Mobilmachung ohne Augenmaß – Die Schweiz rüstet sich für die Euro08

von Reto Moosmann

Im Juni dieses Jahres finden in der Schweiz und Österreich die Fußball-Europameisterschaften statt. Allein in der Schweiz werden zur Euro08 zwischen vierzig- und fünfzigtausend Bedienstete aus Polizei, privaten Sicherheitsunternehmungen, Staatsschutz, Grenz­wache und Armee zum Einsatz kommen.

„Fragwürdiger Einsatz ausländischer Polizisten an der Euro“ – so betitelte die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) am 17. Dezember 2007 ein Interview mit den zwei renommierten Schweizer Verfassungsrechtlern Rainer Schweizer und Markus Mohler. Erst die Ankündigung, dass ein halbes Jahr später zwischen 500 und 1.000 französische und deutsche Polizis­tInnen in der Schweiz zum Einsatz kämen, hatte die professorale Intel­ligenzia aufgeschreckt und dazu motiviert, die Sicherheitsvor­keh­rungen für den weltweit drittgrößten Sportanlass unter verfassungsrechtlichen Aspekten zu kritisieren. Etwas spöttisch, aber durchaus korrekt, kommentierte ein Leser tags darauf die Kritik: Die Bedenken der „Herren Professoren“ seien sicherlich berechtigt, kämen aber „leider etwas spät“.

Tatsächlich haben die Vorbereitungen für die Euro08 in der Schweiz bereits 2002 begonnen, als sich die Schweiz und Österreich gemeinsam für die Ausrichtung der Europameisterschaften vom 7. bis 29. Juni 2008 bewarben. Die „für die Sicherheit zuständigen Behörden der Schweiz“ haben damals der UEFA nicht näher umschriebene „Sicherheitsgarantien“ abgegeben.[1] Sie versicherten, „alle notwenigen Maßnahmen für die Sicherheit aller Beteiligten (akkreditierte Personen und Zuschauer)“ zu ergreifen. Damit war der Grundstein gelegt für einen Gesetzgebungs- und Planungsprozess, der einer Generalvollmacht für Sicherheitsfanatiker gleichkam und der in einem uneidgenössisch schnellen Tempo vorangetrieben wurde. Öffentliche Kritik an der Verhältnis-, Verfassungs- und Rechtmäßigkeit der vielfältigen Maßnahmen war tabu, obwohl mit einem Blick über die nördliche Grenze bereits sehr früh hätte klar sein können, was auf die Schweiz zukommt.

Vorangetrieben wurde die Planung der Sicherheitsvorkehrungen im Rahmen des „Teilprojekts Sicherheit Öffentliche Hand UEFA EURO 2008“, welches vom Sport- und Militärminister, Bundesrat Samuel Schmid, geleitet wird und in dessen Gremien nebst dem Bund auch die Kantone, die Austragungsorte und der Schweizerische Fußballverband (SFV) vertreten sind.

Die operative Leitung des „Teilprojekts Sicherheit“ erarbeitete seit 2002 das „Nationale Sicherheitskonzept Schweiz für die UEFA EURO 2008“, in weiten Teilen eine Kopie des deutschen Sicherheitskonzepts für die FIFA WM 2006: Bereits vor und während der Weltmeisterschaft waren Schweizer „Beobachter“ in Deutschland, um sich „vor Ort ein Bild über die Sicherheitsvorbereitungen und -maßnahmen“ zu machen.[2] Erklärtes Ziel war und ist es, die Europameisterschaft mindestens so „gut“ wie die Weltmeisterschaft in Deutschland zu organisieren, auch im Bereich Sicherheit. Ein Blick auf die deutschen Statistiken zeigt, was der Schweiz drohen könnte: 9.000 Personen wurden während der WM festgenommen, viele davon präventiv.

Die Schweizer Behörden haben begriffen, dass zu viel – die Sicherheitsmaßnahmen betreffende – Öffentlichkeit schlecht fürs Image ist. Obwohl im nationalen Sicherheitskonzept von „größtmöglicher Transparenz“ die Rede ist, weiß die Öffentlichkeit nur vage, welche Auswirkungen die Maßnahmen auf das Alltagsleben haben werden. Stattdessen unterstreicht Bundesrat Schmid als höchster politischer Verantwortlicher bei jeder Gelegenheit, dass die Euro08 ein „völkerverbindendes Fest“ sein soll. Die ausländischen Besucherinnen und Besucher und die einheimische Bevölkerung „sollen sich rundum wohl fühlen und unbeschwert ein Fußballfest feiern können.“[3]

Staatsschützerische Gefahrenabwehr

Ob die Euro08 zu einem Fest wird, dass die „Völker“ verbindet, darf bezweifelt werden. Klar ist aber, dass der Schweizer Staatsschutz während der Euro mit Staatsschützern aus ganz Europa „verbunden“ sein wird: Der „Dienst für Analyse und Prävention“ (DAP), die zum Bundesamt für Polizei gehörende Zentralstelle des Staatsschutzes – also der Inlandsgeheimdienst der Schweiz –, betreibt während der Euro08 ein „Police Information and Coordination Center“ (PICC). Dieses Zentrum wird für die laufende Lagebeurteilung im unmittelbaren Vorfeld und während des Turniers zuständig sein und in einem 24-Stunden-Betrieb polizeiliche und nachrichtendienstliche „Informationen“ sammeln, aus­werten und verarbeiten. Selbstverständlich steht das PICC in ständigem Kontakt und Austausch mit dem nationalen Lagezentrum des Mitveranstalters Österreich. Auch mit den Nachbarländern Deutschland, Frankreich, Italien und Liechtenstein ist eine intensive Zusammenarbeit geplant. Die bereits seit einiger Zeit gültigen und (beim G8-Gipfel in Evian 2003) erprobten bilateralen Polizeikooperationsabkommen bilden die Grundlage für den Austausch von auch personenbezogenen Informa­tionen, um „konkrete Bedrohungen zu erkennen (Prävention) oder um gegen strafbare Handlungen (Repression) zu kämpfen.“[4] Da­rüber hinaus wird die Schweiz noch im Frühjahr mit elf weiteren Ländern, deren Mannschaften an der Euro08 teilnehmen, und mit zwei „Transitstaaten“ so genannte Absichtserklärungen unterzeichnen, die die verstärkte Zusammenarbeit während der Euro08 for­malisieren.[5] Neben dem Datenaustausch wird mit diesen Vereinba­run­gen auch die Entsendung von Beamten aus den jeweiligen Ländern geregelt.

Kooperationsvereinbarungen hat die Schweiz ferner mit Europol und Interpol abgeschlossen. „Konkret wird Europol die Schweiz etwa mit Gefahrenanalysen und operationellen Informationen unterstützen, und zwar vorwiegend zu jenen Kriminalitätsbereichen, die im Umfeld der EURO 2008 besonders zu beachten sind: Terrorismus, Menschenhandel, Fälschungen (z.B. Billett-Fälschungen), Falschgeld oder organisierter Diebstahl.“ Europol wird zudem einen Verbindungsbeamten zur EURO08 entsenden. [6]

Die Datenflut aus dem Ausland wird nicht nur zu dubiosen Lagebildern des DAP und seines PICC führen, sondern sich auch in das neu geschaffene Informationssystem Hoogan ergießen, jene Datenbank, in wel­cher der DAP seit dem 1. Januar 2007 Personen registriert, gegen die Rayonverbote (Aufenthaltsverbote), Meldeauflagen oder Ausreise­be­schrän­kun­gen verhängt oder die präventiv (bis zu 24 Stunden) in Ge­wahrsam genommen werden sollen. Rechtsgrundlage so­wohl für Hoo­gan als auch für die genannten präventivpolizeilichen Zwangs­maßnah­men ist eine Anfang 2006 verabschiedete Erweiterung des Bundesgesetzes über die Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS, vor allem Art. 24a ff.), das die Öffentlichkeit als „Hooligangesetz“ diskutierte. Für den Bereich des Sports hat die Schweiz damit im Wesentlichen dieselben Methoden eingeführt, die auch in deutschen Polizeigesetzen enthalten sind. Für die ebenfalls geplanten Polizeibesuche zu Hause oder auf der Arbeit – im deutschen Polizeivokabular: „Gefährderansprachen“ – halten die Behörden eine gesetzliche Grundlage nicht für erforderlich.[7]

Mit den neuen Regelungen, so hieß es bei deren Verabschiedung, seien griffige Mittel gegen gewaltbereite Fans an der Euro08 und der 2009 ebenfalls in der Schweiz stattfindenden Eishockey-WM geschaffen worden. Durch eine Befristung bis Ende 2009 schien der Parlamentsmehrheit auch die fehlende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für polizeiliche Zwangsmaßnah­men und damit die Verfassungswidrigkeit der Gesetzesänderung hinnehmbar. Keine drei Wochen nach ihrem Inkrafttreten am 1. Januar 2007 kündigte der Bundesrat (die Landesregierung) jedoch an, die Bestimmungen auf Dauer beibehalten zu wollen.[8] Eine entsprechende Verfassungsänderung soll das möglich machen.

Zugriff auf die Datenbank haben die kantonalen Polizeien, die bei der Zürcher Stadtpolizei angesiedelte Schweizerische Zentralstelle Hooliganismus, das Bundesamt für Polizei sowie das Grenzwachtkorps, von dem während der Euro08 überdurchschnittlich viele Datenbankabfragen ausgehen dürften. Vereinen oder Stadion­betrei­bern werden die Daten auf Anfrage hin für das jeweilige Spiel zur Verfügung gestellt, „damit sie die Zuschaue­rin­nen und Zuschauer kontrollieren und gewalttätige Personen nötigenfalls vom Stadion fernhalten können.“[9] Die Behörden beteuern, ihre privaten Partner würden die Daten sofort nach der Veranstaltung wieder löschen.

Anfang 2008 waren rund 270 Personen in Hoogan verzeichnet, die wegen „Gewalttätigkeiten“ entweder mit einem Rayonverbot oder einem Stadionverbot belegt wurden.[10] Selbst Minderjährige können in der Datei gespeichert werden oder in den zweifelhaften Genuss eines Rayonverbots kommen. Eine strafrechtliche Verurteilung ist nicht erforderlich. Praktisch genügt die Aussage von PolizistInnen oder die Einschätzung der privaten Stadion-Sicherheitsdienste, dass die betreffenden Fans an Auseinandersetzungen beteiligt waren oder „Pyros“ im Stadion entfacht haben, um sie als „gewalttätig“ abzustempeln. Zwar sieht das Gesetz ein Recht auf Einsicht in die eigenen Daten resp. auf Berichtigung oder Löschung von falschen Daten vor. Viele Fußballfans wissen jedoch nicht, was ihre Rechte sind. Zudem wirken juristische Auseinandersetzungen abschreckend – nur wenige werden für ihr Recht kämpfen und noch weniger werden aus der Datei gelöscht werden.

Die Zahl der in Hoogan erfassten Personen dürfte im Zuge der Euro weiter anwachsen: einerseits durch die Meldungen von Seiten ausländischer Staatschutz- und Polizeiorgane vor der Europameisterschaft, andererseits wegen der besonderen „Wachsamkeit“ von Polizei und Sicherheitsdiensten während der drei Wochen selbst.

Polizei im Dauereinsatz

Während der Fußball-Euro wird nicht nur der Staatsschutz rund um die Uhr beschäftigt sein, sondern auch die rund 16.000 (normalen) Polizistinnen und Polizisten. Der Sicherheitseinsatz anlässlich der Euro08 wird die kantonal und kommunal organisierten schweizerischen Polizeikorps bis an ihre Grenzen belasten. Im Vergleich zu Deutschland verfügt die Schweiz nämlich über bedeutend weniger Polizeikräfte. Deshalb wurde auch schon – wenn auch nicht ohne Hintergedanken – die Befürchtung geäußert, dass der Bevölkerung während der Euro08 „gewisse Kürzungen der polizeilichen Grundversorgung zugemutet“ werden müssen.[11] Die sich abzeichnende Überlastung der Schweizer Polizeikorps führte ei­nerseits bereits in einem frühen Stadium dazu, dass die Behörden nach möglicher Unterstützung für die Schweizer Polizeibeamten Ausschau hielten. Neben der Armee kommen bei der Euro08 auch Tausende Personen von privaten Sicherheitsdiensten und bis zu 750 deutsche und einige Hundert französische PolizistInnen zum Einsatz.[12] Andererseits ist zu be­fürchten, dass gestresste und überarbeitete PolizistInnen unverhältnis­mä­ßig hart agieren und damit in der so genannten „3-D-Philo­so­phie“ – Dialog, Deeskalation, Durchgreifen – die Betonung auf dem letzten D liegt.

Ein national koordinierter Polizeieinsatz von dieser Größenordnung ist für die Schweiz ein Novum: Bisher konnten zwar die kantonalen Polizeikorps bei Großanlässen über die vier bestehenden regionalen Kooperationsverträge, die so genannten Polizeikonkordate (West-, Ost-, Nordwest- und Zentralschweiz) Unterstützung aus anderen Kantonen anfordern. Allerdings war diese den jeweiligen Konkordatsmitgliedern vorbehalten. Da insbesondere die Austragungsorte Bern, Zürich, Basel und Genf befürchteten, dass der Bedarf an Sicherheitskräften auch über die bestehenden regionalen Konkordate nicht sichergestellt werden könnte, setzten 2005 erste Gespräche über ein weiterreichendes interkantonales Zusam­menarbeitsprojekt ein. 2006 einigten sich die Kantone auf verbindliche Richtlinien für interkantonale Polizeieinsätze (IKAPOL), die auch über die Euro08 hinaus Gültigkeit haben werden. Die engere Zusammenarbeit der schweizerischen Polizeikorps mag zwar auf den ersten Blick selbstverständlich scheinen. Für das föderalistische Polizeiwesen der Schweiz ist es dies aber überhaupt nicht. Was normalerweise Jahre dauert, wurde am Beispiel der interkantonalen Polizeiarbeit in wenigen Monaten durchgepaukt. Problematisch sind IKAPOL-Einsätze in mehrerlei Hinsicht, insbesondere aber bei Demonstrationen: Sie ermöglichen es den kantonalen Polizeikorps, noch größere Polizeiaufgebote aufzufahren, als dies bisher schon dank der regionalen Konkordate der Fall war, deren Möglichkeiten in den letzten Jahren systematisch genutzt wurden. Normalerweise behalten die Behörden zwar für sich, wie viele BeamtInnen bei einer Demo im Einsatz standen. Regelmäßige Demo-Teilneh­me­rInnen nehmen aber schon rein optisch wahr, dass es erheblich mehr als früher sind. Nicht zuletzt die gewachsene Polizeipräsenz hat in den vergangenen Jahren immer wieder zur Eskalation bei Demonstrationen und zu unverhältnismäßigen Einsätzen geführt. Die neuen IKAPOL-Richtli­nien setzen diese Tendenz fort, auch über die Euro08 hinaus.

Einsätze mit Hundertschaften aus verschiedenen Polizeikorps müssen geübt sein. Das nationale Sicherheitskonzept für die Euro08 hält denn auch fest: „Das Einsatztraining vor Ort soll ab 2007 beginnen. Insbesondere der Beizug von Fremdmitteln bzw. auswärtigen Kräften im Rahmen des IKAPOL-Einsatzes ist frühzeitig zu planen und zu trainieren.“[13] Man begnügte sich jedoch nicht mit Spielereien, bei denen als „Hooligans“ verkleidete PolizistInnen auftraten, sondern probte am lebenden Objekt.

Bei einer Reihe von Demonstrationen in jüngster Zeit führte die Polizei vor, was auch in den Euro-Wochen passieren könnte: Am 2. Dezember 2007 wurden in Luzern 245 der rund 800 TeilnehmerInnen einer unbewilligten, aber friedlichen Demo während mehrerer Stunden festgehalten. Einzelne kamen erst am Morgen des folgenden Tages wieder frei. Als Haftort diente ein Zivilschutz-Bunker, der über keine ausreichenden sanitären Anlagen verfügte. Unterstützt wurde die Luzerner Stadtpolizei von Polizeikräften aus der ganzen Zentralschweiz.[14] Ähnliche Verhältnisse in Bern am 19. Januar 2008 anlässlich einer friedlichen Demonstration gegen das Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos: Mehr als 200 Personen, darunter viele Minderjährige, wurden präventiv und ohne Bekanntgabe eines Grundes abgegriffen und teilweise während Stunden in „Freiluft-Käfige“ gesperrt. Bei den Festnahmen kam es zu teilweise brutalen Übergriffen. Etliche Personen mussten sich zwecks Leibesvisitation und ohne ersichtlichen Grund ausziehen. Einem Bluter wurde während längerer Zeit die ärztliche Betreuung verwehrt. Unter den Festgenommenen waren auch zwei Journalisten. Der Einsatz unter der Leitung der Kantonspolizei Bern wurde von Polizeikorps aus dem Nordwestschweizer Konkordat unterstützt.[15] Und nochmals dasselbe Bild in Basel, eine Woche später: Um eine globalisierungskritische Demonstration zu verhindern, hatte die Kantonspolizei auch hier vorsorglich um Unterstützung durch das Konkordat ersucht. 66 Personen wurden festgenommen, darunter 25 definitiv Unbeteiligte, zehn Minderjährige und diesmal drei Journalisten. Wie eine von der Basler Regierung in Auftrag gegebene Untersuchung ergab, mussten die bis zu sechs Stunden Festgehaltenen auch hier eine „Kontrolle der Körperoberfläche“ über sich ergehen lassen. Immerhin gab der Basler Polizeikommandant „Fehlleistungen“ zu.[16]

Bleibt zu hoffen, dass die Polizeikorps aus den missglückten Trainingseinsätzen ihre Lehren für die Einsätze an der Euro08 ziehen. Skepsis ist aber erlaubt: In Bern wird für die Euro-Tage eine Art Sondergefängnis für „Hooligans“, ein so genannter „Festhalte- und Warteraum“ hergerichtet.[17] Die „Warte“-Zeit kann dort bis zu 24-Stunden dauern. Eine besondere Anstrengung leistete im Übrigen auch die „Konferenz der Strafverfolgungsbehörden“, welche Richtlinien für ein „effektives und rasches Vorgehen“ der Strafjustiz erarbeitet hat: „Hooligans“ sollen für „begangene Sachbeschädigungen, Tätlichkeiten, Körperverletzungen, Land­friedensbruch, Vermögensdelik­te wie Ticketbetrug und die verbotene Anwendung von pyrotechnischen Gegenständen“ in einem Eilverfahren, das nur „wenige Tage“ dauern soll, abgeurteilt werden können.[18] „Sofort nach der Festnahme“ haben die Angeschuldigten „in bar oder mit Kreditkarte“ einen Kostenvorschuss zur Sicherstellung der „zu erwartenden Geldstrafe und der Verfahrenskosten“ in der Höhe von 1.000 Franken zu leisten. Ausländische Täter will man „anschließend an den erstinstanzlichen Entscheid“ „sofort und ohne vorherige Entlassung fremdenpolizeilich“ abschieben, selbstverständlich nach vorgängiger Erfassung in der Datenbank Hoogan.

Größter Einsatz der Armee?

Der mutmaßlich größte Einsatz seit dem Zweiten Weltkrieg steht auch der Schweizer Armee bevor. Im März 2007 stimmte das Parlament einer Vorlage des Bundesrates zu, wonach während der Euro bis zu 15.000 Soldaten eingesetzt werden dürfen. Das übertrifft alles Bisherige: Auch in der Schweiz lässt sich in den letzten Jahren eine schleichende Militarisierung der inneren Sicherheit feststellen – eine Entwicklung, welche sich nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 zunehmend verschärfte, aber ebenso zunehmend auch auf Widerstand von Seiten der kantonalen Polizeidirektoren stieß: Schon während der jährlich stattfindenden Davoser Weltwirtschaftsforen wurden jeweils bis zu 6.500 Soldaten eingesetzt. Beim Weltwirtschaftsgipfel G8 im grenznahen französischen Evian im Juni 2003 waren es 5.600.

Was die Soldaten während der Euro08 tun sollen, ist bislang unklar. Das nationale Sicherheitskonzept zieht militärische Leistungen in den Bereichen Objektschutz, Verstärkung der Grenzwache und Logistik in Betracht. Zudem wird die Armee Personal und gepanzerte Sonderfahrzeuge für den Transport von VIPs zur Verfügung stellen. Zwar bleibt der Personenschutz im Zuständigkeitsbereich der Polizei, die Armee wird aber unterstützend zur Seite stehen. Und selbst­ver­ständlich wird sich die Armee auf mögliche Terroranschläge vorbereiten: Sie wird sich auf einen möglichen B- und C-Angriff auf die Schweiz vorbereiten und den schweizerischen Luftraum in Zusammenarbeit mit den Luftstreitkräften der Anrainerstaaten überwachen. Anders als in Deutschland gilt in der Schweiz auch der Abschuss von Zivilflugzeugen als zulässig.

Ob die Armee mit diesen Aufgaben tatsächlich 15.000 Mann beschäftigen kann, wird sich zeigen. Gemäß Bundesverfassung darf sie im Innern nur auf Ersuchen der zivilen Behörden, sprich der Kantone, zum Einsatz kommen. Gerüchten zufolge stieß das Angebot der Armee, auch im Ordnungsdienst – also mit exekutiven Befugnissen – tätig zu werden, bei den Kantonen und Austragungsorten aber gar nicht auf Gegenliebe. Denn nur wenige Angehörige der nach wie vor überwiegend nach dem Milizprinzip organisierten Militärischen Sicherheit verfügen über eine Ausbildung, die mit derjenigen von PolizistInnen zu vergleichen ist. Nicht auszumalen, was geschehen könnte, wenn bewaffnete Soldaten, die im zivilen Leben Brote backen oder Geld für eine Bank verwalten, überschwänglich feiernden Fans gegenüberstünden. Das ging selbst den kantonalen PolizeidirektorInnen zu weit: Im nationalen Sicherheitskonzept für die Euro08 wird mehrfach betont, dass der „direkte Kontakt zwischen uniformierten Angehörigen der Armee und Besucherinnen und Besuchern der EURO 2008“ zu vermeiden sei.

Unverzichtbar erscheint den zivilen Behörden hingegen der Einsatz militärischer Aufklärungsdrohnen, also mit Kameras ausgerüstete, unbemannte Flugobjekte. Derzeit werden in Zürich und Bern Tests durchgeführt, um zu prüfen, „ob die Drohnen ein taugliches Mittel sind, um Menschenansammlungen, Krawalle oder Staus aus der Luft zu beobachten“.[19] Die in Echtzeit übermittelten Bilder würden weder aufgezeichnet noch könnten darauf etwa Nummernschilder von Autos oder Gesichter erkannt werden, beteuern die Behörden. Nur: Im Januar 2004 haben die Bilder einer Aufklärungsdrohne zur Verhaftung von zwei Personen geführt, welche an einem Waldrand einen Joint geraucht haben.[20] Wenn die Kamera eines solchen Flugzeugs zwei Kiffer ausmachen kann, dann verlieren die Erklärungen, ihr Einsatz sei datenschützerisch unbedenklich vollends an Glaubwürdigkeit. Der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte hat den Bundesrat deshalb mehrmals auf die Verfassungswidrigkeit dieses Vorgehens aufmerksam gemacht.[21]

Der Widerstand gegen ein Großaufgebot militärischer Sicherheitskräfte während der Euro dürfte zwar dafür gesorgt haben, dass bedeutend weniger Soldaten zum Einsatz kommen als geplant. Wie viele es tatsächlich sein werden, verraten die Verantwortlichen nicht. Eines hat Samuel Schmid in seiner Doppelfunktion als Sport- und Militärminister aber durchgesetzt: Das nationale Sicherheitskonzept zur Euro08 steht unter dem Motto „Sicherheit durch Kooperation“, das seit den 90er Jahren auch die Schweizer Armee- und Sicherheitspolitik ziert.

Privatisierte Sicherheit

Für die Sicherheit in den Stadien und den sie umgebenden Zonen sollen nach dem nationalen Konzept die Ausrichter der Euro – der SFV und die Euro 2008 SA mit ihren Diensten – sorgen.[22] Private Sicherheitsfirmen werden jedoch auch in den Public Viewing Areas eine herausragende Rolle spielen: Wo diese Übertragung der Spiele auf Großleinwände privat organisiert wird, sind die Veranstalter verpflichtet, das „Hausrecht“ mit eigenen Sicherheitskräften „zwingend“ durchzusetzen, „Zutrittsbestimmungen festzulegen“ und den Zutritt zu kontrollieren. In den zahlreichen öffentlichen Public Viewing-Zonen sollen „qualifizierte private Sicherheitsdienste und -organisationen“ zur „Entlastung der Polizei- und Rettungskräfte“ beitragen.[23] Während der Euro08 werden damit öffentliche Plätze und Straßen vorübergehend (teil-)privatisiert – und mit ihnen auch gleich die Verantwortung für die Sicherheit.

Die schweizerische Marktführerin im privaten Sicherheitsgewerbe, die Securitas AG, hat eigens im Hinblick auf die Euro08 zusammen mit der Nummer 2 der Branche, der Protectas AG, das Konsortium PriSec E-2008 gegründet. Es bietet seine Dienste vor allem in den Bereichen „Sicher­heits-Assistenzdienst“ (Parkgebühren-Inkasso, Ticketkontrollen) und „Qua­lifizierte Veranstaltungsdienste“ (Verkehrslenkung, Personen- und Effektenkon­trolle, Zutrittskontrollen, Aufsichtsdienste) an. Wie viele Per­sonen tätig werden, ist nicht bekannt. Daneben kommen aber auch einige Hundert MitarbeiterInnen aus den Bereichen „Bewachungs- und Sicherheitsdienste“ (Personenschutz, Hundeführerdienste, Objekt­schutz, Deeskalationsordnungsdienst) und „Ordnungsdienst Interven­tion“ zum Einsatz. Letzterer Ordnungsdienst, eine mit Helm und Schutzweste ausgerüstete Truppe, soll gemäß Auskunft von Reto Casutt, Generalsekretär der Securitas AG, bei allfälligen Ausschreitungen in den Stadien nach Rücksprache mit der Polizei agieren.[24] Nach der einschlägigen Literatur darf das aber nur dann geschehen, wenn die Polizei nicht vor Ort und deshalb nicht zu einem Einsatz fähig ist. Ansonsten können private Sicherheitsdienste im halböffentlichen resp. privaten Raum bloß im Rahmen der Selbsthilferechte (Notwehr, Nothilfe) aktiv werden.[25]

Das Sicherheitsdispositiv hat bereits gewonnen

Ob sich auch in der Schweiz Szenen wie in Deutschland zutragen werden, wird sich zeigen. So oder so wird das neoliberale Sicherheitsdispositiv gewinnen: Bleiben größere Zwischenfälle aus, wird man das als Verdienst des vereinigten Großaufgebots von Polizei, Staatsschutz, Armee und privaten Sicherheitsunternehmungen werten. Ähnlich bemessene Sicherheitsvorkehrungen werden auch bei anderem Anlass wiederum zur Diskussion stehen. Sie werden zum „Alltag“ – man gewöhnt sich ja daran. Kommt es aber zu wüsten Szenen in und um die Stadien oder in den Public Viewing-Zonen, werden gerade diese Vorkommnisse die Sicherheitsfanatiker darin bestärken, dass es eben noch größere Aufgebote und noch mehr und perfidere grundrechtsverletzende Sicherheitsvorkehrungen braucht.

[1] Sicherheitsgarantie des Bundes (Bundesamt für Polizei) v. 28.3.2002, abgedruckt in: Nationales Sicherheitskonzept Schweiz für die UEFA EURO 2008 v. 30.3.2007, S. 60 (www.switzerland.com/files/?id=836)
[2] Nationales Sicherheitskonzept a.a.O. (Fn. 1), S. 16
[3] ebd., S. 5
[4] ebd., S. 54
[5] Bundesamt für Polizei: Medienmitteilung v. 20.2.2008
[6] Bundesamt für Polizei: Medienmitteilung v. 30.1.2008
[7] Die Wochenzeitung WOZ v. 20.3.2008
[8] Bundesamt für Justiz: Medienmitteilung v. 17.1.2007
[9] Bundesamt für Polizei: Medienmitteilung v. 11.1.2008
[10] ebd.
[11] Thomann, E.: Blick in die Sicherheitswerkstatt, in: Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift (ASMZ) 2007, Nr. 2, S. 12
[12] Der Bund v. 8.3.2008; Tagesanzeiger v. 31.2.2008
[13] Nationales Sicherheitskonzept a.a.O. (Fn. 1), S. 57
[14] Die Wochenzeitung WOZ v. 13.12.2007
[15] Der Bund v. 22.1. 2008, 30.1.2008 und 31.1.2008
[16] Schweizerische Depeschenagentur v. 6.3.2008
[17] Der Bund v. 8.3.2008
[18] Hug, Th.: Ein neuer Schulterschluss – Sicherheit an der Euro08: Massnahmen im Bereich der Justiz, in: ASMZ 2007, Nr. 9, S. 38. Thomas Hug, Erster Staatsanwalt des Kantons Basel-Stadt, leitete die Arbeitsgruppe der Konferenz der Strafjustizbehörden.
[19] Berner Zeitung v. 13.2.2008
[20] Frage (04.5102) von Nationalrat Hans Widmer (SP/LU) „Aufklärungsdrohnen“ anlässlich der Fragestunde vom 7.6.2004
[21] vgl. Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter: 14. Tätigkeitsbericht (2006/2007), Bern 2007 (www.edoeb.admin.ch/dokumentation, s. dort Tätigkeitsberichte)
[22] Nationales Sicherheitskonzept a.a.O. (Fn. 1), S. 14
[23] ebd., S. 39
[24] Telefongespräch v. 12.3.2008
[25] Verband Schweizerischer Polizeibeamter VSPB, Medienmitteilung v. 22.6.2006 zum Rechtsgutachten von Kälin, W.; Lienhard, A.; Wyttenbach, J.: Auslagerung von sicherheitspolizeilichen Aufgaben auf private Unternehmen in der Schweiz, Bern 2006