Staatsschutz – Plädoyer für die Auflösung der Staatsschutzabteilungen bei Polizei und Staatsanwaltschaft

Von Thilo Weichert

Vor gut einem Jahr – also vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik – forderte Bundeskanzler Kohl die Auflösung des DDR-Staatssicherheitsdienstes; in seinem 10-Punkte-Programm zur DDR gar die Abschaffung des politischen Strafrechts insgesamt. Nur auf die Länder des ehemaligen Ostblocks zu starren, dazu besteht allerdings kein Grund. Daß die politische Überwachung, Bespitzelung und Gesinnungsverfolgung nicht ausschließlich ein Problem stalinistischer Staaten ist, demonstriert nicht nur die Geschichte der Bundesrepublik, sondern zeigt sich auch bei einer Vielzahl neuerer Nachrichten aus der bisher als liberal gepriesenen Schweiz und aus Österreich. Es ist höchste Zeit, sich auch in der Bundesrepublik dieser Altlasten obrigkeitsstaatlichen Denkens und des „Kalten Krieges“ zu entledigen.

Der Stand der wissenschaftlichen Debatte

Sucht man in der Literatur Material über den polizeilichen oder gar über den staatsanwaltlichen Staatsschutz, so stößt man auf Fehlanzeigen. Zwar gibt es einige instruktive Darstellungen über Entstehung und Entwicklung der politischen Kriminalpolizei1, über die Arbeit des bundesdeutschen polizeilichen Staatsschutzes findet man jedoch wenig. Ausführlich thematisiert wird das materielle Staatsschutz-Strafrecht und die darauf basierende politische Justiz.2 Dies gilt aber nicht für die staatsschützerischen Strategien zur Verbrechensbekämpfung. Arbeitsweise und Organisation des polizeilichen Staatsschutzes nach dem 2. Weltkrieg sind wenig erforscht.3 Im politischen Blickfeld steht der beamtete Verfassungsschutz, allenfalls die Kooperation des polizeilichen Staatsschutzes mit diesem.4 Eine gewisse Beachtung fand auch die im Rahmen der sog. Terrorismusbekämpfung ausgebaute Bundesanwaltschaft, welche explizit zum Instrument des Staatsschutzes deklariert wurde.5 Aus dem Auge verloren wird dabei, daß inzwischen die Polizei bei der politischen Vorfeldermittlung parallel und ergänzend im gesamten Tätigkeitsbereich, für den der beamtete Verfassungsschutz originär zuständig wäre, aktiv ist.

Die Entwicklung des Staatsschutzes in der BRD

Das erste Strafrechtsänderungsgesetz vom 30.8.1951 und das „Freiheits-schutzgesetz“ vom 15.7.1951 setzten als Instrumente des „Kalten Krieges“ nicht nur die klassischen Tatbestände des strafrechtlichen Staatsschutzes (Hoch- und Landesverrat) wieder in Kraft, sondern sie enthielten ein aus-differenziertes System von neuen Straftatbeständen weit im Vorfeld konkreter Rechtsgutverletzungen mit dem Ziel des präventiven Staatsschutzes.6 Zugleich wurde beim BMI 1951 die später dem BKA eingegliederte „Sicherungsgruppe Bonn“ gebildet, die die Funktion einer zentralen Sammelstelle für Nachrichten und Unterlagen zur Bekämpfung von Staatsschutzdelikten erfüllte. Staatsschutz in den 50er Jahren bestand vorrangig in der Beobachtung der KPD und deren Umfeld und der Vorbereitung von Strafverfahren gegen (mutmaßliche) Kommunisten.7 Zuständig waren (bzw. sind noch heute) die 14. Kommisariate (K 14).

Staatsschutzabteilungen mit klar umrissenem Aufgabengebiet gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Die organisatorisch eigenständigen „Staatsschutzabteilungen“ bei der Polizei mit dem ausschließlichen Aufgabengebiet der Bearbeitung von Delikten mit „politischem Hintergrund“ wurden in Baden-Württemberg erst Mitte der 70er Jahre gegründet. Auf der Ebene der Regierungspräsidien und Polizeidirektionen wurden sie in den Jahren 1976/77 eingerichtet. In diese Zeit fällt auch der parallel zur Aufrüstung des Verfassungsschutzes stattfindende massive Ausbau des polizeilichen Staatsschutzes. Spätestens seit der Friedensbewegung Anfang der 80er Jahre und der strafrechtlichen Verfolgung dieser Bewegungen ist offensichtlich, daß sich die Aktivitäten der Staatsschutzabteilungen nicht nur gegen gewalttätige Umsturzbestrebungen richten, sondern vorrangig gegen demokratischen Protest, der sich nicht selten später gesellschaftlich durchsetzte oder zumindest etablierte (z.B. NATO-Nach- bzw. -Aufrüstung, Umweltpolitik, Widerstand gegen WAA Wackersdorf etc.).

Seit es eine politische Polizei und ein ihr in die Hand gegebenes politisches Strafrecht gibt, also spätestens seit der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, weisen die als Staatsschutzdelikte eingestuften Sachverhalte eine frappierende Ähnlichkeit auf. Objektiv harmlose Handlungen werden wegen der dahinter stehenden oder vermuteten Motivation, der Gesinnung, verfolgt:

Teilnahme an Demonstrationen, Abhalten von Versammlungen, Verteilen von Flugblättern, Verbreitung von Pressepublikationen, (humanitäre) Unterstützung von politischen Gefangenen, Rezitieren revolutionärer Texte, Mitgliedschaft in linken Organisationen, selbst Kontakte zu oder einzelne Unterstützungshandlungen für diese – all dies war seit dem Preußischen Vereinsedikt von 1793 und den Karlsbader Beschlüssen zur „Demagogenverfolgung“ von 1819 Ansatz für Strafverfolgung und ist es noch heute.8 Es war die Furcht vor einem revolutionären Umsturz, der spätestens zu Beginn des 19. Jahrhunderts zur Einrichtung der politischen Abteilungen bei der Kriminalpolizei führte.

Für die Bundesrepublik entbehrt sie offensichtlich jeglicher Grundlage. Daraus hat die bundesdeutsche Polizei insofern Konsequenzen gezogen, als sie ihre insbesondere beim BGS und der Bereitschaftspolizei auf Bürgerkriege ausgerichtete Bewaffnung seit den 70er Jahren verschrottete, also Granatwerfer gegen Wasserwerfer, Panzerfäuste gegen Schutzschilder, Handgranaten gegen CN-Gasgranaten austauschte. Dies ist allerdings zu sehen auch vor dem Hintergrund der Notstandsgesetze des Jahres 1968, die der Bundeswehr die Befugnis geben, mit ihrem Waffenarsenal bei bewaffneten Aufstandsversuchen im Inneren einzugreifen.

Die politische Straftat

Der Begriff der „politischen Straftat“, so wie er von den Staatsschutzabteilungen angewendet wird, stützt sich zum einen auf ausdrücklich als „politische Straftatbestände“ definierte Paragraphen des StGB (z.B. 129a), zum anderen auf allgemeine Straftatbestände, sofern im konkreten Fall ein politisches Motiv unterstellt wird (z.B. Sachbeschädigung bei poli-tischen Losungen an Häuserwänden). Während Straftaten, an denen Politiker etablierter Parteien beteiligt sind (z.B. Parteienfinanzierungsaffären), nicht als politische Straftaten gewertet werden, wird bei jeder oppositionellen Demonstration ein Staatsschutzzusammenhang behauptet oder vermutet. Selbst das geltungssüchtige Skandieren rechtsradikaler Parolen durch betrunkene jugendliche Fußballrowdies wird als politische Tat angesehen (über 5000 von knapp 30000 APIS-Speicherungen beziehen sich auf das „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“, s.u.), nicht aber die illegalen Atom- oder Waffenlieferungen deutscher Unternehmer an Diktaturen oder in Krisenregionen.

Die politischen Straftatbestände des StGB sind für einen demokratischen Rechtsstaat äußerst fragwürdig, da sie meist nicht an konkreten Rechtsgutverletzungen, sondern weit im Vorfeld, also im Bereich ansonsten legalen Handelns ansetzen (sich organisieren, für politische Überzeugungen werben, diskutieren etc.). Dies gilt für das unbestimmte und deshalb beliebig an-wendbare Organisationsdelikt der „terroristischen Vereinigung“ ( 129a StGB) ebenso wie für eine Vielzahl von politischen Meinungsäußerungsdelikten (z.B. die neu eingeführten Delikte der 88a von 1976, 130a von 1986) oder die neueren Versammlungsdelikte der 23 ff. VersG (1989). Derartige Straf-tatbestände, die von Gefährlichkeitsvermutungen leben, jedoch keine Tathandlungen inkriminieren, sollten gestrichen werden.9

Gleichermaßen unakzeptabel ist die besonders extensive, politisch motivierte Anwendung des allgemeinen Strafrechts auf politische Sachverhalte (z.B. Demonstrationen als Nötigung gem. 240 StGB, Plakatieren als Sachbeschädigung nach 303 StGB).

Um der Praxis der Verfolgung politischer Gesinnung ein Ende zu setzen, reicht es nicht, die ersatzlose Streichung der politischen Straftatbestände und das Zurückdrängen der politischen Anwendung der allgemeinen Tatbestände zu fordern. Parallel dazu bedarf es der Auflösung der diese Delikte definierenden und bearbeitenden Polizei- und Justizdienststellen.

Der privilegierte Staatsschutz

Staatsschutzabteilungen der Polizei sind gegenüber sonstigen Abteilungen außerordentlich privilegiert. Ihre Ausstattung mit Personal und Material ist unverhältnismäßig üppig. So wird von Polizeibeamten immer wieder berichtet, daß es dem Staatsschutz an Ausrüstung, KfZ, Sachausstattung usw. nicht man-gelt, ja daß dieser immer als erster das Beste vom Besten erhält.

CILIP 038 Weichert Tabelle 1 und 2

Da die im Staatshaushaltsplan veranschlagten Mittel pauschaliert und nicht nach Organisationseinheiten getrennt angegeben sind, sind differenzierende Angaben hierzu nicht möglich. In gewissem Maße Aufschluß geben jedoch die für Baden-Württemberg geltenden Angaben zur personellen Ausstattung dieser Abteilungen: Die Tabelle zeigt, daß die polizeiliche Strafverfolgung in Staatsschutzsachen vergleichsweise stark zentralisiert ist (LKA) und daß dort ein relativ höherer Stellenschlüssel besteht. Vergleicht man den Polizeibeamtenanteil im Staatsschutz von 6,1% mit dem Anteil bei der Staats-anwaltschaft (ca. 1%), so erkennt man, daß die Polizei erheblich mehr ermittelt, als später im justitiellen Verfahren verwertet wird. Dies be-stätigt sich, wenn man den Ausgang aller Ermittlungsverfahren mit dem von Staatsschutzverfahren vergleicht. Hier wurden 1988 insgesamt 76,7% der Ermittlungsverfahren eingestellt – überwiegend wegen mangelndem „Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage“ -, während in Baden-Württemberg 1988 insgesamt 70% aller Ermittlungsverfahren nicht zur Klageerhebung führten.10

Struktur der politischen Delikte

Ein solches Ungleichgewicht zwischen eingesetzten Beamten und Ressourcen einerseits und gerichtlich verwertbaren Ermittlungsergebnissen andererseits wäre vertretbar, wenn es sich um besonders schwere Staftaten handelte, die einen hohen Ermittlungsaufwand erfordern (so wie dies z.B. im Bereich der Wirtschaftskriminalität der Fall ist). Eine Analyse der Deliktsarten beim baden-württembergischen Staatsschutz ergibt jedoch, daß das Gros der sog. Staatsschutzdelikte nicht Straftaten des politischen Strafrechts betrifft, sondern sonstige Straftaten, denen politische Motive unterstellt werden, sog. „andere Straftaten mit Staatsschutzbezug“.

Diese baden-württembergischen Zahlen entsprechen in etwa den bundesweiten Verhältnissen. In der Staatsschutzdatei APIS waren am 12.7.1988 von 28.969 Notierungen nur 7.781 (incl. Doppelnotierungen) und damit 26,9 % Katalogtaten des politischen Strafrechts. Den Löwenanteil hiervon machte mit 5.349 Notierungen das Bagatell-Delikt „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ ( 86a StGB) aus.

Eine Analyse der in APIS zu diesem Zeitpunkt notierten „anderen Straftaten“ mit politischem Bezug (vgl. Tab. 4) zeigt, daß auch hier geringfügige Delikttypen wie einfache Sachbeschädigung oder Beleidigung den Hauptanteil ausmachen. Die vom Staatsschutz definierten und bekämpften Delikte rechtfertigen ihrer Struktur und ihrer Schwere nach in keiner Weise die besondere Privilegierung dieses Polizeisektors. Jene „gewisse Spezialisierung“ des Staatsschutzes, von dem die Landesregierung spricht (LT-Drs. 10/2564), liegt offenbar nur in dem besonderen Verfolgungseifer, der die Ermittlungen der Staatsschützer charakterisiert.

Die unverhältnismäßige Ausstattung der Staatsschutzabteilungen hat zur Folge, daß selbst bei Bagatellen, die in einen politischen Zusammenhang gestellt werden, akribisch und unnachsichtig ermittelt wird, unabhängig davon, ob eine Aussicht auf eine strafrechtliche Verurteilung besteht.

CILIP 038 Weichert Tabelle 3

Erfolgt keine gerichtliche Überprüfung, wie bei den meisten der hier ein-geleiteten Ermittlungsverfahren, so bleibt den Ermittlungsbehörden das Monopol zur Definition der politischen Straftat. Die innere Logik dieser Bürokratie führt zu einer extensiven Auslegung des „Politischen“ und der „Straftat“ und zur extensiven Suche nach „Kriminellen“. Während bei der „unpolitischen Kriminalität“ die Initiative zur Verfolgung bei ca. 90 % auf Anzeigen von dritter Seite (Bürger, Firmen etc.) zurückgeht, ist das Verhältnis im Staatsschutz gerade umgekehrt. Die Abteilungen schaffen sich selbst, weitgehend ungetrübt von außerpolizeilicher Realität, ihre Rechtfertigung, indem sie ihren Arbeitsbereich selbst definieren, dort ermitteln, Informationen sammeln und sich der öffentlichen Diskussion und Kontrolle entziehen. Zugleich sind andere Abteilungen, z.B. die zur Bekämpfung von Umwelt- und Wirtschaftskriminalität, personell und materiell total überfordert.

CILIP 38 Weichert Tabelle 4

Wie politisch ist die politische Polizei?

Man könnte meinen, daß die Mitarbeiter der Staatsschutzabteilungen einer besonderen politischen Selektion unterworfen wären. Es besteht das Risiko, daß der fachlichen Qualifikation gegenüber der richtigen politischen Linie weniger Bedeutung beigemessen wird. Tatsächlich läßt sich dies aber nicht feststellen.

Nicht zu leugnen ist aber eine dienststellenspezifische Sozialisation der eingesetzten Beamten. Diese unterliegen bei spektakulären Fällen einem besonderen „Erfolgszwang“ in Hinblick auf bestimmte, politisch erwünschte Ermittlungsergebnisse. Ein kennzeichnendes Merkmal politischer Strafverfolgung ist das hohe Maß an konspirativer Ermittlungstätigkeit, z.B. durch Einsatz von V-Personen. In spektakulären Fällen besteht ein großer, von außen in das Verfahren hineingetragener Ermittlungsdruck, welcher die Beamten zu unzulässigen Methoden verleiten kann, z.B. zur Manipulation von Beweisen oder zur Bereinigung von Akten (z.B. KOMM-Prozeß, Hausbesetzerprozesse, Freiburger Schwarzwaldhofprozeß).

Es läßt sich feststellen, daß als linksextremistisch eingestufte Handlungen tendenziell anders behandelt werden wie strafrechtlich relevanter Rechts-Extremismus. Während bei Gewalttaten mit rechtsextremem Hintergrund organisatorische Zusammenhänge oft geleugnet werden (zu erinnern ist an den Anschlag auf das Oktoberfest in München am 26.9.1980), wird bei Taten im linken Bereich oft krampfhaft ein organisierter Zusammenhang konstruiert. Bei der Ermittlungsintensität bestehen je nach vermuteter Tätergruppe große Unterschiede, die auf eine gewisse Betriebsblindheit gegenüber rechtsextremen Tätern hindeuten.

Die Geheimdienst-Connection

Das Grundgesetz fordert eine strikte Trennung zwischen Polizei und Ge-heimdiensten. Sie wird über die polizeilichen Staatsschutzabteilungen durchbrochen. So nutzt z.B. die BKA-Staatsschutzabteilung den Geheimdienst-Computer NADIS als Aktennachweissystem. Zwischen Verfassungsschutzbehörden und Staatsschutz bestehen engste personelle und informationelle Beziehungen, während sich die Staatsschutzabteilungen gegenüber den sonstigen Abteilungen der Kriminalpolizei abschotten. Eine derartige Verzahnung einer polizeilichen Abteilung mit Geheimdiensten ist jedoch verfassungswidrig.

Zwar trifft es zu, daß Informationen grundsätzlich zwischen allen polizeilichen Dienststellen ausgetauscht werden können, so die Argumentation der Landesregierung (BaWü LT-Drs. 10/ 2564). Die faktische Informationsstruktur des Staatsschutzes gibt diesem aber eine Sonderstellung. Diese ist nicht nur geprägt durch die Informationsbeziehungen zu den Geheimdiensten, sondern auch durch eine Vielzahl spezieller Dateien und Meldedienste, auf die Abteilungen zur Bekämpfung nichtpolitischer Kriminalität keinen Zugang haben (so z.B. APIS, Meldedienst Landfriedensbruch, spezielle Spurendokumentationssysteme zu politischen Großlagen). Die Staatsschutzabteilungen haben eine eigene Aktenhaltung, parallel zur üblichen Kriminalaktenhaltung. Zudem nutzen sie ein ganzes Arsenal verdeckter, geheimdienstlicher Ermittlungsmethoden.

Die Arbeit der Staatschutzabteilungen hat verheerende Folgen für die demo-kratische Auseinandersetzung um politisch umstrittene Projekte und Fragen.

Durch die spezifische Speicherung von Informationen über politische Aktivitäten, die zu Ermittlungsverfahren, regelmäßig aber nicht zu Verurteilungen führen, erfolgt eine Durchleuchtung oppositioneller Bewegungen unter dem Vorwand der Kriminalitätsbekämpfung. Diese auch für die Geheimdienste frei verfügbaren Informationen werden nicht nur für polizeiliche Vorfeldaktivitäten herangezogen, sondern auch bei Bewerbungen für Arbeitsstellen oder bei der Verweigerung von behördlichen Erlaubnissen. Derartige Nachteile ohne verfahrensmäßig abgesicherte Grundlage haben Angst, Einschüchterung und Resignation bei Menschen zur Folge, die sich engagiert und aktiv am politischen Meinungsstreit in kritischer Weise beteiligen wollen.

Perspektiven

Die politische Bedeutung der Staatsschutzabteilungen bei der Polizei und Staatsanwaltschaft fordert künftig eine verstärkte „öffentliche Anteilnahme“. Durch parlamentarische Anfragen, durch das Zusammentragen von Material aus Einzelfällen und durch Informationen von Insidern muß die Informationslage wesentlich verbessert werden. Dabei dürfte sich das für Baden-Württemberg festgestellte Ergebnis erhärten, daß hier mit „Kanonen auf Spatzen geschossen“ wird, genauer, daß es hier nicht um Kriminalitätsbekämpfung geht, sondern um die Ausgrenzung politischer Opposition und unbotmäßiger Gesinnung. Der als politisch motiviert eingestufte Tatverdächtige wird nicht nach seinen Handlungen beurteilt, sondern es ist der diesen Handlungen unterstellte politische Sinn, der Ermittlungseingriffe und gegebenenfalls die Verurteilung begründet.

Der polizeiliche und staatsanwaltliche Staatsschutz ist eine zentrale Institution zur Diskriminierung politischer Gegner. Es gilt, insbesondere dort das politische Strafrecht zu streichen, wo es nicht konkrete Rechtsgutverletzungen, sondern Handlungen weit im Vorfeld der Vorbereitung konkreter Straftaten inkriminiert.12 Gleichermaßen gilt es jedoch, die Auflösung der Staatsschutzabteilungen zu betreiben.

Thilo Weichert ist Rechtsanwalt in Freiburg und Vorstandsmitglied der Deutschen Vereinigung für Datenschutz.
1 Funk, Albrecht: Polizei und Rechtsstaat, Frankfurt/ New York 1986, u.a. S. 241 ff.; Graf, Christoph: Politische Polizei zwischen Demokratie und Diktatur, Berlin 1983; Römelt: Geschichte und heutiger Stand der Staatsschutzpolizei, in: Kriminalistik, 1977, S. 209 ff.
2 z.B. v. Brünneck, Alexander: Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt/M 1979; Cobler, Sebastian: Die Gefahr geht vom Menschen aus, Berlin 1976
3 Ausnahme Eisenberg/ Sander: „Politische Delikte“ in Wandelbarkeit und Wandel,in: JZ 1987, S. 111 ff.
4 Busch u.a.: Die Polizei in der Bundesrepublik, Frankfurt/ New York 1985, S. 106 ff.
5 Martin: in: JZ 1975, S. 314 ff.
6 Vgl. die Dokumentation in Brünneck, a.a.O., Anhang
7 Ritter von Lex in: DÖV 1960, S. 282
8 Siemann, Wolfgang: Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung – Die Anfänge der politischen Polizei 1806 – 1866, Tübingen 1985
9 vgl. zu 129a StGB u.a. bawü LTDrs. 9/386
10 in: JZ 1987, S. 115 ff.
11 vgl. dazu Weichert, Thilo: APIS (I) – Die Arbeitsdatei PIOS Innere Si-cherheit (APIS), in: Computer und Recht, 3/1990; die Zahlen dieser Tabelle sind entnommen dem 11. Tätigkeitsbericht des Bundesdatenschutzbeauftragten (BT Drs. 11/3932), S.63.
12 vgl. Fraktion die Grünen: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des StGB, BT Drs. Nr. 11/7139 vom 15.5.90