Telefonüberwachung in der Bundesrepublik- Verfahren geregelt und kaum beachtet

von Antonia Wirth

Mit insgesamt 8.112 durchgeführten Telefonüberwachungsmaßnahmen (TÜ-Maßnahmen) im Jahr 1996 (1) ist ein neuer Rekord aufgestellt worden. Im Zusammenhang mit strafrechtlichen Ermittlungsverfahren wurden damit die Telefongespräche von – hochgerechnet – ca. einer Million Telefonbenutzern abgehört. (2) Um den Eingriff in das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Grundgesetz) zu regeln, sind in der Strafprozeßordnung eine Reihe von Vorkehrungen getroffen worden, die – wenn sie von Staatsanwaltschaft und Polizei eingehalten werden – den in Gesetzesregelungen der jüngsten Zeit oft bemühten ‚Grundrechtsschutz durch Verfassungsregelungen‘ sicherstellen sollen. Die Tätigkeitsberichte verschiedener Datenschutzbeauftragter, die in den vergangenen Jahren die TÜ-Maßnahmen in abgeschlossenen Ermittlungsverfahren bei den Staatsanwaltschaften und der Polizei geprüft haben, lassen allerdings Zweifel an der Wirksamkeit dieser Regelungen aufkommen. (3)

Zu den in der Strafprozeßordnung (StPO) geregelten Verfahrensvorkehrungen zählt u.a. die richterliche Anordnung, der von der herrchenden Lehre eine besondere Filterfunktion gegen Mißbrauch zugewiesen wird. Der Richtervorbehalt funktioniert jedoch ähnlich wie Theaterkassen: Er verteilt „Eintrittskarten, ohne die Vorstellung zu kennen“. (4)

Einige Basisinformationen

Sofern nicht ‚Gefahr im Verzug‘ zugrunde gelegt wird und die Staatsanwaltschaft selbst die Überwachung des Fernmeldeverkehrs (für längstens drei Tage) anordnen kann, beantragt sie bzw. über sie die ermittelnde Polizei die Anordnung der Überwachung schriftlich beim zuständigen Amtsgericht. Der Antrag muß begründet sein und Namen, Anschrift des Betroffenen, eine genaue Bezeichnung der zu überwachenden Fernmeldeanschlüsse sowie die zur Durchführung der TÜ-Maßnahme erforderlichen Angaben wie Art, Umfang und Dauer enthalten. Erst wenn ein Gericht die Überwachung mit den genannten Angaben schriftlich angeordnet hat, darf abgehört werden. Die Höchstfrist für eine Abhörmaßnahme beträgt drei Monate, Verlängerungen durch jeweils weitere gerichtliche Anordnungen sind zulässig.

Der anordnende Amtsrichter kennt den Ermittlungsvorgang jedoch lediglich aus der Antragsbegründung der Staatsanwaltschaft. Die Ermittlungsakte wird ihm nicht vorgelegt; vom weiteren Fortgang des Ermittlungsverfahrens und vom Ausgang erhält er keine Kenntnis. Auch die Begründung gibt nichts her. Außer der stereotypen Formel, daß die Telefonüberwachung zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlich sei, weil andere Maßnahmen keine Aussicht auf Erfolg hätten, enthält sie keine Sachverhaltsfeststellungen. Das eigentliche Ermittlungsverfahren betreibt die Staatsanwaltschaft, die ihrerseits mit dem Abhören und Auswerten so gut wie nie etwas zu tun hat. Abhören und Auswerten ist die Aufgabe der Polizei.

Die praktische Durchführung einer TÜ liegt damit bei der Polizei. In mehreren Bundesländern sind dazu eigene Sachgebiete beim Landeskriminalamt (LKA) eingerichtet worden, welche die technisch-organisatorische Umsetzung von TÜ-Maßnahmen realisieren. Das Sachgebiet selbst betreibt keine eigenständigen Ermittlungen, sondern dient als technische Unterstützungseinheit für die von anderen Polizeidienststellen bzw. der Staatsanwaltschaft veranlaßten Überwachungen.

Während der ermittlungsführende Staatsanwalt für die Beantragung eines richterlichen Beschlusses einer TÜ-Maßnahme zuständig ist, stellt die Polizei die dazu erforderlichen Angaben zur Verfügung. Hierzu ersucht sie die Netz- und/oder Diensteanbieter um Auskunft über Namen bzw. Telefonnummer des zu überwachenden Anschlusses sowie – falls erforderlich – über die dem Anschluß zuzuordnenden Verbindungsdaten, die bei fortgeschrittenen Ermittlungen ebenso beweiskräftig sein können wie tatsächlich abgehörte Telefongespräche.
Aufgezeichnet werden die überwachten Telefongespräche parallel auf einem Arbeits- und einem Beweisband. Der zuständige Ermittlungsbeamte erhält entweder täglich das Arbeitsband mit den aufgenommenen Telefongesprächen oder er wird zumindest über den aktuellen Stand des Abhörvorgangs informiert. Mit Beginn der Überwachungsmaßnahme wird zudem eine TÜ-Akte angelegt, die nach deren Abschluß zusammen mit den Beweisbändern an den Ermittlungsbeamten geht. In einer weiteren Akte, der sog. Arbeitsakte, werden die durch die Anfrage bei den Netzbetreibern entstandenen schriftlichen Unterlagen, die einer TÜ-Maßnahme zugeordnet werden können, abgelegt.

Vernichtet wird nichts

Die durch die TÜ-Maßnahmen erlangten Unterlagen sind unverzüglich zu vernichten, wenn sie zur Strafverfolgung nicht mehr erforderlich sind, legt die Strafprozeßordnung in schöner Eindeutigkeit fest. Als zu vernichtende Unterlagen kommen neben den Niederschriften in Form von wörtlichen Wiedergaben bzw. inhaltlichen Zusammenfassungen von Telefongesprächen auch die Berichte der Polizei in Betracht, soweit sie wörtliche Zitate aus abgehörten Telefongesprächen oder inhaltliche Wiedergaben von Sachverhalten enthalten, die bei der Telefonüberwachung bekannt wurden. Unter das Vernichtungsgebot fällt auch beweiserhebliches Material, wenn es durch andere Beweismittel bestätigt worden ist. Vor der Vernichtung muß geprüft werden, ob in den Unterlagen lediglich Erkenntnisse über Katalogstraftaten (Straftaten, bei denen gem. § 100 a StPO Telefonüberwachungsmaßnahmen angeordnet werden dürfen) vorliegen oder ob sie auch Erkenntnisse über andere – also Nicht-Katalogstraftaten – enthalten. Während Erkenntnisse über Katalogstraftaten auch in anderen Verfahren ohne Einschränkung benutzt werden dürfen, unterliegen letztere einem Beweisverbot. Sie dürfen lediglich als Grundlage für weitere Ermittlungen genutzt werden. Analoges gilt auch für die Nutzung in einem anderen Strafverfahren. Soweit die bei einer TÜ angefallenen Erkenntnisse Katalogstraftaten betreffen, unterliegen sie keinem Verwertungsverbot und dürfen auch in einem Ermittlungserfahren gegen andere als die von der richterlichen Anordnung der TÜ-Maßnahme Betroffenen benutzt werden.

Gegen das strikte Zweckbestimmungsgebot wird allerdings oft verstoßen. Immer wieder werden die Erkenntnisse über Nicht-Katalogstraftaten in Form einer wörtlichen oder inhaltlichen Niederschrift des Telefonats, einschließlich der personenbezogenen Daten des/der von der Telefonüberwachung Betroffenen, in anderen Ermittlungsverfahren genutzt, an andere Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften übermittelt und somit aufbewahrt statt unverzüglich vernichtet.

Ebenso wird mit sog. Raumgesprächen verfahren, die mitaufgezeichnet werden, wenn das Telefon nicht richtig aufgelegt wurde oder die Verbindung nicht zustande kam. Raumgespräche werden von der Abhörbefugnis gem. § 100 a StPO jedoch nicht erfaßt. Sie dürfen daher nicht abgehört, ausgewertet oder sonstwie genutzt werden. Die Polizei müßte sie also auf ihrem Arbeitsband kennzeichnen und sperren.
Das gilt auch für Gespräche mit erkennbar Unbeteiligten und Rechtsanwälten, Ärzten oder ähnlichen Personen. Trotz einschlägiger gegenteiliger Gerichtsentscheidungen werden auch solche Gespräche abgehört, ausgewertet und finden in Form inhaltlicher oder wörtlicher Wiedergaben Eingang in die Ermittlungsakten.

Während die Arbeitsbänder von den ermittelnden Polizeibeamten abgehört und ausgewertet werden, dienen die Beweisbänder als unmittelbares Beweismittel in der gerichtlichen Hauptverhandlung und werden bis dahin versiegelt und unberührt aufbewahrt. Nach einer Verfahrenseinstellung bzw. nach dem rechtskräftigen Abschluß des Gerichtsverfahrens müssen alle Bänder unverzüglich vernichtet werden. Doch wird auch dieses Gebot selten beachtet. Oft vergehen zwischen Abschluß und Vernichtung mehrere Monate.

Die Vernichtung der Beweis- bzw. Arbeitsbänder und der übrigen Unterlagen hat in Gegenwart eines Staatsanwaltes zu erfolgen. Über die Vernichtung ist anschließend ein Protokoll anzufertigen, das sowohl der Staatsanwalt wie auch der Beamte, der die Vernichtung durchführt, unterschreiben müssen. Diese Protokollformulare sind jedoch so dürftig, daß daraus nicht zu ersehen ist, welche Datenträger (Bänder bzw. Papierunterlagen) in welchem Umfang und auf welche Weise vernichtet worden sind. Hinzu kommt, daß sie in vielen Fällen schlampig ausgefüllt oder nicht zu den Akten genommen werden.

Mitteilung an die Betroffenen – eher die Ausnahme

Nach der geltenden Gesetzeslage sind die Beteiligten von der Staatsanwaltschaft zu informieren, daß ihr Telefon abgehört worden ist. Eine Benachrichtigung über eine solche Abhörmaßnahme kann nur unterbleiben, solange durch ihr Bekanntwerden eine andere Person oder die öffentliche Sicherheit gefährdet würde. Kommt es zu einem Strafprozeß, so ist davon auszugehen, daß die Mitteilung über eine TÜ-Maßnahme spätestens während der Gerichtsverhandlung erfolgt. Anders verhält es sich jedoch, wenn das Verfahren durch die Staatsanwaltschaft eingestellt wird. In solchen Fällen bedarf es ausdrücklich einer nachträglichen schriftlichen Benachrichtigung. Diese unterbleibt jedoch in der Mehrzahl aller Fälle.

Während ein Beschuldigter also erfährt, daß sein Telefon überwacht wurde, bleibt ein Tatverdächtiger ahnungslos, wenn die Staatsanwaltschaft nicht informiert. Eine Benachrichtigung anderer Gesprächspartner – der sog. übrigen Beteiligten – erfolgt erst recht nicht. So kommt es, daß in Deutschland jedes Jahr zigtausende von Menschen abgehört werden – nur erfahren sie es nicht.

Antonia Wirth ist freie Journalistin in Würzburg
(1) BT-Drs. 13/7341 v. 26.3.97; siehe: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 50 (1/95), S.79 (2) Süddeutsche Zeitung v. 16.4.97 (3) Der Landesbeauftragte für den Datenschutz Rheinland-Pfalz, 15. Tätigkeitsbericht 1995; Der Hamburgische Datenschutzbeauftragte, 14. Tätigkeitsbericht 1995; Der Landesbeauftragte für den Datenschutz Niedersachsen, 12. Tätigkeitsbericht 1995; Der Landesbeauftragte für den Datenschutz Brandenburg, 5. Tätigkeitsbericht 1997 (4) Süddeutsche Zeitung v. 16.4.97