von Ingo Niebel
Während der Bundesnachrichtendienst Journalisten in seine Spitzeleien einbettet, macht die Bundesregierung mit neuen Überwachungsinstrumenten und Drohungen mobil gegen diejenigen, die sich partout nicht in dieses Bett legen wollen.
Der „eingebaute Journalist“ wurde zum festen Begriff, seit die US-Regierung im Rahmen ihrer Kriegsvorbereitung gegen den Irak beschloss, ausgewählte zivile Berichterstatter in militärische Einheiten „einzubetten“, damit diese die Heimatfront quasi in Echtzeit vom Geschehen an der Hauptkampflinie informieren konnten. Das Bild der „embedded journalists“ prägte jene Beiträge, mit denen die TV-Sender auch hierzulande über ihre mehr oder weniger bekannten Reporter berichteten, die sich bei der Bundeswehr oder bei privaten paramilitärischen Dienstleistern auf den Fronteinsatz vorbereiteten. Später sah man sie dann aus dem Irak berichten mit griffbereiter ABC-Maske, angelegter Splitterschutzweste und aufgesetztem Stahlhelm. Die beiden letzten Ausrüstungsgegenstände waren meist blau gefärbt und somit gut sichtbar.
Unsichtbar ist hingegen der Schlapphut, den jene „embedded journalists“ tragen, die mit den Geheimdiensten und für sie arbeiten. Von ihrer Tätigkeit erfährt die Öffentlichkeit in der Regel erst dann, wenn jemand in der Politik der Meinung ist, dass mit diesem skandalträchtigen Thema ein staatlicher Geheimdienst in seine Schranken gewiesen oder gar reformiert werden müsse.
In Deutschland betrifft das zunächst den Bundesnachrichtendienst (BND), obwohl auch die 17 Inlandsgeheimdienste vielfältige Beziehungen zu den Medien unterhalten. Dem BND als deutschem Auslandsgeheimdienst obliegt es, die Bundesregierung zu informieren. Seine Kontrolle und die Koordination seiner Arbeit mit den anderen nationalen Sicherheitsbehörden sind deshalb beim Bundeskanzleramt angesiedelt. Die Spionage im Inland ist ihm verboten. Trotzdem erfährt die bundesrepublikanische Öffentlichkeit mit gewisser Regelmäßigkeit, dass der BND deutsche Journalisten bespitzelt, als Informanten bezahlt, als Meinungsmacher für seine Ziele einsetzt oder gar als Agenten führt.
Der letzte Skandal kam Ende 2005 ans Tageslicht. Angeblich um eine undichte Stelle im eigenen Apparat zu stopfen, durch die nach dem Plutoniumskandal von 1994 Informationen über die Innereien des Dienstes ausgelaufen und an die Presse gelangt waren, hatte der BND zum einen über Jahre hinweg Journalisten bespitzelt, zum anderen die Hilfsdienste von Journalisten in Anspruch genommen.[1] Der Skandal fachte die Diskussion über die Zusammenarbeit von Medien und Geheimdiensten neu an. Die Veröffentlichungen zu dem Thema führten – frei nach Thomas Hobbes „Des Journalisten Wolf ist der Journalist“ – zu diversen Rechtsstreitigkeiten, zu einem Untersuchungsausschuss des Bundestages – und sind mittlerweile wieder aus der Tagesberichterstattung verschwunden. Die nächste Enthüllung ist jedoch nur eine Frage der Zeit und der Umstände.
Den „embedded journalists“, die für einen Geheimdienst tätig sind, muss man zwangsweise die „unembedded journalists“ gegenüberstellen. Letztere verkörpern hierzulande jenen Typus, der bar jeglicher Anbindung seinem Beruf nachkommt und über Geheimdienste berichtet. Er schließt die Zusammenarbeit mit den geheimen Nachrichtendiensten aus, weil er sie nicht mit seinem Berufsethos vereinbaren kann. Diese Einstellung in Verbindung mit seinen geheimdienstkritischen Berichten machen ihn zum Zielobjekt der Sicherheitsabteilungen von Geheimdiensten. Das belegen die aktuellen Fälle aus dem Jahr 2005.
Eine Geschichte mit Tradition
Das höchste Gut des Journalisten ist seine Glaubwürdigkeit. Wenn seine Gegenüber ihn für glaubwürdig halten, kann er fast überall hinkommen. Das macht Journalisten doppelt interessant für Geheimdienste: Zum einen dienen sie als Beschaffer von Informationen. Das wussten schon die Nazis, und deshalb finden sich in den Akten des Auswärtigen Amtes und der Wehrmacht Berichte des staatlichen Deutschen Nachrichtenbüros (DNB), die ausdrücklich nicht zur Veröffentlichung vorgesehen waren, sondern in erster Linie der Information bestimmter Staatsorgane dienten.[2] Zum anderen kann ein Geheimdienst über seine Medienkontakte Nachrichten verbreiten, mit denen er meinungsbildend wirken will.
Dieser Tradition blieb auch Hitlers Geheimdienst-General Reinhard Gehlen treu, als er nach dem Krieg zuerst seine geheime „Organisation Gehlen“ für die USA schuf, aus der dann der BND hervorging. Anfang 1970 führte der Geheimdienst 66 Journalisten als „voll tragfähige, regelmäßige oder häufige Kontakte.“ Das waren die so genannten „Pressesonderverbindungen“, die der BND nach Gehlens Vorgabe zu seinem „Schutz und Nutzen“ unterhielt.[3]
Sie stammten in der Regel aus dem rechtskonservativen Spektrum der Bundesrepublik. Über diese Connection erhielt der Geheimdienst sowohl fortlaufende Informationen von Auslandskorrespondenten als auch Spezialberichte von ausgewählten Reportern. Außerdem nutzte Pullach seine Verbindungen, um Informationen in die Öffentlichkeit zu lancieren. In den 80er Jahren wurde der Medienmissbrauch durch den BND erstmalig öffentlich diskutiert.[4] 1998 legte der Weilheimer Friedensforscher und ehemalige Bundeswehr-Hauptmann Erich Schmidt-Eenboom mit seinem Buch „Undercover. Der BND und die Journalisten“ nach. 2004 erfolgte eine aktualisierte Ausgabe. Ein Jahr später stand der Publizist selbst im Scheinwerferlicht: Zum einen gehörte er zu denjenigen, die der BND observiert hatte, zum anderen wurde bekannt, dass er mit dem Auslandsgeheimdienst Material ausgetauscht hatte. Schmidt-Eenbooms Rolle müsste an anderer Stelle tiefer gehender betrachtet werden.
Zu den vom BND ausspionierten Journalisten zählt auch Andreas Förster, der in der Berliner Zeitung über Geheimdienste schreibt. Im November 2007 erstritt er vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, dass der BND alle über ihn gespeicherten Informationen ihm vorlegen muss.[5] Weitere Betroffene haben angekündigt, dass auch sie Akteneinsicht in Pullach beantragen wollen. Man darf gespannt sein, was sie dort zu sehen bekommen werden.
Wilhelm Dietl – Journalist im besonderen Einsatz
Im Verlauf der Bespitzelungsaffäre kam auch heraus, dass der freie Journalist und Buchautor Wilhelm Dietl von 1982 bis 1993 für den BND als Agent gearbeitet hat. Anfang 2007 veröffentlichte Dietl sein autobiografisches Buch „Deckname Dali. Ein BND-Agent packt aus.“ Er erzählt darin, wie er, der Journalist, gleichzeitig als Agent für den Pullacher Dienst tätig war. Das Buch ist eine Pflichtlektüre für freie Journalisten, die vorhaben, ihr Einkommen mit Hilfe des BND zu verbessern: Am Ende kann der Dienst jemanden aus Gründen der politischen Opportunität opfern. Dietl fühlte sich verraten: „Die öffentliche Hinrichtung war perfekt, als ich … zu Unrecht in den Zusammenhang der Journalistenbespitzelung geriet.“[6] Der in Misskredit geratene Journalist revanchierte sich mit dem Buch. Darin erinnert er auch, dass der BND dem Untersuchungsausschuss mitteilte, er habe während der Amtszeit von Bundeskanzler Gerhard Schröder (1998-2005) rund zwanzig Auslandskorrespondenten deutscher Medien angeworben. Diese hätten zwischen 150 und 1.000 Euro pro Meldung erhalten. Wie viele freie Journalisten auf der Lohnliste des BND stehen, ist noch nicht bekannt. Es werden nicht wenige sein, da die deutschen Medien – staatliche wie private – aus Kostengründen ihre Auslandsbüros schließen. Je öfter und länger die Bundeswehr deutsche Interessen weltweit sichern soll, desto mehr wird der BND in Zukunft Spezialkenntnisse benötigen. Seit 2005 arbeitet er dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) zu, den die rotgrüne Bundesregierung 2002 befugt hat, deutsche Soldaten und ihre Einrichtungen auch im Ausland gegen Spionage und Sabotage zu schützen.
„Rigide“ gegen Journalisten „ein Zeichen setzen“
Dem MAD obliegt ebenfalls der umfassende Schutz des Kommandos Spezialkräfte (KSK). Das KSK ist die supergeheime Sondereinheit der Bundeswehr. Der Name ist Programm: Weltweit soll sie geheime Kommandounternehmen führen. Ihre Einsätze kennen nur die Bundeskanzlerin, der Verteidigungs- und Außenminister. Der Bundestag wird über die Operationen des KSK nicht unterrichtet. Über die Elitetruppe weiß man also nur das, was Bundeskanzleramt und Verteidigungsministerium bekanntgeben. Der seit 2001 laufende Einsatz des KSK in Afghanistan steht unter strengster Geheimhaltung. So wissen weder Parlament noch Öffentlichkeit, ob Angehörige dieser Einheit bei den so genannten Anti-Terror-Operationen verwundet oder gar getötet wurden. Das KSK ist in die Kritik geraten, nachdem der Guantánamo-Häftling Murat Kurnaz deutsche Elitesoldaten beschuldigt hat, sie hätten ihn in einem US-Camp in Afghanistan misshandelt. Kürzlich berichteten deutsche Medien über Alkoholexzesse der führenden Offiziere des dort eingesetzten KSK-Kontingents. Informationsbedarf ist also angesagt. Aber am 22. Oktober 2007 meldete das Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ über die neuen Maßnahmen zur „Tarnung für KSK“: „Darüber hinaus empfehlen die Ministerialen dem Verteidigungsminister, rigide gegen Journalisten vorzugehen, die über KSK-Angehörige berichtet haben, um damit ‚ein deutliches Zeichen zu setzen‘.“ Was heißt „rigide“ gegen Journalisten vorgehen? Das Fremdwort bedeutet laut Duden „unnachgiebig“. Wie sieht denn ein unnachgiebiges Vorgehen gegen Journalisten aus? Und wie setzt man in diesem Kontext ein „deutliches Zeichen“? Müssen in Zukunft Journalisten, die über das KSK berichten wollen, damit rechnen, dass der Bendler-Block Deutschlands Medien- oder Staatsanwälte auf sie hetzen wird, um die Berichterstattung zu verhindern? Oder darf man sich als Journalist sogar darauf einstellen, demnächst ungebetenen Besuch von durchtrainierten Personen in Schwarz zu bekommen, die einem „unmissverständlich“ klar machen, dass der letzte KSK-Artikel wirklich der letzte war, sonst … Da fast alles, was mit dem KSK zu tun hat, unter absolute Geheimhaltung fällt, erübrigt sich die Frage, ob es ein Kontrollgremium geben wird, das feststellt, bei welchen Journalisten ein „rigides“ Zeichen gesetzt werden muss.
Neue Überwachungsmethoden auch gegen Journalisten
Gegenüber den „unembedded journalists“ beherrscht der deutsche Staat aber nicht nur die rigide, sondern auch die technisch-feingliedrige Zeichensetzung. Anfang November beschloss das Parlament die Vorratsdatenspeicherung von Verbindungsdaten der Telekommunikation. Damit ist es zum einen möglich zu kontrollieren, wann ein Journalist jemanden anrief beziehungsweise wer ihn wann per Telefon kontaktierte. Da auch die Uhrzeit der Telefonate gespeichert werden, lässt sich ein Profil der Zielperson erstellen. Falls die Anrufe zwischen zwei Handys stattfanden, werden sich auch Bewegungsprofile erstellen lassen. Mittels des Zugriffs auf Überwachungskameras wäre sogar denkbar, dass sich ein Treffen zwischen dem Journalisten und seinem Informanten dokumentieren lässt. Die Nummern der SIM-Karte und des Handy lassen Rückschlüsse zu, wer wann mit wessen Handy wo wen angerufen hat.
Dass die Strafverfolger durchaus bereit sind, auch Verbindungsdaten von Journalistentelefonen auszuwerten, haben sie bereits gezeigt, als die jetzt beschlossene konsequente Vorratsdatenspeicherung noch in weiter Ferne schien. In den 90er Jahren wurden eine „Stern“- und zwei ZDF-RedakteurInnen Opfer von „Handysuchläufen“, bei denen die Gesamtheit der in und nach Deutschland abgewickelten Anrufe mit den Nummern ihrer Telefone abgeglichen wurden, um den Aufenthalt ihrer Kontaktpersonen, des Ex-RZ-Mitglieds Hans-Joachim Klein in dem einen und des flüchtigen Pleitiers Jürgen Schneider im anderen Falle, aufzudecken. Das Bundesverfassungsgericht wies 2003 die Klagen der JournalistInnen ab und erklärte, es sei „Sache des Gesetzgebers, über die Freistellung von Journalisten … von strafprozessualen Maßnahmen“ zu entscheiden.[7] Das hat er nun getan.
Die neuen Gesetze zur Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) reihen die Journalisten in den Kreis der abhörbaren Berufsgruppen ein. Ab sofort muss ein Richter entscheiden, was mehr wiegt: Das Interesse des Staates per Telefonüberwachung an die Informationen von Journalisten zu gelangen oder das Interesse der letzteren an der Geheimhaltung ihrer Kontakte. Selbst wenn Richter die TKÜ gegen Journalisten restriktiv auslegen sollten, so produziert allein die Vorratsdatenspeicherung so viele Informationen, dass investigativ tätige Journalisten für staatliche Instanzen durchschaubar werden. Bevor diese sich ein erneutes Fiasko wie bei der Durchsuchung der Cicero-Redaktion und der Wohnung des betroffenen Journalisten leisten, werden sie mittels der neuen Daten ihre Operation besser vorbereiten. Faktisch kann kein Journalist mehr seinen Informanten Schutz garantieren – zumindest nicht per elektronischer Informationsübermittlung.
Da das Bundeskriminalamt in Berlin gezeigt hat, dass es notfalls auch wieder Briefe öffnet, um an Hinweise zu gelangen, wird der Handlungsspielraum von Journalisten noch weiter eingeschränkt. Diese können jetzt auf die Idee kommen, zum einen wieder an Brieftauben zu denken, zum anderen bei bestimmten Gesprächen das Handy auszuschalten. Letzteres kann gegen sie verwendet werden: im Verfahren gegen die „militante gruppe“ wertete die Bundesanwaltschaft das zu Hause gelassene Handy als konspiratives Verhalten.[8]
Was tun?
In der Vergangenheit wurden einige Journalisten namentlich bekannt, die für den BND gearbeitet haben. Diese „Enthüllungen“ waren nur möglich, weil es in der Politik ein bestimmtes Interesse daran gab. Es sei dahin gestellt, ob sich durch eine sorgfältige Inhaltsanalyse zu bestimmten Themen in deutschen Zeitungen herausfinden ließe, welche konkreten Konsequenzen die Zusammenarbeit des BND mit seinen „Pressesonderverbindungen“ für die Meinungsbildung in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit gehabt hat. Was die „embedded journalists“ vom Schlage eines Wilhelm Dietl angeht, wird man wohl auch weiterhin auf ihre autobiographischen Werke angewiesen sein, um mehr über ihre Motive und Arbeitsfelder zu erfahren. Es sei denn, die einschlägigen Geheimdienstarchive würden endlich öffentlich zugänglich. Aber die realen Umstände machen aus dieser Vorstellung reines Wunschdenken. Wer vorhat, sein Journalistendasein mit Unterstützung des BND zu finanzieren, so wie es Dietl tat, wird dies auch in Zukunft tun können.
Angesichts der verschärften Überwachungslage und den unverhüllten Drohungen aus dem Staatsapparat müssen sich hingegen die „unembedded journalists“ fragen, ob sie weiterhin kritisch über die deutsche „Intelligence Community“ berichten wollen oder sich nicht lieber nach einem anderen Spezialthema umschauen möchten. Diejenigen, die beschließen weiterzumachen, müssen sich in den Methoden der Geheimhaltung und Konspiration fortbilden. So macht die Gegenwart aus ihren investigativen Journalisten die „konspirativen“ der Zukunft. Und die können sich noch nicht einmal mehr sicher sein, ob es dann noch Medienmachende gibt, die den Mut haben werden, ihre Rechercheergebnisse zu publizieren, geschweige denn, sie gegen den fast allmächtigen Staat zu verteidigen. So stellt sich dann auch im Bereich des Journalismus die Frage: Ist das die Republik, die wir haben wollen?