von Norbert Pütter
Geheimdienste, so lehrt die Erfahrung, sind nicht nur ineffektiv, sondern auch unkontrollierbar und undemokratisch. Sie könnten, so wird neuerdings argumentiert, auch deshalb abgeschafft werden, weil mit dem polizeilichen Staatsschutz eine Instanz bereitstehe, die mit rechtsstaatlich einwandfreien Mittel den entsprechenden Gefahren entgegentreten, Straftaten verhindern oder aufklären könne.[1] Dieser „Ausweg“ schafft jedoch neue Probleme.
Historisch nahm die „politische Polizei“ schon immer eine besondere Stellung innerhalb der öffentlichen Gewalt ein.[2] Schließlich soll sie den Staat selbst vor gegen ihn gerichteten Straftaten und Gefahren schützen. Weil die staatliche Ordnung aber ein besonders hohes Rechtsgut sein soll – sie sichert die gesellschaftlichen Machtverhältnisse –, reich(t)en die „normalen“ polizeilichen und strafrechtlichen Vorkehrungen nicht aus. Besondere Strafnormen (Staatsschutzdelikte), spezialisierte Zuständigkeiten (Staatsanwaltschaften, Gerichte), gesonderte polizeiliche Abteilungen mit einem spezifischen „Tätigkeitsprofil“ sind deshalb für den Staatsschutz kennzeichnend.
Die staatsschützerische Handlungslogik bildete das Vorbild für die Veränderungen der allgemeinen (kriminal)polizeilichen Arbeit seit den 1980er Jahren. Denn die politische Polizei arbeitete schon immer mit verdeckten Methoden (mit Spitzeln und V-Leuten, mit geheimer Überwachung). Und sie war schon immer besonders am „Vorfeld“, an den politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen interessiert, in denen sie Gefahren für den Staat vermutete. An beiden Merkmalen hat sich bis heute nichts geändert. Insofern werden im polizeilichen Staatsschutz die Probleme einer demokratischen Einbindung und Kontrolle der Polizei besonders deutlich.
Die Probleme beginnen bereits mit der fehlenden Transparenz einiger grundlegender Strukturdaten. Allein die Fragen zum Ausmaß politischer bzw. „politisch motivierter“ Kriminalität lassen sich nicht leicht beantworten. In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) werden nur die „unechten“ Staatsschutzdelikte erfasst, also jene allgemeinen Straftaten, denen die Polizei nach Würdigung von Tat und/oder Tatverdächtigen eine politische Motivation unterstellt.[3] Freilich sind diese als „politisch motiviert“ in der PKS nicht erkennbar. Bis zum Jahr 2000 wurden die „echten“ Staatsschutzdelikte, bei denen die staatliche Ordnung das zu schützende Rechtsgut darstellt, in einer gesonderten Statistik („KPS-Staatsschutz“) erfasst, die jedoch nicht öffentlich zugänglich war.[4]
Heute verweist das Bundeskriminalamt auf die Angaben im „Periodischen Sicherheitsbericht“ der Bundesregierung (der letzte stammt von 2006) und die Verfassungsschutzberichte des Bundes.[5] Dem jüngsten Bericht kann man entnehmen, dass für 2011 insgesamt 30.216 politisch motivierte Straftaten in Deutschland registriert wurden, bei denen es sich zu 42,3% um Propaganda- und zu 10,3% um Gewaltdelikte handelte (die anderen Deliktsarten sind nicht ausgewiesen). Knapp 17.000 wurden als rechts-, knapp 9.000 als linksmotiviert registriert.[6] Merkwürdig, dass man polizeiliche Zahlen nur über den Umweg über den Verfassungsschutz erfährt. Merkwürdig auch, dass die sonstigen PKS-Kategorien (Tatverdächtige, Alter, Geschlecht, Ortsgröße etc.) fehlen. Der Grund für diese Zurückhaltung ist offenkundig. Denn die PKS ist in erster Linie ein Arbeitsnachweis der Polizeien. Aus ihr ist ersichtlich, womit die Polizei sich beschäftigt hat. Differenziertere Angaben würden deshalb auch Rückschlüsse auf die Tätigkeit der Politischen Polizei ermöglichen. Dies soll aber wegen der besonderen Sensibilität des Gegenstandes vermieden werden.
Zur Kultur der nur minimalen Information der Öffentlichkeit gehört auch der Umstand, dass die Zahl der im polizeilichen Staatsschutz Beschäftigten nicht bekannt ist. Im Unterschied zu den Verfassungsschutzbehörden, die heute gesetzlich zur Veröffentlichung von „Strukturdaten“ (Etat und Bedienstete) verpflichtet sind, bleibt geheim, wie viele polizeiliche (Personal-)Ressourcen für den Staatsschutz verwendet werden.
Aufgaben: eindeutig nebulös
Wie alle Polizeien in Deutschland hat der polizeiliche Staatsschutz eine gefahrenabwehrende und eine strafverfolgende Aufgabe, rechtlich gestützt auf das Polizei- und das Straf- bzw. Strafprozessrecht. Nach einem Runderlass des nordrhein-westfälischen Innenministeriums[7] umfasst dies „die Verhütung, die vorbeugende Bekämpfung sowie die Erforschung und Verfolgung politisch motivierter Kriminalität“. Im Hinblick auf die „Verhütung“ nennt der Erlass neben der Bearbeitung von „Hinweisen auf Personen, Institutionen, Objekte, Sachen und Sachverhalte in allen Phänomenbereichen“ die „Erhebung, Bewertung und Sammlung der erforderlichen Informationen zur politisch motivierten Kriminalität, insbesondere auf dem Gebiet des strafrechtlichen Staatsschutzes, und von Hintergrundinformationen“. In die „operative und strategische Auswertung“ sollen die Staatsschutzstellen neben den einschlägigen Delikten auch „sonstige staatsschutzrelevante Sachverhalte“ einbeziehen.
Mit diesen exemplarischen Formulierungen – in jedem Bundesland und beim Bundeskriminalamt ist die Erlasslage im Detail verschieden – wird deutlich, dass die Gegenstände staatsschützerischen Interesses tendenziell unbegrenzt sind. Mit der „Erhebung … von Hintergrundinformationen“ oder dem Kriterium der Staatsschutzrelevanz wird ein weiter Raum eröffnet, in dem der Staatsschutz selbst bestimmt, was ihn interessiert und was nicht. Selbst im Nachhinein ist nicht kontrollierbar, wie diese Freiheit genutzt wird, da – siehe oben – selbst grundlegende Daten nicht veröffentlicht werden.
In den spärlichen polizeilichen Selbstdarstellungen finden sich nur Andeutungen darüber, wie der Staatsschutz seinen weiten Auftrag umsetzt. Im Polizeipräsidium Bielefeld wurden 2011 acht (!) Delikte als „politisch motivierte Kriminalität – Ausländer“ registriert (davon zwei Körperverletzungen, eine Sachbeschädigung, drei Verstöße gegen das Vereins- und zwei gegen das Versammlungsgesetz).[8] Im selben Zeitraum hat die im Präsidium eingerichtete „AG Islamismus“ über 1.100 Hinweise auf einen „islamistisch-terroristischen Anfangsverdacht“ bearbeitet. Dabei hätten sich „Verdachtsmomente gegen einzelne Personen verdichtet“. Diese seien „einer fortlaufenden näheren Überprüfung mit tiefergehenden Ermittlungen unterzogen“ worden.[9] An anderer Stelle heißt es, neben der „Verfolgung und Verhütung“ entsprechender Straftaten, stehe „in besonderem Maße auch die Erhellung rechtsextremistischer Strukturen … im Blickpunkt polizeilichen Handelns“.[10] Was aber sind „tiefergehende“ Ermittlungen? Wie geschieht die „Erhellung“ von Strukturen?
Methoden
Seit jeher ist die Arbeit mit verdeckten Methoden für die politischen Polizeien zentral. Zwar gibt es den politisch motivierten Einzeltäter; aber im Kern zielt der Staatsschutz auf staatsgefährdende Verschwörungen, auf Zusammenschlüsse, die das Ziel verfolgen, die verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen und– sei es durch Hochverrat oder Spionage, durch Propaganda oder Gewalthandlungen – die Legitimität und Stabilität des politischen Systems bedrohen. Aus dieser Gefahrenperspektive ergibt sich zwangsläufig ein präventives Handlungsprogramm, das mit ihrer Natur nach nachrichtendienstlichen Mitteln versuchen muss, die umstürzlerischen Verbindungen frühzeitig zu entdecken und zu bekämpfen. Ohne geheime Methoden kann dies nicht gelingen.
Über die Praxis verdeckter Polizeimethoden ist insgesamt wenig bekannt; dies gilt uneingeschränkt für deren staatsschützerische Nutzung. Hinweise auf die Bedeutung der heimlichen Polizeiarbeit ergeben sich aus drei Quellen: 1. aus den rechtlichen Bestimmungen, 2. aus den wenigen quantitativen Angaben, die für einzelne Methoden vorliegen, und 3. aus zufällig bekannt gewordenen Einsätzen.
Für den rechtlichen Rahmen sind zunächst die Bestimmungen zur Telekommunikationsüberwachung in der Strafprozessordnung (StPO) besonders bedeutsam. Der § 100a wurde 1968 im Rahmen der Notstandsgesetzgebung eingefügt und sollte – gemeinsam mit dem G10-Gesetz, das die nachrichtendienstliche Telefonüberwachung legalisierte – die wegfallenden alliierten Sonderrechte ersetzen. In seiner ursprünglichen Version handelte es sich bei der neuen Befugnis um eine fast ausschließlich staatsschützerische, denn die Katalogtaten fielen überwiegend in die Zuständigkeit der politischen Polizei. (Die Ausweitung auf andere Kriminalitätsbereiche folgte erst in späteren Jahrzehnten.)[11] Die Verrechtlichungsgeschichte geheimer Polizeimethoden nimmt also Bezug auf die traditionelle Praxis der politischen Polizei.
In späteren Verrechtlichungsschüben wurde der Staatsschutz quasi automatisch berücksichtigt: An den Katalog aus § 100a knüpfen die Befugnisse zum Abhören außerhalb von Wohnungen (§ 100f StPO) an, ebenso die zur Überwachung mit „technischen Mitteln“ (§ 100h StPO – hier unter Bezug auf „Straftaten von erheblicher Bedeutung“, zu denen die Katalogtaten des § 100a regelmäßig gezählt werden), zur Erhebung von Verkehrsdaten der Telekommunikation (§ 100g StPO) und zum Einsatz des IMSI-Catchers (§ 100i StPO); die meisten der echten Staatsschutzdelikte finden sich im Katalog für den großen Lauschangriff (§ 100c StPO) und in den Bestimmungen über Verdeckte Ermittler (VE) (§ 110a StPO). Andere verdeckte Polizeimethoden, insbesondere der Einsatz von V-Personen oder der verdeckte Einsatz von PolizistInnen, die nicht unter die VE-Definition fallen („sonstige nicht offen ermittelnde Polizeibeamte“), sind weiterhin nicht gesetzlich, sondern seit 1993 nur in einer Richtlinie der Justiz- und Innenminister geregelt.[12] Staatsschutzdelikte werden ausdrücklich als mögliche Einsatzbereiche aufgeführt (Pkt. 3.1.a).
Für den präventiven Bereich, d.h. auch für die „vorbeugende Bekämpfung von Straftaten“, sind die Polizeigesetze maßgebend, die grundsätzlich niedrigere Einsatzschwellen als die StPO vorsehen. Die Bestimmungen der Ländergesetze unterscheiden sich in Details. In einer aktuellen Kommentierung heißt es zusammenfassend: Die Regelungen zeichneten sich aus durch „eine offene Zweckbestimmung“, „eine niedrige Eingriffsschwelle“ und einen „weit gezogen(en)“ „Kreis der von der Informationsbeschaffung Betroffenen“. Sie beinhalteten „keine nennenswerten Begrenzungen“ üblicher Polizeipraxis, folgten den „Wünschen der Polizeipraktiker“, und Subsidiaritäts- und Anordnungsvorbehalte seien „bloß rechtsstaatlicher Zierrat“.[13]
Nur ein Beispiel zur Illustration: § 22 Abs. 3 des baden-württembergischen Polizeigesetzes erlaubt den Einsatz technischer Überwachungsmethoden und Verdeckter Ermittler „zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung“, sofern die Wahrnehmung der polizeilichen Aufgaben „andernfalls … gefährdet oder erheblich erschwert würde“. Was für das Strafprozessrecht gilt, trifft gleichermaßen auf den Bereich der „vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten“ zu: Staatsschutzdelikte werden in Abs. 5 explizit unter den „Straftaten mit erheblicher Bedeutung“ verbucht.
Im deutschen Sicherheitsdiskurs werden die verdeckten Methoden als so geheimhaltungsbedürftig gehandelt, dass selbst aggregierte Angaben (über die Häufigkeit der Verwendung etc.) regelmäßig nicht erhoben bzw. nicht preisgegeben werden. Geheimgehalten wird die Zahl der Verdeckten Ermittler und anderer geheimer Polizeieinsätze, die Zahl der V-Personen, die Art und der Umfang verwendeter technischer Überwachungen, wie häufig es zu „längerfristigen Observationen“ kommt etc. „In Deutschland setzten die Polizei im vergangenen Jahr x Peilsender ein“ – dass durch solche Angaben die Sicherheit der Bundesrepublik bedroht werden könnte, ist wenig überzeugend. Es handelt sich um einen Vorwand, um sich bereits der niedrigsten Form der Kontrolle zu entziehen.
In quantitativer Hinsicht gibt es zwei Ausnahmen: Hinweise auf den Umfang staatsschützerischer verdeckter Ausforschungen könnte man aus den Statistiken zur Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) und zum Abhören von Wohnungen gewinnen. Der Anteil der Staatsschutzdelikte an den Anlasstaten für die TKÜ ist gering. In den Jahren 2000 bis 2005 stieg er (gemessen an den Verfahren) von 3 auf 4,2 Prozent, 2011 lag er (gemessen an der Zahl der Anordnungen) bei knapp 2 Prozent. In absoluten Zahlen haben die Staatsschutz-TKÜs erheblich zugenommen: Im Jahr 2000 wurden 101 und im Jahr 2005 208 Verfahren gezählt, 2011 gab es 411 Anordnungen.[14] Für die Wohnraumüberwachung stammten im Jahr 2011 drei der zwölf Verfahren aus dem Bereich des Staatsschutzes.[15]
Da es jedoch an jeder Bezugsgröße mangelt – wie viele Staatsschützer gibt es, wie viele Verfahren werden geführt, wie viele Abhöraktionen außerhalb von Wohnungen, sonstige technische Überwachungen, Observationen, V-Personen oder Verdeckte Ermittler –, sind derartige Angaben von geringem Wert. Dass der quantitative Schwerpunkt dieser verdeckten Methoden heute offenkundig im Bereich der Drogenbekämpfung liegt, sagt nichts darüber aus, welche Bedeutung der geheimen Polizeiarbeit im polizeilichen Staatsschutz zukommt.
Die Fälle, in denen durch Pannen und Skandale staatsschützerische verdeckte Polizeiarbeit öffentlich bekannt wurde, sind zahlreich. Zwei knappe Beispiele sollen hier genügen, um die Grenzen des Kontrollierbaren zu illustrieren: Mitte der 1990er Jahre wurde im Rahmen der Ermittlungen gegen die „Antiimperialistische Zelle“ zu Observationszwecken ein PKW mit einem Sender versehen, der eine Ortung über GPS erlaubte. Rechtlich gestützt wurde dies auf die Bestimmungen im damaligen § 100c StPO, in der allerdings weder Peilsender noch GPS, sondern lediglich „sonstige besondere für Observationszwecke bestimmte technische Mittel zur … Ermittlung des Aufenthaltsorts“ genannt werden. Am 12. April 2005 wies das Bundesverfassungsgericht die entsprechende Beschwerde eines Überwachten zurück. Das Bestimmtheitsgebot zwinge den Gesetzgeber nicht zu gesetzlichen Formulierungen, die „jede Einbeziehung kriminaltechnischer Neuerungen“ ausschließe.[16]
Mit anderen Worten: Bis auf weiteres kann die Polizei einsetzen, was der Fortschritt der Überwachungstechnik hergibt. Damit wurde bereits auf der rechtlichen Ebene darauf verzichtet, geheime Polizeimethoden kontrollierbar zu machen. Denn in der fortschrittsoffenen Auslegung des Verfassungsgerichts ist alles erlaubt, bis ein Betroffener erfolgreich dagegen klagt. Das setzt aber die Kenntnis der Art der Überwachung voraus, die ihrerseits wieder geheim gehalten wird.
Im Dezember 2010 wurde in Heidelberg „Simon Brenner“ als Verdeckter Ermittler des baden-württembergischen Landeskriminalamtes (LKA) enttarnt. Neun Monate hatte er mit seiner legendierten Identität als Student „konkrete Zielpersonen aus der antifaschistischen/anarchistischen Szene“ ausgeforscht.[17] Rechtlich gestützt war der Einsatz durch die oben zitierten Bestimmungen des baden-württembergischen Polizeigesetzes. Die Anordnungsbefugnis liegt demnach beim Leiter des LKA oder einer Polizeidirektion; eine gerichtliche Anordnung ist nicht erforderlich. Auch in späteren Strafverfahren wurde der VE-Einsatz nicht rechtlich kontrolliert. Die Daten, die der VE erhoben habe, so das Innenministerium, seien der Polizei auch aus anderen Quellen bekannt gewesen, so dass sie „für die folgenden Ermittlungs- bzw. Gerichtsverfahren nicht genutzt“ worden seien.[18]
Vernetzter Staatsschutz
Nachdem die Politischen Polizei durch die Dramatisierung der „Organisierten Kriminalität“ in den 1990er Jahren in den Hintergrund getreten war, hat insbesondere der internationale Terrorismus, aber auch die Diskussion um verschiedene „Extremismen“ zu einer neuen Konjunktur des polizeilichen Staatsschutzes geführt. Da die jüngeren Sicherheitsstrategien der Logik der „Vernetzung“ folgen, wird diese neue Bedeutung vor allem daran ablesbar, welche Netze mit staatsschützerischer Beteiligung geknüpft werden. An der Abteilung „Polizeilicher Staatsschutz“ (ST) des Bundeskriminalamtes (BKA) wird der Grad der Vernetzung exemplarisch deutlich.
Deren VertreterInnen wirken mit: [19]
- im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ); beteiligt sind rund 40 Behörden aus Bund und Ländern, einschließlich Zoll und Nachrichtendienste,
- im Gemeinsamen Internet-Zentrum (GIZ), in dem neben dem BKA die drei Nachrichtendienste und die Bundesanwaltschaft zusammenarbeiten,
- im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ), in dem neben den Polizeien aus Bund und Länder auch Europol, das Zollkriminalamt, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, der Generalbundesanwalt sowie die drei Dienste sitzen.[20]
- Und international ist die Abteilung ST beteiligt an Europol, an der europäischen „Police Working Group on Terrorism“ und an Interpol.
Das Ziel dieser unterschiedlichen Vernetzungen besteht zunächst im Austausch von Informationen. An ihrem Ende können neben Lagebildern und Gefahrenprognosen auch strategische Konzepte und konkrete Einsätze stehen. Auf der Ebene des Austauschs und der Aufarbeitung von Informationen sind die vernetzenden Zentren extern kaum kontrollierbar. Eine gerichtliche Kontrolle fällt weitgehend aus, da es allenfalls auf der Ebene der Einzelbehörden an gerichtliche Entscheidungen gebundene Befugnisse gibt, nicht aber auf der Ebene der Zentren. Selbst eine nachträgliche gerichtliche Überprüfung ist im Regelfall ausgeschlossen, weil die Betroffenen die Weitergabe der Daten nicht erfahren.
Eine Kontrollkompetenz besteht für den Datenschutzbeauftragten. Aber dessen Reichweite ist mehrfach begrenzt: Er betrachtet Eingriffe nur, sofern sie als „Daten“ sichtbar werden, und Maßstab seiner Bewertung sind die weiten rechtlichen Normen zur Datenerhebung, -verarbeitung und -weitergabe. Außerdem wird die Kontrolle verfassungsschützerischer Daten dadurch erschwert, dass die Einsicht in Dateien mit dem Argument verweigert wird, es handele sich um Erkenntnisse anderer Nachrichtendienste, die aus Gründen des Quellenschutzes nicht offengelegt werden könnten.[21] Es ist offenkundig, dass sich dieses Problem potenziert, wenn Geheimdienste am institutionalisierten Informationsaustausch beteiligt sind.
Trotz dieser Beschränkungen hat der Datenschutzbeauftragte mehrfach Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen angemahnt: In der Anfangsphase des GTAZ hatte das BKA „eine Vielzahl personenbezogener Daten ohne Rechtsgrundlage an das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) übermittelt“. Der Verfassungsschutz hatte das BKA auf diesen Umstand hingewiesen, gleichwohl die Daten nicht für die weitere Verwendung gesperrt. Gerügt wurde von Datenschutzbeauftragten auch, dass das BKA Daten von Landeskriminalämtern an das BfV weiterleitete, ohne die Übermittlungsvoraussetzungen zu prüfen.[22] Im Hinblick auf die Praxis des GIZ verdeckt in Foren und Chatrooms zu ermitteln, hat der Datenschutzbeauftragte auf die fehlende Rechtsgrundlage hingewiesen.[23]
Justizielle oder parlamentarische Kontrolle?
Über den Weg des Datenschutzes kann jedoch allenfalls ein kleiner Ausschnitt polizeilich-staatsschützerischer Praxis kontrolliert werden. Wer auf einen verbesserten Datenschutz setzt, muss zugleich für die Begrenzung polizeilicher Grundrechtseingriffe plädieren[24] – und damit für den Verzicht auf präventive Bekämpfungsstrategien. Solange die politischen Polizeien jedoch im „Vorfeld“ bleiben – und dass ihnen dies rechtlich-politisch untersagt würde, ist mehr als unwahrscheinlich – bleiben sie einer rechtlichen Begrenzung und der gerichtlichen Kontrollierbarkeit weitgehend entzogen.
Selbst eine nachträgliche Kontrolle jenes kleineren Teils, der den Weg in Strafverfahren findet, wird durch die vermeintlichen Geheimhaltungsbedürfnisse beschränkt. Im Ergebnis bedeutet dies, dass politischen Polizeien mit dem herkömmlichen rechtsstaatlichen Instrumentarium nicht kontrollierbar sind. Weil die Arbeit mit nachrichtendienstlichen Methoden für sie zentral ist, so die Schlussfolgerung, müsste der polizeiliche Staatsschutz genauso kontrolliert werden, wie die Geheimdienste. In den Worten von Claus Leggewie und Horst Meier: „Damit der polizeiliche Staatsschutz … seine Vorfeldaufklärung nicht unnötig ausdehnt, sind die bestehenden parlamentarischen Gremien, die bislang dem Verfassungsschutz galten, auf die Kontrolle der ‚Politischen Polizei‘ umzustellen.“[25]
Dass die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste bislang gelungen ist, wird zwar mitunter behauptet, jedoch ohne jeden Beleg. In einer aktuellen Monografie zum Trennungsgebot heißt es: Die Aufgabe des Parlamentarischen Kontrollgremiums sei es, „bei den Nachrichtendiensten bestehende Defizite im Rechtsschutz bzw. der Kontrolle durch die Öffentlichkeit zu kompensieren. Insofern ist es geradezu prädestiniert, die Kontrolle der heimlichen Überwachungsmethoden des BKA zu übernehmen“.[26] Bereits die bis in die Gegenwart anhaltenden, nach jedem „Skandal“ erweiterten Kontrollbefugnisse der parlamentarischen Gremien bestätigten immer erneut das systematische Scheitern. Ein demokratisch zureichend kontrollierter Geheimdienst wäre kein Geheimdienst mehr.
Das parlamentarische Kontrollproblem zeigt sich auch auf der Ebene der genannten Zentren. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion zum „Gemeinsamen Abwehrzentrum Rechtsextremismus“ (GAR), das mittlerweile im GETZ angesiedelt wurde, verweist die Bundesregierung zunächst darauf, dass die polizeilichen und nachrichtendienstlichen Angelegenheiten der Länder nicht dem Bundestag, sondern „der parlamentarischen Kontrolle durch die jeweiligen Landtage unterliegen.“ Außerdem seien Angaben zu „konkreten Inhalten“ oder „relevanten Sachverhalten“ „in dem für die Öffentlichkeit einsehbaren Teil (der) Antwort aus Geheimhaltungsgründen nicht möglich“. Die entsprechenden Passagen werden als „Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft und sind nur in der Geheimschutzstelle des Bundestags für die Abgeordneten einsehbar[27] – mithin der öffentlichen Diskussion entzogen.
Dies gilt auch für die Antworten zum Umfang des im GAR eingesetzten Personals oder generell des BfV. Genauere Angaben zu den Beratungen im GAR würden das „schützenswerte Interesse der Bundesrepublik Deutschland an einer wirksamen Bekämpfung der PMK-rechts bzw. des Rechtsextremismus/Rechtsterrorismus und damit das Staatswohl erheblich beeinträchtigen.“[28] So ist der Staat gleich doppelt in Gefahr: durch die rechten Verfassungsfeinde und durch die, die den staatlichen „Verfassungsschutz“ demokratischen Standards unterwerfen wollen.
Demokratisch = kontrollierbar
Die Kontrolle des polizeilichen Staatsschutzes ist kaum leichter zu bewerkstelligen als die des „Verfassungsschutzes“. Seine rechtliche Regulierung ist mit weiten Maschen gestrickt. Er verfügt über ein breites nachrichtendienstliches Instrumentarium, hat Zuständigkeiten im Vorfeld der „vorbeugenden Bekämpfung“ und seine Kontrolle wird durch den Verweis auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit verunmöglicht. Die politische Polizei ist deshalb keine demokratische Alternative zum nachrichtendienstlichen Staatsschutz. Die Abschaffung der Geheimdienste zu fordern, muss deshalb mit der Forderung einher gehen, die Polizei demokratisch zu reformieren: Instrumente und Befugnisse klar und bestimmt zu benennen, „Vorfeldarbeit“ zu untersagen, Transparenz, Öffentlichkeit und Verantwortlichkeit herzustellen. Dies gilt für den polizeilichen Staatsschutz wie für die Polizei insgesamt.
[1] Leggewie, C; Meier, H.: Nach dem Verfassungsschutz, Berlin 2012
[2] s. z.B. Graf, A.: Die politische Polizei und die Verfolgung des deutschen Anarchismus (1898-1914), in: Florath, B.; Mitter, A.; Wolle, St. (Hg.): Die Ohnmacht der Allmächtigen, Berlin 1992, S. 36-45 (40ff.)
[3] Bundeskriminalamt: Polizeiliche Kriminalstatistik 2011, Wiesbaden 2012, S. 8
[4] s. Werkentin, F.: ‚Staatsschutz‘ statistisch gesehen, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 42 (2/92), S. 47-51
[5] www.bka.de/nn_226832/DE/ThemenABisZ/HaeufigGestellteFragenFAQ/Terrorismus Extremismus/terrorismusExtremismusFrage03.html
[6] Bundesamt für Verfassungsschutz: Verfassungsschutzbericht 2011, Berlin 2012, S. 35
[7] Innenministerium Nordrhein-Westfalen: Aufgabenbeschreibung für die Organisationseinheiten des Polizeilichen Staatsschutzes bei den zu Kriminalhauptstellen bestimmten Kreispolizeibehörden, Runderlass v. 3.5.2004, in: http://recht.nrw.de/lmi/owa/br_bes_text?anw_nr=1&gld_nr=2&ugl_nr=2056&bes_id=3265&val=3265&ver=7&sg=0&aufgehoben=N&menu=1
[8] Polizeipräsidium Bielefeld: Jahresbilanz 2011 Politisch motivierte Kriminalität, Bielefeld 2012, S. 11, s. www.polizei.nrw.de/media/Dokumente/Behoerden/Bielefeld/Jahresbilanz_2011_Staatsschutz.pdf
[9] ebd., S. 27
[10] ebd. S. 32
[11] s. Staechelin, G.: 100a StPO als Seismograph der jüngeren Strafrechts- und Strafverfahrensrechtsgeschichte, in: Kritische Justiz 1995, H. 4, S. 466-477
[12] Gemeinsame Richtlinien der Justizminister/-senatoren und der Innenminister/-senatoren des Bundes und der Länder über die Inanspruchnahme von Informanten sowie
über den Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen) und Verdeckten Ermittlern im Rahmen der Strafverfolgung, Anlagen zu den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV), http://home.arcor.de/bastian-voelker/RiStBV.pdf
[13] Rachor, F.: Das Polizeihandeln, in: Denninger, E.; Rachor, F. (Hg.): Handbuch des Polizeirechts, München 2012 (5. Aufl.), S. 295-601 (370)
[14] s. die Statistiken des Bundesamtes für Justiz: http://www.bundesjustizamt.de/DE/Themen/Buergerdienste/Justizstatistik/
Telekommunikation/Telekommunikationsueberwachung.html; Prozentangaben eigene Berechnung aufgrund dieser Zahlen
[15] BT-Drs. 17/10601 v. 05.09.2012
[16] Bundesverfassungsgericht: Urteil v. 12.4.2005, Rdnr. 51, www.bverfg.de/entschei
dungen/rs20050412_2bvr058101.html
[17] s. Der Fall „Simon Brenner“, in: http://linksunten.indymedia.org/de/node/30769; Landtag Baden-Württemberg Drs. 14/7375 v. 17.12.2010, 14/7510 v. 24.01.2011, 15/600 v. 27.9.2011
[18] Landtag Baden-Württemberg Drs. 15/600 v. 27.09.2011, S. 2
[19] s. www.bka.de/DE/DasBKA/Organisation/ST/organisationST__node.html
[20] http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Themen/Sicherheit/Extremismus/getz.pdf
[21] Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI): 23. Tätigkeitsbericht 2009-2010, Bonn 2011, S. 85; s.a. Söllner, S.: Gemeinsame Zentren gegen Extremisten, in: Die Polizei 2012, H. 6, S. 156-158 (158)
[22] BfDI: 21. Tätigkeitsbericht 2005-2006, Bonn 2007, S. 65
[23] BfDI a.a.O. (Fn. 21), S. 53
[24] s. Söllner, S.: Die Verpolizeilichung. Grenzen, Chancen und Risiken einer neuen Sicherheitsarchitektur, Köln 2011, S. 162
[25] Leggewie, C; Meier, H., a.a.O (Fn. 1), S. 173
[26] Streiß, Ch.: Das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten, Frankfurt/M. 2011, S. 226
[27] BT-Drs. 17/10585 v. 31.08.2012, S. 3
[28] ebd., S. 4
Bibliographische Angaben: Pütter, Norbert: Kontrollprobleme neuen Ausmaßes. Polizeilicher Staatsschutz als Geheimpolizei, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 103 (3/2012), S. 11-22