Außer Spesen nichts gewesen – Polizeilich bestellte Drogenlieferung

von Anja Lederer

Zur effizienten Bekämpfung der vermeintlich zunehmenden und sich perfektionierenden „organisierten Kriminalität“ brauche es ausgedehnte polizeiliche Befugnissen, den Einsatz technischer Mittel und Verdeckte Ermittler. So schallt es seit Jahren aus den Reihen der RepressionstrategInnen. Dass die Erfolge im Zweifel bescheiden sind, zeigt das folgende Beispiel aus der Strafverfolgungspraxis.

Im Frühjahr 2004 wird das Landgericht Berlin drei Männer wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Kokain in nicht geringer Menge zu Freiheitsstrafen zwischen siebeneinhalb und neun Jahren verurteilen. Die Geschichte ihres Falles beginnt damit, dass einer der drei einen Arbeitskollegen anspricht, der – wie er selbst – im schlecht bezahlten privaten Sicherheitsgewerbe arbeitet. Er fragt, ob dieser nicht junge deutsche Männer kenne, die gegen gutes Geld für ein paar Tage nach Südamerika fliegen und auf dem Rückweg „Stoff“ in die Niederlande bringen könnten, wo die „Ware“ dann von anderen Personen in Empfang genommen würde. Der Kollege geht prompt zur Polizei, wird dort mit seiner Geschichte jedoch zunächst weggeschickt. An der Wache hält man ihn dann doch noch zurück und fragt, ob er (im Folgenden: Zeuge X) bereit sei, „ggf. aktiv mit der hiesigen Dienststelle zusammenzuarbeiten“, insbesondere seinem Kollegen einen von der Polizei gestellten „Scheintransporteur“ vorzustellen. Er bejaht dies.[1]

Gesagt, getan. Gut drei Monate und 19 vorwiegend persönliche Kontakte zwischen dem Berliner Landeskriminalamt (LKA) und dem kooperativen Zeugen X später kommt es zu einem ersten persönlichen Treffen des Zeugen mit dessen Arbeitskollegen und einem angeblichen „Hintermann“, der sich relativ schnell allerdings nur als „kleines Licht“ entpuppt. Das Treffen wird observiert, aber leider: „die Qualität der (Vi­deo‑)Aufnahmen ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht für Identifizierungs­zwecke geeignet“, auch später übrigens nicht. Immerhin weiß man nun, wann die Zielpersonen 1 und 2 den Treffpunkt betreten und wieder verlassen und dass sie dem Zeugen X nach der Verabschiedung nicht hinterhergeguckt haben.

Die Ermittler von LKA und Zollkriminalamt (ZKA) sind in der Zwischenzeit nicht untätig geblieben und haben sich darauf verständigt, dass vorbehaltlich der Zustimmung der hierzu berufenen Amtsleitungen und der Klärung weiterer Details mit den zuständigen Behörden des betreffenden südamerikanischen Landes über den Zeugen ein Verdeckter Ermittler (VE) „an die Gegenseite herangespielt werden soll“. Es „ist vorgesehen, die Gegenseite durch eine entsprechende Legende dazu zu bewegen, einen derartigen Transport über Deutschland laufen zu lassen“. Denn die niederländische Rechtslage lässt einen VE-Einsatz offenbar nicht zu. Leider – so lautet die vorläufige Einschätzung der deutschen Behördenleitung – sei auch die Sicherheitslage ungenügend. Die Genehmigung für den VE-Einsatz wird daher erst einmal auf die Bundesrepublik Deutschland beschränkt. Die „Gegenseite“ wird vorerst hingehalten.

Der Verdeckte Ermittler

Nach einem weiteren Monat, fünf weiteren, wenig ergiebigen Vernehmungen des Zeugen X und einer ergebnislosen Fahndung sind die behördlichen Sicherheitsbedenken überwunden und ein erstes Treffen mit dem VE kann arrangiert werden. Zielvorgabe des Verdeckten Ermittlers ist es, „den Sachverhalt zu erforschen und ggf. sich selbst als Kurier anzubieten, um die Strukturen und Hintermänner der Organisation sowie die Schmuggelwege in Erfahrung zu bringen.“ Mit der Legende, in Kürze der zuständige Verantwortliche einer großen deutschen Fluggesellschaft im Cargo- und Logistikbereich in Südamerika zu sein und daher unkontrollierte Transporte in die Bundesrepublik Deutschland arrangieren zu können, bringt sich der VE ins Geschäft.

Der Weitertransport der „Ware“ nach Holland, wohin sie nach dem ursprünglichen Wunsch der „Gegenseite“ direkt von Südamerika aus transportiert werden sollte, sei, so bekundet der VE, prinzipiell kein Problem. Im Gespräch ist für den Anfang ein Transport von drei Kilogramm „Stoff“. Die „Gegenseite“ wird wider alle Vernunft unvorsichtig und legt im Laufe des Treffens Kontoauszüge vor. Damit kann kurz darauf die Observationspanne beim ersten Treffen ausgebügelt und der zweite Verdächtige namhaft gemacht und von dem Zeugen X anhand von Lichtbildern identifiziert werden.

Beim nächsten Treffen teilt der VE nun unter anderem mit, ein Weitertransport des „Stoffs“ in die Niederlande käme nicht in Frage, seine „Sicherheitsgarantie“ ende an einem beliebigen Flughafen in Deutschland. Nun überwindet mühevoll die „Gegenseite“ ihre Sicherheitsbedenken. Man trifft konkrete Absprachen zum Transporttermin und zur Übergabe des vom VE für seine Spesen geforderten „Handgeldes“.

Die Ermittlungsmaschinerie wird jetzt richtig in Gang gesetzt: richterliche Beschlüsse zur Telefonüberwachung, Rechtshilfeersuchen in die USA und nach Südamerika … Beim dritten Treffen erhält der VE sein „Handgeld“ von 2.000 US-Dollar in, wie die Polizei bei der anschließenden Prüfung feststellt, echten Noten, an denen – wiederum später – „sehr geringe Spuren Cocain nachgewiesen werden“ können. (Die überprüften Dollarscheine waren, nebenbei bemerkt, just vor der Übergabe an den VE in einer Wechselstube gegen Euronoten eingetauscht worden, an denen mit hoher Sicherheit ebenfalls Kokainspuren entdeckt worden wären.[2] Nichts aber ist unbedeutend, wenn es um hochkarätige Ermittlungen wie diese geht.)

Kurz darauf liegt auch die Zusicherung der Drug Enforcement Administration (DEA) des US-Justizministeriums vor. Diese teilt mit, dass sie den VE und dessen Begleiter auf deren Transit am Flughafen in Miami sicher zu dem Anschlussflug nach Südamerika bringen wird. Staatsanwaltschaftliche Anordnung der Observation der Beschuldigten, richterliche Durchsuchungsbeschlüsse, weitere Telefonüberwachungsanordnungen folgen. Nun kann eigentlich nichts mehr schief gehen.

Von Südamerika nach Deutschland

Drei deutsche Beamte und der VE machen sich auf den Weg. In dem südamerikanischen Land werden sie von zwei BKA-Verbindungs­be­am­ten unterstützt. Tatsächlich kommt es nach diversen vorangegangenen Absprachen und Streitigkeiten über die Übergabemodalitäten letztlich zu Kontakten mit der südamerikanischen „Täterseite“: Der VE erhält die „Ware“ auf einer Taxifahrt. Überraschenderweise sind es nun knapp 14 statt der ursprünglich erwarteten drei Kilogramm Kokain.

Die südamerikanische „Täterseite“ fasst schnell Vertrauen zu dem VE, erzählt ihm während der Fahrt Details aus ihrer Lebensgeschichte und gibt ihm ihre Telefonnummer. Zwei ausführliche Personen- und eine detaillierte Fahrzeugbeschreibung durch den VE nebst Angabe des Autokennzeichens runden die Ermittlungen ab. Diverse Ermittler waren vor Ort, vorrangig, um die Sicherheit des VE zu gewährleisten.

Nun wird die Ware, zusätzlich begleitet von einer südamerikanischen Drogenstaatsanwältin und einem dortigen Polizeibeamten, im Rahmen einer „genehmigten kontrollierten Durchfuhr“ von Südamerika über die USA nach Deutschland verbracht und an die Staatsanwaltschaft übergeben. Ein Kokainschnelltest verläuft „spontan positiv“.

Wenige Tage später erfolgt nach weiteren Observationen die Schein­übergabe der „Ware“ durch den VE, bei der die den Ermittlern bereits bekannte „deutsche Täterseite“ festgenommen wird. Bei der anschließenden Wohnungsdurchsuchung findet die Polizei neben fünf Handys und 16 Gramm „marihuana-suspekter Substanz“ knapp 24.000 Euro. Zusammen mit den vom VE zuvor vereinnahmten 2.000 US-Dollar Spesen dürfte dieses Geld nur einen äußerst geringen Bruchteil der Ermittlungskosten gedeckt haben.

Die magere Bilanz

Trotz des internationalen Ermittlergroßaufgebots, eines schier unglaublichen technischen, personellen und finanziellen Ermittlungsaufwandes und zeitlichen Vorlaufs von einem Dreivierteljahr wurden gerade einmal drei Verdächtige der „deutschen Täterseite“ festgenommen und verurteilt, Kuriere für Drogentransporte angeworben zu haben. Wohlgemerkt: Zwei der drei Verurteilten waren den Ermittlern Monate vor dem eigentlichen „Geschäft“ bekannt. Lediglich eine weitere „Randfigur“ geriet, eher zufällig, noch gegen Ende in das Visier der Fahnder. Identifizierung der „südamerikanischen Täterseite“, die dem VE ihre Biografie dargelegt hatte? Fehlanzeige. „Hintermänner“ in den Niederlanden? Dito.

Die viel gerühmten verdeckten Polizeimethoden hatten nur dazu getaugt, drei untergeordnete Figuren eines Geschäfts dingfest zu machen. Dies konnte auch die bilaterale Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Drogenbekämpfung nicht wettmachen. Denn die nach entsprechenden Hinweisen aus der Telefonüberwachung informierte britische Polizei bekam es weder auf die Reihe, rechtzeitig zur avisierten Ankunft des verdächtigen Haupttäters in London jemanden zum Flughafen zu schicken noch nachträglich zumindest dessen Personalien zu ermitteln.

Was bleibt? Vierzehn sichergestellte Kilogramm Kokain, die ohne den vermeintlich für den Transport prädestinierten verdeckten Ermittler nie in die Bundesrepublik Deutschland gelangt wären. Drei Verurteilungen, von denen zwei erheblich preiswerter schon nach dem ersten Treffen mit dem Zeugen X drei Monate nach dessen Kontaktaufnahme zum LKA möglich gewesen wären. Schließlich kann wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln schon verurteilt werden, wer rein vermittelnd im Hinblick auf eine mögliche Drogenbeschaffung tätig wird, ohne dass ein konkretes Geschäft überhaupt nur angebahnt werden muss.

Anja Lederer ist Rechtsanwältin und Redakteurin von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.
[1] Alle Zitate stammen aus dem Verfahren.
[2] Nach einer Untersuchung des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Nürnberg fanden sich im August 2002 auf neun von zehn untersuchten Euroscheinen Kokainspuren; www.stern.de/politik/panorama/index.html?id=509589.