von Olaf Griebenow
Seit den 70er Jahren gab es Versuche, gewaltlosen Protest zu einem unkalkulierbaren finanziellen Risiko zu machen. Dabei lassen sich drei verschiedene Vorgehensweisen unterscheiden: erstens der Versuch, die gesamten Kosten eines Polizeieinsatzes über Schadensersatzforderungen einzelnen TeilnehmerInnen aufzubürden, zweitens Kostenbescheide für die Anwendung unmittelbaren Zwangs sowie drittens das Geltendmachen von Schadensersatzansprüchen Dritter.
Im März 1977 räumte die Polizei den besetzten Bauplatz für das AKW Grohnde. Tausende hatten hier demonstriert. Achtzehn identifizierten AKW-GegnerInnen präsentierte der niedersächsische Innenminister eine Rechnung über 234.000 DM Schadensersatz. Die Forderung setzte sich zusammen aus den Stundensätzen für die eingesetzten Beamten sowie den Kosten für 167 Schlagstöcke (verloren oder kaputtgehauen), 387 Gasmaskenfilter, 135 Nachfüllpatronen für die Chemische Keule, 733 Tränengasgranaten, 13 Einsatzanzüge und eine Unterhose (!).[1]1981 folgte das Oberverwaltungsgericht Celle der Argumentation des Ministeriums und sah kein Problem darin, einzelnen TeilnehmerInnen die Summe aller Kosten zuzurechnen, die an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten durch unterschiedliche Aktivitäten unterschiedlicher Personen entstanden waren. Erst der Bundesgerichtshof (BGH) hob diese Entscheidung auf und wies auf die Selbstverständlichkeit hin, dass die Haftung den Nachweis eines konkreten Tatbeitrags voraussetzt, der über die bloße Beteiligung an einer Demonstration hinausgeht.[2] Weil das Land Niedersachsen zu einer Zuweisung einzelner Schäden nicht in der Lage war, verzichtete es schließlich auf die Durchsetzung der Forderung. Ähnliche Versuche, die gesamten Schäden, die im Zusammenhang einer Demonstration entstanden waren, auf einzelne TeilnehmerInnen oder auf die AnmelderInnen abzuwälzen, gab es Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre auch in anderen Bundesländern.[3]
Anfang der 80er Jahre diskutierte die Innenministerkonferenz, wie das Polizeikostenrecht gegen Blockaden der Friedensbewegung oder gegen Hausbesetzungen in Anschlag gebracht werden könnte. Umgesetzt wurden diese Überlegungen u.a. in Baden-Württemberg, wo die Polizei aufgrund einer Polizeikostenverordnung von 1982 in die Lage versetzt wurde, für die Anwendung unmittelbaren Zwanges zur Gefahrenabwehr von den jeweils Betroffenen die Kosten einzutreiben. So mussten die TeilnehmerInnen einer Blockade der Mutlangen-Kaserne (14.12.1983) die Kosten für das Wegtragen durch zehn Polizeibeamte mit einem Stundensatz von 35 DM bezahlen. Der Verwaltungsgerichtshof des Landes bestätigte die Kostenbescheide, die Praxis fand entsprechende Nachahmung. Bereits in den ersten zehn Jahren der Regelung wurden 6.000 derartige Kostenrechnungen ausgestellt. In annähernd tausend Fällen soll Erzwingungshaft gegen Zahlungsunwillige verhängt worden sein.[4] Ähnliche Regelungen gibt es in Bayern, Thüringen und seit einem Jahr auch in Rheinland-Pfalz.
Schadensersatzansprüche, die sich aus der Blockade eines Kraftwerks oder eines Bauplatzes ergeben, können von deren (privaten oder staatlichen) Betreibern oder Inhabern erst dann bei den DemonstrantInnen geltend gemacht werden, wenn die Blockade nicht von der Versammlungsfreiheit geschützt ist. Eine länger andauernde Blockade einer Baustelle – so entschied der BGH im November 1997 – genieße diesen Schutz nicht. Sie diene nicht dem Meinungskampf.[5] Angesichts dessen, dass erst die Dauer einer solchen Sitzdemonstration eine entsprechende Medienresonanz hervorruft, wird mit diesem Urteil willkürlich die Versammlungsfreiheit begrenzt. Woraus der BGH die Idee einer zeitlichen Begrenzung der Versammlungsfreiheit entnimmt, bleibt wohl sein Geheimnis. In dem zu entscheidenden Fall sollten vier Teilnehmer für einen Schaden von 62.000 DM einstehen. In einem anderem Fall mussten 14 AKW-GegnerInnen für die Besetzung der Gorlebener Endlagerstelle 150.000 DM bezahlen. Greenpeace wurde für die Blockade des AKW Würgassen zur Zahlung von 33.000 DM verurteilt.[6]
Der Castortransport im Frühjahr 2001
Dass die Abwälzung von Kosten ausschließlich der Abschreckung dient, zeigte sich deutlich im Zusammenhang mit den Protesten gegen den Castortransport im Frühjahr 2001. Mehr noch als in den Jahren zuvor, hatten Politik und Polizei nach dem sogenannten Atomkonsens versucht, den Demonstrationswillen der AKW-GegnerInnen zu diskreditieren – umsonst. Die zum Teil erheblichen Kosten, die nunmehr den Demonstrierenden aufgebürdet werden, sind nichts anderes als die Drohung, dass Proteste sie im Wortsinne teuer zu stehen kommen.
Als erstes stellte die Lüneburger Bezirksregierung die Ingewahrsamnahme den jeweiligen DemonstrantInnen in Rechnung. So kostete eine Nacht im Polizeigewahrsam inklusive einer Fahrt im Polizeiauto 108 DM. 300 Betroffene klagen dagegen beim zuständigen Amtsgericht.
Mit diversen finanziellen Repressalien sehen sich auch die fünf Robin-Wood-AktivistInnen konfrontiert, die sich im Gleisbett einbetoniert und dafür gesorgt hatten, dass der Zug mit den Brennelementen wieder ein Stück zurückfahren musste. Sie erhielten Kostenbescheide des Technischen Hilfswerks (THW) und des Bundesgrenzschutzes (BGS), sie sind einer Schadensersatzklage der Bundesbahn ausgesetzt und wurden wegen Nötigung und Störung eines öffentlichen Betriebes angezeigt. Auf welche Grundlage das THW seine Kostenforderung stützt, ist unklar. Vergleichbar einem Abschleppunternehmen, das ein falsch geparktes Fahrzeug wegbringt, könnte das THW, soweit es polizeiliche Maßnahmen umgesetzt hat, nicht unmittelbar, sondern allenfalls über die Polizei irgendwelche Kosten einfordern. Dass es hier um Abschreckung geht, zeigt sich auch daran, dass offensichtlich nicht alle Beteiligten von sich aus Rechnungen stellten, sondern eigens dazu aufgefordert wurden. So hat Bundesinnenminister Otto Schily etwa den BGS in einem Erlass angewiesen, Kostenersatz für das Herauslösen aus dem Beton bzw. aus dem Gleisbett von den Robin-Wood-Aktivisten zu verlangen. Die Kostenersatzregelung in § 19 Abs. 2 Bundesgrenzschutzgesetz fand bisher keine Anwendung, da man allgemein der Ansicht war, dass auf dieser Grundlage lediglich Mehrkosten eingefordert werden können. Im vorliegenden Fall wäre es etwa um den Verbrauch von Trennscheiben und Bohrern sowie allenfalls um Überstundenzulagen gegangen. Dies ergibt nur einen geringen Betrag, so dass sich der Verwaltungsaufwand nicht lohnen würde. Nun aber versucht der BGS alle Einsatzkosten geltend zu machen und fordert 14.000 DM (7.200 EUR). Hierüber werden die Gerichte zu entscheiden haben.
Auch bei der Schadensersatzklage der Deutschen Bahn bleibt einiges im Unklaren. Die Einbetonierung war so vorgenommen worden, dass keine Schäden an den Gleisen entstanden. Der Beton ließ sich ohne Rückstände entfernen. Dennoch ließ die Bahn drei Monate später Reparaturarbeiten im Wert von 10.000 EUR durchführen, die zunächst auch nicht für notwendig erachtet worden waren. Möglicherweise wurde hier künstlich eine Schadensposition geschaffen, um sie den fünf Robin-Wood-AktivistInnen in Rechnung zu stellen.
Neben Kostenbescheiden und Schadensersatzansprüchen könnte auf die Robin-Wood-Mitglieder auch noch eine Geldstrafe zukommen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht 1995 die bis dahin gängige Rechtsprechung revidiert, nach der Blockaden als Gewalt eingestuft und als Nötigung strafrechtlich verfolgt wurden.[7] Im Hinblick auf die Castortransporte hat die Justiz nun den § 316 b Strafgesetzbuch – Störung öffentlicher Betriebe – als Ersatz gefunden. Geschützt werden soll hierdurch auch das Schienennetz der Bahn und der Eisenbahnverkehr. Während niemand auf die Idee käme, Demonstrationen in der Stadt als Eingriffe in den Straßenverkehr anzuzeigen, soll die gleiche Handlung auf dem Schienennetz einen Straftatbestand erfüllen. Vom Vorwurf der Nötigung wurden die Robin-Wood-AktivistInnen in erster Instanz erwartungsgemäß freigesprochen, für den Eingriff in den Schienenverkehr verurteilte sie das Gericht zu einer Geldstrafe von 525,– EUR.
Dem Thüringer Landtag reichten die bisherigen Möglichkeiten der Kostenverlagerung nicht. Nach der am 27.6.2002 beschlossenen Änderung des Polizeiaufgabengesetzes[8] ist es nun möglich, alle Beteiligten einer verbotenen Versammlung für die anfallenden zusätzlichen Polizeikosten wie Mehrarbeitsvergütung, Trennungsgeld etc. in Anspruch nehmen zu können. Die Haftung für die Kosten bedarf nicht des Nachweises einzelner Tatbeiträge, die bloße Beteiligung soll genügen. Das widerspricht zwar dem Urteil, das der BGH 1984 in Sachen Grohnde fällte. Aber im Hinblick auf unliebsamen Protest nehmen es die ParlamentarierInnen mit der Rechtsstaatlichkeit nicht allzu genau.
Olaf Griebenow ist Mitglied der Redaktion Bürgerrechte & Polizei/CILIP und lebt in Mainz.
„Demokratie jetzt!“
Das fordern AtomkraftgegnerInnen im Vorfeld des nächsten Castortransports, der Anfang November aus La Hague kommend Gorleben ansteuern soll. Diesmal sollen es 12 Behälter auf einen Schlag sein. Wohlweislich nach der Bundestagswahl kommt damit wieder eine große Herausforderung auf die Menschen im Wendland und ihre UnterstützerInnen zu: Deutlich zu machen, dass der „Atomkonsens“ nur dem Titel nach etwas mit dem Atomausstieg zu tun hat. Und deutlich zu machen, dass der Widerstand allen Medienberichten zum Trotz nicht erlahmt. Das zu demonstrieren wird nicht einfach sein, denn der faktische Ausnahmezustand im Wendland während der „Abwicklung“ der beiden Transporte im Jahr 2001, polizeiliche Übermacht, Einschüchterung und Kriminalisierung sind feste Größen für die Mächtigen geworden, um mit der Atomopposition fertig zu werden. Die BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg lädt deshalb für den 26. Oktober dazu ein, auf einer Tagung die „Demokratiefrage“ zu debattieren, um Kraft zu tanken für die absehbare Auseinandersetzung im November. „Demokratie jetzt!“ lautet der Arbeitstitel. Bestandsaufnahme, Analyse und Zivilcourage sind gefragt. Das Programm: Der Nachmittag (14-18 Uhr) ist reserviert für Impulsreferate und Diskussionen zu den Themen Demonstrationsrecht und Versammlungsfreiheit, Verletzung von Menschenrechten und der informationellen Selbstbestimmung, zur Rolle der Presse und der unverantwortlichen Verantwortungslosigkeit der Politiker in diesem Konflikt. Um 20 Uhr soll mit den ReferentInnen in einer Podiumsdiskussion Bilanz gezogen werden. Am Sonntag, dem 27. Oktober, wird „Demokratie jetzt“ mit einem Blockadetraining lebendig. Die Tagung wird in Platenlaase im „Café Grenzbereiche“ in der Nähe von Lüchow stattfinden. Anmeldung über das BI-Büro unter (058419) 46 84 oder Fax 31 97. Rückfragen an Wolfgang Ehmke, Tel. (05863) 98 30 76 |