von Tony Bunyan
Mit der Schaffung eines Straftatbestandes der „Verherrlichung“ will die britische Regierung die Europaratskonvention „zur Prävention des Terrorismus“ umsetzen: ein gefährlicher Schritt zur Kriminalisierung von Meinungen.
Die gute Nachricht vorweg: In der Debatte über den neuesten Anti-Terror-Gesetzentwurf seiner Regierung hat Premierminister Tony Blair am 9. November 2005 erstmals in seiner nunmehr achtjährigen Amtszeit eine Abstimmung im Unterhaus verloren. Mit 322 zu 291 Stimmen lehnten es die „Commons“ ab, die Dauer der Haft ohne Anklage für Terrorismusverdächtige von derzeit 14 auf 90 Tage heraufzusetzen. Anfang der 90er Jahre lag diese Frist noch bei 48 Stunden. Das Unterhaus akzeptierte jetzt einen Kompromiss von „nur“ 28 Tagen.[1]
Im Oberhaus, das in Bürgerrechtsfragen sensibler ist, steht der Regierung nun eine harte Auseinandersetzung um den zentralen Eckstein ihres Entwurfs bevor, nämlich um die Einführung eines neuen Straftatbestandes des „encouragement to terrorism“ (Förderung der Bereitschaft/Aufforderung zum Terrorismus). Öffentliche Äußerungen, die als „direkte oder indirekte“ Aufforderung zum Terrorismus verstanden werden könnten, sollen demnach mit Haft bis zu sieben Jahren bestraft werden. „Indirekte“ Aufforderung sei die „Verherrlichung der Begehung oder Vorbereitung solcher Straftaten in der Vergangenheit, der Zukunft oder generell“. Dabei sei es irrelevant, ob die Äußerung sich auf eine oder mehrere bestimmte Straftaten bezieht und ob sich irgendjemand tatsächlich aufgefordert fühlt, solche Delikte zu begehen. Maßgebend sei, dass diejenigen, an die sich die Äußerung richtet, daraus schließen können, dass sie dem „verherrlichten“ Verhalten nacheifern sollen. Strafbar soll nicht nur sein, wer diese Wirkung seiner Äußerung bewusst angestrebt hat, sondern auch, wer sie in Kauf genommen hat. Strafbar mit Freiheitsentzug bis zu sieben Jahren soll ferner sein, wer eine „terroristische“ bzw. den Terrorismus „verherrlichende“ Veröffentlichung verteilt oder in Verkehr bringt, wer sie – auch elektronisch – weitergibt, verkauft oder verleiht, wer eine Dienstleistung anbietet, die andere in die Lage versetzt, eine solche Veröffentlichung zu erwerben, zu lesen, anzuhören oder anzusehen oder sie als Geschenk zu erhalten …
Die neuen Strafbestimmungen zielen nicht auf terroristische Handlungen, denn die stehen schon lange unter Strafe, sondern auf Meinungen. Die Grenzen des Strafbaren sind nicht abzusehen, sie hängen auch nicht vom Verhalten der beschuldigten Person ab, sondern von der Bewertung durch andere, im Klartext durch die Polizei, das Innenministerium und allenfalls durch die Gerichte. Ob eine Veröffentlichung oder Äußerung strafbar ist, ergibt sich in erster Linie aus den Umständen der Publikation und der Stellung der verdächtigten Person: Die Wiedergabe einer Videobotschaft Osama Bin Ladens durch die BBC dürfte weiterhin folgenlos bleiben, das Betrachten dieser Botschaft in einem islamischen Zentrum könnte dagegen dessen BetreiberInnen ins Visier der Polizei rücken. In den Kontext dessen gehört, dass das Innenministerium bereits dabei ist, eine Liste „extremistischer“ Websites, Buchläden, Zentren, Netzwerke und privater Organisationen zusammenzustellen.
Die Blair-Regierung will mit diesen Vorschlägen die seit dem 15. Mai 2005 von 26 Staaten (15 aus der EU) unterzeichnete Europaratskonvention zur „Prävention des Terrorismus“ umsetzen.[2] Einen ähnlichen Straftatbestand hat auch die neue deutsche Bundesregierung angekündigt. Sie knüpft damit an den 1976 eingeführten und 1981 wieder abgeschafften § 88a des Strafgesetzbuchs – verfassungsfeindliche Befürwortung von Straftaten – an, der in seiner fünfjährigen Geschichte zwar nur zu einer Verurteilung, aber zu Hunderten von Ermittlungsverfahren, Durchsuchungen und Festnahmen führte.[3]
„Vorbereitungshandlungen“ in der G8
Seit dem 11. September 2001 erleben strafrechtliche Konzepte dieser Art auf verschiedenen inter- und supranationalen Bühnen ihr Comeback. Im Rahmen der Gruppe der sieben mächtigsten Industriestaaten plus Russland (G8) waren es vor allem die USA, die einerseits auf die Ausweitung „spezieller“ – d.h. geheimer – Ermittlungsmethoden und die Anerkennung ausländischer Geheimdiensterkenntnisse als Beweismittel im Strafverfahren drängten.[4] Zum andern forderten sie die Kriminalisierung so genannter Vorbereitungshandlungen.
Was das heißen sollte, ließ eine auf dem Washingtoner Treffen der G8-Justiz- und Innenminister am 11. Mai 2004 verabschiedete Empfehlung erahnen: Polizei- und Strafverfolgungsbehörden müssten handeln, bevor Anschläge geschehen. Unter Strafe zu stellen seien deshalb die Rekrutierung von Terroristen und die „direkte oder indirekte“ finanzielle und materielle Unterstützung terroristischer Straftaten. Letzteres solle unabhängig von einem Bezug auf einen bestimmten Anschlag und unabhängig davon geschehen, dass die Person weiß, dass sie mit ihrem Verhalten die Begehung zukünftiger Attentate begünstigt.
Die USA, die im Jahre 2004 den Vorsitz in der G8 führten, hatten schon zu Beginn ihrer Präsidentschaft ihren Partnern einen Fragenkatalog präsentiert, der die Qualität der von ihr intendierten Strafbestimmungen verdeutlicht. Frage A.3 lautete: „Besteht Strafbarkeit auch bei einer eher generellen geistigen Haltung, etwa wenn der Rekrutierende/Anstiftende/Unterstützende intendiert oder weiß, dass sein Verhalten künftige nicht näher bestimmte Anschläge fördert?“ Konsequenterweise wird unter A.4 nach Interventionsmöglichkeiten gegen religiöse Führer und karitative Organisationen gefragt.
Den Fragebogen, der zunächst nur an die G8-Staaten ging, präsentierten die USA im Juli 2004 auch der EU, ernteten bei deren Mitgliedstaaten aber zunächst eine eher ablehnende Reaktion.[5] Nur elf der 25 Staaten antworteten überhaupt; Österreich beispielsweise sah „schutzwürdige Interessen der Individuen gefährdet“.
„Apologie du terrorisme“
Es ist nicht verwunderlich, dass diese Entwicklung parallel auch im Europarat ihr Echo fand. Mit seinen heute 46 Mitgliedstaaten, darunter die 25 der EU, ist er die „regionale“ Organisation, die seit den 50er Jahren die Entwicklung des internationalen Strafrechts in Europa betreibt. Mit der wachsenden Aktivität der EU auch auf strafrechtlichem Gebiet hat der Europarat keineswegs an Bedeutung verloren. Gerade die EU-Staaten nutzen ihn als Transmissionsriemen, wenn es darum geht, strafrechtliche Konzepte über den Rahmen der Union auszudehnen, wie dies z.B. bei der Cybercrime-Konvention der Fall war.
Als Reaktion auf die Anschläge des 11. Septembers 2001 hatte das Ministerkomitee des Europarats schon im November jenes Jahres eine Multidisziplinäre Gruppe Internationaler Kampf gegen den Terrorismus (Multidisciplinary Legal Group on International Action against Terrorism GMT) eingesetzt. Die Gruppe sollte die bestehenden „internationalen Instrumente“ zur Terrorismusbekämpfung überprüfen und gegebenenfalls vorschlagen, auf welchen Gebieten der Europarat aktiv werden sollte. Schon der Zwischenbericht der GMT vom Mai 2002 nannte eine Reihe von Punkten, die zu prüfen seien, darunter „spezielle“ Ermittlungsmethoden, Zeugenschutz und Kronzeugen, vor allem aber Fragen des materiellen Strafrechts.[6] Anders als im Rahmen der G8 stand die Debatte um die Vorverlagerung des Strafrechts hier nicht unter dem Titel der „Vorbereitungshandlungen“, sondern des „incitements“ (Anstiften) bzw. der „apologie du terrorisme“ (wörtlich: Verteidigung, Rechtfertigung). Zur Bearbeitung dieser Fragen kam die GMT jedoch nicht mehr. Das wichtigste Ergebnis ihrer Arbeit war stattdessen ein Zusatzprotokoll zur Terrorismusbekämpfungskonvention aus dem Jahre 1977, das weitere Straftaten für „unpolitisch“ erklärt und damit die Staaten mehr noch als bisher zur Auslieferung verpflichtet.[7]
Bei der Debatte über den Entwurf des Protokolls im Januar 2003 forderte die Parlamentarische Versammlung erneut, der Europarat solle die Erstellung einer umfassenden Konvention zur Terrorismusbekämpfung prüfen und dabei die Arbeiten im Rahmen der Vereinten Nationen berücksichtigen.[8] Dazu setzte das Ministerkomitee auf seiner Oktober-Tagung in Sofia ein Ad-hoc-Terrorismus-Expertenkomitee (CODEXTER) ein, das die Arbeiten der GMT fortführte.
In dem Komitee, dem Gertraude Kabelka vom österreichischen Justizministerium vorstand, war die EU nicht nur durch Delegationen ihrer Mitgliedstaaten und der zehn Beitrittskandidaten, sondern auch durch die Kommission und den Rat vertreten. Regelmäßige Vortreffen „on the spot“ sollten ein gemeinsames Auftreten gewährleisten. Vor der zweiten CODEXTER-Tagung einigte sich die EU-Gruppe darauf, dass das Expertenkomitee keine umfassende Konvention anstreben, sondern sich auf die Suche nach Lücken in den internationalen Rechtsinstrumenten machen solle.[9] Das Expertenkomitee des Europarats folgte diesem Ratschlag.
Welche „Lücke“ man prioritär stopfen wollte, hatte CODEXTER jedoch bereits auf seiner ersten Sitzung Ende Oktober 2003 entschieden, indem es eine Unterarbeitsgruppe „apologie“ einsetzte. Diese stützte sich weitgehend auf ein Forschungsprojekt, das offenbar bereits von der GMT in Auftrag gegeben war. Dessen „analytischer Bericht“, der schließlich im Juni 2004 veröffentlicht wurde, besteht im Wesentlichen aus der Auswertung einer reichlich unpräzisen Umfrage unter den Mitgliedstaaten des Europarats.[10] Sie sollten mitteilen, ob es in ihrem Recht Straftatbestände des „incitements to terrorism“ und/oder der „apologie du terrorisme“ gäbe. Gemäß den 41 Antworten ist dies nur in sechs Staaten der Fall (Bulgarien, Britannien, Dänemark, Frankreich, Ungarn, Spanien). Nur drei – nämlich: Dänemark, Frankreich und Spanien – kennen ein Delikt der „apologie du terrorisme“ in dem von den Fragestellern definierten Sinne: des „öffentlichen zum Ausdruck Bringens der Verherrlichung, Unterstützung oder Rechtfertigung von Terroristen oder terroristischen Akten“.
Die Feststellung, dass das Konzept der „apologie“ offensichtlich dem Strafrecht der überwiegenden Mehrheit der europäischen Staaten fremd ist, bewog die Experten jedoch nicht, die Sache ad acta zu legen. Bereits auf der dritten Sitzung von CODEXTER am 6.-8. Juli 2004 präsentierte die Unterarbeitsgruppe erste Vorschläge zur Verankerung entsprechender neuer Straftatbestände in einer zu erarbeitenden Europaratskonvention zur „Prävention des Terrorismus“. Im Dezember lag der Entwurf des Übereinkommens vor, der dem Ministerkomitee und der Parlamentarischen Versammlung zugeleitet wurde. Die Minister nahmen im Mai die überarbeitete Version an und öffneten sie für den Beitritt sämtlicher Europaratsstaaten, der Europäischen Gemeinschaft sowie jener Drittstaaten, die wie die USA an der Ausarbeitung beteiligt waren.
Terroristische Straftaten ohne Terrorismus
Die Konvention verpflichtet die unterzeichnenden Staaten neue Straftatbestände zu kreieren: die „öffentliche Aufforderung zur Begehung einer terroristischen Straftat“ (Art. 5), die Rekrutierung von Personen zur Begehung solcher Straftaten (Art. 6) und die Ausbildung dazu an Waffen, Sprengstoff oder giftigen Substanzen (Art. 7). Den Begriff der „terroristischen Straftat“ definiert die Konvention unter Bezug auf die diversen Anti-Terror-Konventionen, die bisher im UN-Rahmen geschlossen wurden und im Anhang aufgelistet sind. Hinzu kommen „akzessorische Delikte“ wie die Beteiligung als Komplize oder in einer Gruppe mit dem Ziel, nicht die im Anhang aufgelisteten Konventionsdelikte, sondern die in Art. 5-7 bezeichneten neuen Straftaten zu begehen. Erscheinen „Rekrutierung“ und „Ausbildung“ noch als vergleichsweise konkrete Bestimmungen, so geht in Art. 5 jegliche Bestimmtheit verloren: Als „öffentliche Aufforderung“ soll dabei verstanden werden
„die Verbreitung oder jedes sonstige öffentliche Zugänglichmachen einer Botschaft mit der Absicht, zur Begehung einer terroristischen Straftat anzustiften, wenn ein solches Verhalten, ob es nun direkt oder nicht für die Begehung terroristischer Straftaten wirbt, die Gefahr hervorruft, dass eine oder mehrere dieser Straftaten begangen werden.“[11]
Das neue Delikt, so heißt es im Erläuternden Bericht, könne sowohl aktiv begangen werden – „Verbreitung“ – als auch passiv – „Zugänglichmachen“ –, Letzteres z.B. durch das Platzieren auf einer Website oder durch das Verlinken. Der Text des Artikels lässt keinen Zweifel daran, dass es gar nicht darauf ankommt, ausdrücklich einen Anschlag oder auch nur die Finanzierung einer als terroristisch angesehenen Organisation zu befürworten. Für die Bewertung, ob eine „Gefahr“ im Sinne des Artikels bestehe, sei „der Autor und der Adressat der Botschaft sowie der Kontext“ zu berücksichtigen. Für alle, die es bis dahin noch nicht verstanden haben, legt Art. 8 der Konvention klipp und klar fest, dass es zur Verwirklichung aller neuen Straftatbestände „nicht notwendig ist, dass eine terroristische Straftat tatsächlich begangen wird.“
Der schnelle Schwenk der EU
Der Rat der EU und seine Arbeitsgruppen haben innerhalb eines halben Jahres ihren Standpunkt um 180 Grad gedreht. Noch im Sommer 2004 erschien den meisten Mitgliedstaaten der G8-Fragebogen als eine Zumutung. Die Europaratskonvention, die auf dasselbe Ziel hinausläuft, erhielt dagegen nicht nur ihre Zustimmung, sondern wurde von ihnen maßgeblich mitgestaltet. Unter Nr. 1.3.1. des EU-Anti-Terror-Aktionsplans in der Version von Dezember 2004 erklärte der Rat seine Unterstützung für die „Initiative“ des Europarats. Ein halbes Jahr später wurde unter derselben Nummer vermerkt, dass das Ziel „erreicht“ sei.[12]
Im Vordergrund der EU-internen Diskussion um den Konventionsentwurf vom Dezember 2004 stand nicht so sehr dessen Inhalt, als vielmehr die rein formale „disconnection clause“, die nun in Art. 26 Abs. 3 sowie einer Erklärung am Ende des Vertragswerks verankert ist und auf das spezielle Verhältnis zwischen der ersten und der dritten Säule der EU sowie ihren Mitgliedstaaten verweist. Die wenigen inhaltlichen Bedenken einiger Mitgliedstaaten hinsichtlich der Formulierung in Art. 5 (bzw. Art. 4 des Entwurfs) ließen sich durch einen in der endgültigen Version enthaltenen Zusatz in der Präambel zerstreuen.[13] Die Unterzeichnerstaaten bekennen darin, „dass diese Konvention nicht das Ziel verfolgt, etablierte Prinzipien der Meinungs- und Vereinigungsfreiheit anzutasten.“ So einfach ist das.