Wer dieser Tage in die Zeitung schaut, könnte meinen, das Abendland sei wieder am Untergehen. In NRW behauptet die Justizministerin, kriminelle Clans stünden „über dem Recht“. In Essen seien nach einer Schlägerei von ein „paar hundert Arabern“ die „Anwohner angewidert“ und der „deutsche Staat“ machtlos, weiß die WELT. Weil dies die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetze, verfolgt der Innenminister von NRW eine „Null-Toleranz-Strategie“. Auch der Bundesinnenministerin machen Clans „viel Sorge“, denn sie störten „Familien mit Kindern“ (keine Clans) bei ihren Freibadbesuchen. Redaktionsmitteilung weiterlesen
Alle Beiträge von Jenny Künkel
Pimmelgate
Mit dem Hashtag #Pimmelgate schaffte es Hamburgs Innensenator Andy Grote bis in die internationale Presse. Sogar die Washington Post berichtete über eine Hausdurchsuchung bei dem Betreiber einer linken Bar auf St. Pauli wegen eines Tweets „Du bist 1 Pimmel“.[1] Seither ist das Thema regelrecht eskaliert.
Die Vorgeschichte: Ende Mai 2021 empörte sich der Innensenator über die „Ignoranz“ junger Menschen, die trotz Pandemie in den Straßen des Schanzenviertels feierten („dämliche Aktion“). Es folgte ein Sturm der Entrüstung, dann der besagte Pimmel-Tweet. Denn der Senator hatte kaum ein Jahr zuvor, bei seiner Ernennungsfeier – nicht im Freien, sondern in einer Bar – selbst gegen Corona-Auflagen verstoßen. Und danach noch im Innenausschuss gesagt, seine Feier sei mit der Verordnung aus seinem Hause vereinbar. Da dies leicht widerlegbar war, musste er laut Medienberichten 1.000 Euro Strafe zahlen.[2] Pimmelgate weiterlesen
Polizieren, Sexualität und Gender – Feminismus zwischen Machtkritik und Punitivität
Polizei bleibt hetero-maskulinistisch; Straftäter*innen, Gefangene und (Polizei-)Gewaltopfer sind meist männlich. Doch sexualisierte Gewalt wird oft durch Frauen-, Queer- und Transfeindlichkeit gespeist. Auch das „ideale Opfer“ (N. Christie) und Kriminalitätsfurcht gelten als weiblich. Polizieren und Strafen sind also gegendert. Sexualität dient oft als Thema für Rufe nach mehr Strafe. Im öffentlichen Raum wird sexuelle Devianz kontrolliert. Im Privaten interessierte sexuelle Gewalt lange nicht. Dass sich dies änderte, verdanken wir feministischen Kämpfen – doch diese werden in neoliberalen Zeiten punitiver.
Als Kerninstitutionen des Staates sind Polizieren und Strafen mit Herrschaftsverhältnissen verknüpft. Ihre Rolle bei der Absicherung des (rassialisierten, gegenderten) Kapitalismus ist traditionell ein Fokus von kritischer Kriminologie und Bürger*innenrechtskämpfen.[1] Polizieren, Sexualität und Gender – Feminismus zwischen Machtkritik und Punitivität weiterlesen
Redaktionsmitteilung
In Würzburg tötet am 25. Juni ein junger Somalier drei Frauen und verletzt weitere Personen mit einem Messer. Einen Tag später wird in Wien die Leiche einer 13-Jährigen entdeckt. Zwei afghanische Teenager werden des sexuellen Missbrauchs und Erstickens verdächtigt. In beiden Fällen sind die Umstände unklar. In Österreich spekulieren Polizei und Presse über gemeinsamen Ecstasy-Konsum in der Wohnung eines der Teenager oder ein „Gefügigmachen“ durch Drogen. Die BILD perfektioniert das Bild des unschuldigen Opfers mit der Rede vom Überfall durch mehrere Männer im Park. In Deutschland ist über die Verletzten erst wenig bekannt. Dennoch wissen es Rechte im Netz gleich ganz genau: Gezielt seien Frauen aus islamistischem Frauenhass getötet worden. Unter dem Hashtag #Femizid beklagen sie ein vermeintliches Schweigen der Feminist*innen, deren Thema sie aneigneten, weil der Täter Migrant sei. Auch in Österreich wird über Migrationspolitik diskutiert. Redaktionsmitteilung weiterlesen
Autonomes Polizieren von Drogen: Machteffekte des Prohibitionskontexts in Christiania
Der Kopenhagener Stadtteil Christiania in Dänemark und sein Cannabismarkt sind seit 1971 weitgehend selbstverwaltet und doch vom Kontext staatlicher Drogenprohibition geformt. Der Beitrag aus dem Projekt www.narcotic.city zeigt Machteffekte von interner Normierung, externer Normalisierung und Polizeihandeln auf: Hierarchien illegaler Drogen, Exklusion von Heroin und Community-Dealer*innen sowie verstärkte Raumkämpfe.
Kaum ein Satz beschreibt das Verhältnis von Drogen und Christiania treffender als Adornos bekannte Feststellung: „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen“.[1] Denn das Stadtviertel entstand als Ort des Widerstands und war doch immer von äußeren Kräfteverhältnissen geprägt,v. a.von Drogenverbot, Marginalisierung und Gentrifizierung.
Im Jahr 1971 besetzten Aktivist*innen zahlreiche Gebäude eines Militärgeländes, das sich auf einer künstlichen Insel und zugleich in einer 1A-Immobilienlage im Zentrum Kopenhagens befand.[2] Es folgten Verhandlungen der bald ca. 800 Besetzer*innen mit der Kommune und dem Kultusministerium, die auf der Fläche des Verteidigungsministeriums einen Wohn-, Gewerbe- oder Kulturstandort etablieren wollten. Nach Räumungsversuchen, die aufgrund befürchteter Proteste halbherzig ausfielen,erkannte das dänische Parlament die „Freie Stadt“1973 als „soziales Experiment“ an. Autonomes Polizieren von Drogen: Machteffekte des Prohibitionskontexts in Christiania weiterlesen
Redaktionsmitteilung
Hakenkreuz-Postings, Holocaust-Leugnen und Verbreitung verbotener Pornographie. Am 17.Oktober wird bekannt: Polizeianwärter*innen für den gehobenen Dienst betrieben eine rechte Chatgruppe – trotz liberaler Lehrinhalte an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht. Am 27. November nahezu der gleiche Vorfall, diesmal bei der Bundeswehr. Dazwischen der „tägliche Einzellfall“, so die Kritik in sozialen Medien angesichts der sich häufenden Meldungen über Polizeigewalt und rechte Netzwerke im Sicherheitsapparat (diese dokumentieren wir online in unserer monatlichen Chronologie der Inneren Sicherheit).
Trotzdem wollen die AfD, einige Unionspolitiker*innen und allen voran Bundesinnenminister Horst Seehofer weiterhin nichts auf die Polizei kommen lassen. Redaktionsmitteilung weiterlesen
Mit Kontrolle gegen Armut – Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch (GiBS)
Am 6. Juni 2019 hat der Bundestag ein Gesetz verabschiedet, das die Befugnisse des Zolls erweitert und das Personal der „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ aufstockt. Es verstärkt Sozialstaatsausschlüsse, die prekäre migrantische Arbeit fördern, und bekämpft Prekarität mit Kontrolle.
Das GiBS[1] ist ein Artikelgesetz, das Änderungen zahlreicher Gesetze (z.B. Sozialgesetzbücher, Aufenthaltsgesetz und Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz) bündelt. Die 13 Seiten im Bundesgesetzblatt haben es in sich. Denn das Gesetz erweitert die Kapazitäten der „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ (FKS) des Zolls enorm. Die gegenwärtig ca. 7.000 Stellen, die ohnehin bis 2026 auf über 10.000 Stellen aufgestockt werden, wachsen angesichts der gesetzlichen Aufgabenerweiterung um weitere 3.500 Stellen an. Hinzu kommen rund neue 900 Stellen für unterstützende Tätigkeiten beim Zoll, z. B. in der Informationstechnik. Mit Kontrolle gegen Armut – Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch (GiBS) weiterlesen
Un-/geliebte Subjekte: Zur städtischen Prekarisierung migrantischer (Sex-)Arbeit
Stadtforschung und Bewegungen problematisieren v.a. räumliche Verdrängung und Polizeikontrolle von Sexarbeit im Zuge von Innenstadtaufwertung und Gentrifizierung. Mit der EU-Osterweiterung gewinnen zudem lokale Versuche der Migrationsabwehr qua Ausgrenzung aus sozialen Sicherungssystemen an Bedeutung.
Im Zuge der Neoliberalisierung gerieten in vielen Städten der westlichen Welt sichtbare Konzentrationen des Sexgewerbes ins Visier intensivierter Verdrängungsdebatten und zum Teil auch -prozesse.[1] Hintergründe waren und sind dabei oftmals Innenstadtrestrukturierungen und eine wohnungspolitisch beförderte Gentrifizierung. Auch in Deutschland weiteten einige Städte im Rahmen von Aufwertungspolitiken die lokalen Sperrbezirksverordnungen aus, etwa indem sie – wie 2012 in Hamburg St. Georg – den öffentlichen Sexverkauf auch für KundInnen verboten. Betroffen von entsprechend verstärkten polizeilichen Kontrollpraktiken ist insbesondere eine Straßensexarbeit, die mit dem Konsum kriminalisierter Drogen oder ethnisch-nationalen Ausgrenzungen assoziiert ist. Un-/geliebte Subjekte: Zur städtischen Prekarisierung migrantischer (Sex-)Arbeit weiterlesen