Strafverfolgung und Gefahrenabwehr: Ausbau von EURODAC zum Alarmsystem für einreisende Geflüchtete

Personendaten und Fingerabdrücke von irregulär eingereisten Geflüchteten sollen bei deren Einreise in die Europäische Union sofort an sämtliche Mitgliedstaaten weitergegeben werden. Die Maßnahme soll laut dem Vorschlag für die neue Verordnung der Fingerabdruckdatei EURODAC bei der Prüfung helfen, ob einem „illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen“ von einem anderen Mitgliedstaat ein Aufenthaltstitel erteilt wurde. Dann könnte die betreffende Person dorthin zurückgeschoben werden. Gemäß dem Dublin-Abkommen sind die AntragsstellerInnen verpflichtet, im Land der erstmaligen Registrierung auf europäischem Boden zu verbleiben.

In der Diskussion um die neue EURODAC-Verordnung ist geplant, den Austausch auszuweiten. Zukünftig sollen nicht nur Personendaten und Fingerabdrücke von Asylsuchenden und irregulär Eingereisten gespeichert werden. Hinzu kommen auch jene Personen, die offensichtlich eine EU-Außengrenze ohne Registrierung überwinden konnten und danach in einem EU-Mitgliedstaat angetroffen werden. Die Daten dürften dann auch zur Identifizierung von Personen genutzt werden, deren Staatsangehörigkeit nicht festgestellt werden kann.

4,9 Millionen Datensätze zu Personen

Mit der um die Jahrtausendwende eingerichteten EURODAC-Datenbank wollten Ausländerbehörden zunächst Mehrfachanträge von Asylsuchenden aufdecken. Mittlerweile wurde die zugrundeliegende Verordnung geändert, die enthaltenen Personendaten und Fingerabdrücke werden jetzt auch von Polizeibehörden und Geheimdiensten durchsucht. Derzeit sind in EURODAC 4,9 Millionen Datensätze zu Personen gespeichert.

Die in EURODAC eingegebenen Informationen sollen laut dem Bundesministerium des Innern aber auch unmittelbar mit „vorhandenen Sicherheitserkenntnissen“ nationaler Behörden abgeglichen werden. Wie auch in einer Stellungnahme des Bundesrats nachzulesen, sollen die im EURODAC-Zentralsystem gespeicherten Datenkategorien den Gefahrenabwehr-und Strafverfolgungsbehörden der EU-Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen. Dort könnten sie mit einheimischen Datenbanken, in denen Personen zur Fahndung oder Beobachtung ausgeschrieben sind, abgeglichen werden.

Erkennung von Gesichtsbildern

Die neue Regelung ähnelt dem Visa-Konsultationsverfahren, bei dem die Mitgliedstaaten über das Visa-Informationssystem (VIS) ebenfalls über sämtliche AntragsstellerInnen unterrichtet werden. Jede Regierung hat daraufhin das Recht, ein Veto gegen die Vergabe eines Schengen-Visums einzulegen. Im Falle der EURODAC-Verordnung ist zu vermuten, dass die Daten der Asylsuchenden auch in der neuen „Plattform“ der EU-Inlandsgeheimdienste in Den Haag verarbeitet werden.

Als erste europäische Datenbank erhält EURODAC außerdem die Fähigkeit zur Verarbeitung von Gesichtsbildern zur Identifizierung von Personen. Ab spätestens 2020 soll eine Software die Suche nach Gesichtern von Personen ermöglichen. Auch die Gesichtsbilder würden bei der Einreise automatisch an Behörden in der gesamten Europäischen Union verteilt und dort mit einschlägigen Fahndungsdatenbanken abgeglichen. Das deutsche Bundeskriminalamt vergleicht biometrische Lichtbilder bislang mit der INPOL-Datei.

Auch das Schengener Informationssystem (SIS II) soll erweitert werden. Geplant ist die „bessere Befüllung/Nutzung“ durch die Mitgliedstaaten. Zukünftig sollen nicht nur Festnahmen zur Abschiebung gespeichert werden, sondern auch Rückkehranordnungen. Demnächst erhält das SIS eine recherchierbare Fingerabdruckfunktionalität.

Neue SIS-Kategorie „Aktivität mit Terrorismusbezug“

Weitere Erweiterungen des SIS II sind nach Auskunft der Bundesregierung in der Pipeline. Hierzu gehören die heimlichen Ausschreibungen zur verdeckten Fahndung, um Reisewege von Personen zu verfolgen oder Mitreisende festzustellen (Artikel 36 des SIS II-Ratsbeschluss). Von den Artikel 36-Ausschreibungen wird schon jetzt in stark steigendem Maß Gebrauch gemacht. Diskutiert wird die Ausweitung auf lngewahrsamnahmen. Zuvor muss für das SIS II jedoch eine neue Ausschreibungskategorie geschaffen werden, im Gespräch ist der Hinweis „Aktivität mit Terrorismusbezug“. Die neue Kategorie wäre unabhängig von der bereits existierenden Ausschreibung mittels EU-Haftbefehl.

Dies beträfe Fälle, in denen nach Artikel 36 zur verdeckten Fahndung ausgeschriebene Terrorismusverdächtige an bestimmten Orten festgestellt würden, etwa beim Grenzübertritt oder in der Nähe kritischer Infrastrukturen. In der Vergangenheit wurde bekannt, dass mutmaßliche Mittäter von Anschlägen in Paris oder Brüssel in Frankreich und Belgien zwar bei Polizei und Geheimdiensten bekannt gewesen waren, zuvor jedoch unbehelligt durch andere Mitgliedstaaten reisen konnten.

Über das Bundeskriminalamt können auch die deutschen Geheimdienste solche verdeckten Fahndungen mit möglicher lngewahrsamnahme veranlassen. Aus deutscher Sicht beträfe dies Personen, die in Polizeidatenbanken mit dem Hinweis „politisch motivierte Kriminalität“ gespeichert sind. Ein Zugriff kann auch erfolgen, wenn „Anhaltspunkte dafür vorliegen“, dass die Personen Straftaten gemäß §§ 89a, b des Strafgesetzbuches (StGB) und/oder §§ 129a, b StGB begehen könnten. Auch Geheimdienste dürften Personen mit „Aktivität mit Terrorismusbezug“ im SIS II ausschreiben, wenn von diesen eine „erhebliche Gefährdung oder andere erhebliche Gefahren für die innere oder äußere Sicherheit des Staates“ ausgeht.

Stapelsuchfunktion bei Europol

Zukünftig soll auch der Informationsaustausch mit der Polizeiagentur Europol intensiviert werden. Europol darf auf das SIS II, das VIS und EURODAC zugreifen, jedoch sind noch nicht alle nötigen Schnittstellen eingerichtet. Im Arbeitsprogramm für das Jahr 2016 kündigte Europol die Einführung einer Stapelsuchfunktion („Batch-Search-Functionality“) an, um in den Datenbanken nach „Kreuztreffern“ zu suchen.

Nach Anregung des deutschen Bundesinnenministers, der im Frühjahr die „Verknüpfung“ europäischer „Datentöpfe“ forderte, hat die Europäische Kommission eine „hochrangige Expertengruppe Informationssysteme und Interoperabilität“ eingerichtet. Die Gruppe sucht nach „Mängeln und Informationslücken“ und Möglichkeiten zur Verbesserung des sicherheitsbehördlichen Informationsaustauschs. Bis zum Sommer 2017 sollen Vorschläge zur Beseitigung von „operativen und rechtlichen Hindernissen in bestehenden Informationssystemen“ vorliegen.

Auch das Bundesministerium des Innern arbeitet in der Expertengruppe mit. Das Bundeskriminalamt führt ein EU-gefördertes Projekt „Universal Message Format“ (UMF3), das technische Standards für den Informationsaustausch definiert. Das Projekt wurde 2007 vom damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble gestartet, auch Europol und Interpol sind aktiv eingebunden. Laut dem Bundesministerium des Innern sind noch nicht alle europäischen Informationssysteme UMF-kompatibel.

Bild: Das BKA in Wiesbaden ist die Kontaktstelle für den Zugang zu den europäischen Informationssystemen (Wo st 01 / Wikimedia Commons / CC-BY-SA-3.0-DE, Bka-wiesbaden-w1, CC BY-SA 3.0 DE)

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