Private Sicherheitsdienste in Argentinien – Sicherheit auch nicht für Reiche

von Gabriele Weber

Wer in den südlichen Breitengraden des Kontinents zu Hause ist, der kennt sie: die freundlichen Herren, die schüchtern klingeln und dann etwas von „Kinderkrippe“ oder „Pensionswerk“ murmeln. Gemeint sind die Polizisten des nächsten Kommissariats, die bei ihren Schutzbefohlenen um eine kleine Spende bitten – und meist gibt es für den Obulus sogar eine Quittung. Wer zur Kasse gebeten wird, ’spendet‘ immer. Man weiß um die niedrigen Gehälter und will es sich mit den Ordnungshütern nicht verscherzen. Es ist ein offenes Geheimnis, daß Polizisten als Hinweisgeber und ‚Wegseher‘ nicht nur regelmäßig geschmiert werden, sondern daß einige dieser Banden ausschließlich aus Uniformierten bestehen. Sie wissen, wo etwas zu holen ist, laufen mit einem verführerischen Schießeisen herum und verfügen über ausreichendes Know how und kriminelle Energie. Kein Wunder also, daß sich die Reichen des Kontinents nicht mehr vom Staat „beschützt“ fühlen.

Beispiel Argentinien: In dem Land, das sich selbst als „europäisch“ charakte-risiert, machen 800 eingetragene private Sicherheitsfirmen einen jährlichen Umsatz von ca. 600 Millionen Dollar. Hinzu kommen schätzungsweise 400 weitere Firmen, die ohne Steuern und Sozialabgaben Söldnerdienste anbie-ten. Insgesamt widmen sich im Großraum von Buenos Aires über 60.000 Männer dem Schutz von Hab und Gut, das sind ca. 25.000 mehr, als bei Va-ter Staat in Lohn und Brot stehen. Als Privatgendarmen untergekommen sind auffällig viele frühere Militärs, gegen die wegen Menschenrechtsverletzun-gen ermittelt worden war und die dank der Amnestiegesetze straffrei ausge-gangen sind. Ihr Warenzeichen ist „hartes Durchgreifen“. Ein privater She-riff bringt es im Monat umgerechnet auf weit über 1.000 DM, sein Teamlei-ter auf das Doppelte. Ein Polizist kommt gerade auf 450,– DM. Dabei ist Buenos Aires zur Zeit, nach Tokio, die zweitteuerste Stadt der Welt.

Das Geschäft boomt, dank großer Nachfrage und stabilen Tarifen: Die Bewachung durch zwei Bewaffnete samt Fahrzeug kostet, alle Versicherungen ein-geschlossen, 46 Dollar pro Stunde; ein karategeübter und auf unvorhergesehene Situationen trainierter Leibwächter mit Handfeuerwaffe und Funkverbindung zu einem mobilen Einsatzfahrzeug ist für sechs Dollar die Stunde anzuheuern.

Leben im Country-Club

Country-Clubs sind Hochsicherheits-Landsitze für das Wochenende. Auf einem weitläufigen Gelände, von der feindlichen Umgebung durch einen hohen Zaun abgeschirmt, stehen Wochenendhäuschen, meist gediegene Einfamilienbauten mit Fachwerk, Gärtchen, Hundehütte und hier und da einem Gartenzwerg. Am Eingang hebt sich für Besucher die Schranke nur, wenn sie von einem Country-Mitglied ausdrücklich eingeladen sind. Bewaffnete Wächter drehen die Runde. Hinter dem Stacheldraht liegen Swimmingpools, Hallenbäder, Tennisplätze, Golfanlagen, Fußballplätze, Baskettballfelder und ein Clubhaus mit Restaurant.

Die Bewachung eines „Countries“ mit 50 Hektar erfordert tagsüber drei Mann und nachts fünf, samt Walkie-talkie, Jeep und schwerer Bewaffnung; das macht 2.500 Dollar monatlich pro Country. Wer dazu noch Wert auf einen Schäferhund legt, muß 80 Dollar zusätzlich auf den Tisch legen, Futter wird extra berechnet.

Längst betrachten viele der Bewohner – darunter schon mittlere Verdiener wie Anwälte, Ärzte und Bankangestellte – die Countries nicht mehr als Luxus, sondern als Notwendigkeit, besser gesagt, als notwendiges Übel. Im Großraum von Buenos Aires, so hat eine Umfrage ergeben, sind von 100 Bürgern 41 Opfer von bewaffneten Überfällen gewesen, bei 40 wurde eingebrochen, 17 das Auto gestohlen. Vorbei sind die idyllischen Zeiten, in denen ein breiter Mittelstand für solide soziale Verhältnisse sorgte. Noch in den siebziger Jahren wohnten in den Vorstädten von Buenos Aires Akademiker und Selbständige Gartenzaun an Gartenzaun neben den einfachen Häuschen, die sich die Fabrikarbeiter in Eigenarbeit oder mit einem kleinen Kredit der Bausparkasse errichtet hatten. Über alle Klassenunterschiede hinweg kannte man sich im Stadtteil und hielt gegen Fremde zusammen.

Mit der Militärdiktatur 1976 öffnete sich die soziale Schere. „Die Mittel-klasse verschwand, und die Einkommensunterschiede zwischen Selbständigen und einer Handvoll hoher Angestellter und Bürokraten auf der einen Seite und Arbeitern und kleinen Beamten auf der anderen klettern unaufhörlich“, heißt es in einer UNICEF-Studie. Während 1975 52,5 % des Volksvermögens auf die Unternehmer entfiel, waren es drei Jahre später 72,9 und heute, nach fast zehn Jahren neoliberaler Demokratie, sind es sogar 77,8 %. Von ihren schmalen Löhnen konnten Arbeiter nichts mehr zurücklegen, und die Bausparkasse ist restlos pleite. Heute ist der Traum von den eigenen vier Wänden, mögen sie auch noch so bescheiden sein, für die große Masse des Volkes ausgeträumt. Von 33 Millionen Argentiniern verfügen nur fünf Millionen über eine – zum Teil ansehnliche – Kaufkraft, die mit europäischen Verhältnissen vergleichbar ist. Der Rest lebt von der Hand in den Mund. Die wohlhabenden Viertel wurden zu Inseln, umzingelt von einem Meer der Slums.

So wurde die Zufahrt zu den gesicherten Countries für ihre Nutzer zu einem der Hauptprobleme. Man hat es vor allem auf die Fahrzeuge abgesehen. In den letzten fünf Jahren stieg der Autodiebstahl um 700 %. 60 % aller Neuwagen, schätzen die Versicherungen, wechseln auf diese Weise im ersten Jahr den Besitzer. Viele Millionäre haben sich daher von ihrer lateinamerikanischen Unart verabschieden müssen, mit ihrem Reichtum zu protzen. Heute ist kaum noch einer so verwegen, sich in eine glitzernde Luxuslimousine zu setzen. Das Motto heißt: je schäbiger und älter das Modell, umso sicherer fühlt sich der Fahrer. Manchmal werden aus Tarnungsgründen sogar unter rostige Hauben potente Motoren eingebaut. Doch inzwischen hat sich der Trick herumgesprochen, und die „Asphalt-Banditen“ machen gezielt Jagd auf verbeulte Wagen.

Besonders berüchtigt ist die Landstraße Nr. 8, die von etlichen Countries – vorbei an Blech- und Holzhütten – ins Stadtzentrum führt: Immer wieder kommt es vor, daß die Slum-Bewohner, wie mittelalterliche Wegelagerer, Wegzoll verlangen. Kenner der Lage empfehlen, nur in der Kolonne das bewachte Gelände zu verlassen. Die neuen exklusiven Vergnügungsanlagen an der Uferstraße der Hauptstadt – der „Carasco-Park“ und „Saint Tropez“ – haben dieses Problem nun überzeugend gelöst: ein privater Sicherheitsdienst fliegt die Kunden per Hubschrauber aus den Countries in die umzäumten Parks ein.

Gangster in Uniform

Doch die Bedrohung durch die Massen der Habenichtse findet mehr in den Köpfen statt als in der Realität. Denn meist sind es gar nicht die Ärmsten der Armen, die mit Raub und Diebstahl einem „individuellen Klassenkampf“ – so die Zeitschrift ‚Noticias‘ – Ausdruck verleihen. Den Slumbewohnern fehlt für einen Angriff auf die Bunker der Bourgeosie die notwendige Infrastruktur und die entsprechenden Finanzmittel. Die Entführung eines Industriellen erfordert bis zur Übergabe des Lösegeldes einen Kapitaleinsatz von mindestens 150.000 DM. Da haben Familiengangs nichts mehr zu suchen, da sind ausgefeilte Mafia-Strukturen gefragt.

„Die Überfälle auf die Reichen werden in erster Linie nicht von den völlig Mittellosen ausgeführt“, glaubt die Soziologin Maria del Carmen Feijoo, „meist handelt es sich bei den Tätern um parapolizeiliche Kräfte oder Angehörige der Sicherheitsdienste. Die Armen hüten ihre Arbeitsplätze, weil Reiche und Arme sich wie im Mittelalter gegenseitig ergänzen. Der Leibeigene brauchte den Herrn. Er entwendete vielleicht ein paar Strümpfe, Scheuerpulver, ein Stück Seife oder etwas Kaffee. Aber das versetzt die wohlhabende Klasse nicht in Angst und Schrecken. Was sie besorgt, sind die alltägliche Bedrohung in ihrem Heim und die zum Teil gewalttätigen Überfälle auf der Landstraße. In diesen Fällen ist der Feind nicht klar außerhalb ihrer Lebenssphäre angesiedelt, sondern er ist unverzichtbarer Teil von ihr.“

Esteban Reynal hat dies am eigenen Leib erfahren. Der 41jährige Unternehmer war von der Rückfahrt aus dem Country Tortuguitas von Unbekannten überfallen worden. Er hatte Glück im Unglück, die Räuber hatten es ’nur‘ auf seine Brieftasche abgesehen. Als er im nächsten Polizeirevier eine Strafanzeige erstatten wollte, erlebte er eine Überraschung: an der Schreibmaschine saßen die beiden Täter, in Uniform. Zwar wurde nach diesem Skandal das gesamte Revier gesäubert, aber die Polizisten befinden sich immer noch auf freiem Fuß. „Die Versetzung in bestimmte Gegenden werden polizeiintern verlost“, glaubt Reynal.

Kommissar Pedro Anastasio Klodczik, Polizei-Chef der Provinz Buenos Aires, widerspricht den Vorwürfen nicht grundsätzlich: „Es laufen gegen 1.520 Kollegen Disziplinarverfahren, wobei die Betroffenen vom Dienst suspendiert worden sind, solange die Ermittlungen laufen. 179 Polizisten wurden rausgeworfen und 412 verhaftet“. Aber, so wirft der Kommissar ein, auf der anderen Seite sterbe alle zwei Wochen einer seiner Männer im Einsatz. 15.000 Planstellen seien nicht besetzt, und die öffentliche Verwaltung mache keine Anstalten, seine Leute besser auszurüsten.

Auch Nachbarschafts-Initiativen sind bisher nicht von Erfolg gekrönt, sie verschlimmern lediglich das allgemeine Klima. Nächtliches Wacheschieben und Bürgerwehren brachten ebensowenig dauerhaften Schutz wie das Geldsammeln für einen Dienstwagen für das nächste Revier. In La Horqueta zum Beispiel erhielten die amtlichen Ordnungshüter von den Nachbarn alles, was der Staat nicht mehr zur Verfügung stellt: ordentliche Dienstkleidung, Fahrzeug, Funktelefon. Sogar das Revier wurde in den Abendstunden freiwillig renoviert und eingerichtet. Trotzdem gingen die Diebstähle weiter, und jedesmal, wenn geklaut wurde, war der gespendete Dienstwagen zufällig gerade an Kollegen „verliehen“.
Alejandro Madero hat längst resigniert. Trotz aller Vorsorgen der letzten Jahre wurde er in La Horqueta sieben Mal bestohlen. Daß immer mehr angesehene Bürger sich Waffen anschaffen und zur Lynchjustiz greifen, hält er für „besorgniserregend“, aber von den privaten Sicherheitsdiensten hält der Architekt wenig: „deren Wächter sind die schlimmsten von allen“. Von einem Umzug in einen gut bewachten Country hält der 52jährige deshalb wenig. Auch unter den dortigen Sheriffs seien viele „schwarze Schafe“, die sich ausrechnen können, daß sie mit einer Entführung mehr verdienen als mit der anstrengenden Bewachung. Und befinden sich unter den neuen Bewohnern der Countries nicht immer mehr Nachbarn, die als Berufsbezeichnung „ehemaliger Polizist“ angeben? Im Streifendienst werden die wohl kaum die Pesos für den Einkauf in den architektonischen Bunker verdient haben!

Obwohl viele Opfer Delikte gar nicht mehr anzeigen, weil sie sowieso nicht verfolgt werden, explodiert die Kriminalstatistik. Während in den wohlha-benderen Stadtvierteln vor allem Eigentumsdelikte an der Tagesordnung sind, werden im armen Süden der Hauptstadt vor allem Kapitalverbrechen verübt. Innerhalb der Slums hat bisher keine soziale Kraft für die Einhaltung gewisser Regeln sorgen können oder sorgen wollen – etwa wie in Brasilien die Rauschgiftmafia. In Argentinien sind die Armen jeglichen Schutzes beraubt. Raub, Vergewaltigung und das Einfordern von Erpressungsgeldern zeigt hier niemand an. Die Polizei betritt diese Viertel schon lange nicht mehr, es sei denn in großangelegten, paramilitärischen Aktionen, mit Panzern, Hubschraubern und Vollsperrungen. Gerade in den Slums sind es wieder die Uniformierten, die mit den lokalen Syndikatsfürsten unter einer Decke stecken und die Hand aufhalten. Gegen diese Mischung helfen keine privaten Schutzleute, nicht einmal um ein subjektives Gefühl von Sicherheit zu vermitteln.

Gabriele Weber lebt und arbeitet als freie Korrespondentin in Montevideo, Uruguay.