Politische Polizei im geteilten Deutschland – Hinweise zur Entwicklung des repressiven Staatsschutzes

von Falco Werkentin

Das besiegte Deutschland zur Demokratie zurückzuführen, das faschistische Herrschaftssystem zu zerschlagen und durch einen konsequenten Elitenaustausch die Voraussetzungen für einen demokratischen Neuanfang zu schaffen – dies waren die Vereinbarungen der Anti-Hitler-Koalition, als ihre Truppen in Deutschland einmarschierten. Dementsprechend wurden mit dem Kontrollrats-Gesetz Nr. 1 vom 20. September ’45 zentrale Straftatbestimmungen des faschistischen Strafrechts aufgehoben, mit Gesetz Nr. 2 vom 10. Oktober ’45 über die „Auflösung von Naziorganisationen“ u.a. die Gestapo als aufgelöst erklärt, mit Gesetz Nr. 11 vom 30. Januar ’46 das Strafrecht von allen politischen Straftatbeständen (vom Hoch- bis Landesverrat) bereinigt und schließlich mit dem Gesetz Nr. 31 vom 1. Juli ’46 alle „Polizeibüros und Agenturen politischen Charakters“ verboten.

Über die negatorische Behandlung der Überbleibsel des Nazi-Regimes hinaus kam es zwischen den Siegermächten – abgesehen von der Kontrollrats-Direktive Nr. 16 zur Bewaffnung der Deutschen Polizei vom 6. November ’45 – jedoch zu keinerlei gemeinsamen Regelungen über den künftigen Status einer deutschen Polizei. Jede Besatzungsmacht ging ihren eigenen Weg. Gleichwohl, die Zeiten einer politischen Polizei in deutscher Verantwortung schienen vorbei zu sein.

Doch der nach der bedingungslosen Kapitulation Nazi-Deutschlands bald virulent werdende Ost-West-Konflikt mit dem Kalten Krieg als Folge führte auf deutscher Seite wie auf der der jeweiligen Besatzungsmächte sehr schnell zu einer veränderten Wahrnehmung von Sicherheitsproblemen. In den Westzonen begann spätestens ab 1947/48 der Antikommunismus den Antifaschismus zu überlagern, in der sowjetischen Zone (SBZ) wiederum wurde der Antifaschismus alsbald zum ideologischen Paravent, hinter dem alle politischen Gegner der Vorherrschaft der KPD/SED und der von ihr verfolgten gesellschaftlichen Transformation bekämpft wurden. Betrieben die sowjetische Besatzungsmacht und ihre deutschen Verbündeten die Entnazifizierung, die Bodenreform und die Enteignung der Groß- und Schwerindustrie mit dem Ziel, die ökonomische und damit die Sozialstruktur in ihrer Zone radikal zu ändern, so kamen parallele Maßnahmen in den Westzonen alsbald deshalb zum Erliegen, weil diese Konsequenz gerade verhindert werden sollte.

Unzweifelhaft diktierten in allen Zonen die jeweiligen Besatzungmächte die Konturen der nach 1945 verfolgten inneren „Sicherheitspolitik“. Hier gibt es bereits vor Gründung der beiden deutschen Separat-Staaten erhebliche Unterschiede.

Machtbewußt hatte sich die KPD in der sowjetischen Besatzungszone gleichsam von der Stunde Null an die Verfügung über die Innenressorts und insbesondere über die Polizei gesichert – kein Innenminister und nahezu kein Polizeichef, der nicht KPD, ab April 1946 SED-Mitglied war. Darüber hinaus wurden ab Herbst 1948 nach sowjetischem Vorbild in der Polizei Politkulturabteilungen eingeführt, ein Apparat „der hundertprozentig das Instrument unserer Partei ist“, wie es auf der von der SED einberufenen „Innenministerkonferenz“ im Juli 1948 der Altkommunist und sächsische Innenminister Kurt Fischer ausdrückte . Sie hatten die Polizei ideologisch auf SED-Linie auszurichten, anzuleiten und zu überwachen. Sehr viel früher als in den Westzonen begann 1947/48 in der SBZ der Aufbau kasernierter Polizeiverbände. Mit der Installation der sog. K5-Abteilungen der Kriminalpolizei im Jahre 1947 wurde der Grundstein für eine neue politische Polizei gelegt. Zunächst sollten diese Dezernate der Länder-Kriminalpolizeien nur im Rahmen der Entnazifizierung und der Verfolgung von Nazi- und Kriegsverbrechern ermitteln – gemäß dem Befehl 201 der sowjetischen Militäradministration (SMAD) vom 16. August 1947, der den beschleunigten Abschluß der Entnazifizierung befahl und der Polizei entsprechende Ermittlungs- und Untersuchungsbefugnisse erteilte. Hierfür – und damit auch für die K5-Abteilungen – war in der durch einen geheimen Befehl der SMAD vom 30. Juni 1946 gebildeten „Deutschen Verwaltung des Innern“ Erich Mielke verantwortlich. Die K5-Dezernate wurden einem eigenen Instanzenzug unterworfen und alsbald auch zur Verfolgung politischer Gegner der Zwangsvereinigung von KPD und SPD und des eingeleiteten gesellschaftlichen Transformationsprozesses eingesetzt. Zudem waren bereits 1946 bei den Länderverwaltungen sog. Informations- oder Nachrichtenämter gebildet worden, die u.a. über die Stimmung der Bevölkerung zu unterrichten hatten. Zu ihnen gesellte sich als weiteres politisches Repressionsinstrument der bei der „Deutschen Wirtschaftskommission“ angesiedelte „Ausschuß zum Schutz des Volkseigentums“ zur „administrativen Kontrolle des Volkseigentums“. Mit Gründung des MfS im Jahre 1950 lieferten diese Einrichtungen dessen Kaderaufbau.

In den westlichen Besatzungszonen, in denen nach 1945 ein extrem dezentralisiertes System lokaler Polizeibehörden aufgebaut worden war, scheiterten hingegen zunächst alle Forderungen der Innenminister, die Polizei auch nur auf Länderebene zu zentralisieren – geschweige denn, daß Truppenpolizeiformationen oder Ansätze zu einer geheimen politischen Polizei zugelassen wurden, wie sie im Frühjahr 1948 von den Ministerpräsidenten der amerikanischen Besatzungszone gefordert wurden. Die Antwort des amerikanischen Generalgouverneurs Clay: „I think I would rather have the Communists than the secret police.“4

In der britischen Zone wurde hingegen im Winter 1948 den lokalen Polizeien die Bildung eines „Special Branch“ zugestanden, um auf „subversive activities“ reagieren zu können. In der deutschen Literatur tauchen diese Vorläufer der politischen Dezernate als „Polizeisonderdienste (PSD)“ und „Informationsstellen (I-Stelle)“ auf. Sie wurden in NRW 1949 mit deutlich antikommunistischer Orientierung nach einem Kabinettsbeschluß der Landesregierung gebildet.

Mit dem „Polizeibrief“ der Militärgouverneure an Adenauer als Präsident des Parlamentarischen Rates vom 14. April 1949 wurde schließlich gestattet, „eine Stelle zur Sammlung und Verbreitung von Auskünften über umstürzlerische, gegen die Bundesregierung gerichtete Tätigkeiten einzurichten. Diese Stelle soll keine Polizeibefugnis haben.“ Diese Genehmigung schlug sich in den Artikeln 73, Abs.10 und 87, Abs.1 des Grundgesetzes von 1949 nieder – der Geburtsurkunde der „Ämter für Verfassungsschutz“.

Repressive Systemsicherung in den 50er und 60er Jahren

Bundesrepublik

Kaum war jedoch die BRD 1949 in die begrenzte Souveränität entlassen, begann der Aufbau eines neuen Staatsschutzsystems. Ab 1950 wurden bei Bund und Ländern „Ämter für Verfassungsschutz“, politische Kommissariate der Kriminalpolizei sowie ab 1951 politische Abteilungen bei den Staatsanwaltschaften und den Gerichten (die sog. 74a-Kammern bei den OLGs) installiert. Hierzu parallel begann der Aufbau von kasernierten Truppenpolizeiverbänden (Bereitschaftspolizei der Länder und BGS), die 1954 eine Stärke von ca. 30.000 Mann erreichten.

Zwar hatten die VfS-Ämter keine Exekutivbefugnisse, jedoch als exekutiven Partner die Staatsschutzkommissariate der Polizei. Diese waren im Regelfall nicht der allgemeinen Kripo angegliedert, sondern direkt den Behördenleitern unterstellt und wurden unter Begriffen wie „14. K.“ (NRW) oder „Polizeiabteilung I“ (Berlin-W) geführt. Auf Ebene des Bundes wurde 1952 innerhalb der „Sicherungsgruppe Bonn“ des BKA eine Unterabteilung „Ermittlungsaufgaben“ gebildet, die für Staatsschutzdelikte zuständig wurde. Die Zusammenarbeit aller am sog. Staatsschutz beteiligten Stellen einschließlich des BGS, der den VfS-Ämtern zuarbeitete, wurde durch sog. „Zusammenarbeitsrichtlinien“ geregelt, beginnend mit den „Unkeler Richtlinien“ des Jahres 1953 7.

Noch vor dem KPD-Verbot im Jahre 1956 begann auf Grundlage des 1951 verabschiedeten 1. Strafrechtsergänzungsgesetzes die systematische polizeiliche und strafrechtliche Verfolgung von Kommunisten. Zwar sollte das Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) durch das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1952 symbolisieren, daß die junge bundesdeutsche Demokratie den Kampf gleichermaßen nach rechts wie nach links zu führen beabsichtigte. Doch wie wenig ernst der Kampf „nach rechts“ betrieben wurde, zeigt die Tatsache, daß der Chef der verbotenen SRP, Dr. Dorls, – nach dem Verbot zwar zur Fahndung ausgeschrieben – sich mit Fluchtgeldern des Bundesamtes für Verfassungsschutz jedoch nach Ägypten absetzen konnte, um hier für das Bundesamt zu spitzeln. Daß der „Kampf nach rechts“ nicht allzu ernst geführt wurde, garantierten auch die neu/alten Fachleute für diese Aufgaben. Das Ausführungsgesetz zu Artikel 131 GG, das allen Beamten, die am 8. Mai 1945 im Staatsdienst waren, einen Wiedereinstellungsanspruch zugestand, spülte hinreichend erfahrene Experten aus dem „Dritten Reich“ in die neuen Ämter. Zwar waren Gestapo-Mitarbeiter vom Wiedereinstellungsanspruch ausgenommen, andererseits gab es für sie kein Wiedereinstellungsverbot, so daß auch auf sie zurückgegriffen werden konnte.

Bis zum Ende der Kommunistenverfolgung durch die Reform des politischen Strafrechts 1968 wurden ca. 125.000 Ermittlungsverfahren gegen Kommunisten betrieben und ca. 5 – 6.000 von ihnen verurteilt. Nur ein Bruchteil mußte allerdings in Haft – ein radikaler Unterschied zur Justizpolitik der DDR, die Zehntausende politischer Gegner zu langjährigen Haftstrafen verurteilte und in die Zuchthäuser steckte.

Obwohl sich die Bundesrepublik seit den 50er Jahren – getragen zum einen vom sog. Wirtschaftswunder, zum anderen vom antikommunistischen Grundkonsens, der kontinuierlich aus der DDR gespeist wurde – als politisch äußerst stabil erwies, wurde die „innere“ Sicherheitspolitik weiterhin beherrscht von der Angst vor inneren Unruhen. Seit 1958 wurde öffentlich darum gestritten, die Bundeswehr verfassungsrechtlich als innenpolitisches Machtmittel anzuerkennen. Seit den verfassungsändernden Notstandsgesetzen von 1968 darf die Bundeswehr im „inneren Notstandsfall“ gegen die eigene Bevölkerung losmarschieren.

DDR

Rüstete also auch die Bundesrepublik seit den 50er Jahren kräftig gegen innere Feinde, so gibt es gleichwohl unübersehbare Differenzen zum Auf- und Ausbau der Sicherheitsapparate in der DDR. Der dortige Versuch, gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung eine de facto Einparteien-Diktatur zu errichten und mangels gesellschaftlicher Unterstützung den gesellschaftlichen Transformationsprozeß mit dem „Staat als Hauptinstrument“ weiter zu beschleunigen, schuf einen erheblich größeren „Sicherungsbedarf“ als in der Bundesrepublik. Dieser Bedarf an Instrumenten staatlicher Gewalt und justitiellen Terrors zeigte sich spätestens am 17. Juni ’53, als sich die „Arbeiterklasse“ gegen ihre „Avantgarde“ erhob. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), seit 1950 mit Hilfe von Kadern der alten K5-Kommissariate und dem alten „Amt zum Schutz des Volkseigentums“ von Wilhelm Zaisser aufgebaut, hatte insbesondere als präventiver Nachrichtendienst versagt. Seit dem 17. Juni 1953 baute die SED daher nicht nur ihre eigenen Informationskanäle aus, sondern auch die des MfS und der Volkspolizei. Es entwickelte sich jenes flächendeckende Netz an „Informatoren“ – so der Begriff der 50er Jahre – , in das nicht nur das MfS, sondern auch die Volkspolizei mit ihren Abschnittsbevollmächtigten (ABV), Helfern der Volkspolizei (Vopo), Hausvertrauensleuten und eigenem Spitzelnetz eingebaut war. Hinzu kam nach dem 17. Juni 1953 die Bildung jener Einsatzleitungen auf Bezirks- und Kreisebene, die unter Führung der SED-Bezirks- und Kreisvorsitzenden für den Ernstfall die Zusammenarbeit von MfS, Vopo und den sonstigen bewaffneten Organen – ab 1956 der NVA – anleiten sollten und ab 1980 auch für die vorbereiteten Internierungslager verantwortlich waren.

Nach 1953 hatten MfS und politische Justiz das Land so im Griff, daß fortan weder die Kasernierte Volkspolizei, geschweige denn sowjetische Truppen zum Einsatz kommen mußten, um das Regime zu schützen. Und was sich im Lande an Opposition regte, wurde nach dem Mauerbau 1961 in der Folgezeit zunächst in Haft genommen, um dann Jahr für Jahr an die Bundesrepublik verkauft zu werden. Die Kontrolle, Überwachung und der Terror im Vorfeld oppositioneller Massenaktionen blieb so stark, daß erst vor dem Hintergrund einer historisch neuen weltpolitischen Konstellation im Herbst 1989 das Volk der DDR wagte – und wagen konnte -, massenhaft seine Ablehnung des politischen Regimes zu demonstrieren.

Die 70er und 80er Jahre

Der Wechsel von Ulbricht zu Honecker 1972 in der DDR, der Beginn der sozialliberalen Koalition in Bonn 1969 unter Willy Brandt signalisierte außen- wie innenpolitische Entspannung in beiden Teilen Deutschlands. Die Nachkriegzeit mit ihren spezifischen politischen Konfrontationen und Sicherheitsbedürfnissen schien zum Ende zu kommen. Die gegen die DDR gerichtete Tätigkeit der bundesdeutschen Apparate des Kalten Krieges – wie z.B. Ostbüros der bundesdeutschen Parteien, „Kampfgruppe gegen die Unmenschlichkeit“ (KgU) oder „Untersuchungsausschuß freiheitlicher Juristen“ – war zum Erliegen gekommen. Andererseits wurde nach Rücksprache mit Regierungsstellen 1968 in der BRD wieder eine kommunistische Partei aufgebaut – die DKP. Fortan hatten ihre Mitglieder nicht mehr das Strafrecht, sondern nur noch Berufsverbote und die eigene politische Bedeutungslosigkeit zu fürchten.

Bundesrepublik

Doch die Hoffnung auf innenpolitische Entspannung erwies sich als verfehlt: Brandts Versprechen, „mehr Demokratie zu wagen“ wurde alsbald begleitet vom Radikalenerlaß des Jahres 1972, also der Regelüberprüfung aller Bewerber für den öffentlichen Dienst durch den Verfassungsschutz und den damit verbundenen Berufsverboten. Das „Sofortprogramm zur Verbrechensbekämpfung“ der sozialliberalen Koalition des Jahres 1970 führte zum rapiden Ausbau des BKA, das Bund-Länder-Programm für die Innere Sicherheit der Bundesrepublik aus dem Jahre 1972 leitete den Um- und Ausbau des Bundesgrenzschutzes, der Polizei der Länder, der Ämter für Verfassungschutz ein. Seit der Studentenbewegung war die Bundesrepublik innenpolitisch bunter geworden, entwickelten sich neue Formen politischer Opposition und politischen Protests.

In der Folgezeit wurden wie in keinem Jahrzehnt zuvor – in der politischen Durchsetzung begünstigt durch die „Politik des bewaffneten Kampfes“ der RAF – von der sozialliberalen Koalition die Polizei und insbesondere die Staatsschutzapparate ausgebaut.8

Daß die Anschläge der RAF indes nicht Auslöser dieser Entwicklung waren, so sehr sie die politische Durchsetzung und die konkreten Formen auch mitbestimmten, darauf verwies der damalige Innenminister Genscher in einer Bundestagsdebatte am 22. Juni 1972. Er sprach davon, daß es hier um eine Gesamtkonzeption für die innere Sicherheit gehe, die nicht durch die jüngsten Anschläge veranlaßt worden sei. Vielmehr sei sie Produkt langfristig entwickelter „leidenschaftsloser“ Überlegungen.9

Von 1970 bis zum Ende der sozialliberalen Koalition im Jahre 1981 wurden gerade jene Apparatteile machtvoll ausgebaut, deren ureigenste Funktion schon immer die politische Überwachung und Kontrolle war – die Staatsschutzabteilungen der Länder-Kripo und des BKA sowie die Ämter für Verfassungsschutz. So verdoppelte sich allein das Personal des Bundesamtes für Verfassungsschutz zwischen 1970 bis 1980 von ca. 1.000 auf über 2.000 Beschäftigte. Gewiß galt ihr Interesse insbesondere dem politischen Terrorismus, der 1977 in der Ermordung Schleyers, dem Selbstmord in Stammheim und der Entführung einer Lufthansa-Maschine kulminierte. Zum anderen aber wurde jene Vielfalt neuer politischer Gruppierungen, Organisationsformen und Änsätze außerparlamentarischen politischen Streits, die sich seit den endsechziger Jahren in der Bundesrepublik entwickelte, zum Antrieb des Ausbaus. Dank des ständigen Wechsels an Themen, Organisations- und Aktionsformen waren diese Gruppen längst nicht so leicht zu überwachen und zu kontrollieren wie der „klassische“ innenpolitische Feind: die KPD/DKP mit ihrer zentralistischen Organisationsstruktur. Um dieser „neuen Unübersichtlichkeit“ Herr zu werden, bedurfte es vor allem des Ausbaus der Informationskapilaren der Staatsschutzapparate – von der Datenverarbeitung bis zum Spitzelwesen.

Daß die neue politische Vielfalt nicht nur berufsmäßige Staatsschützer, sondern auch Teile der Bevölkerung beunruhigte, zeigt sich in deren wachsender Bereitschaft, Mitbürger als politische Straftäter anzuzeigen (vgl. S. 47).

Diese Entwicklung wurde bis in die Gegenwart begleitet von einer Gesetzgebungspraxis, mit der zum einen Stück für Stück die Chance des Bürgers, sich den Staat durch legales Verhalten vom Halse zu halten, abgebaut und zugleich die Unterschiede zwischen nachrichtendienstlichen und polizeilichen Methoden bis zur Unkenntlichkeit aufgehoben wurden. Der Liberalisierung des politischen Strafrechts im Jahre 1968 folgte ab Mitte der siebziger Jahre eine Welle der Ausweitung politischer Straftatbestände, in deren Zentrum der berüchtigte 129a StGB steht.

Auffällig ist, daß mit Antritt der CDU/CSU/FDP-Koalition in Bonn im Jahre 1981 „Politik innerer Sicherheit“ nur noch rechtspolitisch betrieben wurde, während für die Apparate weitgehend eine Zeit der Stagnation – beim BGS gar eine Zeit personellen Abbaus – eingeleitet wurde.

DDR

Der Amtsantritt Honeckers im Jahre 1972 führte zwar zu einer deutsch-deutschen Entspannungspolitik, keineswegs jedoch zu einer innenpolitischen Liberalisierung. Die Berufung des MfS-Chefs Mielke ins Politbüro war ein deutliches Signal. Im Bemühen um weltweite außenpolitische Anerkennung gezwungen, sich auf die Helsinki-Konferenz und insbesondere auf den sog. Korb III einzulassen, konterkarierte das SED-Regime diese Entwicklung mit einem weiteren Ausbau des MfS. Verfügte die STASI 1973 über ca. 55.700 MitarbeiterInnen, so erreichte sie 1983 mit ca. 85.000 ihre Endstärke. Die großen Justiz-Exzesse der 50er Jahre wiederholten sich nicht mehr, die Todesstrafe wurde nur noch selten ausgesprochen und wenn vollzogen, dann heimlich und ohne öffentliche Verkündung, wie beim letzten, bisher bekanntgewordenen Fall des MfS-Hauptmanns Teske im Jahre 1981.

Gewiß füllten sich auch in den 70er und 80 Jahren die DDR-Gefängnisse mit politischen Gefangenen, überwiegend mit Bürgern, die weniger an Opposition, dafür um so mehr an die Flucht aus der DDR gedacht hatten. Doch nicht justitieller Terror wie in den 50er Jahren, sondern klandestiner alltäglicher Druck, alltägliche Überwachung und „Zersetzung“ durch das Heer an „Inoffiziellen Mitarbeitern“ wurde zur Hauptmethode, mit innerer Opposition zurechtzukommen. Schließlich – in seiner Bedeutung für die Konfliktverläufe in der DDR seit Mitte der 60er Jahre nicht zu unterschätzen – ist an den kontrollierten „Export“ von oppositionellen Bürgern zu erinnern. Von 1963 bis 1989 wurden ca. 33.000 politische Häftlinge exportiert. Hier ist eine herausragende Erklärung dafür zu finden, daß die Zahl der aktiv Oppositionellen in der DDR so äußerst gering blieb.

Resüme

Für die innenpolitische Stabilität der Bundesrepublik blieben die Apparate innerer Sicherheit, blieb die politische Justiz weithin unerheblich. Nicht sie, sondern Wirtschaftswachstum und wachsender Wohlstand, die real antisozialistische Agitation des Beispiels DDR und ein soziales Netz, das Arbeitslosigkeit und Armut sozial abfederte und Betroffene so individualisierte, daß sie als politische Kraft kaum in Erscheinung traten, begründeten die politische Stabilität dieses Landes. Hinzu kommt, daß sich das politische System im Vergleich zur DDR als ungleich lern- und integrationsfähiger erwies, wenn es darum ging, Themen und Träger außerparlamentarischer Proteste wieder politisch einzubinden – was immer man von dieser Fähigkeit auch halten mag.

Zwar wurden von Mitte der 60er Jahre bis in die Gegenwart in der Summe gewiß Millionen Bundesbürger bei Demonstrationen durch den polizeilichen Schlagstock oder Tränengas politisch erzogen, zwar wuchs die Zahl der Ermittlungsverfahren der Staatsschutz-Dezernate von ca. 2.700 im Jahre 1974 auf ca. 16.500 im Jahre 1981. Gleichwohl blieben diese Risiken kalkulierbar: sie behinderten die Bereitschaft, in vielfältigen Formen außerparlamentarisch um politische Ziele zu streiten, sie verhinderten sie jedoch nicht.

Für die fragile Stabilität der DDR hingegen waren und blieben die „Sicherheitsapparate“ von Beginn bis Ende konstitutiv – „Sicherheitsapparate“, die ihrerseits mit der in der DDR stationierten Roten Armee rückversichert waren. Ohne den Schutz der Sowjetunion als Garantiemacht für das politische Regime war die DDR nie überlebensfähig, wie sich 1989 zeigte.

Der Zusammenbruch und Anschluß der DDR, die radikal veränderte weltpolitische Konstellation haben seit 1989 auch die alte Bundesrepublik politisch nahezu ruhig gestellt. Von Bürgerinitiativen, Autonomen und „Anti-Imps“ ist nur noch wenig mitzubekommen und selbst jene, die sich als RAF aus dem Untergrund zu Wort melden, scheinen langsam auf den Boden der Tatsachen gekommen zu sein. Schlechte Zeiten also für die Staatsschutzapparate?

Falco Werkentin ist Redaktionsmitglied und Mitherausgeber von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.
1 IfGA ZPA IV/2/13/110 „Stenograph. Niederschrift über die Konferenz der Abt. Landespolitik, Werder/Havel, 23.-24.Juli 1948, S. 124
2 vgl. den Beitrag von Jochen Laufer zu den K5-Dezernaten in Florath, B.; Mitter, A.; Wolle, St. (Hg.) (1992): Die Ohnmacht der Allmächtigen – Geheimdienste und politische Polizei in der modernen Gesellschaft, Berlin (im Druck, Ch. Links Vlg.)
3 vgl. Zentralverordnungsblatt (der SBZ), 1948, S.146 f.
4 siehe: Der Ruf nach einer geheimen politischen Polizei, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 27 (2/87), S. 26-29
5 vgl. Imle, W.: Zwischen Vorbehalt und Erfordernis, München 1984, S.131
6 vgl. Werkentin, F.: Die Restauration der Polizei, Frankfurt (Campus) 1984
7 vgl. Bürgerrechte & Polizei/CILIP 27 (2/87), S. 38 ff.
8 vgl. Busch, Heiner u.a: Die Polizei in der Bundesrepublik, Frankfurt (Campus) 1985
9 Deutscher Bundestag, VI/195. Sitzung am 22.6.72