von Otto Diederichs
ReporterInnen verlangen von polizeilichen Pressestellen Transparenz sowie genaue und aktuelle Information – auch dann, wenn es um das Innenleben des Apparates geht.
Eine Journalistin einer überregionalen Tageszeitung hatte vor nicht all zu langer Zeit ein Erlebnis der besonderen Art mit der Pressestelle des Bundeskriminalamtes (BKA). Nach einer Anfrage zu einer eventuellen Bedrohung Deutschlands durch den islamistischen Terrorismus musste sie zu ihrer Überraschung feststellen, dass das Amt sie plötzlich als mögliche Zeugin führte. In der BKA-Pressestelle hatte man über ihren inhaltlich detaillierten Fragenkatalog ein Protokoll angefertigt und dieses an die zuständige Fachabteilung weitergeleitet. Dies war eher ungewöhnlich, zeigt jedoch auf bizarre Art das Spannungsverhältnis zwischen Polizei und Medien.
In jedem x-beliebigen Kriminalroman stößt man früher oder später auf eine Konfrontation zwischen Polizei und Presse. Aber nicht nur Krimi-AutorInnen empfinden Journalismus und Kriminalistik als unvereinbare Gegensätze. Richtig an dieser These ist zunächst, dass die beiden Professionen unterschiedliche Aufgaben haben: JournalistInnen sollen die Öffentlichkeit umfassend über relevante Vorgänge informieren und hierbei auch Hintergründe und Schwierigkeiten aufzeigen. Das gilt natürlich auch für den Bereich der Kriminalität. PolizistInnen haben dagegen Straftaten aufzuklären und dabei kann es durchaus ein berechtigtes Interesse geben, Einzelheiten zu schweren Straftaten – zumindest für einen gewissen Zeitraum – geheim zu halten, etwa wenn es sich um so genanntes Täterwissen handelt, das bei späteren Vernehmungen wichtig sein kann. Gerade solche Einzelheiten sind aber für JournalistInnen – insbesondere jene des Boulevards – nicht selten besonders interessant. Andererseits nutzt die Polizei gewisse, nur ihr bekannte Details immer dann gern, wenn sie sich hiervon eigene Vorteile, etwa bei der Öffentlichkeitsfahndung, verspricht.
Polizeiliche Pressearbeit im Wandel
Im Zeitalter des Internet stellen auch etliche Polizeipräsidien ihre Pressemeldungen selbst ins Netz. Daneben gibt es dann noch das „Presseportal“, bei dem man per Mausklick auch zu einzelnen Dienststellen gelangen kann.[1] Die Ergebnisse sind meist ernüchternd: Verkehrsunfälle, Fahrraddiebstähle, Überfälle, Mord und Totschlag, Fahndungsaufrufe. Wer hingegen weiterführende Informationen nach polizeilichen Todesschüssen oder anderen über die Medien bekannt gewordenen Vorfällen sucht, sieht sich in der Regel enttäuscht. PolizistInnen und JournalistInnen haben eben ein durchaus ähnliches, aber kein identisches Interesse. Das Verhältnis der beiden Seiten ist zwangsläufig nicht spannungsfrei.
Zunächst ist die polizeiliche Pressearbeit generell von der Haltung des jeweiligen Polizeipräsidenten und/oder seines Innenministers abhängig. Pflegen diese eine traditionelle Frontstellung gegenüber den Medien, so ist außer dürren Pressemeldungen nichts zu erwarten. Darüber hinaus werden die jeweiligen Pressestellen mauern und alle weitergehenden Anfragen freundlich, aber entschieden abweisen. Eine solche Pressepolitik betrieb zum Beispiel der frühere Berliner Polizeipräsident Hagen Saberschinsky (1992-2001). Für den bei PolitikerInnen und JournalistInnen als völlig kritikunfähig geltenden obersten Polizeichef gab es offiziell keine polizeilichen Fehler, die eine öffentliche Kritik vertragen hätten, geschweige denn Skandale innerhalb seiner Behörde.
Ermittlungspannen, polizeiliche Übergriffe, kriminelle Handlungen einzelner Beamter oder sexuelle Belästigungen von Kolleginnen – all das gab es in Berlin polizeioffiziell nicht. Wenn JournalistInnen über eigene Kontakte in den Apparat Kenntnis von entsprechenden Vorfällen erhielten, dann dementierte die polizeiliche Pressestelle vehement und wiegelte selbst dann noch ab, wenn es schon nichts mehr zu bestreiten gab.
Solcherart preußische Amtspolitur konnte an der Wende zum 21. Jahrhundert nicht mehr funktionieren und ging denn auch regelmäßig schief. Zu viele PolizeibeamtInnen waren damit nicht mehr einverstanden und fütterten „ihre“ JournalistInnen mit Vergnügen. Auch in der Pressestelle des Polizeipräsidiums gab es stets Opponenten, die bei telefonischen An- und Nachfragen durch scheinbar beiläufige Bemerkungen den richtigen Weg wiesen. Eine solche Recherchesituation ist für JournalistInnen indes häufig eher lästig. „Konspirative“ Treffen mit InformantInnen aus dem Apparat binden Zeit, die angesichts der heute schneller wechselnden Nachrichtenlage, dem Zwang zur Aktualität und dem gleichzeitigen Personalabbau in den Redaktionen immer weniger vorhanden ist. Dennoch war und ist es sinnvoll, in den Aufbau und die Pflege solcher Kontakte zu „investieren“, weil nur so (dauerhafte) Vertrauensverhältnisse und interne Kenntnisse entstehen.
Bereits kurz nach Saberschinskys Ausscheiden änderte Polizeivizepräsident Gerd Neubeck die Pressepolitik der Berliner Polizei spürbar. Bisheriges Personal wurde (teilweise) ausgewechselt und eine neue, kaum mehr gekannte Offenheit machte sich breit. Auch mit dem neuen Polizeipräsidenten Dieter Glietsch (seit 2002) ging dies zunächst über längere Zeit so weiter. Ob das mit daran lag, dass ein damals existierender informeller Zusammenschluss Berliner Journalisten Glietsch unmittelbar nach seiner Amtseinführung zu einem Gespräch einlud, sei dahin gestellt. In den allmorgendlichen Pressemeldungen aus dem Präsidium am Tempelhofer Damm tauchten jedenfalls plötzlich auch andere Meldungen auf: „Verbot der Amtsausübung wegen Verdacht der Nötigung und Beleidigung auf sexueller Grundlage“ oder „Umsonst ins Konzert – Ermittlungen gegen Polizeibeamte“.[2] Eine polizeiliche Pressearbeit, die Schwachstellen im eigenen Apparat gleich selbst offen legt, war zumindest bis dato für Berlin weitgehend unbekannt. Zugleich ist sie geschickt, denn Meldungen, die gleich selbst verbreitet werden, sind keine „Geschichten“ mehr: Zumeist versickert die Angelegenheit dann rasch in kurzen Meldungen und wird nicht zum Skandal.
Dennoch hat sich daneben schleichend ein anderes Phänomen breit gemacht. So stellen Berliner JournalistInnen immer öfter fest, dass die Polizei weit weniger relevante Vorkommnisse meldet, als sich tatsächlich ereignen.[3] Laut Polizeipräsident Glietsch prüft seine Pressestelle zwar jeden Morgen, welche Fälle die Polizei beschäftigt haben. Kriterien für die Herausgabe von Pressemeldungen seien dabei „Straftaten, die besonders im Fokus des öffentlichen Interesses stehen, zudem besonders schwere Straftaten und beispielhafte Fälle“.[4] Das Ergebnis ist unterdessen jedoch oft so mager, dass schon die Polizeigewerkschaften die Pressepolitik ihrer eigenen Behörde öffentlich kritisieren.
Solche Mängel haben auch mit der personellen Besetzung der Berliner Polizeipressestelle zu tun, deren Leitung in Journalistenkreisen mittlerweile als weitgehend ungeeignet gilt. Das wirkt sich auch auf die MitarbeiterInnen aus, zumal hier seit einiger Zeit ein häufigerer Wechsel auffällt. Auch die Berliner Polizei lässt VollzugsbeamtInnen in der eigenen Pressestelle und extern in Zeitungsredaktionen hospitieren. Sie legt damit die Grundlage für einen sinnvollen Umgang mit den Medien, der langfristig möglicherweise das Freund-Feind-Schema aufbrechen kann, das leider in vielen PolizistInnenköpfen herrscht. Da die Berliner „PraktikantInnen“ allerdings viel zu schnell wieder wechseln, sind sie bei Anfragen zu tagesaktuellen Ereignissen für sinnvolle Auskünfte häufig nicht ausreichend informiert. Selbst simple Orts- und Zeitangaben müssen daher mittlerweile nicht selten noch einmal nachrecherchiert werden. Das führt auf beiden Seiten zu unnötigen Rückfragen. Auf Seiten der JournalistInnen sinkt damit zwangsläufig das Vertrauen in die Angaben der Pressestelle und bei deren MitarbeiterInnen die Motivation.
Eine weitere Unsitte, die sich nicht nur bei der Berliner Polizei breit macht, ist die Aufforderung, Anfragen schriftlich einzureichen. Nach Erfahrungen des Vereins der Berliner Polizeireporter[5] werden diese dann büromäßig abgearbeitet, Antworten kommen in der Regel für die aktuelle Berichterstattung zu spät. Nicht tagesaktuelle Anfragen können trotz Nachfragen bis zu vier Wochen dauern. Der Verein lehnt dieses Verfahren daher – bis auf begründete Einzelfälle – grundsätzlich ab.
Über die Pressearbeit der Berliner Polizei fällt also langsam wieder ein bleicher Schleier. PolizistInnen offenbaren sich erneut nur noch anonym – erst recht, seit Mitte November bekannt wurde, dass gleich zehn Beamte des Spezialeinsatzkommandos (SEK) ins Visier ihrer Behörde geraten sind, nachdem ein SEK-Beamter mit einem (befreundeten) Journalisten in einer Bäckerei beim Kaffee trinken gesehen wurde.[6] Dass Glietsch JournalistInnen wegen deren Kritik an einem überzogenen Polizeieinsatz als „Bordsteinkommandanten“ titulierte, war einer der Anlässe für die Gründung des Vereins, mit dem sich die Berliner PolizeireporterInnen gegen die aktuelle Pressepolitik wehren.
Ein gutes Beispiel polizeilicher Öffentlichkeitsarbeit …
Im Jahre 2002 schrieb der Autor im Auftrag der „AktionCourage“ deren Dokumentation über Polizeiübergriffe auf AusländerInnen fort. Hierzu waren Recherchen in der Presse, im Archiv von CILIP, bei AusländerInnen-Initativen, bei amnesty international und sonstigen Hilfsorganisationen und natürlich auch eine Anfrage bei der Berliner Polizeipressestelle erforderlich. Deren damalige Leiterin war sogleich bereit, die entsprechenden Pressemitteilungen herauszusuchen. Nach relativ kurzer Zeit kam die Rückmeldung: „Meine Mitarbeiter haben nichts gefunden. Ich konnte es nicht glauben und habe selber noch einmal nachgesehen. Aber wir haben wirklich so gut wie nichts.“ Für den Zeitraum 2000-2003 verzeichnet die Broschüre allerdings immerhin 15 dokumentierbare Fälle.[7] Die Polizeipressestelle zeigte sich damals redlich engagiert, das Ergebnis ihrer Mühe war hingegen eine geradezu jämmerliche Bilanz der polizeilichen Pressearbeit – erklärbar für die Amtszeit Saberschinskys, nicht jedoch für die darauf folgende Phase relativer Offenheit. Die damalige Leiterin der Pressestelle, die trotz aller berufsbedingten gegensätzlichen Interessen immer um einen vertrauensvollen Umgang mit den Medien bemüht war, hat sich nach diversen innerbehördlichen Desavouierungen denn auch auf eigenen Wunsch versetzen lassen.
… und ein schlechtes aus Berlin
Am 28. Oktober 2007 kam es angesichts der zunehmenden Spannungen im türkisch-irakischen Grenzgebiet nach einer Demonstration nationalistischer Türken zu Ausschreitungen gegen Kurden in Kreuzberg und Neukölln.[8] Gegen 16.30 Uhr fragte ein Journalist bei der Polizeipressestelle nach, die ihm mitteilte, dass dort bislang nichts bekannt sei. Circa 15 Minuten später erhielten die Redaktionen eine E-Mail-Rundsendung, dass sich ein Mitarbeiter der Pressestelle nun als unmittelbarer Ansprechpartner vor Ort begebe. Dieser tauchte dort allerdings nie auf und war, wie sich nach rund drei Stunden herausstellte, auch zu keinem Zeitpunkt unterwegs gewesen. Obwohl ein Medieninteresse längst hinlänglich bekannt war, verfügte die Polizeipressestelle noch immer nicht über eigene aktuelle Informationen, sondern speiste anfragende JournalistInnen mit flapsigen Bemerkungen ab. („Ja, wenn ich aus dem Fenster gucke, ist es dunkel.“) Später musste die Polizei kleinlaut und öffentlich eine Fehleinschätzung der Lage eingestehen.
Die gern gescholtenen Bayern …
Anders in München: Dort leitet der Erste Kriminalhauptkommissar Wolfgang Wenger seit neun Jahren die Polizeipressestelle. Seither gibt es täglich um 11.30 Uhr eine „Presserunde“ bei der JournalistInnen und MitarbeiterInnen der Pressestelle im Wortsinne an einem Tisch sitzen, der Pressebericht vorgestellt wird und unmittelbare Nachfragen möglich sind. Daneben lädt die Pressestelle spätestens alle zwei Monate zu einem „Pressestammtisch“, um Hintergründe zu diskutieren und gegenseitiges Vertrauen herzustellen. „Journalisten haben eine Grundangst, dass etwas an ihnen vorbei laufen könnte“, zumal die hektische Medienwelt andere „Laufzeiten“ habe als eine doch eher behäbige Behörde, sagt Wenger
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Bei aller Gegensätzlichkeit der Aufgaben hält er Ehrlichkeit („Man muss sich auf unsere Informationen verlassen können“), Transparenz und Zeitnähe der Polizeimeldungen für ebenso unabdingbare Voraussetzungen seiner Arbeit wie ein „regelmäßiges gegenseitiges Beschnuppern“. Seinen Job vergleicht er dabei gern mit einem Fußballspiel: „Früher haben wir am Rand gestanden und hinterher gesagt, wer gewonnen hat – heute gehen wir mit aufs Spielfeld.“ Natürlich führe so verstandene Pressearbeit auch immer wieder zu behördeninternen Schwierigkeiten, etwa weil Polizeiführer sich übergangen fühlen oder Ermittler ihre Arbeit als erschwert betrachten. Dennoch sei sie für eine „offensiv agierende“ polizeiliche Pressepolitik unverzichtbar.[9]
… und andere?
Zum Beispiel Brandenburg: Dort interessierte sich das Innenministerium jüngst dafür, woher Journalisten ihre Informationen haben. So wurden das Landeskriminalamt und das Polizeipräsidium in Frankfurt/Oder im Zusammenhang mit einem längeren Artikel über die dortige Rockerkriminalität per Erlass zu Stellungnahmen aufgefordert. Aus den Unterlagen geht genau hervor, wann der Kollege mit welchen Polizeipressesprechern Kontakt hatte und worüber gesprochen wurde. Außerdem wird darüber spekuliert, wer der nicht namentlich genannte Polizeibeamte sein könnte, von dem der Journalist weitere Informationen erhalten hatte. Notiert wurde auch, wann der Redakteur wo in Brandenburg vor Ort zur Recherche eintraf.[10]
Ein kurzer Blick ins Aquarium
Über lange Jahre saß auf dem Telefonhörer in der Pressestelle des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln ein Dr. Hans-Gert Lange – stets freundlich und mit einem offenen Ohr. Wer zum ersten Mal mit ihm zu tun hatte, war zunächst meist positiv überrascht: Dr. Lange rief gelegentlich sogar zurück. Seine Auskünfte waren ebenso wortreich wie nichtssagend; das wirklich Interessierende verstand er immer in einem weiten Bogen zu umgehen. Wer da nicht locker ließ, hatte somit das Vergnügen, etwas kennen zu lernen, was es in der Natur nicht gibt – nämlich eine äußerst geschwätzige Auster. Der unter JournalistInnen als „Dr. No“ bekannte Herr ist inzwischen selbst finished intelligence. Seine Amtsnachfolgerin lässt indes auch nicht viel hoffen. Nach ihrem Referat auf einer gemeinsam von der „Evangelischen Akademie zu Berlin“ und dem „Gesprächskreis Nachrichtendienste in Deutschland“ ausgerichteten Tagung Ende Oktober 2007 waren sich zumindest die dort anwesenden KollegInnen darüber einig, dass auch von ihr außer eines Vortrages über das Verfassungsschutzgesetz oder der Verlesung von Verfassungsschutzberichten wohl nicht viel zu erwarten sei.
Nicht viel anders sieht es beim Bundesnachrichtendienst und in den Pressestellen der Landesämter für Verfassungsschutz aus. Aquarien wohin man blickt. Vermutlich täte so manchen PressesprecherInnen bei deutschen Sicherheitsbehörden ein Schulungskurs bei der Pressestelle des Münchener Polizeipräsidiums ganz gut.