Polizeilicher Umgang mit häuslicher Männergewalt gegen Frauen – Privatisierung als Strategie der Non-Intervention

von Martina Kant

Gewalt im öffentlichen Raum wird von Polizei und Presse regelmäßig als Problem ausgemacht. Anders ist dies bei Gewalt im sog. privaten Raum, deren Opfer zumeist Kinder und Frauen sind. Mit dem Hinweis, daß es sich hierbei um Privatangelegenheiten handele, unterbleiben in Fällen häuslicher Männergewalt gegen Frauen regelmäßig staatliche Interventionen und Sanktionen. Auch wenn es keine gesicherten Zahlen über die Verbreitung von Frauenmißhandlung gibt – Schätzungen ergeben 100.000 bis 4 Millionen mißhandelte Frauen jährlich -, so geht die Gewalt-Kommission der Bundesregierung nach den bisherigen Erkenntnissen davon aus, daß „Gewalt in der Familie“ die verbreitetste Form der Gewalt sei. (1)

Mißhandlungserfahrungen, die Frauen durch ihre (Ex-)Partner machen, reichen von verbalen Attacken, Einschüchterungen, Erniedrigungen, Psychoterror, Morddrohungen, Faustschlägen, Vergewaltigungen bis hin zu Angriffen mit Messern und anderen gefährlichen Gegenständen – zum Teil mit tödlichem Ausgang. Gerade der Polizei kommt in konkreten Mißhandlungssituationen große Bedeutung zu: Sie ist als einzige rund um die Uhr erreichbar und in der Lage, (ggf. mit Zwangsmaßnahmen) gegen den Mißhandler zu intervenieren.

Von den öffentlichen Institutionen ist die Polizei denn auch diejenige, bei der mißhandelte Frauen am häufigsten Hilfe suchen. Ihr Hilfeersuchen wird jedoch oftmals enttäuscht: Betroffene Frauen berichten darüber, daß die Polizei untätig bleibt, das Geschehen bagatellisiert, ihnen rät, nicht zu übertreiben und ihnen sogar die Schuld für die Mißhandlung oder Bedrohung gibt. (2) Von Polizisten hört man, „daß die Frau das Prügeln ja gar nicht anders will“, oder „daß die tatsächlich mal ein bißchen was verdient hat.“ (3)

Einsatzanlaß ‚Familienstreitigkeit‘

Die Bagatellisierung beginnt bereits beim Einsatzauftrag, denn in der polizeilichen Sprache sucht man den Begriff (häusliche) Männergewalt gegen Frauen meist vergeblich. „Das ist Einschätzungssache des aufnehmenden Beamten (…). Und der sagt dann vielleicht schon, wenn eine Körperverletzung angezeigt wird, naja, die streiten sich doch nur, und dann sollen die Funkwagen erstmal, dann nimmt man vielleicht erstmal Familienstreitigkeit.“ Diese Aussage kann als exemplarisch für die Einschätzung häuslicher Männergewalt gegen Frauen aus polizeilicher Sicht gelten. Sie stammt von einem Schutzpolizisten eines Berliner Polizeiabschnittes. (4) Auch gerade in der älteren Polizeiliteratur werden Mißhandler und Mißhandelte selbst dann ‚Streitende‘ genannt, wenn es zu Körperverletzungen oder gar Tötungsdelikten kommt. (5)
Daß es sich in den meisten Fällen, die als Einsatz ‚Familienstreitigkeit‘ anlaufen, um Körperverletzungen und/oder massive verbale Drohungen von Männern gegen ihre (Ex-)Partnerinnen handelt, ist empirisch belegt. (6) Der Begriff ‚Familienstreitigkeit‘ verschleiert und leugnet daher in höchstem Maße das tatsächliche Gewaltgeschehen und läßt darüber hinaus eine eindeutige Täter-Opfer-Zuordnung vermissen.

Die vorrangige Aufgabe bei ‚Familienstreitigkeiten‘, heißt es in der Zeitschrift der Gewerkschaft der Polizei (GdP), sei die Gefahrenabwehr, und sie sei in diesen Fällen grundsätzlich beschränkt auf „Schlichten, Vermitteln und Verweisen an zuständige öffentliche und geeignete private Institutionen.“ (7) Zwar könne auf strafverfolgende Maßnahmen nicht völlig verzichtet werden, so die ‚Unterkommission Polizeipraxis‘ der Gewaltkommission, mit Eingriffen im Bereich der Familie müsse sich die Polizei jedoch zurückhalten, „um eine bestehende Krise nicht noch zu verschärfen oder therapeutische Maßnahmen nicht zu verhindern oder zu beeinträchtigen.“ (8) Diese offensichtliche Differenzierung zwischen Gewalt im ‚öffentlichen‘ und ‚privaten‘ Raum zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Diskussion um staatliche Intervention bei Frauenmißhandlung.

Und in der Tat sind intervenierende Maßnahmen mit Betonung der Sanktionsgewalt durch den Einsatz polizei- und strafrechtlicher Maßnahmen die Ausnahme bei Einsätzen in Fällen häuslicher Männergewalt gegen Frauen. (9) Im einzelnen bedeutet dies, daß PolizeibeamtInnen bei diesen Einsätzen oftmals statt Strafanzeigen zu fertigen und/oder adäquate polizeirechtliche Maßnahmen zu ergreifen, bevorzugt zwischen den Beteiligten schlichten und durch Vermitteln einen Konflikt zu lösen versuchen. Gekoppelt sind diese Bemühungen an Ratschläge für die betroffenen Frauen, sich an Hilfseinrichtungen zu wenden, und den Versuch, in der Regel die Frau zum Verlassen der Wohnung zu bewegen. Auf Straftaten im Zusammenhang mit häuslicher Männergewalt gegen Frauen wird also so gut wie nie mit den Mitteln der Strafprozeßordnung reagiert und auf Gefahren ebenso selten mit denen des Polizeirechts.

Aus polizeilicher Sicht handelt es sich bei dem Geschehen, zu dem sie gerufen werden, lediglich um einen Streit, ein Eheproblem oder ähnliches. „In irgendwelche Streitigkeiten (würden) wir uns uns generell dann nicht einmischen als Polizei“, so eine Polizeibeamtin. Häusliche Männergewalt gegen Frauen wird nicht nur bagatellisiert, sondern auch privatisiert. Die Polizei erklärt sich für ihrer Ansicht nach familiäre oder private Angelegenheiten schlichtweg nicht zuständig: Als VertreterInnen der Staatsmacht fühlten sie sich als Eindringlinge in die Privatssphäre anderer Menschen und würden daher mit ihren polizeilichen Maßnahmen so restriktiv wie möglich umgehen, „um so wenig wie möglich in die Grundrechte der Betroffenen einzudringen“. Diese ‚Rücksicht‘ findet man bei der Polizei sonst wohl eher selten.
Zudem werden polizeilicherseits bevorzugt soziale Not, Arbeitslosigkeit und vor allem Alkohol(ismus) als Ursachen für ‚Familienstreitigkeiten‘ ausgemacht. Die wahrhaft Zuständigen sind schnell gefunden. Gewalt gegen Frauen wird von den BeamtInnen zu einem Problem von Ehe-, Familien- und Suchtberatungsstellen, Bezirks- und Jugendämtern definiert. Verglichen mit Eigentumsdelikten seien Körperverletzungsdelikte gegenüber Frauen im ‚privaten‘ Raum sowieso zweitrangig; Einsätze bei ‚Familienstreitigkeiten‘ werden dann nicht selten als Ressourcenverschwendung betrachtet: „Dann werden wir da gebunden (…), und woanders da knacken sie die Autos.“

Polizeiliches Selbstverständnis: Neutrale Vermittler

Wenn PolizeibeamtInnen ihre Rolle in Fällen häuslicher Männergewalt gegen Frauen beschreiben sollen, dann tun sie dies in erster Linie als „Schlichter“, „Schiedsrichter“, „Vermittler“ und als „Schutzmann, der allen gerecht wird“. Sie suggerieren damit einen Umgang als unbeteiligte Dritte, als vollkommen neutrale und unparteiische Instanz. Durch polizeiliche Maßnahmen müßten die BeamtInnen hingegen ihren vermeintlich neutralen Standpunkt aufgeben; sie müßten Stellung beziehen und die Situation in irgendeiner Weise definieren. Dem Bemühen um scheinbar neutrale Vermittlung sind polizeiliche (Zwangs-)Maßnahmen daher diametral entgegengesetzt. (10) Die Diskrepanz zwischen der Vermittlerrolle und der Polizeifunktion (Gefahrenabwehr/Strafverfolgung) lösen sie zugunsten einer Non-Intervention, indem sie auf Maßnahmen mit Sanktionscharakter bewußt verzichten. Jede intervenierende Maßnahme gegenüber dem Mißhandler, selbst die ‚Maßnahme Frauenhaus‘ wird von den (männlichen) Polizeibeamten schon als Neutralitätsbruch verstanden.
Während Mißhandler oftmals mit Empathie und ‚Fingerspitzengefühl‘ der Polizeibeamt(Inn)en rechnen können – nicht zuletzt aus Gründen der Eigensicherung -, wird den mißhandelten Frauen zuweilen Mißtrauen entgegengebracht. Vor allem die männlichen Polizeibeamten, so zeigt sich, neigen dazu, den Frauen Provokationen und Falschbeschuldigungen zu unterstellen. (11) Von Neutralität kann in der Tat dann nicht mehr gesprochen werden, wenn bspw. Platzverweise gegen Mißhandler mit der Begründung unterbleiben, es gebe kein Männerhaus, oder Polizeibeamte eine eingehende Beschäftigung mit der mißhandelten Frau und dem Sachverhalt ablehnen, um keine Strafanzeige schreiben zu müssen. Wird die Polizei tätig, richten sich ihre Maßnahmen hingegen fast ausschließlich an die betroffene Frau. Als ‚Standardmaßnahme‘ gilt, die Frau zum Verlassen der Wohnung zu überreden. Sie stellt sich für die PolizeibeamtInnen als die einfachste und sicherste Maßnahme dar – ohne daß damit eine Konfrontation mit dem Mißhandler riskiert wird. Die Angst der Frau wird dazu genutzt, auf bequemste Weise das Einsatzziel zu erreichen: „Wir wollen im Grunde genommen Ruhe haben in unserem Bereich, damit die Leute, die da umgrenzend wohnen, schlafen können.“ Die Verfahrensweise, polizeiliche Maßnahmen in Fällen häuslicher Männergewalt in der Regel nicht an den Verursacher der Gefahr zu richten, ist in der Polizeiliteratur bekannt und wird auch kritisiert. (12) Geändert hat dies bislang offensichtlich nichts.

Mit der Einschätzung von häuslicher Männergewalt gegen Frauen als privates Problem geht eine Selbstbeschränkung der polizeilichen Handlungsmöglichkeiten einher. D.h. PolizeibeamtInnen schöpfen die Möglichkeiten, die ihnen aufgrund des Polizeirechts und der Strafprozeßordnung zur Verfügung stehen, beim Einschreiten in Fällen häuslicher Männergewalt nicht aus. Auf der einen Seite werden Handlungsspielräume geringer eingeschätzt, als sie tatsächlich sind. Das geschieht teilweise aufgrund mangelnder Rechtskenntnis aber auch durch äußerst restriktive Gesetzesauslegung. So ist unter PolizeibeamtInnen etwa die irrige Annahme verbreitet, Platzverweise aus der Wohnung dürften grundsätzlich nicht gegen polizeilich gemeldete Personen ausgesprochen werden. Den Polizeigewahrsam für schlagende Männer lehnen die BeamtInnen regelmäßig ab, weil sie die Voraussetzungen als nicht gegeben ansehen, d.h. sie sehen keine unmittelbar bevorstehende Bedrohung der Frau oder befürchten, daß ihre Entscheidung einer richterlichen Überprüfung nicht standhält. Allerdings legen sie die Latte dabei häufig fälschlicherweise so hoch wie bei der vorläufigen Festnahme nach der Strafprozeßordnung. Ingewahrsamnahmen von Mißhandlern kämen deshalb recht selten vor, erklärt ein Beamter, denn „die meisten wissen das nicht“. Zudem glauben viele BeamtInnen, sie könnten ohne einen Strafantrag der mißhandelten Frau ohnehin nicht strafverfolgend tätig werden.

Herrscht einerseits Unklarheit über die polizeilichen Befugnisse, wird andererseits von BeamtInnen deutlich gemacht, daß sie polizeiliche (Zwangs-)Maßnahmen in Fällen häuslicher Männergewalt gegen Frauen generell ablehnen. „Eine Gewahrsamnahme ist natürlich ein Mittel, was wir uns eigentlich ersparen wollen“, beschreibt ein Beamter seine Einsatzphilosophie, „wir wollen niemandem die Freiheit nehmen.“
Geht es um Frauenmißhandlung, wird gelegentlich auch ein Auge zugedrückt: Die BeamtInnen kehren ihr ‚Freund und Helfer‘-Image hervor, verzichten bewußt auf die Rolle des ‚Gesetzeshüters‘ und unterdrücken Strafanzeigen, weil sie keinen Sinn darin sehen. Während die meisten PolizeibeamtInnen stillschweigend das Legalitätsprinzip umgehen, denken andere offen über die Umwandlung in ein Opportunitätsprinzip nach, denn es sei ein Problem, beklagt ein Polizist, Straftaten verfolgen zu müssen, „die meiner Meinung nach nicht der Verfolgung bedürfen.“ (13)

Überforderung der PolizeibeamtInnen

Polizeieinsätze in Fällen häuslicher Männergewalt gegen Frauen gelten gemeinhin als unbeliebt. (14) Sie hätten keinen nachhaltigen Effekt, da sie das ‚Problem‘ nicht lösen würden. Viele Betroffene seien darum schon eine Art ‚Kundschaft‘ der Polizei. Nicht zuletzt die Schieflage in der Betrachtung von häuslicher Männergewalt als einfacher Familienkonflikt führt dazu, daß polizeiliches Eingreifen als wenig erfolgversprechend erscheinen muß. Die Polizei überfordert sich mit ihrem Anspruch, ‚einen Streit schlichten‘ zu wollen, selbst und macht sich gleichzeitig handlungsunfähig. Ein vermeintlich sozialarbeiterisches Engagement entspricht weder den Kompetenzen der PolizeibeamtInnen – ist auch nicht mit ihrem Status als VertreterInnen der Staatsgewalt vereinbar -, noch wird es den Gewalttaten gegenüber Frauen gerecht. Das Wissen der Polizei über Hilfsangebote ist zudem äußerst beschränkt. Da wird schon einmal ‚aus dem Stehgreif‘ improvisiert, mit dem Branchenbuch in der Hand auf den Schuldnerberater oder den ‚Pädagogischen Dienst‘ verwiesen – je nachdem, welches ‚Problem‘ die PolizeibeamtInnen meinen, erkannt zu haben. Man hat mal etwas gehört von der Familienfürsorge, „aber im Grunde genommen weiß ich gar nicht, ob da den Betroffenen richtig geholfen wird“, räumt eine Polizeibeamtin ein. Darüber, daß die Polizeiausbildung ihnen bei diesen Einsätzen auch nicht weiterhilft, sind sich die befragten BeamtInnen einig – abgesehen von den Rechtsgrundlagen zum Erkennen von Straftaten und zur Durchführung polizeilicher Maßnahmen (sic!). Statt dessen berufen sie sich auf ihre Berufs- und Lebenserfahrung sowie auf ihre Menschenkenntnis – selbst BeamtInnen Anfang zwanzig mit gut einjähriger Berufspraxis. In maßloser Selbstüberschätzung lehnen sie weitere Ausbildung ab: „Mit einem normalen Menschenverstand müßte jede Familienstreitigkeit aus dem Wege zu räumen sein.“ Nur einige wenige wünschen sich mehr Hintergrundwissen über Gewalt gegen Frauen, über Ursachen, Hilfsangebote und über das ihnen manchmal unverständlich erscheinende Verhalten der geschlagenden Frauen.

Fazit und Ausblick

In der Deutung von häuslicher Männergewalt gegen Frauen als privatem Streit oder Konflikt wird die Ideologie von ‚öffentlich‘ und ‚privat‘ nach wie vor wirksam. Ehe, Familie und Partnerschaft werden als staatsfreie Orte verstanden, in welche die Polizei als Vertreterin der Staatsgewalt nicht eingreifen dürfe. Durch die Privatisierung von Männergewalt mittels der Konstruktion ‚Familienstreitigkeit‘ rechtfertigt die Polizei ihre Untätigkeit, d.h. ihre Non-Intervention gegenüber den Mißhandlern.
Ehe und Familie waren jedoch niemals vor staatlichen Eingriffen abgeschottete private Institutionen. Bestimmungen des Ehe-, Kindschafts- oder Namensrechts, die strafrechtliche Regelung der Abtreibung, das inzwischen für verfassungswidrig erklärte Nachtarbeitsverbot für Frauen sind nur einige Beispiele für nachhaltige und vor allem „asymmetrische Eingriffe in die Privatheit“ von Ehe und Familie. Sie erfolgen opportunistisch innerhalb des Geschlechterverhältnisses, denn sie sind ordnungspolitisch darauf abgestellt, die Funktionstüchtigkeit von Ehe und Familie und die Fortpflanzung zu sichern. (15)

Statt zu intervenieren, setzt die Polizei auf Vermittlung zwischen den Betroffenen. Damit verkennt sie aber die tatsächlichen Gewaltverhältnisse und Gewalttaten innerhalb von Mißhandlungsbeziehungen. Letztlich wird der Opfer-Status der mißhandelten Frau ebensowenig anerkannt wie der Täter-Status des Mißhandlers, sie werden vielmehr auf eine Ebene gestellt. Für die in patriarchalischen Gesellschaften strukturell schwächere Frau bedeutet eine Vermittlung zwischen den Beteiligten und damit eine Privatisierung der Gewalttat nicht nur eine Benachteiligung; eine Non-Intervention bestätigt genau diese strukturelle Machtdifferenz und reproduziert so das Herrschaftsverhältnis zwischen Frauen und Männern. (16) Die Polizei als patriarchalische Institution hilft auf diese Weise, den hierarchischen Status quo und damit das männliche Gewaltmonopol im Geschlechterverhältnis zu sichern.

Die Veränderung des polizeilichen Umgangs mit häuslicher Männergewalt gegen Frauen dürfte sich schwierig gestalten. Zu grundlegend sind die Wechselwirkungen zwischen staatlichen Institutionen, ihren Reaktionen und dem patriarchalischen Herrschaftsverhältnis. Um nicht vollends zu resignieren, ist es wahrscheinlich dennoch unerläßlich, auf Veränderungen in den Institutionen und ihres Umgangs mit Männergewalt gegen Frauen zu setzen. Verhaltensänderungen einzelner PolizeibeamtInnen werden allein jedoch kaum Wirkungen zeigen. Nimmt man allerdings die in Studien aufgezeigten Zusammenhänge zwischen Konstruktionen von Männergewalt, männlichen Stereotypen, Rechts- und Verhaltensunsicherheiten und dem polizeilichen Handeln zum Anlaß für eine Verbesserung, muß es darum gehen, eindeutige Handlungsvorgaben für die PolizeibeamtInnen zu schaffen, um auf diese Weise eigenmächtige, z.T. rechtswidrige und häufig genug zu Lasten der mißhandelten Frauen gehende Strategien zu verhindern.

In den Ministerien und den Führungsetagen der Polizei reagiert man zunehmend auf die Kritik, die am polizeilichen Einschreiten geübt wird. Das ‚Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend‘ ließ von einer ForscherInnengruppe eine ‚Lehrgangskonzeption für die Polizei zum Thema ‚Männliche Gewalt gegen Frauen“ entwickeln. Ziel war es, die Polizei für das Thema Männergewalt zu sensibilisieren und Verhaltensänderungen zu bewirken. Ob das 1995 erschienene Schulungsmaterial (17) letztendlich bundesweit eingesetzt wird, bleibt abzuwarten. In der Landespolizeischule Berlin war die Lehrgangskonzeption im vergangenen Jahr nur in Ansätzen bekannt. Sie sei in jedem Fall zu speziell, hieß es dort, statt des verengten Blicks auf Gewalt gegen Frauen, sollte besser „allgemeine Konfliktbewältigung“ den Schwerpunkt bilden. (18)

Darüber hinaus werden in mehreren Modellprojekten derzeit unterschiedliche Konzepte für den Umgang mit Männergewalt gegen Frauen getestet. Angestoßen wurden diese Überlegungen durch die US-amerikanische Diskussion und dortige Praxiserfahrungen mit einer veränderten Polizeiintervention in Verbindung mit einer gerichtlichen Sanktionierung der Gewalttat und sog. Tätertrainings. Das bekannteste dieser Projekte ist wohl das ‚Domestic Abuse Intervention Project‘ (DAIP) aus Duluth, Minnesota. In Deutschland wird u.a. in Passau und Augsburg mit dem Modellprojekt ‚Gewalt im sozialen Nahraum‘, in Kiel mit dem ‚Kieler Interventions-Konzept‘ (KIK) und in Berlin mit dem ‚Berliner Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt‘ (BIG) ein solcher multi-agency-Ansatz erprobt. Zentrale Anliegen der beiden letztgenannten Projekte sind zum einen die (straf-)rechtliche Sanktionierung von Männergewalt gegen Frauen und Kinder, eine Unterstützung und Beratung für die von Männergewalt betroffenen Frauen und eine Kooperation zwischen verschiedenen staatlichen und nichtstaatlichen/autonomen Stellen: So sitzen hier u.a. VertreterInnen von Polizei, Staatsanwaltschaft, Innen-, Justiz- und Frauensenat/-ministerium zusammen mit Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern, Frauenberatungsstellen und -notrufen an einem ‚Runden Tisch‘. (19)
Für den Bereich der polizeilichen Intervention haben sich die Projekte zum Ziel gesetzt, klare Richtlinien bzw. Handlungsanweisungen und ein koordiniertes Vorgehen zwischen den Beteiligten (Polizei, Frauenhaus, Staatsanwaltschaft usw.) zu entwickeln und in die Polizeiausbildung zu intergrieren. Während in Berlin die Umsetzung nur langsam vorwärts kommt, ist seit Oktober 1996 eine von KIK erarbeitete ‚Checkliste‘ zum Einsatzablauf bei der Polizeiinspektion Kiel in Kraft.

Außer acht lassen darf man jedoch keinesfalls die Eigendynamik, die die Diskussion um (häusliche) Männergewalt gegen Frauen und Kinder innerhalb der Polizei bekommt. So macht die Polizei z.B. keinen Hehl aus ihren Begehrlichkeiten, was die Sammlung von Informationen anbelangt. Die bayerische Beauftragte der Polizei für Frauen und Kinder, Christine Steinherr, wünscht sich eine „hartnäckige Registrierung aller Gewaltdelikte“ analog den Verkehrsordnungswidrigkeiten. (20) Für einen polizeilichen Sachbearbeiter, so Steinherr, seien die Gesamterkenntnisse über den Beschuldigten immer schon aufschlußreich gewesen und könnten auch für die Frage nach Haftanträgen eine Rolle spielen. Hier spätestens stellt sich die Frage, wohin die Reise gehen soll. Der Verweis auf die vermeintliche Gleichbehandlung mit anderen Delikten führt so unaufhaltsam in eine Spirale der staatlichen Repression und Prävention. Auch die mißhandelten Frauen wären davon betroffen. Steinherr motiviert ihre PolizeikollegInnen damit, daß jeder Hilferuf es der Polizei ermögliche, „auf rechtlich unkomplizierte Weise Wohnungen von Personen zu betreten, die aus den unterschiedlichsten Gründen ‚polizeilich interessant‘ sein können“. Leicht könnten betroffene Frauen dabei selbst ins Zentrum der polizeilichen Ermittlungen geraten; erinnert sei hier nur an die Problematik der Migrantinnen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus. Die Interessen von (mißhandelten) Frauen decken sich offensichlich nicht unbedingt mit denen bei Polizei und Justiz. Es ist daher Vorsicht und kritische Distanz geboten. Dennoch müssen Frauen vor Mißhandlungen geschützt werden. Wie Schutz und Intervention aussehen sollen, ohne sich dabei mit Scharfmachern in Politik und Polizei in ein Boot zu setzen, bedarf einer grundlegenden Diskussion.

Martina Kant ist Politikwissenschaftlerin und Mitarbeiterin der ‚Arbeitsgruppe Bürgerrechte‘ an der FU Berlin.
(1) Schwind, H.-D. u.a. (Hg.), Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt. Analysen und Vorschläge der Unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt, Bd. 1, Berlin 1990, S. 75 (2) Frehsee, D./Marth, D., Erster Zwischenbericht zum Forschungsbericht ‚Fortbildung für Polizeidienststellen im Bereich Gewalt gegen Frauen‘, Bielefeld 1991, S. 96ff. (3) Bergdoll, K./Namgalies-Treichler, C., Frauenhaus im ländlichen Raum (Schriftenreihe des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Bd. 198), Stuttgart 1987, S. 102 (4) Kant, M., Zwischen SchiedsrichterInnen und StrafverfolgerInnen. Eine Untersuchung des polizeilichen Umgangs mit häuslicher Gewalt gegen Frauen (unveröff. Diplomarbeit), Berlin 1996; soweit nicht anders gekennzeichnet, entstammen wörtliche Zitate dieser Arbeit. (5) Exemplarisch: Deutsche Polizei 8/74, S. 241ff. (6) Steffen, W./Polz, S., Familienstreitigkeiten und Polizei. Befunde und Vorschläge zur polizeilichen Reaktion auf Konflikte im sozialen Nahraum, München 1991, S. 95 (7) Deutsche Polizei 6/80, S. 28 (8) Schwind u.a., Ursachen, Prävention … (Bd. 2), S. 705 (9) Vgl. Bergdoll/Namgalies-Treichler, Frauenhaus …; Steffen/Polz, Familienstreitigkeiten …; Kant, M., Zwischen SchiedsrichterInnen … (10) Vgl. Clausen, G. Mißhandelte Frauen im Netz sozialer Hilfen in Hamburg, Hamburg 1981, S. 72 (11) Siehe: Kant, M., Zwischen SchiedsrichterInnen …, S. 22, 77 (12) Deutsches Polizeiblatt 2/83, S. 8 (13) Kant, M., Zwischen SchiedsrichterInnen …, S. 80 (14) Vgl. Deutsche Polizei 8/74, S. 242; Hagemann-White, C., u.a., Hilfen für mißhandelte Frauen (Schriftenreihe des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit, Bd. 124), Stuttgart 1981, S. 125 (15) ausführlicher in: Leviathan 2/96, S. 216 (16) Vgl. Feest, J./Blankenburg, E., Die Definitionsmacht der Polizei. Strategien der Strafverfolgung und soziale Selektion, Düsseldorf 1972, S. 100 (17) Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.), Lehrgangskonzeption für die Polizei zum Thema ‚Männliche Gewalt gegen Frauen‘, Bonn 1995 (18) Informationsgespräch v. 15.3.96 (19) Siehe: Information der Polizei Schleswig-Holstein 1/96, S. 16; Berliner Initiative gegen Gewalt gegen Frauen (BIG) e.V. (Hg.), Stellungnahme von BIG e.V. zum Modellvorhaben Berliner Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt, Berlin 1995 (20) Kriminalistik 12/95, S. 801