Tödlicher Schußwaffeneinsatz 1990

von Otto Diederichs

Im letzten Jahr kamen in Gesamt-Deutschland mindestens 13 Menschen als Folge polizeilichen Schußwaffeneinsatzes ums Leben, darunter ein polizeilicher Untergrundfahnder, der bei einem inszenierten Fluchtversuch von einem nicht eingeweihten Kollegen erschossen wurde.

Zu den üblichen Problemen bei der genauen Zählung tödlich verlaufender Polizeischüsse (siehe CILIP 31 und 35) kam diesmal infolge der Vereinigung ein weiteres hinzu: Tagesgeschehen orientiert sich selten am politischen Terminkalender. Ab welchem Zeitpunkt sollten nun den Todesschüssen der alten Bundesrepublik jene der fünf neuen Ländern hinzugezählt werden? Wir haben uns entschlossen, sämtliche Fälle des Jahres 1990 unabhängig vom offiziellen Vereinigungsdatum in die Statistik aufzunehmen, sie jedoch gesondert auszuweisen.

Nach eigener Presseauswertung starben im vergangenen Jahr 13 Menschen infolge eines polizeilichen Schußwaffeneinsatzes; davon drei in der ehemaligen DDR. Nicht bewahrheitet hat sich eine Pressemeldung vom Mai 1990. Auf Rückfrage war zu hören, die getötete Autoräuberin sei nicht, wie zunächst vermutet, durch Schüsse ums Leben gekommen, sondern an ihrem schweren Autounfall gestorben.

Ebenfalls nicht in die Statistik aufgenommen wurden drei Fälle, in denen Menschen bei privaten Auseinandersetzungen durch eine Polizeiwaffe ums Leben kamen. Ein Abgleich der von CILIP ermittelten Zahlen mit der offiziellen IMK-Statistik konnte nicht stattfinden, da dort die Meldezeit noch nicht abgelaufen ist und die Polizeiführungsakademie als zuständige Stelle ihre Zählung nicht abgeschlossen hat. Gemessen an der Gesamtzahl der getragenen Dienstwaffen sei die Zahl tödlicher Schüsse allerdings verschwindend gering, so die dortige Auskunft.

Besonderer Erwähnung bedürfen die Schüsse, die in Leipzig abgegeben wurden. Innerhalb von zwei Monaten kam es dort in zwei Fällen zum Schußwaffengebrauch gegen sog. Hooligans. Bei den Vorfällen vom November, bei denen der 18jährige Mike Polley erschossen wurde, waren insgesamt 57 Schüsse auf eine – nach Polizeiangaben – rund 500köpfige Menschenmenge abgegeben worden. Da er sich und seine Beamten in einer Notwehrsituation wähnte, hatte der Einsatzleiter den „Schießbefehl“ erteilt.