Vom Dauerskandal zum Gesetz – Reform des italienischen Geheimdienstrechts

von Yasha Maccanico

Mit der einstimmigen Annahme im Verfassungsausschuss des Senats am 1. August 2007 hat das neue italienische Geheimdienstgesetz die letzte parlamentarische Hürde genommen. Es soll für eine stärkere politische Kontrolle der Dienste sorgen und die schier unendliche Serie von Skandalen beenden.[1]

Diese Serie war in der Tat lang. Die italienischen Geheimdienste hatten sich an Entführungsaktionen der CIA beteiligt; sie hatten Gerichtsverfahren manipuliert; sie hatten PolitikerInnen, Geschäftsleute, NGOs, AnwältInnen und RichterInnen illegal überwacht und umfangreiche Dossiers über sie angelegt; sie hatten Falschinformationen in den Medien platziert und Journalisten als V-Leute eingesetzt. Im Zentrum der Skandale stand der militärische Geheimdienst SISMI und dessen im November 2006 abgesetzter Direktor Nicolò Pollari, der derzeit wegen der Entführung von Abu Omar vor Gericht steht.[2]

Sorgen hatte der politischen Klasse nicht nur bereitet, dass die Ämter über einen hohen Grad an Autonomie verfügten und regelmäßig ihre Befugnisse und Kompetenzen überschritten. Auslöser für das neue Gesetz war vielmehr, dass Mitarbeiter der Dienste vor Gericht landeten und immer peinlichere Details über ihre illegalen Praktiken an die Öffentlichkeit gelangten. Die Offenlegung geheimer Informationen schien darüber hinaus das Vertrauen der befreundeten ausländischen Dienste in ihre italienischen Partner zu erschüttern.

Mit dem neuen Gesetz entsteht ein „Sicherheitsinformationssystem“, das die alte aus dem Jahre 1977 stammende organisatorische Gliederung des Geheimdienstwesens, die ihrerseits aus einer Serie von Skandalen hervorgegangen war, ersetzt.[3] In dieser alten Struktur existierten zwei Dienste: Der „Militärische Sicherheits- und Nachrichtendienst“ (SISMI) war eine Untergliederung des Verteidigungsministeriums. Seine Aufgabe war die Sammlung von Informationen für die (militärische) „Wahrung der Unabhängigkeit und Einheit des Staates“, gleichgültig woher die angebliche Bedrohung kommen sollte. Der „Dienst für Nachrichten und die Sicherheit der Demokratie“ (SISDE) unterstand dagegen dem Innenministerium und sollte die „verfassungsmäßigen Institutionen“ gegen Angriffe und „Subversion“ schützen. Beide Dienste konnten unabhängig voneinander sowohl im Inland als auch im Ausland Informationen beschaffen. Für ihre Koordination und Steuerung sollte das „Exekutivkomitee für die Sicherheits- und Nachrichtendienste“ (CESIS) sorgen – ein Generalsekretariat im Büro des Premierministers, der die letztendliche Verantwortung für die Tätigkeit der Dienste innehatte.

Neue Organisationsstruktur ohne Militär

Auch im neuen System der Sicherheitsinformation gibt es zwei Dienste: den Auslandsnachrichten- und Sicherheitsdienst (Agenzia informazioni e sicurezza esterna, AISE) und den Inlandsnachrichten- und Sicherheitsdienst (Agenzia informazioni e sicurezza interna, AISI). Deren Zuständigkeiten sind klarer getrennt als zuvor: AISE kann nur noch nach Absprache und in Kooperation mit AISI im Inland tätig werden. Umgekehrt gilt das Gleiche. An die Stelle des CESIS tritt das Sicherheitsinformationsdepartement (Dipartimento delle informazioni per la sicurezza, DIS). Zu dem System gehört ferner das bisher schon bestehende Interministerielle Komitee für die Sicherheit der Republik (Comitato inter­ministe­riale per la sicurezza della Repubblica, CISR), ein Beratungsgremium, dem neben dem Premier der Außen-, der Innen-, der Verteidigungs-, der Justiz- und der Wirtschaftsminister angehören. Der Generaldirektor des DIS agiert nun als Sekretär des Gremiums.

Keiner der beiden neuen Dienste ist dem Verteidigungsministerium unterstellt oder dem Militär angegliedert. Die Armee verfügt zwar noch über eine eigene nachrichtendienstliche Abteilung, das Informations- und Sicherheitsreferat des Generalstabs (Reparto informazioni e sicu­rezza dello Stato maggiore della difesa, RIS). Dieses gehört aber nicht zum neuen Sicherheitsinformationssystem und seine Funktionen sind auf die Sicherheit der Armee beschränkt. Bei Aktivitäten zum Schutz der im Ausland eingesetzten Truppen muss sich RIS mit AISE koordinieren.

Das Sicherheitsinformationssystem untersteht nun insgesamt dem Premierminister. Er ernennt die Direktoren von AISE, AISI und DIS (Amtszeit von vier Jahren, einmal verlängerbar) und deren Stellvertreter. Er ist zuständig für Koordination, Einsatzdoktrin und für den Erlass von Richtlinien. Diese Aufgaben kann er an einen Minister oder Staatssekretär delegieren. Das DIS soll in diesem System eine stärkere Kon­troll- und Steuerungsfunktion wahrnehmen als seine Vorläuferinstitution: Es soll operative Aktivitäten, Informationsbeschaffung und -auswertung koordinieren, den Informationsaustausch zwischen den Diensten und mit den Polizeibehörden fördern, aber auch die Ergebnisse der Arbeiten von AISI und AISE überprüfen und dem interministeriellen Komitee einen jährlichen Bericht vorlegen. Das DIS verfügt über ein eigenes Büro für interne Ermittlungen, das besondere Vorkommnisse untersuchen und die Einhaltung von Gesetzen, Richtlinien des Premiers und Geheimhaltungs­vorschriften überwachen soll.

Alle öffentlichen Verwaltungen sowie privaten Stellen, die öffentliche Dienstleistungen erbringen, sind verpflichtet, mit den Geheimdiensten zu kooperieren. Erlaubt ist auch die Einrichtung von online-Zugängen zu öffentlichen Registern. Die Armee, die diversen Polizeiorganisationen einschließlich der Gerichtspolizei müssen den Diensten „jede mögliche Zusammenarbeit“ gewähren. Das Gesetz sieht ein spezielles Verfahren vor, nach dem der Premierminister als oberster Dienst­herr der Geheimdienste bei den Justizbehörden Informationen abfragen kann, die unter das Untersuchungsgeheimnis fallen. Umgekehrt können RichterInnen solche Daten auch von sich aus übermitteln.

Das Gesetz verbietet den Diensten, gewählte PolitikerInnen, Regierungsmitglieder, RichterInnen, Priester oder JournalistInnen anzustellen oder mit ihnen Beraterverträge abzuschließen.

Legenden und Straftaten

Die Geheimdienste dürfen weiter schnüffeln, ihre MitarbeiterInnen sollen nach wie vor unter falschen Identitäten agieren und dabei auch Straftaten begehen können. Das alles hat aber in geordneten Bahnen und nach gesetzlichen Verfahrensvorschriften abzulaufen: Die Sammlung und Verarbeitung von Informationen ist ausschließlich zu den Zwecken des Sicherheitsinformationssystems erlaubt. Das Anlegen von Personendossiers und Archiven außerhalb des institutionellen Rahmens ist verboten und wird mit Haft bis zu zehn Jahren bestraft.

Verfahrensvorschriften sieht das Gesetz nicht nur für die Nutzung falscher Identitäten sowie die Teilnahme am rechtlichen und wirtschaftlichen Leben unter solchen Legenden vor, sondern auch für die Begehung von Straftaten, sofern diese für die Erfüllung der Aufgaben des jeweiligen Dienstes erforderlich und verhältnismäßig sind. GeheimdienstmitarbeiterInnen und beauftragte Drittpersonen sind vor Strafverfolgung geschützt und können einen „besonderen Rechtfertigungsgrund“ in Anspruch nehmen, wenn die Straftat Teil einer „genehmigten Operation“ ist. In jedem Einzelfall bedarf es einer schriftlichen und begründeten Genehmigung, die im Prinzip der Premierminister oder sein Delegierter erteilen muss. In Fällen „absoluter Dringlichkeit“ können das auch die Direktoren der Dienste sein, sie müssen aber das DIS und den Premierminister „unverzüglich“ infor­mieren. Das Anfertigen von Genehmigungen auf Vorrat ist mit Haftstrafe bis zu zehn Jahren bedroht.

MitarbeiterInnen der Dienste dürfen zwar die Begehung von (autorisierten) Straftaten begünstigen, aber keine falschen Aussagen gegenüber den Justizbehörden machen und auch Strafverfahren nicht beeinflussen. Delikte in bzw. gegen Büros politischer Parteien, Gewerkschaften oder professionelle JournalistInnen sind von Ausnahmen abgesehen verboten. Auch eine „licence to kill“ gibt es für die Dienste nicht: Straftaten gegen das Leben, die Gesundheit, körperliche Integrität und Freiheit von Personen sind ausgeschlossen. Die Beteiligung an Entführungsaktionen wie im Fall Abu Omar wäre also illegal.

Geheimschutz

Welche „Dokumente, Informationen, Handlungen oder andere Dinge“ unter das Staatsgeheimnis fallen, kann nach dem neuen Gesetz nur noch der Premierminister bestimmen. Zulässig ist das bei Angelegenheiten, deren Offenlegung der „Integrität der Republik“, der „Verteidigung ihrer verfassungsmäßigen Institutionen“, den „Beziehungen zu anderen Staaten“ oder der „militärischen Verteidigung und deren Vorbereitung“ schaden könnten. Ausgenommen sind Informationen über „subversive Akte“ oder Anschläge auf Personen.

Der Schutz durch das Staatsgeheimnis soll fallen, wenn er nicht mehr erforderlich ist, im Normalfall nach fünfzehn, höchstens nach dreißig Jahren. Weniger strikt wird das bloße Behördengeheimnis gehandhabt, für das eine vierstufige Klassifizierung von „streng geheim“ bis „vertraulich“ vorgesehen ist. Die Einstufung nimmt hier nicht der Premierminister, sondern diejenige Behörde vor, welche die Akten anlegt. Nach fünf Jahren sinkt das Dokument automatisch eine Stufe tiefer. Nach fünfzehn Jahren ist es dann nur noch der Premierminister, der die Geheimhaltung verlängern kann.

Das Gesetz sieht weiter die Schaffung eines Zentralbüros für den Geheimschutz (Ufficio Centrale per la Segretezza, UCSe) im DIS vor. Es soll unter anderem Sicherheitsüberprüfungen durchführen und Zugangsberechtigungen zu geheimen Informationen erteilen.

Strafermittlungen

Besondere Relevanz erhalten die Bestimmungen über den Schutz von Geheimnissen da, wo es um Strafuntersuchungen geht, in die MitarbeiterInnen der Dienste involviert sind – sei es als ZeugInnen oder als Beschuldigte.

UntersuchungsrichterInnen können Unterlagen von Geheimdiensten nur in deren Räumlichkeiten einsehen und das auch nur, wenn es „für die Ermittlungen unabdingbar“ ist. Wenn „Grund zu der Annahme“ besteht, dass die vorgelegten Akten unvollständig sind, bleibt den VertreterInnen der Justiz nur der Gang zum Premierminister, der – sofern er die Beschwerde für berechtigt hält – weitere Materialien zugänglich machen kann. Wenn es sich um Informationen handelt, die von ausländischen Geheimdiensten stammen, muss die zuständige Behörde des betreffenden Staates entscheiden, ob die Daten freigegeben oder als Staatsgeheimnis klassifiziert werden sollen. Generell ist es der Premierminister, der innerhalb von dreißig Tagen über die Weitergabe von „Staatsgeheimnissen“ an die Justiz zu entscheiden hat.

Bei gerichtlichen Einvernahmen von Geheimdienstpersonal haben die RichterInnen jede nur mögliche Maßnahme zu treffen, um die Identität der ZeugIn geheim zu halten. Dies kann etwa durch Videokonferenzen geschehen. Geheim bleiben soll auch der Inhalt der Aussagen, es sei denn, dass dies die Fortführung der Untersuchung „absolut verunmöglichen“ würde. Verweigern geheimdienstliche ZeugInnen unter Berufung auf ein Staatsgeheimnis die Aussage, ist es wiederum der Premierminister, der innerhalb von dreißig Tagen entscheiden muss, ob er die Information freigibt oder nicht. Im letzteren Falle kann das Strafverfahren nur dann weitergeführt werden, wenn das Gericht über sonstige Informationen verfügt. Ist die geheime Information jedoch von zentraler Bedeutung für die Wahrheitsfindung, muss die Untersuchung eingestellt werden.

Ähnlich stellt sich die Situation dar, wenn Untersuchungsbehörden bei (Telekommunikations-)Überwachungen Gespräche mitschneiden, an denen MitarbeiterInnen der Dienste beteiligt sind. Die dabei anfallenden Informationen müssen zunächst geheim bleiben. Nach Abschluss der Überwachung muss der/die jeweilige RichterIn sämtliche Mitschnitte, die er/sie vor Gericht als Beweis verwerten will, an den Premierminister übermitteln. Während der 30-Tage-Frist, können die betreffenden Informationen nur genutzt werden, wenn bei dem Beschuldigten Fluchtgefahr besteht, oder um ein Verbrechen zu verhindern, das mit mindestens vier Jahren Haft bestraft würde. Hält der Premierminister die durch die Überwachung gewonnen Informationen für ein Staatsgeheimnis und liegen der Justiz keine weiteren, davon unabhängigen Erkenntnisse vor, dann ist auch in diesem Falle die Einstellung unausweichlich. Die Exekutive entscheidet damit letztlich politisch, ob ein Strafverfahren möglich ist oder nicht.

Parlamentarische Kontrolle

Dass Parlamentsausschüsse, die Geheimdienste kontrollieren sollen, selbst der Geheimhaltungspflicht unterliegen, gehört zu den tristen Stan­dards des Parlamentarismus nicht nur in Europa. Italien macht hier keine Ausnahme: Sitzungen des Parlamentarischen Komitees für die Sicherheit der Republik (Comitato parlamentare per la sicurezza della Repubblica, COPACO) sind geheim. Sowohl die zehn Mitglieder des Ausschusses (je fünf aus dem Senat und der Abgeordnetenkammer) als auch die SekretariatsmitarbeiterInnen müssen über geheime Informationen, die sie bei ihrer Arbeit erlangen, schweigen. „Indiskretionen“ sind strafbar; der Präsident der jeweiligen Parlamentskammer hat Abgeordnete, die ihre Geheimhaltungspflichten verletzen, aus dem Ausschuss zu entlassen.

Halbjährlich erhält das COPACO Tätigkeitsberichte des Premierministers und der Dienste selbst, letztere inklusive Bedrohungsanalyse. Im gleichen Rhythmus wird das Komitee über Haushalt und Ausgaben des „Sicherheitsinformationssystems“ sowie über Kriterien bei der Beschaffung personenbezogener Daten informiert.

„Regelmäßig“ befragen kann es den Premierminister, seinen Delegierten sowie die Direktoren des DIS und der Dienste. Die Anhörung von Geheimdienstmitarbeitern ist dagegen nur in Ausnahmefällen und nach begründetem Antrag möglich. Zugang zu Einrichtungen der Dienste erhält COPACO nur nach vorheriger Information des Premierministers. Es kann sich zudem Kopien von Akten anfertigen lassen. Dokumente, die dem Staatsgeheimnis unterliegen, können nur aufgrund eines einstimmigen Beschlusses der zehn Ausschussmitglieder angefordert werden.

Ebenfalls auf Ersuchen erhält COPACO Informationen und Akten aus laufenden parlamentarischen Untersuchungen oder Strafverfahren, in die GeheimdienstmitarbeiterInnen involviert sind. Die Justiz kann die Aushändigung der Dokumente um ein halbes Jahr oder bis zum Abschluss der Voruntersuchung hinauszögern.

Der Premierminister muss dem Komitee von sich aus mitteilen, wenn eine Justizbehörde beantragt, abgehörte Gespräche oder sonstige Kommunikation von GeheimdienstmitarbeiterInnen in Strafverfahren zu verwenden. Auch die Antwort auf den jeweiligen Antrag muss dem Ausschuss vorgelegt werden. Informieren muss der Premier ferner über Operationen, bei denen er selbst, sein Delegierter oder die Direktoren des DIS bzw. der Dienste die Begehung einer Straftat bewilligten. Die Benachrichtigung hat spätestens dreißig Tage nach Abschluss der Operation zu erfolgen. Bei seinen Nachforschungen kann sich das Komitee von externen BeraterInnen unterstützen lassen.

Über festgestellte Verstöße gegen Gesetze und Dienstvorschriften soll das Komitee unverzüglich den Premierminister und die Präsidenten von Abgeordnetenhaus und Senat informieren. Neben seinem jährlichen Bericht kann es dem Plenum des Parlaments auch Informationen über dringliche Fälle zuleiten. Ob und wie das möglich sein soll, ohne die Geheimhaltung zu durchbrechen, bleibt dahingestellt.

[1] Corriere della Sera v. 25.7.2007; Repubblica v. 1.8.2007
[2] s. Bürgerrechte & Polizei/CILIP 87 (2/2007), S. 25-27
[3] Legge 3 agosto 2007, n. 124 (www.parlamento.it/parlam/leggi/07124l.htm); Legge 24 ottobre 1977, n. 801 (www.camera.it/_bicamerali/sis/norme/l801-77b.htm)