von Stephan Dünnwald
Für die Ankunfts- und Rückführungszentren (ARE) in Manching und Bamberg wurde mit Verfahrensbeschleunigung geworben. Nach Schweizer Vorbild sollte die Präsenz aller zuständigen Behörden vor Ort für ein nahtloses Ineinandergreifen der verschiedenen Instanzen sorgen. Es gibt Beschleunigung, aber vor allem stehen diese Zentren für einen Ausreisedruck, der durch Isolation, Schäbigkeit und fehlende Unterstützung herbeigeführt wird.
Anfangs waren die ARE für die Flüchtlinge aus den sogenannten sicheren Herkunftsstaaten Südosteuropas gedacht. Schon im Winter 2014/2015 waren erhöhte Zuwanderungszahlen vor allem aus Serbien, Kosovo, Mazedonien und Albanien zu verzeichnen. Seit Frühjahr 2015 wurden Asylsuchende aus diesen Staaten im politischen Diskurs regelmäßig als unberechtigte „Armutsflüchtlinge“ disqualifiziert, die den „echten“ Flüchtlingen den Platz streitig machten. Im Sommer 2015 diskutierte man zunächst über die von der CSU propagierten grenznahen „Transitzentren“, in denen Flüchtlinge beschleunigten Verfahren unterzogen werden sollten. Schließlich wurden aber im September zwei ehemalige Kasernen in Manching bei Ingolstadt und in Bamberg als Ankunfts- und Rückführungseinrichtungen eröffnet. Hier sollten zentrale Ausländerbehörden, AnhörerInnen und EntscheiderInnen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und das Verwaltungsgericht direkt im Lager die Verfahren zügig abwickeln. Im Regelfall sollten nach der Ablehnung als „offensichtlich unbegründet“ mit verkürzter Einspruchsfrist ein schnelles Urteil des Verwaltungsgerichts und die Durchsetzung der Ausreise bzw. Abschiebung stehen.
Während die Gerichte nur durch eine Annahmestelle für Klagen in den Lagern vertreten sind, ist hingegen das Personal der Zentralen Ausländerbehörde in hoher Zahl präsent. In der Max-Immelmann-Kaserne in Manching sitzen 120 Behördenangestellte zeitweilig etwa 1.000 InsassInnen gegenüber: ein einmaliger Behördenschlüssel. Und dennoch: die Zahl der Abschiebungen aus diesen Sonderlagern ist überschaubar (440 aus Manching vom September 2015 bis Juli 2016). Bayern führt zwar spätestens seit November ein bis zwei Abschiebeflüge wöchentlich in die Balkanstaaten durch. Die meisten Abgeschobenen kamen jedoch nicht aus den Sonderlagern, sondern wurden von ihren Unterbringungsorten in Bayern abgeholt. Das Innenministerium verweist deshalb regelmäßig darauf, dass die Zahl der „freiwilligen“ Ausreisen aus den Sonderlagern weit höher sei als die der Abschiebungen. Die Dauer der Verfahren variiert: Zahlreiche InsassInnen sind inzwischen über sechs Monate in den Lagern. Deren Kapazitäten werden beständig ausgebaut. Manching mit drei Dependancen in Ingolstadt soll bald eine Kapazität von 2.800 Plätzen haben bei einer aktuellen Belegungszahl von 740 Personen (Stand: 4.8.2016). In Bamberg sollen bis zu 4.500 Plätze vorgehalten werden, die Zahl der InsassInnen lag im August 2016 bei etwa 270.
Zudem ändert sich die Bestimmung der Sonderlager. In Bamberg soll es künftig zwei Bereiche geben: einen für Flüchtlinge mit niedriger „Bleibeperspektive“ und einen für Menschen aus Ländern mit hohen Anerkennungsraten. Eine der Manchinger Dependancen wurde stillschweigend in eine normale staatliche Unterkunft umgewidmet: Das Schild am Eingang wurde ausgewechselt, nicht aber die Modalitäten der Unterbringung. Nach Manching werden zudem vermehrt Asylsuchende aus der Ukraine eingewiesen, die nicht als „sicherer Herkunftsstaat“ eingestuft ist.
Zonen der Ausgrenzung und der Rechtlosigkeit
Für die Wirkungsweise der „Balkanlager“ erweist sich der Hinweis auf die Verfahrensbeschleunigung als nicht zentral, ja sogar als tendenziell irreführend. Tatsächlich sind Manching und Bamberg eher Orte der Desintegration, Isolation und der Schutzlosigkeit der InsassInnen.
Die bayerische Regierung hatte die Sonderlager mit der Notwendigkeit begründet, Flüchtlingen aus „sicheren“ Herkunftsstaaten vor Augen zu führen, dass ihr Antrag in Deutschland aussichtslos sei. Als migrationspolitische Maßnahme kamen die Einrichtungen jedoch reichlich spät. Schon im Frühjahr 2015 hatten Bundes- und Landesregierung Anstrengungen unternommen, um die Fluchtzuwanderung aus dem Balkan zu stoppen. Mit weitgehendem Erfolg: Die Asylantragszahlen fielen rapide, lediglich aus Albanien verzeichnete das Bundesamt im Sommer und Herbst noch nennenswerte Zugangszahlen. Ein großer Teil der ZuwanderInnen aus den Balkanstaaten erkannte die Aussichtslosigkeit eines Asylverfahrens und kehrte zurück. Entsprechend betraf die direkte Einweisung von Asylsuchenden aus Südosteuropa nur einen Teil der InsassInnen. Zunehmend wurden Personen und Familien eingewiesen, die schon längere Zeit als Asylsuchende im Land waren. Kinder wurden aus der Schule gerissen, ältere Jugendliche aus Praktika und sogar aus Ausbildungen. Die Einweisungsbescheide wurden kurzfristig zugestellt, oft hatten die Familien nur einen oder zwei Tage, um ihre Sachen zu packen. Für den Fall der Weigerung wurde die zwangsweise Umsiedlung durch die Polizei angedroht. Da die Zuständigkeit der Behörde wechselte, bekamen Personen, die nicht zum vorgegebenen Datum umgezogen waren, keine weiteren Leistungen. Weil den in die Sonderlager Eingewiesenen eine Residenzpflicht auf das Stadtgebiet Manching/Ingolstadt bzw. Bamberg auferlegt wird, kann bei Verlassen dieser Räume mit Strafen und mit der Aussetzung des Asylverfahrens gedroht werden.
Weder in Manching/Ingolstadt noch in Bamberg gibt es AnwältInnen mit Kenntnis im Asyl- und Ausländerrecht. In Bamberg gibt es auch keine Beratungsstelle, die der Caritas in Manching verfügt nur über eine Vollzeitstelle. MitarbeiterInnen des Bayerischen Flüchtlingsrats, die eine mobile Beratung vor den Ingolstädter Dependancen des Lagers Manching anbieten, dürfen die Unterkünfte nicht betreten. Die Identifikation von schwierigen oder aussichtsreichen Fällen ist damit eine Sache des Zufalls. Die meisten InsassInnen finden keine AnwältInnen, um gegen den Ablehnungsbescheid zu klagen. Nicht einmal eine unabhängige Rückkehrberatung ist für die InsassInnen erreichbar. Diese Aufgabe übernimmt die zentrale Ausländerbehörde im Lager. In wenigen Fällen konnte eine Einweisung gerichtlich verhindert werden, insbesondere bei kranken Personen oder Familienmitgliedern. Die Mehrzahl, auch kranke oder schwerbehinderte Flüchtlinge musste, jedoch in die Sonderlager umziehen. Dennoch erreichten die Lager keine hohe Auslastung.
In den Lagern dominiert die Schäbigkeit. Essen gibt es nur in der Kantine, von dort darf nichts auf die Zimmer mitgenommen werden. Viele InsassInnen beschreiben das Essen als dürftig und immer gleich. Auch von außen dürfen keine Lebensmittel in die Lager mitgebracht werden. Die zahlreich vertretene Security kontrolliert am Ausgang, in der Kantine und auch unangekündigt in den Zimmern. In der ARE Bamberg bekommen InsassInnen nur eine Malerfolie aus Wollresten als Bettdecke, die Laken sind aus Zellstoff.
„offensichtlich unbegründet“
Die Sonderlager sind oft nicht der Ort eines schnellen Verfahrens. Nach Auskunft der Caritas Pfaffenhofen kam es in Manching tatsächlich vor allem in den Fällen zu großen Verzögerungen, in denen die Asylsuchenden vor der Verlegung schon anderen Unterkünften zugewiesen worden waren. Häufig waren es Lücken in der Bürokratie, wie verschwundene Unterlagen oder Pässe, die ein schnelles Verfahren unmöglich machten. Auch hatten die von anderen Orten Eingewiesenen zum Teil AnwältInnen, so dass das Verfahren nicht so zügig durchgezogen werden konnte. Bei der Caritas Pfaffenhofen verfestigte sich der Eindruck, dass das BAMF insbesondere die komplizierteren Fälle vor sich herschiebt. So blieben InsassInnen über Monate in den Einrichtungen, ohne dass das Bundesamt eine Anhörung durchführte.
Schlimm ist eine solche Praxis, wenn Kranke davon betroffen sind. In zumindest zwei Fällen werden Familien mit kranken Kindern im Lager Manching festgehalten, obwohl die Kinder so krank sind, dass eine Abschiebung nicht zur Debatte stand. Eine dieser Familien wurde im Juli in eine Unterkunft nach Rosenheim verlegt, nachdem sie ein halbes Jahr in Manching auf einen Bescheid gewartet hatte. Einer weiteren Familie, ebenfalls mit einem schwerkranken Sohn, teilte man nach monatelangem Warten mit, sie könne jetzt ausziehen, wenn sie denn eine Wohnung fände. Da das nicht gelingen wird, bleibt die Familie im Lager gefangen. Abschiebeschutz wie für diese Familien gibt es allenfalls in einer Hand voll Fälle. Im Falle von Frau M., in dem das städtische Gesundheitsamt Ingolstadt ein Abschiebehindernis und akute Suizidgefahr festgestellt hatte, wurde kurzerhand ein Arzt dem Abschiebeflug beigeordnet. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung fabulierte die zuständige Regierung von Oberbayern von „Sicherstellung einer Anschlussbetreuung im Kosovo“, eine klare Falschaussage und Irreführung.[1]
Eine Anerkennung als Flüchtling gab es bisher weder in Manching noch in Bamberg. Die Bescheide sind dürftig. Stereotyp werden Bedenken beiseite gewischt, auch Fälle von Blutrache, Verfolgung wegen sexueller Orientierung oder familiärer Gewalt haben in Manching und Bamberg keine Chance. Eklatant ist der Fall Topilla. Er ist der Bruder des einzigen Zeugen eines Massakers serbischer Milizen im Kosovokrieg. Der Zeuge selbst hat längst Asyl in Schweden, ein weiterer Bruder ist in Belgien seit langem als Flüchtling anerkannt. Topilla war mit seiner Familie in Mitrovica geblieben und arbeitete dort für die UN und die KFOR als Übersetzer. Lange ging alles gut. Als aber 2014 EULEX, die EU-Rechtsunterstützungsmission im Kosovo, begann, Beweise wegen des Massakers zu sammeln und eine Anklage gegen den damaligen Anführer und jetzigen serbischen General vorzubereiten, wurde Topilla eines Abends auf dem Parkplatz eines Supermarktes in Mitrovica festgehalten. Zwei serbisch sprechende Männer hielten ihm Waffen an den Körper, und drohten ihm, er und seine Familie seien tot, wenn sein Bruder eine Zeugenaussage mache. Topilla floh mit seiner Familie nach Deutschland. Die Eltern wollten nicht mit. Sie sind alt, krank und waren sogar während des Kosovokriegs nicht geflüchtet. Das BAMF beschied nun: Wenn die Eltern im Land bleiben könnten, dann sei es mit der Bedrohung für Topilla und seine Familie auch nicht weit her. Es folgte die Ablehnung als „o.u.“, „offensichtlich unbegründet“, ohne auch nur am Rande auf die Plausibilität einzugehen, die die Einschüchterung und Beseitigung von ZeugInnen von Kriegsverbrechen auf dem Balkan hat.
Es gibt zu denken, dass keine einzige positive Entscheidung gefällt wurde in den Sonderlagern. Schon im Frühjahr 2015, vor der Einrichtung der ARE, wurde seitens der Politik Flüchtlingen aus den Balkanstaaten jeglicher Asylgrund abgesprochen. Die Etikettierung auch der letzten Westbalkanstaaten als „sichere“ Herkunftsstaaten unterstrich dies. Dass sich nun eine entsprechende Entscheidungspraxis des Bundesamtes in den Sonderlagern etabliert hat, ist deshalb nicht verwunderlich. Teils dürfte sie den Direktiven entsprechen, denen die EntscheiderInnen unterliegen, teils scheint es eine Self-fulfilling prophecy: Wenn es keine Fluchtgründe gibt in den Balkanstaaten, dann müssen auch die Entscheidungen entsprechend ausfallen. So türmt sich eine von Schutzbedürftigen nicht zu überwindende Wand des Vorurteils auf. Aus den bayerischen Sonderlagern scheint es nur einen Weg hinaus zu geben – den zurück ins Herkunftsland. Die Lager erscheinen nicht als Orte eines beschleunigten Behördenverfahrens, sondern als Experimentierfelder, wie weit Flüchtlingen der Zugang zu Rechten verwehrt werden kann und welche Methoden geeignet sind, um sie möglichst ohne Verfahren zur Aufgabe und zur Rückkehr zu bringen.