Datenchaos aus dem „Wilden Osten“ – zur Überführung der Vopo-Datensammlungen in die geordnete INPOL-Welt

von Lena Schraut

40 Jahre getrennte Entwicklung haben in den beiden Teilen Deutschlands so nachhaltige Spuren hinterlassen, daß – nach der politischen Vereinigung – die direkte Zusammenführung tagtäglich mit erheblichen Schwierigkeiten konfrontiert wird. Wie in zahlreichen anderen Bereichen, so fügt sich auch die Datenverarbeitung made in DDR nicht so recht in die bundesrepublikanische Informations- und Kommunikationstechnologie ein. Dabei ist die technische Inkompatibilität noch das geringste Problem.

In der früheren DDR haben die Ministerien als zentrale Verwaltungsorgane viele Aufgaben wahrgenommen, für die im föderativen Aufbau der Bundesrepublik die einzelnen Länder zuständig sind. Auf diese Weise entstanden in Ostberlin gewaltige Datensammlungen; denn gesammelt wurde nicht nur von STASI und Volkspolizei.

Im Einigungsvertrag zwischen BRD und DDR ist festgelegt, diese Datenbestände – soweit sie für Aufgaben benötigt werden, die laut bundesdeutschem Grundgesetz unter die Länderkompetenz fallen – als gemeinsame Einrichtung der fünf neuen Länder weiterzuführen.

Als Bestandteile der Verwaltungen unterstehen sie somit den jeweiligen Ministerpräsidenten. Für den Datenschutz ist bis zur Wahl eigener Landesdatenschutzbeauftragter formell der Bundesdatenschutzbeauftragte in Bonn zuständig. Die Realität sieht hingegen anders aus. Tatsächlich wurden die Einrichtungen der DDR samt ihrer Datenbestände von den jeweiligen Bundesministerien einfach übernommen. Insbesondere beim Zentralen Einwohnerregister (ZER) in Berlin-Biesdorf ist dies eindeutig verfassungswidrig – das Meldewesen ist Ländersache und fällt nicht in die Kompetenz des Bundesinnenministeriums. Der oberste Datenschützer der Republik – eigentlich gefordert – ist schon in Ermangelung von Ansprechpartnern in den neuen Ländern nicht in der Lage einzugreifen. Mit seiner kleinen Behörde „weit vom Schuß“ weiß er zumeist weder, wer mit welchen Daten arbeitet, noch, wo und wie dies geschieht. Da eigene Datenschützer für die neuen Länder gegenwärtig nirgendwo in Sicht sind, wird sich an dieser Situation vorerst wohl auch grundlegend nichts ändern. Bis auf weiteres findet die Verarbeitung von DDR-Altdaten deshalb weiterhin in der früher üblichen Art und Weise statt: unkontrolliert von Datenschutzbeauftragten und Parlamenten und ohne Wissen der Betroffenen.

Unterschiedliche Datensysteme in einer Verwaltung

Im geeinten Berlin existieren zwei unterschiedliche Informationssysteme in-nerhalb eines Stadtstaates. Um die Verwaltung der Stadt sicherzustellen, ist es zwingend notwendig, die Dateien und Sammlungen schnellstmöglich zusammenzuführen und die vorhandene (West-)Technik dem nun größeren Einzugsgebiet anzupassen. Ungeachtet des insgesamt hohen Standards in der Informationstechnologie stellt dies auch – und vor allem – die Berliner Polizei vor große Probleme. Da das gesamte System nur für den Westteil der Stadt ausgelegt war, kann es nun nicht einfach auf Gesamtberlin erweitert werden, zumal es schon jetzt bis an die Kapazitätsgrenzen ausgelastet ist. Das gilt für das zentrale Großrechnerverfahren „Informationssystem für Verbrechensbekämpfung Berlin (ISVB)“ ebenso wie für das Transdata-Terminalnetz. Über letzteres, bestehend aus 160 Datensichtgeräten und mehreren Verfahrensrechnern, wird der Informationsaustausch zwischen den einzelnen (über die ganze Stadt verstreuten) Dienststellen, dem ISVB und Fremdsystemen, wie INPOL und Melderegister, abgewickelt. Vergleichbare Schwierigkeiten gibt es beim Einsatzleitsystem. In den kommenden Jahren wird daher mit völlig neuen Konzepten im Bereich der Automation bei der Berliner Polizei gerechnet werden müssen.

Bereits vor der offiziellen Vereinigung am 3. Oktober 1990 wurde die Zusammenführung der Verwaltungen (einschließlich der auf Berlin entfallenden Teilbestände der zentralen Datensammlungen) entsprechend vorbereitet. Gleichwohl war die Umsetzung eher chaotisch. Dennoch, soweit sie sich in Ostberlin befinden, haben die Berliner Behörden – verglichen mit anderen Bundes- und Landesbehörden – zumindest eine grobe Übersicht über die vorhandenen Datenbestände. Dies gilt auch für Berlins Datenschützer, der bereits seit Juni 1990 auch für den Ostteil der Stadt zuständig ist. So erklärt es sich, daß sein Bericht für das Jahr 1990 die erste umfassende Bestandsaufnahme der Datenhinterlassenschaft der einstigen DDR enthält.1

Die Personendatenbank der Volkspolizei

Von der Volkspolizei als zentrale Datensammlung der Schutz- und Sicherheitsbehörden betrieben, führte das Rechenzentrum in Berlin-Biesdorf mit der Personendatenbank (PDB) eines der wenigen Großrechnerverfahren der früheren DDR. Angegliedert war dieses Rechenzentrum dem damaligen Zentralen Kriminalamt (ZKA), das wiederum direkt dem Innenministerium unterstand. In der PDB waren die Daten so unterschiedlicher Bereiche wie Strafregister, Sozialversicherung, Rentenzahlungen, Kader- und Personalverwaltung bis hin zur Nationalen Volksarmee etc. zusammengefaßt. Auch das Zentrale Melderegister (ZER) mit den Daten der rd. 16 Mio. DDR-BürgerInnen war Bestandteil der PDB. Verknüpfung und Auswertung ermöglichte die in der DDR obligatorische Personenkennzahl (PKZ) (siehe Artikel zum Meldewesen in diesem Heft). Neben dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und der Volkspolizei hatten zudem weitere Staatsorgane, staatliche Institutionen und gesellschaftliche Einrichtungen Zugriff auf die Bestände der Personendatenbank.
Die Anlieferung der Daten für die PDB erfolgte aus den Bezirken täglich mittels Kurierpost. Die eingehenden Meldungen wurden dem Vernehmen nach in einem riesigen Saal gesammelt und verpackt in Ledertaschen auf ca. 500, den einzelnen Dienststellen zugeordnete Fächer verteilt. Sachbearbeiter gaben die aufbereiteten Daten dann in die Datenbank ein. Auskunftserteilungen geschahen auf dem gleichen Wege.
Nach seiner Überprüfung der Personendatenbank kam der Berliner Datenschutzbeauftragte zu dem Ergebnis, mit dieser Datensammlung sei „der um-fassende Zugriff des Staates – durch die Polizei – auf den Bürger, der in allen Lebenslagen registriert wurde, gesichert“ gewesen.2 Genutzt wurde die PDB denn auch in diesem Sinne, als Überwachungsinstrument gegen die Bürger.

Dialogorientiertes Recherche- und Auskunftssystem (DORA)

Neben der Personendatenbank wird im Biesdorfer Rechenzentrum auch das Dialogorientierte Recherche- und Auskunftssystem über Personen und Sachen (DORA) betrieben. Es enthält die Meldedaten und Informationen (einschließlich Aktennachweis) über Straftaten, Gerichtsentscheidungen und Haftzeiten von ca. 400.000 verurteilten Personen. Bei ca. 200.000 Datensätzen finden sich zudem Angaben über „Fertigkeiten, Spezialkenntnisse, Motivation“ etc. Für Personenbeschreibungen stehen 36 Merkmalsgruppen zur Verfügung, mehr als 120 sind es für die Beschreibung von Vorgehensweisen (modus operandi). Allein von 150.000 Menschen sind in DORA die Fingerabdrücke gespeichert.3

Gegenüber der vorstehend beschriebenen Datenanlieferung an die PDB mutet das Verfahren bei DORA geradezu hochmodern an. Um landesweit eine geregelte Datenerfassung sicherstellen zu können, erhielten alle bezirklichen Vopo-Dienststellen Personalcomputer. Die erstellten Meldungen wurden formularmäßig ausgedruckt und auf dem Postweg, in grünen Heftern zusammengefaßt, an die Zentrale geschickt. Dort wurden sie erfaßt und wöchentlich – auf Disketten übertragen – wieder in die Bezirke zurückgesandt. Damit war sichergestellt, daß alle Dienststellen der Volkspolizei über den einheitlichen zentralen Fahndungsbestand verfügten.

Zusammenführung ost-westlicher Datensammlungen

Mit dem 3. Oktober 1990 ging das Biesdorfer Rechenzentrum in die Verfügungsgewalt des Bundesinnenministeriums über. Das ZKA mutierte zum Gemeinsamen Kriminalamt (GLKA). Um dieser Aufgabe wenigstens ansatzweise gerecht werden zu können, erhält Biesdorf täglich auf Diskette die Fortschreibung des INPOL-Fahndungsbestands. Darüberhinaus nutzt das GLKA weiterhin das DORA-System. An technischer Infrastruktur verfügt es – neben den Biesdorfer Rechnern – heute DDR-weit über ca. 120 PCs.

Es ist vorgesehen, die zentralen Datenbestände bis zum Dezember 1992 wei-terzuführen. Das gilt vor allem für das ZER.4

Wie zu hören ist, hat sich der Leiter des Rechenzentrums unterdessen an die Arbeit gemacht und – ohne genaue Vorgaben des zuständigen Bundesinne-ministeriums – die Teilbereiche der PDB separiert. Die Daten werden nun getrennt aufbewahrt und könnten den zuständigen Behörden übergeben werden. Das Strafregister der DDR-Generalstaatsanwaltschaft wurde bereits vom Bundeszentralregister in Berlin übernommen.5 Auch im ZER sind unterdessen die gröbsten Verstöße gegen das Melderechtsrahmengesetz gelöscht.

Das GLKA hat – mit Hilfe des Bundeskriminalamtes – unterdessen DORA um Speicherungen im Zusammenhang mit Delikten wie Republikflucht und ähnliches bereinigt. Nach Angaben aus Berliner Polizeikreisen enthält DORA heute noch ca. 300.000 seiner einstmals etwa 400.000 Datensätze.

Eine gemeinsame Arbeitsgruppe aus Vertretern der neuen Länder, des BKA und der Berliner Polizei soll nun über diesen DORA-Bestand befinden. Erste Überlegungen sehen vor, daß GLKA und BKA die Datensätze unter den Ländern und dem BKA aufteilen.
Als Grundlage dient der in den Richtlinien zum Kriminalaktennachweis (KAN) festgelegte Katalog der Straftaten mit bundesweiter Bedeutung, die in den beim BKA geführten bundesweiten KAN eingestellt werden.

Bei der Sichtung werden auch die in den Richtlinien zur Führung kriminalpolizeilicher Sammlungen (KpS-Richtlinien) festgelegten Aufbewahrungsfristen (10 Jahre bei Erwachsenen, 5 Jahre bei Jugendlichen und 2 Jahre bei Kindern, ausgehend vom letzten Speicherungsdatum) zugrundegelegt und alle Datensätze gelöscht, deren Aufbewahrungsfrist abgelaufen ist. Ebenso wird bei Straftaten verfahren, die es nach bundesdeutschem Strafrecht nicht gibt. Aus Berliner Sicherheitskreisen ist zu hören, daß voraussichtlich ca. 30.000 dieser Datensätze „KAN-Relevanz“ besitzen und deshalb in den Bestand INPOL-Bund übernommen werden sollen. Die verbleibenden Daten gehen anschließend, entsprechend ihrem Ursprung in die Verantwortung eines der neuen Bundesländer über und werden nach dessen Errichtung (zusammen mit den Akten) dem zuständigen Landeskriminalamt übergeben. Die weitere Nutzung soll dann in Anlehnung an das nachfolgend dargestellte, in Berlin bereits praktizierte Verfahren erfolgen.

Das Berliner Nutzungsverfahren

Die Berliner Polizei hatte bereits am 3. Oktober 1990 Vorkehrungen getroffen, sowohl aus dem GLKA als auch – unter Mitnahme des auf Ostberlin entfallenden Datenbestandes – aus dem Biesdorfer Rechenzentrum auszusteigen. Die Übernahme des Ostberliner Meldedatenbestandes im ZER durch das Landeseinwohneramt soll bis Juli 1991 erfolgen.6
Schon im Sommer 1990 vereinbarte die Polizeibehörde mit dem Bundeskriminalamt und dem Bundesinnenministerium, daß andere Polizeidienststellen ab dem 3. Oktober keinen Rechtsanspruch auf Berliner DORA-Daten mehr erheben sollten. Mit diesem Datum erhielt der Berliner Polizeipräsident dann den vom ZKA bereits selektierten DORA-Bestand auf Disketten. Insgesamt handelte es sich dabei um 44.424 Personendatensätze, die daraufhin zu prüfen waren, ob sie in das ISVB der Berliner Polizei eingestellt werden konnten.
Dazu richtete die Polizei eine Arbeitsgruppe ein, die mit einem automatischen Verfahren die in DORA gespeicherten Daten auf der Grundlage der KpS-Richtlinien und des Strafrechts siebten und entsprechend löschten.
Die Personendaten-Gruppen der übriggebliebenen Datensätze wurden mit dem Hinweis DORA und dem Aktennachweis in das ISVB übernommen, das damit auf ca. 1,80 Mio. Datensätze anwuchs (vorher 1,45 Mio.). 7.523 Personen waren zu diesem Zeitpunkt bereits sowohl im ISVB als auch in DORA registriert.

Fünf von ursprünglich einmal neun Zentralen Auskunftsstellen, die ausgerüstete mit alten Ostberliner Geräten als einzige Zugriff auf den Berliner DORA-Gesamtbestand und die Ostberliner Kriminalakten besitzen, erteilen bei Anfragen dann eine entsprechende Auskunft – oder, so jedenfalls die polizeiliche Darstellung, verweigern diese auch in Fällen, in denen an einer Berechtigung Zweifel bestehen. Durch diese „Filterfunktion“ der Zentralen Auskunftsstellen soll dem Umstand Rechnung getragen werden, daß Straftatbestände westlicher und östlicher Herkunft häufig nicht deckungsgleich sind. Der Grund für ein solches Verfahren ist einleuchtend. Nicht nur rechtlich ist eine Übernahme und Nutzung derartiger Daten äußerst bedenklich; schwerer noch wiegt für die Polizei die Befürchtung, durch eine (weitverbreitete) Nutzung die gleichartigen Grundlagen polizeilicher Datenverarbeitung zu verschieben.

Lokale Informationssammlungen der Volkspolizei

Mit dem 3. Oktober 1990 gingen neben DORA auch ca. 26 Karteien in den Besitz der Berliner Polizei über. Ob damit schon alle aufgefunden und übernommen sind, scheint selbst dem Innensenator zweifelhaft.7 In welchem Mengenverhältnis die Registrierung in Karteien zu der in Dateien steht, läßt sich noch nicht feststellen, weil Zahlenangaben zu den Karteien bislang nicht vorliegen.

Auch diese Sammlungen werden mit Hilfe der bereits erwähnten Rechtsgrundlagen ausgewertet, ggf. vernichtet oder in bestehende Karteien übernommen.
Es ist zu vermuten, daß solche Karteien in ähnlicher Anzahl und Größenordnung nicht nur in Ostberlin, sondern auch in anderen Großstädten der DDR bzw. bei den Bezirksdienststellen der einstigen Volkspolizei existieren und ebenfalls weiter genutzt werden.

Schlußfolgerungen

Der gegenwärtige Zustand, wonach Informationssammlungen weitgehend unbekannter Größe den ohnehin längst überdimensionierten Datensammlungen der Polizei einfach hinzugefügt und für die Nutzung des gesamtdeutschen Sicherheitsapparates aufbereitet werden, darf in dieser Form nicht weitergehen.

Daß an diesem Prozeß Kontrollinstanzen wie Datenschutzbeauftragte und Parlamente nicht beteiligt sind, ist auch unter den besonderen Umständen der deutschen Vereinigung nicht hinnehmbar; ganz zu schweigen von der staatlichen Arroganz, die darin liegt, alte DDR-Bestände einer neuen Nutzung zuzuführen, ohne daß die betroffenen BürgerInnen der ehemaligen DDR jemals erfahren sollen, welche Daten über sie gespeichert sind, ob diese auch weiterhin genutzt werden oder inzwischen längst gelöscht sind.

Damit wird die Mißachtung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung fortgesetzt, die der Berliner Datenschützer Dr. Hans-Jürgen Garstka nicht ganz zu Unrecht für eine wesentliche Triebfeder der BürgerInnen für den Umsturz im Herbst 1989 in der DDR hält. Sie befinden sich so weiterhin in der vertrauten Rolle, Objekte staatlichen Handelns statt Gestalter zu sein.

Lena Schraut ist Datenschutzexpertin der GRÜNEN/AL und war Abgeordnete der Alternativen Liste während der Rot/Grünen Koalition 1989/90
1 Abgeordnetenhausdrucksache 12/76 vom 16.03.91
2 Drucksache 12/76, S. 11
3 Der Spiegel vom 18.02.91
4 Anfrage der GRÜNEN im Bundestag, Nr. 176 und 177 vom 14.11.90
5 Abgeordnetenhausdrucksache 12/76, S. 11/12
6 Anfrage der AL, Nr. 1922 vom 08.11.90
7 Anfrage der AL Nr. 1839 vom 16.10.90