Schlagwort-Archive: Fussball

Testfeld Fußball: Repressiver Alltag am Spieltag

von Angela Furmaniak

Fußballfans, insbesondere Ultras, waren und sind in allen Bundesländern an den Protesten gegen die neuen Polizeigesetze beteiligt.[1] Kein Wunder: Ultras sind schon heute stark von polizeilichen Maß­nah­men betroffen. Neue Techniken und polizeiliche Befugnisse werden gerne an ihnen ausprobiert.

Die Bewegung der Ultras ist in Deutschland seit den 90er Jahren heimisch. Es sind leidenschaftliche Fans, die ihre Mannschaft an jedem Spiel­tag begleiten und mit Gesängen, Fahnen und sonstigem Material unterstützen. Ultras wehren sich gegen die Kom­mer­zialisierung des Fußballgeschäfts und melden sich in vielen fanpolitischen Bereichen zu Wort: gegen fanunfreundliche Anstoßzeiten und teure Ticketpreise, für die Beibehaltung der 50+1-Regel (also dafür, dass Kapitalanleger*innen nicht die Stimmenmehrheit bei Kapitalgesellschaften übernehmen dürfen), gegen die zunehmende Überwachung der Stadien und die Reglementierung der Fankultur. „Pyros“ im Stadion sind für sie unverzichtbares Stilmittel, und immer wieder kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Ultragruppen gegnerischer Vereine, die damit ihre Überlegenheit unter Beweis stellen wollen.[2]

Aus polizeilicher Sicht stellen Ultras vor allem ein Sicherheitsrisiko dar, dem es mit polizeilichen Mitteln zu begegnen gilt.[3] Funktionäre der Polizeigewerkschaften fordern immer wieder ein härteres Vorgehen gegen „Fußballchaoten“ [4]. Und bei der Innenministerkonferenz steht das Thema „Sicherheit im Fußball“ regelmäßig auf der Tagesordnung.[5] Testfeld Fußball: Repressiver Alltag am Spieltag weiterlesen

Nummern für die Polizei! Geschichte und Gegenwart einer alten Forderung

Anton Tanter, Angelika Adensamer

Die Debatte um die Kennzeichnungspflicht für PolizistInnen ist älter als oft angenommen: Bereits das Zeitalter der Aufklärung kannte die Forderung, dass die Angehörigen staatlicher Exekutivmacht adressierbar und notfalls verklagbar sein sollten. Seit damals geht es um die Frage, wer „die Kontrolleure kontrolliert“.

Berlin, 1. Mai 2011: Im Zuge der alljährlichen Demonstrationen zum Tag der Arbeit sind auch mehrere ZivilpolizistInnen im Einsatz und rein äußerlich nicht von DemonstrantInnen zu unterscheiden. Gegen Abend wird ein Zivilpolizist zum Opfer einer Prügelattacke von uniformierten Kollegen: Er erhält Faustschläge ins Gesicht, Pfefferspray wird eingesetzt. Der derart misshandelte Polizist – er ist einer von 200 durch den Polizeieinsatz verletzten Personen, darunter zumindest noch ein weiterer Beamter im Zivil – zieht darauf empört vor Gericht, die Uniformträger werden angeklagt. Was folgt, ist ein Freispruch, denn identifiziert werden konnte zwar laut Richterin die verantwortliche Polizeieinheit, nicht aber, wer genau die Straftat begangen und zugeschlagen hatte. Nummern für die Polizei! Geschichte und Gegenwart einer alten Forderung weiterlesen

Gefährliche Fußballfans: Das Sicherheitsregime im Frankfurter Stadion

von Anna Kern

Mit der Kommerzialisierung des bundesdeutschen Fußballs wurden ab Mitte der 1990er Jahre Auseinandersetzungen zwischen Fan-gruppen und der Einsatz von Pyrotechnik in Stadien zu einem sicherheitspolitischen Thema. Dabei ging es nicht nur um die Sicherheit großer Menschenmassen bei sportlichen Großevents, sondern vor allem um bestimmte Fangruppen, die als Bedrohung der öffentlichen Ordnung wahrgenommen werden.

Zusammen mit der räumlichen Spezifik und der breiten medialen Diskussion bietet die Sicherheitspraxis rund um den Fußball ein ideales Feld für die sozialwissenschaftliche Analyse der Sicherheitsproduktion im Neoliberalismus. Die hier entwickelten Maßnahmen erstrecken sich über eine Vielzahl von AkteurInnen, Institutionen und Instrumenten und sind stark regionalspezifisch, weil sie auf die Fans als lokale Szene ausgerichtet sind. Im Folgenden liegt der Schwerpunkt auf der Frankfurter Fanszene und dem dortigen Akteursnetzwerk.[1] Gefährliche Fußballfans: Das Sicherheitsregime im Frankfurter Stadion weiterlesen

„Begrenztes Risiko“? Polizeilicher Einsatz von Pfefferspray bei Fußballspielen

von Thomas Feltes

Beim Einsatz des im Fachjargon als „polizeilicher Reizstoff“ be­zeichneten Sprays als Hilfsmittel der körperlichen Gewalt kommt es immer wieder zu starken gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Verletzungen. Das nordrhein-westfälische Innenministerium verharmlost die Gefahr.

Nach dem Spiel des 1. FC Kaiserslautern (FCK) in Düsseldorf am 19. März 2016 betraten Fans in einem Regionalexpress ein unverschlossenes Dienstabteil und spielten über das Mikrofon Musik ab. Nach kurzer Zeit schloss der Zugbegleiter die Tür ab. Beim Eintreffen des Zuges im Kölner Hauptbahnhof versuchten sich PolizeibeamtInnen Zutritt zu dem Abteil zu verschaffen. Sie wollten zum Dienstabteil, um sich davon zu überzeugen, dass dieses wirklich abgeschlossen war. Die Situation eskalierte und die BeamtInnen begannen, Pfefferspray in das vollbesetzte Abteil zu sprühen. Fans verließen panikartig den Zug und wurden auf dem Bahnsteig erneut mit Pfefferspray und Schlagstöcken traktiert. „Begrenztes Risiko“? Polizeilicher Einsatz von Pfefferspray bei Fußballspielen weiterlesen

Datensammlungen über Fußballfans: keine Kontrolle über den Wildwuchs

von Marie Kuster

In den nordrhein-westfälischen Fanszenen kursierten bereits viele Jahre Gerüchte über geheime Datensammlungen von Szenekundigen Beamten (SKB), in denen sogenannte Problem-Fans des Fußballs landen würden. Fans, FanvertreterInnen, FananwältInnen und Fanprojekte vermuteten, dass neben der offiziellen Verbunddatei Gewalttäter Sport (DGS), die 1994 durch Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren genau zum Zweck der Speicherung von „Problemfans“ eingerichtet wurde, Datensammlungen über Fans von Vereinen aus den oberen drei Ligen bei den Polizeibehörden vor Ort geführt würden. Datensammlungen über Fußballfans: keine Kontrolle über den Wildwuchs weiterlesen

Das Stadion als Gefahrengebiet

von Prof. Dr. Thomas Feltes und Dr. Andreas Ruch, Ruhr-Universität Bochum

Grenzen polizeilicher und privater Eingriffsbefugnisse im Umfeld von Fußballspielen

I. Gefährliche Orte, gefährliche Personen? Die polizeiliche Ausweisung von Gefahrengebieten

Nach den Polizeigesetzen der Länder (vgl. Rachor 2012, Kap. E, Rn. 331) darf die Polizei die Identität einer Person feststellen, wenn sie sich an einem Ort aufhält, von dem aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte erfahrungsgemäß anzunehmen ist, dass dort Personen Straftaten verabreden, vorbereiten oder verüben. Historisch betrachtet handelt es sich um „Razzia-Vorschriften“ (Hmb Bü-Drs. 13/5422, S. 23), die es der Polizei gestatten, an „verrufenen“ Orten wie z. B. Bahnhofsvierteln oder Rotlichtmilieus anlasslose Personenkontrollen durchzuführen. Hamburg hat als einziges Bundesland darüber hinaus eine Vorschrift geschaffen, die anlasslose Personenkontrollen in weiter gefassten räumlichen Gebieten gestattet (§ 4 Abs. 2 Hmb PolDVG). Das Stadion als Gefahrengebiet weiterlesen

Fanprojekte und Polizei: Herausforderungen in spannungsgeladenem Umfeld

von Michael Gabriel

Anfang 2015 arbeiten Projekte an 54 Standorten in 60 Fanszenen mit jugendlichen Fußballfans. Die im Schnitt etwa 2,5 Mitarbeiter­Innen haben in erster Linie die Interessen der Jugendlichen im Blick und ihre Arbeit zielt darauf ab, die individuelle und gesellschaftliche Lebenssituation der Jugendlichen zu verbessern.

Die Fanprojekte arbeiten auf der gesetzlichen Grundlage des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (Sozialgesetzbuch (SGB) VIII) und den Vorgaben des Nationalen Konzepts Sport und Sicherheit (NKSS).[1] Sie verfolgen einen sozialpädagogischen Ansatz, in dessen Zentrum der Aufbau von belastbaren Beziehungen zu den jugendlichen Fans steht, um diese in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen. Grundlegend sind dabei die Prinzipien der Freiwilligkeit, der Vertraulichkeit, der Parteilichkeit sowie das Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe. Gemeinsam mit den jugendlichen Fans sollen die positiven Aspekte der Fankultur gefördert werden, um Gewalt und Diskriminierungen, Rassismus, Homophobie und Antisemitismus entgegenzuwirken. Fanprojekte und Polizei: Herausforderungen in spannungsgeladenem Umfeld weiterlesen

Getroffene Hunde bellen – Die alltägliche Repression gegen Fußballfans

von Angela Furmaniak

Im Februar 2010 sollte in den Räumen des Karlsruher Fanprojekts eine Veranstaltung zu „Polizeigewalt im Fußball – Strategien, Initiativen, Missverständnisse“ mit einer Referentin des Fanprojekts Offenbach stattfinden. Nachdem die Polizei jedoch Druck auf das Projekt und dessen Träger, den Stadtjugendring, ausgeübt hatte, sagte die Stadt die Veranstaltung ab.[1]

Um verstehen zu können, weshalb eine Informations- und Diskussionsveranstaltung für Fußballfans in den Augen der Polizei ein solches Gefährdungspotential in sich birgt, dass diese faktisch verboten wird, ist es notwendig, zunächst die in und um die deutschen Stadien allgegenwärtige Repression gegen Fußballfans sowie deren Rechtfertigung durch die Sicherheitsbehörden, Gerichte und Medien näher zu beleuchten.

Die Entwicklung der Polizeigewalt gegen Fußballfans steht in engem Zusammenhang mit der Entwicklung der Fankultur. War während der 70er und 80er Jahre die Fanlandschaft überwiegend durch „kuttendominierte“ Fanclubs geprägt, so traten in den 80er Jahren in den Stadien zunehmend so genannte Hooligans auf. Nachdem auch dieses Phänomen heute weitgehend aus den Stadien verschwunden ist, sind aktuell die „Ultras“ zur Hauptzielscheibe polizeilicher Maßnahmen geworden.[2] Getroffene Hunde bellen – Die alltägliche Repression gegen Fußballfans weiterlesen

Governing Emotions – Fußball-Europameisterschaft 2008 in Österreich

von Andrea Kretschmann

Vorab inszenierte Sicherheitsrisiken boten während der Europameisterschaft (EM) die Legitimation für altbewährte und neue Interventionsformen. Bei der Sorge um die Sicherheit ging es nicht nur um eine erweiterte europäische Kooperation, sondern auch um die Absicherung neoliberaler Profitinteressen.

Die kommerzielle Ausrichtung der „drittgrößten Sportveranstaltung der Welt“[1] barg neben unmittelbaren ökonomischen Motivationen und dem Versprechen, den Standort Österreich aufzuwerten, auch die Option, staatliche Souveränität unter Beweis zu stellen, etwa durch ein erfolgreiches Management der sich zunehmend erhöhenden infrastrukturellen und sicherheitspolitischen Anforderungen. Begeisterungen zu ermöglichen, die den disziplinierten Alltag unterbrechen, stellte also in vielerlei Hinsicht eine Attraktion dar. Doch „Begeisterung überfällt einen nicht, man muss sie herstellen“.[2] Der interessengeleiteten Zusammenarbeit verschiedener staatlicher und privater Akteure bei dem Versuch, der nur mäßig fußballbegeisterten österreichischen Bevölkerung die EM als „Fest“ anzupreisen, kam deshalb ein besonderer Stellenwert zu. Governing Emotions – Fußball-Europameisterschaft 2008 in Österreich weiterlesen

Mobilmachung ohne Augenmaß – Die Schweiz rüstet sich für die Euro08

von Reto Moosmann

Im Juni dieses Jahres finden in der Schweiz und Österreich die Fußball-Europameisterschaften statt. Allein in der Schweiz werden zur Euro08 zwischen vierzig- und fünfzigtausend Bedienstete aus Polizei, privaten Sicherheitsunternehmungen, Staatsschutz, Grenz­wache und Armee zum Einsatz kommen.

„Fragwürdiger Einsatz ausländischer Polizisten an der Euro“ – so betitelte die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) am 17. Dezember 2007 ein Interview mit den zwei renommierten Schweizer Verfassungsrechtlern Rainer Schweizer und Markus Mohler. Erst die Ankündigung, dass ein halbes Jahr später zwischen 500 und 1.000 französische und deutsche Polizis­tInnen in der Schweiz zum Einsatz kämen, hatte die professorale Intel­ligenzia aufgeschreckt und dazu motiviert, die Sicherheitsvor­keh­rungen für den weltweit drittgrößten Sportanlass unter verfassungsrechtlichen Aspekten zu kritisieren. Etwas spöttisch, aber durchaus korrekt, kommentierte ein Leser tags darauf die Kritik: Die Bedenken der „Herren Professoren“ seien sicherlich berechtigt, kämen aber „leider etwas spät“. Mobilmachung ohne Augenmaß – Die Schweiz rüstet sich für die Euro08 weiterlesen