Ich wurde von einem Undercover-Polizisten missbraucht. Aber wie weit oben war diese Täuschung bekannt?

Ich dachte, Mark Kennedy wäre mein Liebhaber und Freund, aber er manipulierte mich. Seine Vorgesetzten logen sogar in ihrer Entschuldigung bei mir.

Dieser Offene Brief von Kate Wilson erschien in einer früheren Form zuerst im britischen Guardian.

Im Jahr 2003 habe ich mich in einen Mann verliebt, der nicht existiert hat. Er war charismatisch und romantisch und teilte viele meiner Interessen und Träume. Wir lebten mehr als ein Jahr lang als LiebhaberInnen zusammen. Wir sind gereist. Er stand meiner Familie nahe und war im Mittelpunkt meiner Welt. Wir waren sieben Jahre lang die engsten FreundInnen. Ich habe ihn zuletzt im August 2010 gesehen. Er lud mich zum Abendessen ein, und danach gingen wir am Fluss entlang und sprachen über unser Leben.

Zwei Monate später erhielt ich einen Telefonanruf: Mark Stone war nicht der Mann, von dem ich dachte, dass ich ihn kenne. Er war Mark Kennedy, ein Undercover-Polizist. Er ist dafür bezahlt worden, Protestgruppen aus den Bereichen der Umweltpolitik und des Kampfs um soziale Gerechtigkeit zu infiltrieren, und er ist mit Mitteln und Ressourcen ausgestattet worden, um mich zu täuschen. Er wurde dabei stets von einem Team von Polizeiführern begleitet. Er stand unter ihrem Befehl und hat meine Emotionen und Handlungen entsprechend ihrer operativen Ziele manipuliert.

Dem verheerenden Anruf folgte ein stetiger und unendlicher Strom von Enthüllungen über das missbräuchliche Verhalten der britischen geheimen Staatsschutzpolizei. Seitdem habe ich erfahren, dass mindestens sieben weitere Leute, die ich kannte, als verdeckte ErmittlerInnen unterwegs waren. Ich traf andere Frauen, die wie ich getäuscht, manipuliert und missbraucht worden waren, nicht nur von Mark Kennedy, sondern von vielen anderen Beamten. Im Jahr 2011 haben acht von uns Strafanzeige gegen die Polizei erstattet. Wir wollten Antworten, Schadenersatz und sicher sein, dass so etwas nie wieder passieren kann.

Alles was die Polizei seitdem getan hat, war, zu vermeiden, die Wahrheit zu sagen. Wir wurden schikaniert; man sagte uns, ihre Operationen seien legitim gewesen und die Beziehungen der PolizistInnen hätten auf „echten Gefühlen“ basiert; und dann sagte man uns, wir sollten das wieder vergessen. Tatsächlich hat die Polizei die wahre Identität eines verdeckten Ermittlers weder bestätigt noch geleugnet. Damit die Untersuchung der Vorfälle überhaupt weitergehen konnte, mussten wir tief greifende Informationen über unser psychisches Wohlbefinden und unser Privatleben liefern, aber wir erhielten dafür keine Antworten oder Beweise.

Schon sehr früh wies die Polizei unsere Anschuldigungen zurück, dass unsere Menschenrechte verletzt worden seien. Sie wollte, dass unsere Vorwürfe nicht vor dem Obersten Gerichtshof behandelt werden sollten, sondern von einem geheimen Organ, dem so genannten Investigatory Powers Tribunal. Schließlich, Jahre später, beschlossen sie, sich schriftlich zu entschuldigen und die Klage des Obersten Gerichtshofs zu beenden. Es war ein bitterer Sieg, denn ansonsten wäre der nächste Schritt die Offenlegung ihrer Beweise gewesen. Sie erklärten dass sie sich entschuldigen würden, aber sie haben uns keine Antworten gegeben.

Die Polizeitaktik in allen Missbrauchsfällen aller verdeckter ErmittlerInnen bestand darin, zu verzögern und zu leugnen, bis es keine andere Möglichkeit mehr gab, und dann nur jene Maßnahmen einzugestehen, die bereits öffentlich bekannt waren. Auf diese Weise beenden sie die Aufarbeitung, sorgen für weitere Geheimhaltung und verhindern, dass Menschen die Wahrheit erfahren. Sie legen keine Rechenschaft ab, sondern betreiben eine Form der Schadensbegrenzung, bei der sie immer noch die Informationen verwalten und die Kontrolle behalten.

Nachdem wir uns vor dem britischen Obersten Gerichtshof geeinigt hatten, blieb meine Klage vor dem Investigatory Powers Tribunal zunächst bestehen, und ich beschloss, den Kampf dort fortzusetzen. Die Polizei war gezwungen, dort eine winzige Menge an Informationen offenzulegen, und das hat zu massiven Enthüllungen geführt: Sie geben nun zu, dass ihre Taten gegen das Verbot der Folter und unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung verstoßen haben, dass sie eine schwere Verletzung meines Privat- und Familienlebens und eine Verletzung meines Rechts auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit darstellten. Sie geben auch zu, dass Kennedys Betreuer und V-Mann-Führer von seiner Beziehung zu mir wussten und diese „duldeten“.

Nach einer Entschuldigung der Polizei, wonach „diese Beziehungen niemals genehmigt worden wären“ und das Ergebnis eines „Versagens bei der Aufsicht und Verwaltung“ seien, haben ich und andere auf zivilrechtliche Forderungen verzichtet. Doch habe ich jetzt die Bestätigung erhalten, dass die Leute, die Kennedy seine Befehle gaben, Bescheid wussten. Ich wurde also von der Polizei in einer öffentlichen Entschuldigung belogen, die eigentlich als Entschädigung für ihren Betrug und Missbrauch gedacht war.

Jetzt will ich ernsthafte Antworten. Ich möchte wissen, wie groß das Wissen über die Missbräuche in der Polizeihierarchie war. Ich will Zugang zu den 10.000 Seiten Papier, die sie über mich gesammelt zu haben. Und ich will wissen, warum mindestens acht verdeckt ermittelnde Polizisten geschickt wurden, um mich zu täuschen und jeden Bereich meines Lebens auszuspionieren. Ich möchte, dass das Gericht den institutionellen Sexismus der Polizei und die politischen Vorurteile, die die von ihr getroffenen Entscheidungen beeinflusst haben, untersucht und sich mit der Rechtmäßigkeit der Operationen und den unzureichenden Gesetzen zum Schutz unserer Menschenrechte befasst.

Das sind für mich persönlich sehr wichtige Angelegenheiten, aber es sind auch grundlegende Fragen der politischen Polizeiarbeit in einem Land, das sich als frei bezeichnet. Diese Polizeieinheiten haben illegal GewerkschaftsaktivistInnen auf eine schwarze Liste gesetzt, sie haben gewählte PolitikerInnen und die Familien der Opfer von Polizeigewalt und viele Wahlkampf- oder Protestgruppen bespitzelt. Sie benutzten die Identitäten von toten Kindern ohne Rücksicht auf ihre Familien, sie verletzten das Anwaltsgeheimnis und sie missbrauchten Frauen sexuell. Sie haben auch zahlreiche Justizirrtümer produziert.

Obwohl wir seit Jahren einen Rechtsstreit führen, ist dies das erste Mal, dass ein Fall über emotionale Beziehungen verdeckter ErmittlerInnen so weit gekommen ist, dass Beweise von jedem außerhalb der Polizei eingesehen werden können. Am 3. Oktober hat die Polizei in einer Anhörung zuletzt versucht, meine Suche nach der Wahrheit zu stoppen. Wir werden aber den Druck aufrechterhalten, um die Wahrheit über verdeckte Ermittlungen herauszufinden.

Beitragsbild: Kate Wilson.

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