Archiv der Kategorie: CILIP 061

(3/1998) Überwachungstechnologien II

Literatur

Literatur zum Schwerpunkt

Seit Horst Herold als BKA-Präsident in den 70er Jahren der Polizei der alten BRD einen Modernisierungs- und Computerisierungsschub verordnete, waren die neuen, der Technik abgerungenen Möglichkeiten wegen der damit verknüpften bürgerrechtlichen Folgen Gegenstand politischer Debatten. Diese Auseinandersetzungen haben sich auch in vielfältiger Weise publizistisch niedergeschlagen, vor allem von Ende der 70er bis etwa Mitte der 80er Jahre. Neben einer Vielzahl von Beiträgen in Magazinen und Fachjournalen gab es eine Reihe von Buchveröffentlichungen, die auch heute noch lesenswert sind: Zum einen, weil sich die darin verwendeten Argumente noch keinesfalls in ihrer Gänze verbraucht oder überlebt hätten; zum anderen, weil sie im historischen Rückblick belegen, mit welcher Emphase noch vor einer Generation gegen einen durch die Technik ermöglichten (mutmaßlichen) präventivpolizeilichen Zugriff auf Personen und soziale Strukturen gestritten wurde. Heute wird dies von einer breiten bürgerlichen Mehrheit mehr oder weniger klaglos hingenommen, wenn nicht gar befürwortet. Der ‘verdatete Bürger’, der ‘gläserne Mensch’ – das waren damals gängige semantische Münzen der öffentlichen Diskussion. Hier seien nur einige bekanntere der vielen Publikationen beispielhaft in Erinnerung gerufen: Literatur weiterlesen

Chronologie

von Simone Breddermann und
Katharina Kempfer

Juli 1998

01.07.: Der Hamburger Datenschutzbeauftragte erklärt die „verdeckte Aufklärung“ der Polizei in politisch motivierten Gruppen dann für rechtswidrig, wenn personenbezogene Daten erfaßt werden. Die Hamburger Innenbehörde kündigt eine Änderung ihrer bisherigen Praxis an.
In dem Prozeß um den Überfall auf den Asylsuchenden Martin Agyare werden vier der Angeklagten freigesprochen und einer der Täter mit Jugendarrest und gemeinnütziger Arbeit bestraft. Die Jugendlichen hatten im November 1997 den Ghanaer überfallen, beleidigt und geschlagen.
Mit dem Inkrafttreten des Eheschließungsrechtsgesetz müssen Standesbeamte eine binationale Eheschließung verweigern, wenn ihrer Auffassung nach eine Scheinehe geschlossen werden soll, um eine Aufenthaltserlaubnis für einen der Ehepartner zu erhalten. Chronologie weiterlesen

Polizeilicher Schußwaffengebrauch in Frankreich- Vertrauliche Dokumente und polemische Auseinandersetzungen

von Fabien Jobard

Ein französischer Polizist hat einen marokkanisch-stämmigen Niederländer während des Polizeigewahrsams gefoltert, so erklärte die Europäische Menschenrechtskommission in einem seltenen und daher besonders bedeutenden Urteil Ende vergangenen Jahres.[1]

Vom Anti-Folter-Ausschuß des Europarats wurde die französische Polizei wiederholt der Körperverletzung und erniedrigenden Behandlung von Festgenommenen beschuldigt.[2]
Polizeigewalt und insbesondere Schußwaffengebrauch sind in Frankreich Gegenstand ständiger Konflikte und Polemiken. Der Autor hatte Zugang zu vertraulichen Akten der Police Nationale, die zwar keine abschließende Analyse der politischen und sozialen Hintergründe ermöglichen, wohl aber exaktere Daten über den Schußwaffeneinsatz und seine Folgen liefern.
Ähnlich wie in Italien, Spanien oder Belgien ist auch die französische Polizeilandschaft zweigeteilt: In den Städten über 10.000 Einwohnern sorgt die zum Innenministerium gehörende Police Nationale für die „innere Sicherheit“. Die dem Verteidigungsministerium organisatorisch unterstellte Gendarmerie ist nur für den ländlichen Raum zuständig. Die hier vorgestellten Daten beziehen sich ausschließlich auf die Police Nationale, der insgesamt ca. 120.000 Beamten angehören. Davon arbeiten 18.000 in Paris und den drei ebenfalls der Pariser Polizeipräfektur unterstellten umliegenden Departements. Polizeilicher Schußwaffengebrauch in Frankreich- Vertrauliche Dokumente und polemische Auseinandersetzungen weiterlesen

Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit Thüringen- „Ein wichtiger Faktor zur Gewährleistung der Inneren Sicherheit“ [1]

von Christoph Ellinghaus

Demonstrationen sind zunehmend mit polizeilichen Spezialeinheiten konfrontiert. Seit einigen Jahren hat auch Thüringen eine Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE). Zuletzt fiel sie AntifaschistInnen auf, die am 6. Juni 1998 in Kassel versuchten, einen Aufmarsch von Neonazis zu verhindern. Die Einheit schützte die Neonazis vor, während und nach ihrer Kundgebung und nahm linke DemonstrantInnen zum Teil auf brutale Weise fest.

In den Blick einer kritischen Öffentlichkeit war die thüringische BFE erstmals beim Großen Zapfenstreich der Bundeswehr auf dem Erfurter Domplatz am 9. November 1995 geraten. Bei dieser Gelegenheit räumte sie die GegendemonstrantInnen vom Platz vor der Absperrung. Zwar war es in den Jahren nach der Wende immer wieder zu polizeilicher Gewalt gegen DemonstrantInnen gekommen. Neu war bei diesem Einsatz jedoch, mit welcher Geschlossenheit diese Einheit auftrat. Ihre Ausstattung und ihr Vorgehen waren bisher nur vom bayerischen Unterstützungskommando (USK) bekannt. In der Folgezeit sollten DemonstrantInnen noch öfters mit der thüringischen BFE Bekanntschaft machen – bei den Protesten gegen den ersten Spatenstich zur Thüringer Waldautobahn, bei den Baumbesetzungen im Thüringer Wald, bei den Protesten gegen den Castor-Transport im Wendland sowie zuletzt bei den antifaschistischen Demonstrationen in Saalfeld. Die Einheit wurde zwischen 1992 und Mitte 1997 519 mal in Thüringen und in elf anderen Bundesländern eingesetzt. Dabei wurden 564 Personen in Gewahrsam und 331 festgenommen.[2]
BF-Einheiten werden bei Anlässen eingesetzt, bei denen die polizeiliche Einsatzleitung ein hohes „Störerpotential“ erwartet. Das sind in Thüringen insbesondere Demonstrationen von Neonazis, antifaschistische (Gegen-) Kundgebungen sowie Fußballspiele. Hinzu kommen Einsätze für die Landespolizei, das LKA sowie Anforderungen anderer Bundesländer. Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit Thüringen- „Ein wichtiger Faktor zur Gewährleistung der Inneren Sicherheit“ [1] weiterlesen

Rot-grüne Politik „Innerer Sicherheit“ – Fortsetzung der alten Politik mit anderen Personen

von Martina Kant und Norbert Pütter

Sechzehn Jahre christlich-liberale Koalition liegen hinter uns. Sechzehn Jahre, in denen das Strafrecht permanent verschärft, die Kompetenzen der Sicherheitsapparate ausgebaut und BürgerInnenrechte empfindlich beschnitten wurden. Nahtlos konnte die Regierung Kohl in Fragen der Inneren Sicherheit an das Helmut Schmidtsche „Modell Deutschland“ anknüpfen; neu waren damals lediglich die Bedrohungsszenarien („Organisierte Kriminalität“ statt Terrorismus) sowie Ausmaß und Geschwindigkeit, in denen der Polizei und den Geheimdiensten zu „ihrem“ Recht verholfen wurde. Die neue Regierungsmehrheit im Bundestag ist mit diesem in Jahrzehnten des rechts- und polizeipolitischen Rückschritts errichteten „System Innerer Sicherheit“ konfrontiert. Was wird sie tun?

Daß die Politik „Innerer Sicherheit“ von einer rot-grünen Regierung neu erfunden werden würde, daß es in diesen Fragen zu einem radikalen Wandel kommen würde, das konnte angesichts der Programmatik der neuen Partner nicht erwartet werden. Zu sehr hatte die SPD in den letzten Jahren versucht, die Union als Law and order-Partei in den Schatten zu stellen – von der geforderten Beweislastumkehr bis zur Zustimmung zum Großen Lauschangriff. Und trotz durchaus bürgerrechts-freundlicherer Absichten hatten sich Bündnis 90/Die Grünen in der jüngeren Vergangenheit den realpolitischen Zwängen derart gebeugt, daß allenfalls gradueller Wechsel erwartet werden durfte. Rot-grüne Politik „Innerer Sicherheit“ – Fortsetzung der alten Politik mit anderen Personen weiterlesen

Freiheit oder Sicherheit? Demokratische Kontrolle polizeilicher Überwachung – ein Beitrag aus französischer Sicht

von Frédéric Ocqueteau

In den Sozialwissenschaften, vor allem wenn sie sich im engeren Sinne mit den Problemen der sozialen Kontrolle beschäftigen, herrscht ein impliziter Konsens, daß die Begriffe ‘Sicherheit’ und ‘Freiheit’ ganz selbstverständlich durch ein ‘und’ zu verbinden sind: Freiheit könne ohne Sicherheit nicht existieren und umgekehrt. Angesichts neuer polizeilicher Techniken muß diese vordergründige Selbstverständlichkeit hinterfragt werden. Nach der Devise, den ‘neuen Bedrohungen und Gefahren’ am Ausgang des 20. Jahrhunderts auch präventiv zu begegnen, nutzen Geheimdienste, Polizeien und private Sicherheitsdienste die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien. Die Freiheit soll polizeilich gesichert werden – im Zweifel auch gegen ihre TrägerInnen, die Bürgerinnen und Bürger. Wie können angesichts dieser „erweiterten inneren Sicherheit“ die Freiheitsrechte verteidigt werden? Und vor allem: Wer sind die Subjekte dieser Verteidigung?

Um die Handlungen der BürgerInnen als Individuen, als Mitglieder sozialer Gruppen oder als NutzerInnen von privaten und staatlichen Dienstleistungen transparent werden zu lassen können Polizei und Sicherheitskräfte, so zeigt eine parlamentarische Untersuchung aus dem Jahre 1995 [1], aus mindestens vier verschiedenen Informationsquellen schöpfen: Freiheit oder Sicherheit? Demokratische Kontrolle polizeilicher Überwachung – ein Beitrag aus französischer Sicht weiterlesen

TECS – Europols Computersysteme – Zwischenlösung geht in Betrieb

von Heiner Busch

Zum 1. Oktober ist die Europol-Konvention in Kraft getreten. Bis sämtliche der unter dem Kürzel TECS (The Europol Computer Systems) zusammengefaßten Datensysteme des Europäischen Polizeiamtes in Betrieb gehen, dürften noch einige Jahre verstreichen. Beruhigen kann das aber nicht, denn schon die Zwischenlösung hat es in sich.

Als im Juli 1995 die Europol-Konvention unterzeichnet wurde, verkündete Europol-Chef Jürgen Storbeck, daß man jetzt daran gehen müsse, die Datensysteme des Amtes zu planen, damit diese gleichzeitig mit dem Inkrafttreten des Vertrages in Betrieb gehen könnten. Tatsächlich erhielt die britische Firma CREW-Services 1996 den Zuschlag zur Ausarbeitung des ‘Statement of requirements’, der Durchführbarkeitsstudie. In einer zweiten Phase wurde UNISYS mit der Spezifizierung dieser Pläne beauftragt. Trotz des frühen Beginns der Planungen und der langen Zeit, die die Ratifizierung des Vertrages in Anspruch nahm, ist mit einem vollen Betrieb aller Untersysteme von TECS erst im Jahre 2001 zu rechnen. Die Nachricht von der Verzögerung hat im Sommer dieses Jahres eine klammheimliche Freude in linken und bürgerrechtlichen Kreisen aufkommen lassen. Die Häme dürfte aber nicht von Dauer sein. TECS – Europols Computersysteme – Zwischenlösung geht in Betrieb weiterlesen

Auf dem Weg zum globalen Überwachungsstaat – Ergebnisse eines Berichts für das Europäische Parlament

von Steve Wright

Die Ära der präventiven Polizei hat längst begonnen. Die Polizeibehörden reagieren wie Nachrichtendienste nicht mehr nur auf Straftaten, sondern behalten zunehmend gezielt bestimmte soziale Klassen, ethnische Gruppen, politische Aktivisten im Auge – Risikopopulationen, die schon unter Verdacht stehen, bevor tatsächlich ein Verbrechen geschieht. In den 90er Jahren sind neue Instrumente entstanden, die diesen Veränderungsprozeß beschleunigen. Die Revolution der digitalen Kommunikationstechnologien hat die Industrialisierung der Überwachung ermöglicht. Wofür die Stasi noch Hunderttausende Informanten und Agenten brauchte, von denen allein 10.000 die abgehörten Telefonate transkribierten, kann heute mit den neuesten Technologien bewerkstelligt werden. ‘Dataveillance’ (Daten plus Überwachung) ist der Ausdruck für Technologien, die Informationgewinnung mit Elementen künstlicher Intelligenz verbinden.

Die modernen Überwachungstechniken entstammen zu einem großen Teil dem militärischen Sektor. Für ‘Kriege niedriger Intensität’ entwickelten Militärs und Industrie Konzepte des ‘C3I’: Communication, Command, Control, Intelligence. Militärische Aufklärung und Schlagkraft sollten effizient miteinander koordiniert werden. Dieser Ansatz zur Sammlung riesiger Mengen für sich allein unbedeutender Informationen und deren Auswertung schuf erst die Basis für die Kriegsführung in den urbanen Zonen im Innern eines Staates. Die (para-)militärische Herkunft der neuen Überwachungstechnologien ist nicht zufällig. Am Beispiel bekannter Hersteller für High tech-Überwachungsgeräte konnte die Londoner Bürgerrechtsorganisation ‘Privacy International’ vor einiger Zeit dokumentieren, daß Firmen, die lange Zeit nur militärisches Gerät produzierten, seit dem Ende des Kalten Krieges ihr Angebot auch auf den zivilen Markt zuschnitten. [1] Auf dem Weg zum globalen Überwachungsstaat – Ergebnisse eines Berichts für das Europäische Parlament weiterlesen