen und Einblicke in sein Leben zu erhalten. Sie sollen an seinem persönlichen Schicksal teilhaben und mitfühlen. Die Verletzung des jungen Polizisten lädt Nutzer*innen dazu ein, mit Sorge, Wut oder Bestürzung auf die Neuigkeit von „ihrem“ Instacop zu reagieren und sich darüber hinaus über das körperliche Wohl und die Sicherheit von Polizist*innen im Rahmen ihrer Berufsausübung Gedanken zu machen. Denn Beernink beschreibt das Risiko von Verletzungen als Teil seines Berufs: „Zu einem Beruf, der gerne als ‚nicht alltäglich‘ beschrieben wird, gehören eben auch nicht alltägliche Dinge wie das Anwenden körperlicher Gewalt oder Festnahmen flüchtender Personen“.

Als personalisierte Erzählung polizeilicher Vulnerabilität hebt der Post die Menschlichkeit von Polizist*innen hervor: Nutzer*innen sollen den „Menschen hinter der Uniform“ erkennen, der – wie andere Menschen eben auch – verletzbar ist und Gefühle hat. Der Hashtag #sicherfuerdich unter dem Beitrag festigt populäre, gewerkschaftsnahe Erzählungen von Polizist*innen, die täglich ihre Knochen für das Wohl Anderer hinhalten würden. Die Emojis in schwarz-blau-schwarzer Farbgebung spinnen jene Lesart weiter: Sie können als subtiler Anschluss an das polizeiliche Narrativ der Thin Blue Line gedeutet werden, welches die Polizei als einzige Hüterin der Gesellschaft vor Anomie und Chaos stilisiert.[13]

Die polizeilichen Gefühlswelten der niedersächsischen Instacops entfalten sich über mehrere Beiträge hinweg: In ihrer Gesamtheit sollen sie ein bestimmtes Bild von einer oder einem individuellen Polizist*in vermitteln, welche(r) repräsentativ für die Institution Polizei stehen soll. Die unterschiedlichen Accounts der Instacops bieten Nutzer*innen in Ästhetik, (Bild)Sprache und Selbstrepräsentation der Polizist*innen verschiedene Gefühlswelten an, welche die Vielfältigkeit an Menschen in der Polizei aufzeigen sollen. Die Polizei Niedersachsen intendiert ein vielschichtiges Image ihrer Institution auf Instagram zu konstruieren, welches für möglichst viele Nutzer*innen der Plattform anschlussfähig gestaltet sein soll. Ohne die Mobilisierung von Emotionen würde dieses personalisierte Kommunikationsangebot der Behörde nicht funktionieren, denn nur so bleiben Nutzer*innen dauerhaft an „ihren“ Instacops interessiert und konsumieren in regelmäßigen Abständen propolizeiliche Wirklichkeitsentwürfe und Narrative, welche das Weltbild der adressierten Nutzer*innen nachhaltig prägen sollen.

Resümee

Das Kommunikationsverhalten von Polizeibehörden in sozialen Netzwerken wirft Fragen hinsichtlich der Legitimität und Angemessenheit behördlicher Öffentlichkeitsarbeit im digitalen Raum auf. Die Landespolizeien NRW und Niedersachsen beteiligen sich auf TikTok und Instagram aktiv an der Gefühlsaufladung ihrer Institutionen, sie evozieren vielfältige Emotionen bei adressierten Nutzer*innen und machen sich im digitalen Kampf um Aufmerksamkeit, Likes und Reichweite affektive Dynamiken zunutze.

Anders als Privatpersonen handeln Polizeibehörden nicht auf der Grundlage von Freiheiten, sondern auf der Grundlage von Kompetenzen. Sie haben kein Recht auf freie Meinungsäußerung. Im Gegenteil: Ihr Handlungsrahmen wird durch gesetzliche Kompetenzzuweisungen überhaupt erst konstruiert. Außerhalb ihrer gesetzlichen Aufgabenzuweisungen, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, fehlt Polizeibehörden die gesetzliche Kompetenz Bürger*innen beliebige Kommunikationsangebote zu unterbreiten. Skatende Polizisten in Uniform, niedliche Hundewelpen oder vermeintlich authentische „Einblicke“ in den polizeilichen Alltag gehören nicht dazu. Vielmehr muss sich das Kommunikationsverhalten von Polizeibehörden zu jeder Zeit an rechtsstaatlichen Standards und Grundsätzen messen lassen. Dies gilt auch für behördliche (Selbst)Darstellungen in sozialen Netzwerken, wie die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages bereits 2015 ausführten:

„Auch die an die Öffentlichkeit gegebenen (Selbst)Darstellungen der Polizei sind … staatliche Informationen. Die Polizei ist weiterhin als Teil der vollziehenden Gewalt rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichtet; insoweit unterliegt auch sie bei der Verbreitung von Informationen den Geboten der Neutralität, Sachlichkeit und Richtigkeit“[14]

In sozialen Netzwerken wird polizeiliche Öffentlichkeitskommunikation nicht selten zum Selbstzweck: Denn sie wird auch betrieben, um in den digitalen Weiten sozialer Netzwerke Gehör zu finden, um aus flüchtig interessierten Konsument*innen treue Follower*innen zu machen, um situativ zu affizieren oder nachhaltig zu beeinflussen, um nahbar, authentisch oder lustig zu wirken, just for the joke. Das ist weder legitim noch angemessen. Nicht ohne Grund dürfen Polizeibehörden als staatliche Organisationen nicht in Prozesse der öffentlichen Meinungsbildung eingreifen. Influencer*innen in Uniform erschweren vielmehr die freie Willensbildung im digitalen Raum. Solange Bürger*innen als Konsument*innen polizeilicher Propaganda in sozialen Netzwerken adressiert werden, überschreiten Polizeibehörden ihre gesetzlichen Kompetenzen. Demokratischen Ansprüchen einer digitalen Zivilgesellschaft werden sie mit „copaganda“ nicht gerecht.[15]

[1]   da Gloria Martins, M.: How the police uses social media to keep us safe, YouTube @TEDx Talks v. 21.1.2020
[2]   s. dazu Lee, M.; McGovern, A.: Image Work(s): The New Police (Popularity) Culture, in: Carrington, K.; Ball, M.; O’Brien, E.; Tauri, J. M. (Hg.): Crime, Justice and Social Democracy, London 2013, S. 120-132
[3]   Shouse, E.: Feeling, Emotion, Affect, in: M/C Journal 2005, H. 8, S. 1-3
[4]   Dean, J.: Affective Networks, in: MediaTropes 2010, H. 2, S. 19-44 (21)
[5]    Polizei NRW: Die Polizei NRW auf TikTok, www.polizei.nrw.de v. 29.9.2021
[6]   Polizei NRW: Polizei zeigt Bürgernähe in Sozialen Medien, www.polizei.nrw.de v. 29.9.2021
[7]    ebd.
[8]    s. dazu Lancendorfer, K.M.; Atkin, J.L.; Reece, B.B.: Animals in Advertising: Love Dogs? Love the Ad!, in: Journal of Business Research 2008, H. 5, S. 384-391
[9]   Yu, J.X.: Research on TikTok APP Based on User-Centric Theory, in: Applied Science and Innovative Research 2019, H. 1, S. 28-36 (32)
[10] Polizei Niedersachsen, Digitales Community Policing. Polizistinnen und Polizisten in den sozialen Netzwerken, www.polizei-nds.de v. 9.6.2021
[11] ebd.
[12] s. dazu Agoropoulos, A.: Hundertmark, B.; Janssen, J.; Louis, L.: #instacops. Strategien und Narrative digitaler Polizeiarbeit am Beispiel des Digitalen Community Policings der Polizei Niedersachsen, in: Arzt, C.; Hirschmann, N.; Hunold, H.; Lüders, S.; Meißelbach, C.; Schöne, M; Sticher, B. (Hg.): Perspektiven der Polizeiforschung. 1. Nachwuchstagung Empirische Polizeiforschung. 4./5. März 2021, Berlin 2021, S. 219-234
[13] s. dazu Wall, T.: The police invention of humanity: Notes on the ‘thin blue line’, in: Crime Media Culture 2020, H. 3, S. 319-336; Forschungsgruppe Instacops in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 127 (Dez. 2021), S. 99-112
[14] Deutscher Bundestag, Wissenschaftlicher Dienst: Öffentlichkeitsarbeit von Polizeibehörden in sozialen Medien, WD 3-3000-157/15, Berlin 2015, www.bundestag.de/resource/blob/405538/c90e0606186c97afa54b9694a865e026/wd-3-157-15-pdf-data.pdf
[15] Shantz, J.: Insurgent criminology in a period of open social war, in: Radical Criminology 2016, H. 6, S. 1-10 (5)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert