Polizeiliche Todesschüsse 2021

von Otto Diederichs

Obwohl die Polizei im vergangenen Jahr  häufiger als in den Vorjahren von der Schusswaffe Gebrauch machte, wurde weniger häufig auf Menschen geschossen. Die offizielle Schusswaffengebrauchsstatistik verzeichnet für 2021 insgesamt 51 Schüsse auf Personen und damit 24 weniger als im Vorjahr. Waren es 2020 noch 15 Menschen, die durch Polizeischüsse getötet wurden, so waren es im Jahr darauf ‚nur‘ acht; verletzt wurden 31 Personen.[1]

Die Statistik wurde in diesem Jahr noch später fertig als gewöhnlich. Bekanntlich ist die ursprüngliche Regel, wonach die Schusswaffenstatistik im ersten Viertel des Folgejahres fertiggestellt werden soll, seit Längerem außer Kraft gesetzt. Mit Verweis auf die Corona-Lage wurde die CILIP-Redaktion nach Anfragen im Mai und Juni vertröstet; im Juli wurde auf eine ausstehende Freigabe durch den IMK-Vorsitz verwiesen. Die nunmehr an das Bayerische Staatsministerium des Innern gerichtete Anfrage wurde überraschend schnell beantwortet. Mitte August lag die Schusswaffengebrauchsstatistik 2021 auf dem Redaktionsschreibtisch und sorgte für eine Überraschung:  Ausweislich des Datums der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol), die die Auswertung der von den Länderpolizeien übersandten Daten übernimmt und daraus die Statistik erstellt, war diese bereits seit zwei Monaten fertig.

Bekanntes Problem ohne Lösung

So positiv es auch zu bewerten ist, dass Polizeieinsätze mit Schusswaffengebrauch mit tödlichem Ausgang in 2021 um fast die Hälfte zurückgegangen sind, so bleibt dennoch ein fader Beigeschmack. Von den acht Getöteten befanden sich drei in einem psychischen Ausnahmezustand (Fall 4, 6 und 7). Damit bleibt ein altes Problem weiterhin bestehen, auf das CILIP bereits des Längeren hinweist und Konsequenzen fordert, nämlich dass auf das Erschießen von psychisch kranken Menschen durch die Polizei reagiert werden und diese Lagen in der Ausbildung von Beamt*innen gesondert berücksichtigt werden müssen. Ein Weg dorthin ist bisher allerdings nicht erkennbar, denn es gibt bislang nicht einmal Statistiken darüber, ob und wieweit Menschen mit psychischen Problemen möglicherweise häufiger Opfer schwerwiegender Polizeieinsätze werden.[2] So rät etwa der Bochumer Kriminologe Thomas Feltes, dass bei derartigen Einsätzen stets ein Psychologe oder Psychiater dabei sein sollte.[3] Ohne eine Art psychologisch/psychiatrischen Dauerdienst auf Ebene der Präsidien scheint dies wenig praktikabel. Einen Einsatz von Reizgas oder Taser empfänden psychisch Erkrankte laut Feltes häufig als unmotivierten Angriff und starteten dann einen Gegenangriff. „Es ist immer das gleiche Muster“. An dieser Argumentation ist sicherlich einiges richtig, doch werden polizeiliche Entscheidungen in gefährlichen Situationen häufig in Sekundenbruchteilen getroffen – was dann?

Auch bei tödlich verlaufenden Schusswaffeneinsätzen insgesamt lasse sich kein Trend erkennen, sagt der Kriminologe Tobias Singelnstein (Goethe-Universität Frankfurt/Main) in einem Pressegespräch. Generelle Veränderungen ließen sich „erst nach einigen Jahren ablesen“.[4] Diese Einschätzung wird bestätigt, durch unsere jährliche Dokumentation polizeilicher Todesschüsse seit 1976:[5] Jahre mit vielen von der Polizei erschossenen Menschen werden gefolgt von Jahren mit wenigen „Polizeitoten“, ohne dass eine Entwicklung hin zu weniger oder mehr erkennbar wäre.

Sonstige Schüsse[6]

Wie in jedem Jahr wurde die Mehrzahl der Schüsse mit 17.331 auf gefährliche, kranke oder verletzte Tiere abgegeben. Gefolgt von Warnschüssen mit 60 und Schusswaffengebrauch gegen Sachen mit 47; von letzteren wurde einer als unzulässig gewertet. Zu unbeabsichtigten Schussabgaben kam es in 96 Fällen sowie zu 10 Signalschüssen.   

Fall

1

2

3

4

5

6

7

8

Name/Alter

Unbek. Mann / 65 J.

Omar K., 36 J.

Unbek. Mann / 35 J.

Soner Atasoy / 41 J.

Unbek. Mann / 45 J.

Abdul I. / 39 J.

Kamal Ibrahim / 40 J.

Unbek. Mann / 35 J.

Datum

06.01.2021

28.05.2021

13.06.2021

22.06.2021

24.06.2021

25.08.2021

03.10.2021

26.12.2021

Ort/Bundesland

Mülheim/Ruhr / NRW

Hamburg

Wuppertal / NRW

Frankfurt/M. / Hessen

Freudenstadt / B-W

Groß-Gerau / Hessen

Harsefeld / Niedersachsen

Herford / NRW

Szenarium

Im Hausflur eines Mehrfamilienhauses schießt ein Mann mit einem Gewehr herum. Als Polizeibeamt*innen eintreffen, schießt er auch unmittelbar auf sie; die Beamt*innen schießen zurück. Der Mann stirbt noch vor Ort.

Ein Mann hält auf der Straße Autos an, beschädigt sie und bedroht die Fahrer*innen mit einem Messer. Eintreffende Polizist*innen werden ebenfalls mit dem Messer bedroht; sie setzen Pfefferspray ein. Zufällig in der Nähe befindliche SEK-Beamte benutzen erfolglos einen Taser. Daraufhin schießt ein Beamter mehrmals und verletzt den Mann schwer. Er stirbt vor Ort.

Wegen Schwierigkeiten mit einem Nachbarn wird die Polizei gerufen. Auf Klingeln und Klopfen der Beamt*innen reagiert der Mann nicht. Als die Polizist*innen die Tür selbst öffnen, kommt er mit einem Knüppel und einem „anderen Gegenstand“ auf sie zu. Daraufhin schießt ein Beamter und trifft ihn tödlich.

Wegen „seltsamer Geräusche“ aus einer Wohnung wird die Polizei alarmiert. Vor Ort werden die Beamt*innen von dem psychisch erkrankten Mann angegriffen. Diese Darstellung wird von der Anwältin der Angehörigen bestritten. Eine Polizistin schießt auf den Mann und trifft ihn. Er zieht sich in die Wohnung zurück. Die Polizist*innen rufen ein SEK, das den Mann tot in der Wohnung findet. Er war, von 10 Schüs­sen getroffen, verblutet.

Eine Frau alarmiert die Polizei wegen häuslicher Gewalt und bittet um Hilfe. Die eintreffenden Beamt*innen versuchen, den Mann zu beruhigen, was jedoch misslingt. Der Mann greift sie schließlich mit einem Messer an. Daraufhin schießt ein Beamter mehrfach auf ihn; der Mann stirbt noch vor Ort.

In einem psychischen Ausnahmezustand geht ein Mann mit einem Küchenmesser auf seine Frau und Schwiegermutter los. Die Frau flieht, der Mann verfolgt sie und verletzt im Treppenhaus auch zwei Nachbarn. Auf der Straße greift er die eingetroffenen Polizist*innen an. Diese geben Warn- und danach gezielte Schüsse auf den Mann ab. Von 15 Schüssen treffen ihn fünf; ein Querschläger in die Brust. Der Mann verstirbt vor Ort.

Von einer Asylbewerberunterkunft wird die Polizei alarmiert, weil dort ein Mann andere Personen mit einem Messer bedroht. Es ist dort bereits der dritte Einsatz an diesem Tag. Eine von der Polizei zuvor erbetene Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung war abgelehnt worden. Als die Beamt*innen eintreffen, werden sie von dem Mann angegriffen und geben drei Schüsse auf ihn ab. Der Mann stirbt zwei Tage später im Krankenhaus.

Eine Frau alarmiert die Polizei nachdem ihr Freund sie im Streit mit einem Messer angegriffen und verletzt hat. Als die Beamt*innen eintreffen, bedroht der Mann sie angeblich mit einer Schusswaffe. Die Polizist*innen schießen daraufhin auf ihn und verletzen ihn schwer. Die Frau und der Mann werden ins Krankenhaus gebracht, wo der Mann verstirbt.

Opfer mit Schusswaffe

Ja (Gewehr)

Nein (Messer)

Nein (Knüppel u.a.)

Ja (und Messer)

Nein (Messer)

Nein (Küchenmesser)

Nein (Messer)

Ja

Schusswechsel

Ja

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Sondereinsatzbeamte

Nein

Nein / Ja

Nein

Nein / Ja

Nein

Nein

Nein

Nein

Verletzte/getötete Beamte

Nein

Nein

Nein

Ja (verletzt)

Nein

Nein

Nein

Nein

Vorbereitete Polizeiaktion

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

Nein

[1]   Fälle von polizeilichem Schusswaffengebrauch für das Jahr 2021 v. 21.06.2022
[2]   Berliner Morgenpost v. 11.8.2022
[3]   Der Spiegel v. 10.8.2022
[4]   Berliner Morgenpost v. 11.8.2022
[5]   https://polizeischuesse.cilip.de
[6]   Fälle von polizeilichem Schusswaffengebrauch für das Jahr 2021 v. 21.6.2022

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