Am 6. Juni 2019 hat der Bundestag ein Gesetz verabschiedet, das die Befugnisse des Zolls erweitert und das Personal der „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ aufstockt. Es verstärkt Sozialstaatsausschlüsse, die prekäre migrantische Arbeit fördern, und bekämpft Prekarität mit Kontrolle.
Das GiBS[1] ist ein Artikelgesetz, das Änderungen zahlreicher Gesetze (z.B. Sozialgesetzbücher, Aufenthaltsgesetz und Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz) bündelt. Die 13 Seiten im Bundesgesetzblatt haben es in sich. Denn das Gesetz erweitert die Kapazitäten der „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ (FKS) des Zolls enorm. Die gegenwärtig ca. 7.000 Stellen, die ohnehin bis 2026 auf über 10.000 Stellen aufgestockt werden, wachsen angesichts der gesetzlichen Aufgabenerweiterung um weitere 3.500 Stellen an. Hinzu kommen rund neue 900 Stellen für unterstützende Tätigkeiten beim Zoll, z. B. in der Informationstechnik.
Zudem wurden die Befugnisse der FKS stark ausgeweitet: Die Beamt*innen hatten innerhalb ihres Zuständigkeitsfeldes schon immer Polizeibefugnisse. Nun können sie Strafverfahren selbst führen, sofern die Staatsanwaltschaft ihre Kompetenzen abtritt. Auch ist es ihnen erlaubt, für Strafverfahren erkennungsdienstliche Maßnahmen durchzuführen. Bei der Verfolgung des „bandenmäßigen“ Arbeitsgeldvorenthalts dürfen sie auf gerichtlichen Antrag hin auch die Telekommunikation überwachen. Bereits 2017 waren die informationstechnologischen Befugnisse und die Ausstattung der FKS erweitert worden. Nun sieht das neue Gesetz nicht nur eine verstärkte Kooperation mit der Polizei vor, sondern listet gleich eine ganze Reihe zusätzlicher Behörden auf, mit denen die FKS – automatisiert und zum Teil grenzüberschreitend – Daten austauschen darf: z. B. die Arbeitsagentur oder Behörden der Gewerbeanmeldung.
Aufgabenerweiterung und Vorverlagerung
Darüber hinaus wurde der Katalog der Taten, die die FKS verfolgt, ausgeweitet. Gleiches gilt – ganz im Sinne einer Vorverlagerung – für die Strafbarkeit damit verbundener Handlungen. So ist es nun z. B. schon verboten, Scheinrechnungen auszustellen, um dadurch ein Arbeitsentgelt vorzuenthalten. Es drohen hohe Bußgelder (bis zu 100.000 Euro, bei „bandenmäßigem“ Vorgehen sogar bis zu 500.000 Euro). Auch bei der Schwarzarbeit von Tagelöhner*innen ist jetzt bereits das Anbieten oder das Nachfragen im öffentlichen Raum verboten. Der Zoll darf hier selbst Platzverweise aussprechen. Bezüglich Scheinselbstständigkeit ist nunmehr auch leichtfertiger (statt nur vorsätzlicher) Sozialversicherungsbetrug mit einem Bußgeld von bis zu 50.000 Euro für die Arbeitgeber*innen belegt. Arbeitnehmer*innen haben erweiterte Auskunftspflichten. Bei den branchenspezifischen Mindeststandards nach dem Arbeitnehmer*innen-Entsendegesetz prüft der Zoll nun auch Unterkunftsbedingungen und darf dafür – mit Gerichtsbeschluss – Wohnungen betreten.
Kontrolle und Einschränkung sozialer Rechte
Explizit zuständig wurde der Zoll für Fälle, in denen scheinselbstständige Arbeitsverhältnisse angemeldet werden, um Sozialleistungen zu erhalten (z. B. qua „Aufstocken“ mit Arbeitslosengeld II). Auch darf er Anhaltspunkte für ungerechtfertigten Kindergeldbezug prüfen. Doch nicht nur der „Missbrauch“ von Sozialleistungen soll verhindert werden, auch die Rechte selbst wurden eingeschränkt. Dies reiht sich in eine Gesetzgebung und Rechtsprechung der letzten Jahre ein, die Sozialleistungen für EU-Bürger*innen begrenzte. Ende 2016 wurden Sozialleitungen für EU-Ausländer*innen, die nicht bereits in Deutschland arbeit(et)en, in den ersten fünf Jahren gestrichen. Auch das Kindergeld kann seither nur noch mit einer Steueridentifikationsnummer bezogen werden, wofür Ausländerbehörde und Familienkassen bereits Daten abgleichen. Nach dem neuen Gesetz haben Unionsbürger*innen in den ersten drei Monaten nach der Einreise gar keinen Anspruch auf Kindergeld mehr, sofern sie nicht erwerbstätig sind.
Ein scharfes Schwert, das relativ weit unten ansetzt
Insgesamt schafft das Gesetz damit erhebliche Personal- und Kompetenzerweiterungen für die FKS-Einheiten des Zolls. Es ist mithin ein scharfes Schwert. Dieses richtet sich vor allem gegen arme Migrant*innen aus den neuen EU-Ländern. Was auf den ersten Blick aussieht wie ein buntes Potpourri an Maßnahmen, stützt sich deutlich auf den klassistisch-rassistischen Armutsmigrationsdiskurs, den vor allem die Kommunen und die CSU mit ihrem Slogan „Wer betrügt fliegt!“ 2013 initiierten.[2] Ob Sozialleistungsmissbrauch, Kindergelderschleichung, Unterbringung in ‚Schrottimmobilien‘, Scheinselbstständigkeit oder Tagelohn – in der Begründung zum Gesetz stellten die konservativen Parteien und das Bundesfinanzministerium (BMF) immer wieder einen Zusammenhang zur EU-Osterweiterung her. Sie schürten damit das Bild des betrügerischen Osteuropäers. Nicht zufällig jubilierte der AFD-Abgeordnete Kay Gottschalk, dessen Partei für das Gesetz stimmte, in der Bundestagsdebatte, mit dem Gesetz würde „Populismus endlich Realpolitik“.
Das Gesetz will aber auch die schlechten Arbeitsbedingungen von EU-Migrant*innen z. B. im Baugewerbe bekämpfen. Diese Arbeitsausbeutung und die Tatsache, dass Arbeitsrecht im gegenwärtigen System nicht nur von den Tarifparteien, sondern auch vom Strafrechtssystem durchgesetzt wird, ist durchaus ernst zu nehmen – wenngleich eine sozialstaatliche Inklusion der migrantischen Arbeitskräfte wirksamer vor Ausbeutung schützen könnte.[3] Allerdings setzen die Kontrollmechanismen, die das Gesetz vorsieht, relativ weit unten in der Ausbeutungskette an. So lädt etwa das EU-Recht zur öffentlichen Auftragsvergabe zum Lohndumping ein – obgleich seit 2014 neben dem Preis auch soziale Kriterien berücksichtigt werden können. Unternehmen, die solche Aufträge als Generalunternehmer annehmen, haften nur begrenzt für ihre Subunternehmen. Diese Subunternehmen und die prekären Arbeitnehmer*innen selbst stehen nun im Fokus des repressiven Gesetzes.