Polizei und technische Innovationen: Hoffnungen und Gefahren der „Polizei der Zukunft“

von Norbert Pütter und Eric Töpfer

Die Modernisierung von Polizeien umfasst auch von ihr genutzte Instrumente und Verfahren, die aus dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt resultieren. Obgleich im Detail wenig bekannt, sind neue Technologien in allen polizeilichen Arbeitsfeldern im Einsatz, ihr Ausbau ist erklärtes Ziel der Verantwortlichen. Insbesondere in der Digitalisierung werden Chancen für eine effektivere Polizeiarbeit gesehen. Mit dem Ausbau ihrer technischen Kapazitäten vergrößern sich Definitionsmacht, Überwachungs- und Handlungsoptionen der Polizei; deren Kontrollierbarkeit wird durch die neuen Technologien noch schwieriger. 

Auch wenn der Begriff aus der Mode gekommen ist, wir leben in einer Gesellschaft, die durch den „wissenschaftlich-technischen Fortschritt“ geprägt ist: Wissenschaft legitimiert sich über weite Strecken über ihre „Praxisrelevanz“; die Praktiker*innen erhoffen sich mehr Effektivität und Effizienz von dem, was die Wissenschaft ihnen bietet; die Wirtschaft setzt auf Wachstumsimpulse, die durch neuen Technologien ausgelöst werden sollen; die politisch Verantwortlichen inszenieren sich gerne als Fördernde des „Neuen & Besseren“; und die Öffentlichkeit erwartet eine moderne Praxis, die „auf der Höhe der Zeit“ ist, weil sie Innovationen nutzt.

Dass diese „Modernitätserwartung“ auch für die Polizei gilt, ist trivial. Wer die Polizei stärken will, wird immer auf „den Fortschritt“ setzen. Was dabei als „Innovation“ gilt, ist jedoch weder unumstritten noch vollzieht sich seine Diffusion in der Polizei linear. Denn um sich als Innovation durchzusetzen, müssen Artefakte nicht nur als neu wahrgenommen, sondern auch als Verbesserung erlebt werden.[1] Und gerade im Feld der Polizei haben Neuerungen mit besonderen Hindernissen zu kämpfen: Die Abhängigkeit von politischen Entscheidungen, die föderal verteilten Zuständigkeiten und Konkurrenzen, die Schwerfälligkeit eines hierarchischen Systems oder die Langlebigkeit von bürokratischen Routinen und Einstellungen des Personals.[2]

Trotz dieser Hindernisse kann jedoch kaum behauptet werden, die deutschen Polizeien hätten in den letzten Jahrzehnten den wissenschaftlich-technischen Fortschritt ignoriert.[3] Vielmehr können die letzten Jahrzehnte als ein Prozess der ständigen Implementation des Neuen (oder zumindest als Versuch dazu) betrachtet werden. Seit Ende der 1960er Jahre wurden dafür sowohl die polizeiinternen Kapazitäten für Forschung und Entwicklung als auch Kooperationen mit polizeifremden Wissenschaftler*innen erheblich ausgebaut.

Agenten des Wandels

Eine zentrale Rolle spielt dabei das Bundeskriminalamt (BKA), das 1973 den gesetzlichen Auftrag erhielt, „Forschung zur Entwicklung polizeilicher Methoden und Arbeitsweisen der Verbrechensbekämpfung zu betreiben“.[4] In der Folge expandierten sein Kriminalistisches Institut ebenso wie das Kriminaltechnische Institut (KT), die nicht nur die Arbeit der Länderpolizeien unterstützen und beraten, sondern auch forschend tätig sind, um, wie es in einer Selbstdarstellung des KT heißt, die „Initiativ- und Führungsrolle auf nationaler und internationaler Ebene beständig auszubauen“.[5] Parallel dazu sind auch bei den Landeskriminalämter die kriminaltechnischen Abteilungen gewachsen, die sich in größeren Bundesländern durchaus mit der des BKA messen, so dass sie ebenfalls in der Lage sind, Forschung und Entwicklung zu betreiben.

Im Bereich der Schutz- und Bereitschaftspolizeien sind es im Wesentlichen die für Ausrüstung und Beschaffung zuständigen zentralen (technischen) Dienste, die durch Marktbeobachtung, Erprobung angebotener Produkte, Spezifizierung von Anforderungen und mitunter auch Eigenentwicklung den technischen „Fortschritt“ in der Polizei verwalten.

Zur bundesweiten Abstimmung und Beratung ihres Arbeitskreises II gründete die Innenministerkonferenz 1974 die Forschungs- und Entwicklungsstelle für Polizeitechnik (seit 1997 Polizeitechnisches Institut, PTI). Ihre Aufgabe: „Entwicklung und Erprobung von technischen Verfahren und Geräten“.[6] In der Regel erfolgte dies durch Beauftragung von Forschungseinrichtungen oder der Industrie. War die Stelle ursprünglich in allen relevanten Bereichen – von der Fahrzeug- über die Waffen- bis zur Fernmeldetechnik und „Kybernetik“ tätig – hat sie bzw. das PTI im Laufe der Jahre an Bedeutung verloren und ist heute fast nur noch für Koordinierungsaufgaben und das technische Richtlinienwesen zuständig.[7] Zur technikorientierten Forschung hat die Bundespolizei vor gut einem Jahrzehnt die „Forschungs- und Erprobungsstelle“ an der Bundespolizeiakademie in Lübeck eingerichtet.[8]

Unter dem Eindruck der Digitalisierung haben die zentralen Dienste verschiedener Länderpolizeien in den letzten Jahren „Innovationslabore“ eingerichtet, um – in Kooperation mit externen Partner*innen aus Forschung und Privatwirtschaft – „neue Technologien“ für die Polizei nutzbar zu machen (s. Kasten S. 11f.). Zudem wurden bei den Kriminalämtern in Bund und Ländern neue Organisationseinheiten für „Cyber“ geschaffen.[9]  Neben eigener Ermittlungsarbeit sollen sie als zentrale Dienstleister andere Dienststellen durch die Bereitstellung von Know-how und Technik unterstützen und zu diesem Zwecke auch Forschung und Entwicklung betreiben. Auch sie scheinen dafür gut vernetzt mit einschlägigen Forschungseinrichtungen.

Polizei als sozio-technische Konstellation

Freilich bleibt unklar, wie es um polizeiliche Neuerungen wirklich steht. Für die polizeiliche Selbstinszenierung reicht die Kontinuität von der „gesellschaftssanitären Aufgabe“, die der Polizei nach der Vision des damaligen Präsidenten des Bundeskriminalamtes zukomme,[10] bis zu dem auf „Künstliche Intelligenz“ (KI) gestützten Versprechen, vor den Täter*innen den Tatort zu kennen.[11] Dass die Realitäten diesen großspurigen Verheißungen nicht folgten, verdeckt die vielen kleinen „Fortschritte“ über die die Polizeien umso mehr schweigen, je konkreter sie werden. Dabei ist offenkundig, dass nicht nur Polizei die Technik(entwicklung) prägt, sondern umgekehrt auch die Technik polizeiliche Handeln strukturiert und damit Arbeit und Organisation verändert.[12]

Sofern sich die kritische Öffentlichkeit mit der Verwendung „avancierter Technik“ (Detlef Nogala) durch die Polizei beschäftigt hat, stand deren Umgang mit „Daten“ im Vordergrund: von deren Erhebung durch verdeckte Methoden über ihre Verarbeitung in polizeilichen Datensystemen bis zur Nutzung in KI-Anwendungen. Dass die (befürchteten) Eingriffe in das „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ in Beziehung gesetzt werden müssen mit den neuen Technologien, über die die Polizeien insgesamt verfügen, kommt dabei häufig zu kurz. Um die Bedeutung der technisch-ingenieur- oder ‑naturwissenschaftlichen Innovationen in den Polizeien ermessen zu können, müssten sie im Kontext mit den organisatorisch-administrativen, den strategischen und den Veränderungen der Ausbildung betrachtet werden. Denn in allen diesen Feldern sucht die Polizei nach dem Neuen, wenngleich nicht in den Natur-, sondern in den Verwaltungs-, Sozial- oder Kriminalwissenschaften. Eine solche Gesamtsicht steht aus; in dieser Einleitung können wir nur einige Hinweise auf das natur- und ingenieurswissenschaftlich modernisierte Instrumentarium geben.

Technikorientierung

Die auf Technik gerichteten Hoffnungen der Polizeien werden von unterschiedlichen Motiven getragen. Stephan Heinrich hat drei Handlungsorientierungen unterschieden: Die „instrumentelle Technisierung“ sieht in technischen Innovationen allein ein Hilfsmittel zur effektiveren Erreichung der polizeilichen Ziele. Technik, so die zweite Orientierung, solle zu einer Verwissenschaftlichung der Arbeit führen und damit objektiviertes und nachvollziehbares Wissen an die Stelle von Vorurteilen und tradierten Vorgehensweisen setzen. Und, drittens, wird die Modernisierung gefordert, um polizeilich mit dem allgemeinen Stand der Technik Schritt zu halten.[13] Die Unübersichtlichkeit der Technikentwicklung wird nicht allein durch diese unterschiedlichen Motive gefördert, sondern auch durch den Umstand, dass sie durch verschiedene Akteure (Politik, Behörden, Wissenschaft, Unternehmen) auf unterschiedlichen Ebenen (Bund, Bundesländer und EU) mit verschiedenen Interessen (Inszenierung, Effektivitätssteigerung, Fördergelder, Gewinne) betrieben wird.

Technik wird in allen Bereichen der Polizei eingesetzt. Heinrich hat fünf Funktionsbereiche für ihren Einsatz identifiziert: (1) die „Detektion“ von Delikten oder Gefahren, (2) die „Identifikation“ von Personen oder Sachen, (3) die „Lokalisation“ von Personen, (4) die interne Kommunikation und Koordination und (5) die Intervention.[14] Die jeweils zum Einsatz kommenden Instrumente sind vielfältig. Im Folgenden können wir nur ausschnitthaft auf die Entwicklung einiger technischer Innovationen im Polizeibereich und die mit ihnen verbundenen bürgerrechtlichen Probleme hinweisen. Die mangelnde Offenheit von Herstellern und Anwendenden und die spärliche Forschungslage erlauben nicht mehr als eher allgemeine Bemerkungen und eher Hypothesen als Feststellungen.

Weniger tödliche Waffen

Während die Polizei des Kaiserreichs den Untertan*innen noch in militärischer Tradition mit Säbeln gegenübertrat, begann in der Weimarer Republik der Versuch, sie zu „zivilisieren“ und mit Gummiknüppel auszurüsten. An diese Entwicklung knüpfte die westdeutsche Polizei auf Druck der Alliierten in der Nachkriegszeit an.[15] Wenngleich der erzwungene Verzicht auf Schusswaffen nur von kurzer Dauer war, wandelte sich das Arsenal der polizeilichen Zwangsmittel seit den 1970er Jahren deutlich. Die Gummiknüppel wurden durch längere Schlagstöcke ersetzt und diese später durch Tonfas. „Reizstoffe“ wie CN- und CS-Gase und – seit den 1990er Jahren – das Pfefferspray hielten Einzug (nicht nur) ins „crowd policing“, um die „Lücke“ zum Schusswaffengebrauch zu schließen und den Einsatz staatlicher Gewalt zu flexibilisieren.[16]

Inzwischen hat die Suche nach neuen Waffen die Polizei zu Distanzelektroimpulsgeräten (DEIG), besser bekannt als „Taser“, geführt. In den frühen 2000er Jahren ursprünglich nur für polizeiliche Spezialkräfte angeschafft, hat der Taser in den meisten Bundesländern inzwischen den Streifendienst erreicht.[17] Tausende von Geräten sind heute täglich beim Dienst auf der Straße mit dabei. Häufig waren und sind Pilotprojekte vorgeschaltet, die den Einsatz in kleinem Maßstab – und manchmal unter Beteiligung polizeinaher Wissenschaft – evaluieren. Zwar wurden selbst bei diesen kleinräumigen „Sozialexperimenten“ Fälle von Einsätzen der vermeintlichen Distanzwaffe im „Kontaktmodus“ dokumentiert,[18] der allein dem Zweck dient, Schmerz zuzufügen. Gleichwohl gelten die Projekte, in denen ausschließlich technische, taktische und rechtliche Aspekte betrachtet werden, regelmäßig als „Erfolg“.

Zweifel an dieser Bewertung sind nicht nur angezeigt, weil seit 2021 acht Tote im Zusammenhang mit Taser-Einsätzen gezählt wurden[19] und das „Tasern“ etwa im Dortmunder Fall des 16-jährigen Mouhamed Dramé den tödlichen Schusswaffeneinsatz nicht verhindert hat. Vielmehr ist zu vermuten, dass mit der Verfügbarkeit neuer weniger letaler Waffen die Schwelle zur Gewaltanwendung sinkt und sich ihr Einsatz normalisiert – dass die äußere Aufrüstung auch zu einer inneren führt, wie ein ehemaliger Berliner Polizeidirektor mit Blick auf den Taser bereits 2004 warnte.[20]

Videoüberwachung

Videokameras dienten bereits in den 1950er Jahren als Mittel zum Verkehrsmanagement. Für die Überwachung von als gefährlich markierten Straßen und Plätzen „entdeckte“ die Polizei diese aber erst in den 1990er Jahren. Eine schlagartige Expansion nach britischem Vorbild blieb damals jedoch aus.[21] Mittlerweile haben sinkende Kosten, erweiterte Befugnisse und Förderprogramme wie in Hessen zur schleichenden Ausweitung der polizeilichen Videoüberwachung städtischer Räume geführt, ohne dass dies noch einen Aufschrei provozieren würde. Daneben schaltet sich die Polizei schon länger auf Fremdanlagen auf und setzt mobile Kameras in Autos sowie auf Versammlungen ein. Aktuell halten „Bodycams“ Einzug in den polizeilichen Alltag, während sich bereits filmende Drohnen anschicken, ihnen hinterherzufliegen.[22]

Der wachsenden Flut der Bilder sucht die Polizei schon länger mit Projekten zur Automatisierung der Überwachung zu begegnen.[23] 2006 testete das BKA in Mainz Kameras mit Gesichtserkennungssoftware. Die Bundespolizei machte es ihm elf Jahre später am Berliner Südkreuz nach. In Sachsen wurde die digitale Schleierfahndung per Gesichtserkennung im grenznahen Raum erprobt. In Bayern darf die Polizei mittels Mustererkennung nach Gegenständen suchen, in Baden-Württemberg nach Verhalten, das auf die Begehung von Straftaten hindeuten. Dafür werden in Mannheim im Rahmen eines fast zehnjährigen „Pilotprojektes“ zusammen mit einem Fraunhofer-Institut die Algorithmen verfeinert und marktreif gemacht.[24] Die gleiche Technik wird seit letztem Jahr auch durch die Hamburger Polizei eingesetzt.[25]

Unterm Strich geraten so immer größere Teile der Bevölkerung ohne Anlass in den Fokus polizeilicher Kameras. Flimmerten die Bilder bisher meist ohne Aufsehen über die Monitore von Kontrollräumen oder Einsatzleitzentralen, wächst mit der sich abzeichnenden Automatisierung das Risiko, fälschlicherweise zum Ziel polizeilicher Intervention zu werden. Dabei könnten Normalitätsvorstellungen von Polizei und Softwareentwickler*innen sowie verzerrte Datensätzen für das Training der Algorithmen altbekannte Diskriminierungsmuster noch verschärfen.

Digitalisierungen

Zweifellos liegen die größten polizeilichen Zukunftsoptionen im Feld der Digitalisierung. Einerseits entstehen ungeahnte Möglichkeiten riesige und disparate Datenmengen zu verknüpfen, Zusammenhänge zu erkennen, Sachverhalte zu rekonstruieren, Prognosen zu erstellen und darauf fußende Einsatzstrategien zu entwickeln. Andererseits führt die Digitalisierung sozialer Handlungen dazu, dass die auswertbare Datenmenge und damit die Kontrollierbarkeit alltäglichen Handelns enorm anwachsen werden.

Die Forensik hat sicherlich bislang den größten Nutzen aus der Digitalisierung gezogen.[26] Gerade hier ist die Hoffnung verbreitet, dass mit angewandter Naturwissenschaft sachlich zutreffende Sachverhalte ermittelt werden. Gleichwohl sind die Gefahren nicht zu übersehen: von der Fahndung nach unbekannten Tatverdächtigen durch die „DNA-Phänotypisierung“ bis zu den Ungleichgewichten, die in Strafverfahren entstehen können.[27] Dabei steht die Entwicklung erst am Anfang. Wie das Entstehen der Mobilfunktelefonie ungeahnte Überwachungsoptionen eröffnete (Aufenthaltsbestimmung, Bewegungsprofile, Netzwerke …), so wird die KI-gestützte Verfolgung des Alltags – vom E-Shopping über den Zahlungsverkehr bis zu den Sozialen Medien – alle diejenigen zu „gläsernen Bürger*innen“ machen, die in den Fokus der Algorithmen geraten.

Ein kurzes Fazit

Ungebrochen aktuell ist die Diagnose, dass die wachsende Technisierung der Polizei als „Machtverstärker“ (D. Nogala) wirkt: Sie vergrößert und verfeinert das polizeiliche Handlungsrepertoire und damit Risiken des Machtmissbrauchs. Dabei dürfen die technokratischen Versprechen aus Politik und Verwaltung jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Entwicklung, Verbreitung und Anwendung technischer Innovationen in der Polizei sich keineswegs als gezielt gesteuerte, strategischen Vorgaben folgende Prozesse vollziehen. Bereits seit 2016 versucht die Innenministerkonferenz die „IT-Architektur“ der deutschen Polizeien zu vereinheitlichen. Eine Bestandsaufnahme ergab, dass bei den Behörden rund 2.000 „relevante Anwendungen“ in Gebrauch sind: alte und neue, kompatible und nicht kompatible, in anderen Behörden bekannte und völlig unbekannte …[28] Das ist nicht nur ein Indiz der Verschwendung von Geld und Personal und der Anhäufung unsystematischer Datenbestände, sondern verweist auch darauf, dass die eigene Unfähigkeit dem technisch möglichen Ausbau des „Überwachungsstaates“ (noch) im Wege steht. Aber die Technifizierung der Polizeiarbeit schreitet voran. Und je komplexer und verteilter eine Technik, desto größer die Anzahl heterogener Interessen, die in sie eingeschrieben werden. Umso unkontrollierbarer wird ihr Einsatz – sowohl für den wachsamen Blick von außen als auch für die Polizei selbst.

Innovation Hub 110

Bereits seit Sommer 2020 arbeitet „Innovation Hub 110“ der hessischen Polizei, das unmittelbar der Amtsleitung des Hessischen Polizeipräsidiums für Technik zugeordnet ist. Die 35 Mitarbeiter*innen (Sollstellen) der als „Software-Schmiede“ bezeichneten Einheit sollen sich exklusiv der Entwicklung „anwendungsorientierter und smarter IT-Lösungen“ widmen. Als erstes Eigenprodukt gilt eine neue „Verkehrsunfall App“, die die Eingabe von Unfalldaten und -bildern über das Smartphone in die Polizeisystem erlaubt. Auch war der Hub an der Entwicklung eines neuen Identifizierungssystems bei Abfragen aus polizeilichen Datensystemen beteiligt.[29]

Die Dienststelle mit Start-up ähnlichen Arbeitsbedingungen soll die Digitalisierung der hessischen Polizei voranbringen. Ihre möglichen Themen reichen vom Einsatz „künstlicher Intelligenz“ etwa bei der Auswertung von Massendaten oder der Überwachung von Chat-Verläufen, über interne Vernetzungen und Cloud-Lösungen bis zu Verwaltungstools für die Polizei-Logistik.[30]

Innovation Lab

Im Januar 2022 verkündete das nordrhein-westfälische Innenministerium die Inbetriebnahme ihres „bundesweit einmaligen Labors“: Im „Innovation Lab“ werde die „Polizei ihre Zukunft“ erforscht. Ziel sei es, so Innenminister Herbert Reul in der Pressemitteilung seines Hauses, Lösungen zu entwickeln, um Polizei, Innere Sicherheit und Bevölkerung „bestmöglich für morgen und übermorgen zu wappnen.“[31]

Die Errichtung des 500m² großen Labors im Duisburger Hafen kostete das Land 4,3 Mio. Euro. Es soll „neue Technologien“ für die Polizei nutzbar machen. Einerseits sollen „bereits existierende Produkte so fortentwickelt werden, dass sie die Ansprüche der Polizei erfüllen“, andererseits könne das Innovation Lab „komplett Neues produzieren und Prototypen können zur Serienreife gebracht werden.“

Als beispielhafte Projekte des Lab nennt die Pressemitteilung den Versuch, den „Laufroboter ‚Spot‘ von Boston Dynamics“ für die Arbeit der Polizei zu verbessern, die Erforschung von 3600-Kameras, von „intelligenten Videosystemen“ und eines mobilen Gerätes, das Zugang zur polizeilichen digitalen Infrastruktur an jedem Ort gewährleisten soll. Im Sommer 2023 präsentierte das Innovation Lab den „Streifenwagen der Zukunft“. Der „hoch digitalisierte Streifenwagen“ ist mit Kameras, Sensoren und Bordcomputer ausgestattet. Lageinformationen sollen in Echtzeit verfügbar sein, die Geschwindigkeits- und Abstandsüberwachung sollen aus dem fahrenden Fahrzeug möglich sein und sofort ausgewertet werden können.[32]

Das Innovation Lab soll zudem die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren fördern: mit den Innovationsanstrengungen anderer Polizeien (etwa Innovation Lab der hessischen Polizei), mit der Privatwirtschaft (gemeinsame Entwicklung von Apps mit Apple) und der Wissenschaft (gemeinsame Erprobung von „neuesten Cloud-Technologien“ mit einem aus der Universität Essen-Duisburg ausgegründetem Startup.

Innovation Lab

Das seit März 2022 bestehende „iLab“ der baden-württembergischen Polizei soll „innovative Technologien“ für den Polizeialltag schneller verfügbar machen. Indem neue Technologien getestet und bei Erfolg der Praxis zur Verfügung gestellt werden, soll die neue Einrichtung eine „Innovationskultur“ in der Landespolizei begründen. Mitte 2023 wurden dienstliche Smartphones und – gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut – Elektro-Fahrzeuge für den Polizeidienst erprobt.[33] Neben dem iLab arbeitet das Projekt „XPOLIZEIBW – Polizei 4.0“ an der Digitalisierung der Polizeiarbeit: von der Vorgangssachbearbeitung über die Asservatenverwaltung bis zur Novellierung von INPOL.[34]

[1]   Braun-Thürmann, H.: Innovation, Bielefeld 2005, S. 6
[2]   Thomas, V.; Vera, A.: Innovationen in der Polizei, in: Verwaltung und Management 2019, H. 5. S. 219-223
[3]   zur Rolle der externen Forschung für die Polizeiarbeit s. die Schwerpunktbeiträge in Bürgerrechte & Polizei/CILIP 131 (März 2023) und explizit zur europäischen Dimension den Artikel von Eric Töpfer in diesem Heft und EU-Forschungsförderung Innere Sicherheit: IT-Technologien im „Horizon“-Programm, www.cilip.de v. 21.3.2024
[4]   § 2 Abs. 1 Nr. 6 des BKA-Gesetzes v. 28.6.1973
[5]   www.bka.de/DE/DasBKA/OrganisationAufbau/Fachabteilungen/Kriminaltechnisches Institut/kriminaltechnischesinstitut_node.html
[6]   Kötter, K.: 20 Jahre Forschungs- und Entwicklungsstelle für Polizeitechnik (FEStPt), in: Die Polizei 1995, H. 2-3. S. 25-29 (25)
[7]   https://www.polizeipraxis.de/ausgaben/2014/detailansicht-2014/artikel/pti-20-das-polizeitechnische-institut.html
[8]   anlässlich des Tests der Körpersanner s. Deutschlandfunk v. 10.1.2013
[9]   z. B. das Cybercrime-Kompetenzzentrum beim LKA NRW: https://polizei.nrw/artikel/ das-cybercrime-kompetenzzentrum-beim-lka-nrw
[10] Herold, H.: Herold gegen alle (Interview), in: Transatlantik 1980, Nov., S. 29-40 (36)
[11] wie im Projekt „Skala“ der nordrhein-westfälischen Polizei, s. https://lka.polizei.nrw/ skala
[12] so Heinrich, S.: Technik und Systeme der Inneren Sicherheit, in: Lange, H.-J. u.a. (Hg.): Auf der Suche nach neuer Sicherheit, Wiesbaden 2005, S. 203-219 (204)
[13] ebd., S. 210f.
[14] ebd., S. 207
[15] Sturm, M.: „Unter mir wird alles weich“ – Eine Geschichte des Polizeischlagstocks, in: Lüdtke, A.; Reinke, H.; Sturm, M. (Hg.): Polizei, Gewalt und Staat im 20. Jahrhundert. Wiesbaden 2011, S. 325-347
[16] Busch, H. u.a.: Die Polizei in der Bundesrepublik, Frankfurt/Main; New York 1985, S. 181ff.
[17] Eick, V.: Der elektrifizierte Gesetzesarm. Distanzelektroimpulsgeräte in deutschen Polizeigesetzen, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 127 (Dezember 2021), S. 26-33
[18] siehe etwa LT Rheinland-Pfalz Drs. 17/6054 v. 25.4.2018, S. 16
[19] https://polizeischuesse.cilip.de/taser
[20] Gernot Piestert zit. in: Eick, V.: Weiche Waffen für eine harte Zeit? Markt und Macht von Non-Lethal Weapons, in: Kritische Justiz 2012, H. 1, S. 89-104 (89)
[21] Töpfer, E.: Entgrenzte Raumkontrolle? Videoüberwachung im Neoliberalismus. in: Eick, V. u.a. (Hg.): Kontrollierte Urbanität, Bielefeld 2007, S. 193-226 (212ff.)
[22] Töpfer, E.; Kühne, M.: Am Ende der „neuen deutschen Welle“? in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 127 (Dezember 2021), S. 7-16 (11f.)
[23] Zur biometrischen Gesichtserkennung s. den Beitrag von Jens Hälterlein in diesem Heft.
[24] Videoüberwachung mit KI: Mannheimer Projekt bis 2026 verlängert, in: heise.de v. 21.12.2023
[25] S. den Beitrag von Tabea Louis und Johannes Ebenau in diesem Heft.
[26] als – nicht mehr ganz aktuelle – Übersicht s. Labudde, D.; Spranger, M. (Hg.): Forensik in der digitalen Welt, Berlin 2017
[27] S. hierzu den Beitrag von Thomas Feltes und Holger Plank in diesem Heft.
[28] Schäberle, J.: Programm Polizei 2020 – Chancen und Risiken für die Teilnehmer, in: Wehe, D.; Siller, H. (Hg.): Handbuch Polizeimanagement, Wiesbaden 2022, S. 1431-1443 (1432f.)
[29] Innenminister eröffnet „INNOVATIOB HUB 110“ der hessischen Polizei, https://osthessen-news.de v. 13.8.2020
[30] Wie KI die hessische Polizei bei der Verbrecherjagd unterstützt, Frankfurter Neue Presse v. 24.10.2023, www.fnp.de
[31] https://polizei.nrw/presse/die-polizei-der-zukunft-innovation-lab-in-duisburg-eroeffnet
[32] https://polizei.nrw/presse/innovation-lab-praesentiert-konzetfahrzeug-streifenwagen-der-zukunft
[33] Strobel besucht Innovation Lab in Kehl, www.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/strobl-besucht-innovation-lab-in-kehl v. 17.8.2023
[34] XPOLIZEIBW – Polizei 4.0. Das Projekt zur Digitalisierung der Polizei BW, www.ptlspol- recruiting.de/einsatzechnik/projekte/xpolizeibw

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