Erfolgreiche Mobilisierung – wenig erreicht? Das Bayrische Polizeiaufgabengesetz und Gegenprotest

von Frederick Heussner

Drohende Gefahr, Unendlichkeitshaft und Staatstrojaner: Im Jahr 2018 brachte die bayerische Staatsregierung eine drastische Verschärfung des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) auf den Weg. Die Zivilgesellschaft hielt mit Protest dagegen – auch weil die Verschärfung Ausdruck des allgemeinen Rechtsrucks war und ist.

Am 10. Mai 2018 fand eine aufsehenerregende Großdemonstration in München statt, für die das Bündnis gegen das bayrische Polizeiaufgabengesetz – besser bekannt unter #noPAG – mehrere zehntausend Menschen mobilisiert hatte. Sie blieb kein isoliertes Ereignis sondern wurde zum Ausgangspunkt einer Dynamik, in deren Rahmen von Frühjahr bis Herbst 2018 in München und bundesweit Hunderttausende mobilisiert wurden. Im Fokus standen dabei nicht nur die Initiativen verschiedener Bundesländer zur Verschärfung der jeweiligen Polizeigesetze, sondern auch der Widerstand gegen einen allgemeinen gesellschaftlichen Rechtsruck. Dieser kam außer in den Verschärfungen der Polizeigesetze in geflüchtetenfeindlichen Parolen und Gesetzesänderungen und dem wachsenden Einfluss extrem rechter Akteur*innen auf den politischen Diskurs zum Ausdruck. Nachdem im Kontext des ‚Sommers der Migration‘ im Jahr 2015 linke und antirassistische Bewegungen noch relativen Aufwind hatten, schlug die gesellschaftliche Dynamik spätestens im Kontext islamistischer Attentate in Frankreich und der „Kölner Silvesternacht“ 2015/ 2016 deutlich nach rechts um. Treiber dieser Entwicklung waren neben den Akteur*innen der extremen Rechten (AfD, PEGIDA) insbesondere die CSU sowie Teile der Sicherheitsbehörden. Diese setzten sich in zunehmendem Maße für eine repressivere Politik ein, was nicht nur zu einer drastischen Verrohung des öffentlichen Diskurses, sondern auch zu etlichen autoritären und rassistischen Gesetzesverschärfungen führte.

Aus bayrischer Sicht kristallisierte sich dies im so genannten Bayerischen Integrationsgesetz, welches im Frühjahr 2016 auf den Weg gebracht wurde.[1] Es goss nicht nur eine rassistische Migrationspolitik und ein repressives Verständnis von „Integration“ in Gesetzesform (z. B. die verpflichtende Teilnahme an fdGO-Grundkursen in Strafanstalten für ausländische Staatsangehörige). Vielmehr war darin auch eine erste Änderung des PAG enthalten. Hierin wurde massiv in die Rechte von Geflüchteten eingegriffen. Insbesondere Identitätsfeststellungen und Durchsuchungen im Bereich von Geflüchtetenunterkünften wurden pauschal zu „Gefährlichen Orten“ erklärt und damit stark vereinfacht.[2] Bereits gegen diese erste Gesetzesnovelle gab es Widerstand: Das „Bündnis gegen das bayerische Ausgrenzungsgesetz“ mobilisierte am 22. Oktober 2016 Tausende zu einer Demonstration, die SPD und Grünen im bayerischen Landtag reichten Verfassungsklage ein. Diese war in Teilen erfolgreich, allerdings nicht bezogen auf die Änderung des PAG.[3]

Trotz dieser Proteste brachte die CSU im Frühjahr 2017 – als Reaktion auf islamistische Anschläge in Ansbach, Würzburg und Berlin – eine weitere Novelle des PAG auf den Weg: das „Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen“, welches am 19. Juli 2017 beschlossen wurde und am 1. August 2017 in Kraft trat.[4] Es erweiterte die Befugnisse der Polizei noch einmal drastisch – insbesondere durch die Einführung der Kategorie der „drohenden Gefahr“ und die Aufhebung der zeitlichen Begrenzung der Präventivhaft, aber auch die Möglichkeit, Kontaktverbote und Aufenthaltsgebote zu verhängen. Trotz dieser drastischen Verschärfung gab es zwar kritische Medienberichte[5] und eine kleinere Demonstration, insgesamt aber eher geringfügigen Widerstand. Das zeigte sich auch darin, dass nur die Grünen im Landtag gegen das Gesetz stimmten und eine Popularklage anstießen, während sich die SPD-Fraktion enthielt.

Turning Point? Die PAG-Novelle 2 und das Bündnis #noPAG

Während dem Gefährder-Gesetz nur begrenzter Widerspruch entgegengebracht wurde, änderte sich die Situation im Januar 2018 mit dem Entwurf einer weiteren Änderung des PAG.[6] Sollte die Zugriffsrechte und Spielräume der Polizei noch einmal erheblich erweitern, wobei insbesondere die Möglichkeit des Einsatzes von V-Leuten, Drohnen und Body-Cams, die Ausweitung der Befugnisse für DNA-Analysen, zu Online-Durchsuchungen und zum Einsatz von Staatstrojanern sowie die Verschlechterung des Schutzes von Berufsgeheimnisträger*innen Kritik hervorriefen. Besondere Brisanz erhielt die Gesetzesvorlage, da sie im Kontext eines am rechten Rand geführten Landtagswahlkampfes der CSU stand. Dieser zeichnete sich nicht nur durch eine rassistische Wahlkampf-Rhetorik (Stichwort: ‚Asyltourismus‘)[7] und eine erzkonservative Symbolpolitik (Stichwort: Kreuz­erlass)[8] aus. Er war auch durch etliche repressive Initiativen im Bereich der Migrationskontrolle, beispielsweise der Eröffnung von sieben AnKER-Zentren[9] geprägt und von wiederholten Razzien in Geflüchtetenunterkünften überschattet.[10]

In diesem Kontext wurde die (dritte) Reform des PAG zum Anlass einer breiten Gegenbewegung, die sich vor allem im Bündnis gegen das bayerische Polizeigesetz (#noPAG) formierte. Es umfasste neben politischen Parteien des linken und liberalen Spektrums, Berufsverbänden und Gewerkschaften auch politische Gruppen aus der antifaschistischen und antirassistischen Bewegung sowie Umweltaktivist*innen, Datenschützer*innen und Künstler*innen. Obwohl sich das Bündnis erst im Frühjahr 2018 konstituierte, formulierte es nicht nur die Forderung „die geplanten Änderungen am Polizeiaufgabengesetz nicht zu beschließen“, sondern auch „die im August 2017 beschlossene Einführung der ‚drohenden Gefahr‘ und der theoretisch möglichen unendlichen Haft zurückzunehmen.“[11] Das Bündnis #noPAG, die #noPAG-Jugend sowie weitere Initiativen, die bayernweit gegen das PAG mobilisierten, organisierten zahlreiche Info-Veranstaltungen, Petitionen und Demonstrationen, künstlerische Interventionen sowie einen Schulstreik. Diese vielfältigen Aktivitäten liefen in der eingangs genannten Großdemons­tration zusammen, die am 10. Mai 2018 im direkten Vorfeld der Verabschiedung des Gesetzes angesetzt war und mit mehreren Zehntausend Teilnehmer*innen alle Erwartungen übertraf.[12] Obwohl die Demonstration die Verabschiedung des Gesetzes nicht verhindern konnte, blieben die Gegner*innen des PAG aktiv: Politische Parteien und das Bündnis #noPAG in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) strengten Verfassungsklagen an.[13] Zudem unternahmen sie den Versuch, die Anwendung des neuen PAG nach dessen in Kraft treten zivilgesellschaftlich zu beobachten und anhand seiner praktischen Anwendung zu skandalisieren. Dabei war ein Fall von herausragender Bedeutung, in dem nach einem Polizeieinsatz in einer Geflüchtetenunterkunft in Schweinfurt mehrere Bewohner*innen in Präventivgewahrsam genommen wurden. Dabei wirkte sich in besonderer Weise aus, dass das PAG bei der Anordnung des Gewahrsams keinen Anspruch auf einen Rechtsbeistand vorsah. Vielmehr lag eine solche Beiordnung im Ermessen des Gerichts, das über den Gewahrsam entscheidet, auch wenn einem „FAQ“ der bayerischen Polizei anderes behauptet wurde.[14] Die Engagierten vernetzten sich zudem mit gegen Polizeigesetzreformen gerichteten Bündnissen in anderen Bundesländern und brachten das Thema Polizeigesetze in verschiedene Mobilisierungen gegen den allgemeinen Rechtsruck ein, etwa durch eine sehr erfolgreiche Zubringer-Demo zur #ausgehetzt-Demo am 22. Juli 2018, die Unterstützung des Netzwerks Seebrücke und des bundesweiten #unteilbar-Bündnisses.

Die CSU gibt sich sanfter: PAG-Reform und moderatere Rhetorik

Während die CSU zunächst vor allem versucht hatte, die Proteste zu diskreditieren, etwa als der Innenminister Herrmann den Gegner*innen des PAG Lügenpropaganda vorwarf,[15] kam es im Verlauf des Jahres 2018 zu einem graduellen Strategiewechsel. Nachdem die CSU die Wahlkämpfe 2017 noch unter Seehofer und 2018 dann unter Söder stark am rechten Rand geführt hatte, begann sie im Kontext des zivilgesellschaftlichen Gegenwinds davon Abstand zu nehmen. Das fand nicht nur Ausdruck in einer klareren Abgrenzung von der extremen Rechten – etwa als Söder versprach, den Begriff Asyltourismus nicht mehr zu verwenden.[16] Auch in Bezug auf die Proteste gegen das PAG gab man sich nun selbstkritisch. Die Regierung berief die PAG-Kommission, ein vor allem aus juristischen Expert*innen bestehendes Gremium unter dem Vorsitz des ehemaligen Präsidenten des bayerischen Verfassungsgerichtshofs Dr. Karl Huber. Diese hatte – mit explizitem Verweis auf die Kritik in der Öffentlichkeit – den Auftrag, die Anwendung des PAG zu überprüfen. Obwohl die Einsetzung der Kommission sich durchaus als Erfolg der Proteste verstehen lässt, wurde sie aufgrund ihres eingeschränkten Mandats, ihrer Staatsnähe und dem Fehlen zivilgesellschaftlicher Beteiligung von Gegner*innen des PAG stark kritisiert.[17] Sie lehnten es ab, sich in eine kleinteilige Debatte um einzelne Befugnisse zu begeben, sondern forderten weiterhin die vollständige Rücknahme der Reformen des PAG. Die Organisator*innen der beiden großen Mobilisierungen des Jahres 2018 (#noPAG und #ausgehetzt) organisierten gemeinsam eine weitere Großdemonstration (#JetztGilts), zu der erneut mehrere Zehntausend Menschen mobilisiert werden konnten.[18]

Die Durchführung der #JetztGilts-Demo am 4. Oktober und damit zehn Tage vor den Landtagswahlen zeigten das Ziel der Proteste, die Wahlen noch in ihrem Sinne zu beeinflussen. Hoffnung machten dabei die Wahlprognosen, die – nicht zuletzt auch wegen der breit getragenen Kritik an ihrer Innenpolitik – eine schwere Niederlage der CSU in Aussicht stellten. Während sie tatsächlich massiv Prozente abgeben musste und die in den Protesten medial stark präsenten Grünen (vor allem in München) ein starkes Ergebnis einfuhren, änderte sich an den politischen Machtverhältnissen nur wenig. Die CSU konnte trotz starker Verluste eine Koalition mit den Freien Wählern eingehen, zuvor keine grundsätzliche Gegnerin des PAG. Unabhängig davon, ob das Wahlergebnis als Erfolg oder als Niederlage erlebt wurde, ebbte die Dynamik der Protestbewegung danach merklich ab. Es gelang dennoch, das Bündnis #noPAG weiterhin stabil und sprechfähig zu halten, um die Begleitung von Verfassungsklagen und Kommission zu gewährleisten, Polizeikritik durch Vorträge, Bildungsveranstaltungen und Vernetzung voranzubringen sowie auf aktuelle Entwicklungen im Bereich Innere Sicherheit und Rechtsextremismus zu reagieren. Dabei gelang es – auch ohne eine direkte Beteiligung – die Kommission inhaltlich zu begleiten und in einem öffentlichen Beteiligungsprozess, in dem die Kommission Fragen u. a. an das Bündnis richtete, wahrnehmbar Stellung zu beziehen.[19]

Obwohl diese Stellungnahme das Gesetz in erheblichem Ausmaß kritisierte – etwa in Bezug auf die „Unendlichkeitshaft“ und den fehlenden Rechtsbeistand sowie das Konzept der drohenden Gefahr –, änderte sich zunächst weiterhin nichts. Die Staatsregierung versprach zwar Änderungen nach Vorlage des Abschlussberichts der Kommission am 29. August 2019,[20] verzögerte die Vorlage eines neuen Gesetzesentwurfs aber erheblich: statt wie angekündigt im November 2019 legte sie erst im Dezember 2020 den Entwurf einer Reform des PAG vor. Außerdem blieb diese hinter den Empfehlungen der Kommission zurück. Trotz wichtiger Änderungen wie der zeitlichen Begrenzung des Präventivgewahrsams auf zwei Monate oder die  zwingende Beiordnung eines Rechts­­beistands, änderte sich am grundrechtswidrigen Kern des Gesetzes – insbesondere dem Konzept der drohenden Gefahr und einer auf Generalklauseln basierenden Rechtsdogmatik – nichts.[21] Zudem zeigte sich erneut die Gleichgültigkeit der Staatsregierung gegenüber Kritik und Protesten. In einer Sitzung des Innenausschusses fügte sie erneut eine drastische Verschärfung in den als Entschärfung angekündigten Gesetzesentwurf ein – die „Zuverlässigkeitsprüfung“. [22] Die Polizei ist nun nach Art. 60a PAG befugt, unter anderem von Besucher*innen von Großereignissen personenbezogene Daten bei öffentlichen und nicht-öffentlichen Stellen abzufragen, wenn mit den Anlässen nach ihrer Einschätzung „erhebliche Sicherheitsrisiken“ verbunden sind. Kritiker*innen sehen darin ein Einfallstor für „Social Crediting“.[23] Die unzureichende Reform und die erneute Verschärfung wurden von der Protestbewegung aufgegriffen, skandalisiert und mit einer erneuten Mobilisierung – noPAG 2.0 – beantwortet. [24] Trotz des guten Medienechos und der kurzfristigen Mobilisierung einiger Tausend Menschen,[25] konnte die Verabschiedung der Novelle jedoch nicht verhindert werden.

Bewertung: Diskurs verändert – Gesetz bleibt?

Trotz der (unzureichenden) Änderungen und insbesondere im Kontext einer weiteren Verschärfung des PAG stellt sich die Frage, inwiefern die Proteste als Erfolg betrachtet werden können. Zunächst ist es bemerkenswert, dass die Proteste im Jahr 2018 überhaupt gesellschaftliche Relevanz erreicht hatten. Gerade wenn man die Proteste 2018 mit denjenigen zur Reform im Jahr 2017 vergleicht, wird sichtbar, dass es sich hier um eine sehr erfolgreiche Mobilisierung gehandelt hat. Diese hat letztlich sowohl im Gesetzgebungsprozess als auch im Zuge der Kommission und der anschließenden Überarbeitung in einigen Bereichen dazu geführt, dass Befugnisse abgeschwächt wurden. Außerdem wird vielfach die schwierig zu belegende These in den Raum gestellt, dass der Widerstand zu einer moderateren Anwendung des Gesetzes in der polizeilichen Praxis geführt haben könnte.

Dennoch scheint der Haupterfolg jenseits der Auseinandersetzung um das PAG selbst zu liegen. Der Protest hat geholfen, der gesellschaftlichen Normalisierung autoritärer und extrem rechter Politik einen sichtbaren Gegenpol entgegenzustellen, was angesichts einer eskalierenden Dynamik von rechts wichtig und notwendig war. Dies hat dazu beigetragen, dass Polizeikritik auch innerhalb bürgerlicher Milieus wieder sag- und hörbar wurde und sich die CSU inzwischen zumindest rhetorisch klar von der extremen Rechten distanziert. Zudem hatte die Mobilisierung „nach innen“ erhebliche positive Effekte: Die Vernetzung verschiedener Gruppen und Spektren hat sich erheblich verbessert, während die Zusammenarbeit in dem breiten Bündniskontext auch bürgerliche Akteur*innen für Antifaschismus und Anti-Repressionsarbeit sensibilisierte. Beides hat sich etwa im Bereich einer verbesserten Reaktionsfähigkeit auf aktuelle Entwicklungen gezeigt. So konnte nicht nur konkrete Solidarität in Repressionsfällen organisiert werden – etwa in Bezug auf die Verfolgung der kurdischen Bewegung[26] oder im Kontext der S20-Proteste in Salzburg.[27] Auch erleichterten es die in der Bündnis-Arbeit entstandenen Kontakte, auf Ereignisse wie den rechtsterroristischen Anschlag in Hanau, die Wahl des FDP-Politiker Kemmerich mit Stimmen der AfD zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten von Thüringen oder auf das Aufkommen verschwörungsideologischer „Querdenken“-Bewegungen zu reagieren. Zudem haben sich viele, insbesondere junge Menschen durch die Mobilisierung gegen PAG und Rechtsruck politisiert, was sich auch in anderen Bewegungszusammenhängen der letzten Jahre – etwa bei FFF oder Black Lives Matter – bemerkbar gemacht hat.

Trotz dieser positiven Wirkungen der Mobilisierung muss konstatiert werden, dass es (bisher) nicht gelungen ist, die zentralen Forderungen – eine Rücknahme der Verschärfungen des PAG von 2016, 2017 und 2018 oder einen grundsätzlichen Richtungswechsel im Bereich der „Inneren Sicherheit“ – zu erreichen. Das hat zum Teil mit klassischen Bewegungslogiken und -dynamiken zu tun, die sich um Schlüsselereignisse zentrieren und eine dauerhafte Einbindung einer großen Zahl der kurzzeitig aktivierten Menschen erschweren. Es hat aber auch mit einer spezifischen inhaltlichen Logik der Mobilisierung zu tun, die stark auf den Zusammenhang zwischen der autoritären Linie der CSU und dem allgemeinen Rechtsruck fokussiert war. Je mehr die CSU von dieser Linie Abstand nahm und sich – zumindest rhetorisch – in Richtung linksliberaler Milieus orientierte, reduzierte sich für diese die Brisanz des Themas, obwohl weder auch nur ein AnKER-Zentrum geschlossen noch das PAG zurückgenommen wurde. Zudem hatte die defensive, d. h. auf die Bewahrung des Bestehenden zielende Grundhaltung nicht-intendierte Nebeneffekte. Hintergründe und Ursachen der PAG-Verschärfungen jenseits des allgemeinen Rechtsrucks – etwa technologische Entwicklungen im Zusammenhang von Digitalisierung oder strukturelle Krisentendenzen im Kapitalismus – gerieten aus dem Blickfeld, obwohl sie eine offensive, über das Bestehende hinausweisende Ausrichtung der Proteste nahe gelegte hätten.

Ausblick

Nachdem die Auseinandersetzung um die neueste Verschärfung des PAG für viele Beteiligte wegen der ausbleibenden Massenmobilisierung demotivierend war, kam das Thema im Rahmen der Proteste gegen die Internationale Automobil Ausstellung (IAA) wieder verstärkt auf die Agenda. Der über Wochen medial vorbereitete Polizeieinsatz[28] ging mit erheblichen Repressionen gegen Aktivist*innen, Demonstrierende und Pressevertreter*innen einher. So wurden bereits am Eröffnungstag der IAA mehrere Aktivist*innen, die an einer Abseilaktion beteiligt waren, in Präventivhaft genommen – was nach einigen Tagen gerichtlich beanstandet und aufgehoben wurde. [29] Das führte zusammen mit der Bedeutung des PAG als Symbol ‚bayerischer Verhältnisse‘ dazu, dass die Verschärfung des PAG und die noPAG-Proteste im Kontext der Proteste präsent waren[30] und das PAG und die Aktivitäten der Klimabewegung verstärkt miteinander in Verbindung gebracht wurden. Dabei besteht zwar die Gefahr, dass der Zusammenhang zwischen autoritärer Formierung und dem Aufschwung sozialer Bewegungen verkürzt gedeutet wird, es überwiegt jedoch die Hoffnung, dass die Verschärfungen des PAGs und die autoritäre Formierung verstärkt im Kontext der Krisentendenzen der kapitalistischen Normalität begriffen werden. Das könnte dazu beitragen, dass der Widerstand gegen die autoritäre Formierung nicht rein defensiv ausgerichtet bleibt, sondern mit einer auf die gesamte Gesellschaft gerichteten Perspektive der Emanzipation verbunden wird. Gerade in Anbetracht der immer weiter eskalierenden Klimakrise erscheint das dringend geboten.

[1]   LT BAY Drs. 17/11362 vom 10.5.2016
[2]   Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 lit c) PAG-neu
[3]   Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichthofs vom 3.12.2019, Vf 6-VIII-17, Vf. 7-VIII-17
[4]   Bay. Gesetz- und Verordnungsblatt 2017, Nr. 13 vom 31.7.2017, S. 388
[5]   www.sueddeutsche.de/bayern/gefaehrder-gesetz-bayern-fuehrt-die-unendlichkeitshaft-ein-1.3594307
[6]   BAY LT Drs. 17/20425 vom 30.1.2018
[7]   www.welt.de/politik/deutschland/article177596828/Markus-Soeder-Wir-muessen-endlich-den-Asyl-Tourismus-beenden.html
[8]   www.tagesschau.de/inland/bayern-behoerden-kreuz-103.html
[9]   www.sueddeutsche.de/bayern/ankerzentren-bayern-1.4075073
[10] https://barrikade.info/article/1158
[11] www.nopagby.de/aufruf
[12] www.br.de/nachrichten/bayern/23-000-teilnehmer-bei-nopag-demo-in-muenchen,QreIsWt
[13] https://freiheitsrechte.org/pm-vb-baypag
[14] www.nopagby.de/2018/10/12/pag-fuehrt-dazu-dass-menschen-ohne-anwalt-in-gewahrsam-genommen-werden-duerfen-csu-luegt-trotz-klarer-faktenlage
[15] www.br.de/nachrichten/bayern/herrmann-wirft-pag-gegnern-luegenpropaganda-vor,QrisuAv
[16] www.zeit.de/politik/deutschland/2018-07/csu-markus-soeder-asyltourismus
[17] www.nopagby.de/2018/06/13/herrmann-benennt-expertenkommission-zu-pag-zu-wenig-zu-spaet-und-wo-ist-die-zivilgesellschaft
[18] www.nopagby.de/2018/10/03/nopag-und-ausgehetzt-bringen-abermals-40-000-auf-die-strasse-vielfalt-des-bayerischen-widerstands-kurz-vor-der-landtagswahl-vereint
[19] www.nopagby.de/2019/04/10/antworten-auf-die-fragen-der-kommission-zum-pag
[20] www.sueddeutsche.de/bayern/bayern-polizeiaufgabengesetz-kommission-nachbesserung-1.4581727
[21] www.nopagby.de/2021/02/23/pag-entwurf-bleibt-hinter-kritik-der-kommission-zurueck-zentrale-verfassungsrechtliche-probleme-bleiben-unangetastet
[22] www.heise.de/news/Konzerte-Co-Bayerische-Polizei-soll-Helfer-und-Besucher-durchleuchten-duerfen-6120537.html
[23] www.sueddeutsche.de/bayern/bayern-polizeiaufgabengesetz-verschaerfung-ueberwachung-1.5333131
[24] www.nopagby.de/2021/07/10/schlimmer-geht-immer-nein-zum-pag-2-0
[25] www.nopagby.de/2021/07/18/gross-demo-in-muenchen-2500-demonstrieren-gegen-pag-2-0
[26] www.nopagby.de/2018/09/01/solidaritaetserklaerung-mit-kurdischen-aktivisten
[27] www.nopagby.de/2018/09/21/nopag-buendnis-verurteilt-verletzung-von-demonstrationsrechten
[28] www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-polizei-iaa-proteste-einsatz-konzept-1.5400288
[29] www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-iaa-praeventivhaft-aktivisten-1.5409141
[30] www.taz.de/Stoerer-bei-Automesse-in-Muenchen/!5795867

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