Rechte Spitzel des Verfassungsschutzes – Nicht nur in Thüringen

von Christoph Ellinghaus

„Hinsichtlich der als V-Mann anzuwerbenden Personen gibt es kaum rechtlich verbindliche, die eine oder andere Personengruppe … ausschließende Kategorien.“ So heißt es in einem führenden Kommentar zum Recht der Nachrichtendienste.[1] Dessen Autor, Helmut Roewer, wurde im Juni vom Posten als Chef des Thüringer Verfassungsschutzes suspendiert. Das Amt – so ein Bericht des ZDF-Politmagazins Kennzeichen D vom 7. Juni – hatte über Jahre hinweg den Neo-Nazi Thomas Dienel als V-Mann geführt.

Wie Innenminister Christian Köckert (CDU) am Tage nach der Kennzeichen D-Sendung bestätigte, hat Dienel 1996-97 insgesamt 25.000 DM Honorar für die Informationen erhalten, die er dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) bei rund 80 Kontakten lieferte. Dienel selbst ließ verlauten, das Geld, das er stets als Spende verstanden habe, u.a. für die Herstellung von Propagandamaterial der rechtsextremen Szene verwendet zu haben. Darüber hinaus habe er Informationen über Polizeieinsätze und Ermittlungen der Staatsanwaltschaft erhalten. Man habe ihm auch Unterstützung bei laufenden Gerichtsverfahren zugesichert.

Wie bei Geheimdienstaffären üblich wurde die eigentliche Debatte ins Dunkel der Parlamentarischen Kontrollkommission abgeschoben. Der Auseinandersetzung in einer öffentlichen Landtagssitzung konnte sich der CDU-Innenminister zwar entziehen. Angesichts des öffentlichen Drucks sah er sich jedoch noch am Tage nach der Sendung gezwungen, LfV-Präsident Roewer „bis zur Klärung aller Vorwürfe“ zu beurlauben. Köckert erklärte die Suspendierung mit einer langen Reihe von „Pannen, Indiskretionen und internen Auseinandersetzungen“. Dienels Einsatz sei nicht Ursache, sondern nur Anlass gewesen.[2]

Roewer, der zuvor in der Verfassungsschutz-Abteilung des Bundesinnenministeriums tätig gewesen war, hatte seinen Job als Präsident des Thüringer LfV 1994 angetreten. Sein Vorgänger Harm Winkler war dem Innenministerium offenbar zu liberal gewesen. Unter CDU-Innenminister Köckert, der nach den Wahlen 1999 sein Amt antrat, hatte der LfV-Chef „freie Hand und mein volles Vertrauen“.[3] Im Sommer 1999 beurlaubte Roewer den LfV-Referatsleiter Rechtsextremismus. Der Mann, der gleichzeitig als Personalrat aktiv war, setzte sich gegen den de facto Rausschmiss gerichtlich und öffentlich zur Wehr. Das Ergebnis des Verfahrens steht noch aus. Auch Innen-Staatssekretär Manfred Speck unterlag im Machtkampf mit dem LfV-Präsidenten und musste im April dieses Jahres abtreten.

Thüringer Einäugigkeit

Hart gegen links, insbesondere gegen antifaschistische und antirassistische Bündnisse, verharmlosend gegen die extreme Rechte – so lässt sich die Linie zusammenfassen, der das LfV in den sechs Jahren unter Roewers Führung folgte. Neben der Gewinnung von Informationen durch „nachrichtendienstliche Mittel“ – Observationen, Überwachungen und der Einsatz von Spitzeln – ist es vor allem die Erarbeitung von Dossiers und deren gezielte Weitergabe gewesen, die das Vorgehen gegen die Linke prägten. Was das heißt, zeigte sich sehr deutlich im Oktober 1997 an den Vorgängen rund um die schließlich verbotene antifaschistische Demonstration in Saalfeld. Im Vorfeld der Demonstration hatte das LfV Politiker, Medien und Versammlungsbehörden gezielt mit denunziatorischen Informationen über die OrganisatorInnen versorgt und damit die Grundlage für das Verbot geliefert. Das breite Bündnis aus Gewerkschaften, PDS, Grünen und Autonomen – ein Ergebnis jahrelanger kontinuierlicher antifaschistischer Arbeit in Thüringen – erschien dem Amt offenbar als die größte Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Lande. Es ließ sich weder durch Verbote noch durch ausgrenzende Angebote der SPD spalten. Die Demonstration fand dennoch statt, allerdings unter massivem Polizeieinsatz. Die von der CDU und großen Teilen der SPD betriebene Trennung in Böcke und Schafe, in böse Autonome und couragierte BürgerInnen war nicht möglich. Die zum Kernbestand der staatsschützerischen Ideologie zählende Vorstellung von der verfassungsfeindlichen Unterwanderung und Beeinflussung demokratischer Organisationen wurde massiv in Frage gestellt.

Roewer, der in einem Referat im LfV am 13. März dieses Jahres Faschisten und Antifaschisten als „siamesische Zwillinge“ bezeichnet hatte, musste auch nach Saafeld alles daran setzen, diese öffentliche Infragestellung aus der Welt zu schaffen. Das wichtigste Instrument hierfür waren die Berichte, die das LfV monatlich an Behörden und Einzelpersonen verschickt. Im März 1998 wurde dem DGB-Bildungswerk Thüringen ein Auszug aus einem solchen Bericht zugespielt. Informiert wird darin über eine Demonstration zur Unterstützung der Rechte von Flüchtlingen, bei der die stellvertretende DGB-Landesvorsitzende und der Probst des evangelischen Kirchenkreises Erfurt Ansprachen gehalten hatten. Die Anmelderin der Demo, eine Mitarbeiterin des DGB-Bildungswerks Thüringen, wird darin mit vollem Namen und in ihrer Funktion als Mitglied des Thüringer Flüchtlingsrats genannt. Gegenüber der eingeschalteten Landesdatenschutzbeauftragten rechtfertigte das LfV diese Berichterstattung damit, dass an der Demo auch Autonome teilgenommen hätten.

Seit wann diese Berichte erscheinen, ist nicht bekannt. Auch die Auswahlkriterien für BezieherInnen und die Auflage sind unklar. Zum Adressatenkreis zählen aber mit Sicherheit Versammlungsbehörden, BürgermeisterInnen, Polizeidienststellen, MedienvertreterInnen und Personen des öffentlichen Lebens, die für wichtig genug erachtet werden, regelmäßig durch das LfV unterrichtet zu werden. Die Funktion der Berichte besteht sowohl in der konkreten Denunziation als auch in der Legitimation der eigenen Tätigkeit. Die Postille transportiert Staatsschutzideologie, sie warnt gesellschaftlich wichtige Stellen vor den „Feinden der Demokratie“. Gleichzeitig präsentiert sie sich als Element der „neuen Transparenz“, mit der die VerfassungsschützerInnen ihr Schlapphut-Image aufpolieren möchten. Die Berichte des LfV gewähren einen Einblick in die Denkweisen des Amtes und seines Präsidenten. Einerseits werden nahezu alle linken politischen Aktionen aus den Bereichen Atom, Krieg/Frieden, Antifa, Flüchtlinge, Soliarbeit präsentiert. Nach wie vor wird selbst über kleinste Organisationen minuziös berichtet. Im Jahresbericht 1997 des LfV wurden im Bereich Linksextremismus in der Rubrik Anti-Atom-Bewegung auch die Grünen als Unterstützer und die DGB-Jugend als Anmelder einer Anti-AKW-Demonstration genannt und damit in eine „linksextremistische“ Ecke gestellt.[4] Andererseits begrenzt sich das Wahrnehmungsfeld im rechten Bereich größtenteils auf Parteien, Skin-Musik und Kameradschaften. Übergänge zur konservativen Politik, wie z.B. in den Burschenschaften, fanden erst Eingang, nachdem antifaschistische Gruppen ihre eigenen Recherchen öffentlich gemacht hatten.

Im Februar 2000 geriet das LfV in die Schlagzeilen, als kurdische Flüchtlinge aufdeckten, dass sie von Mitarbeitern des Amtes unter Druck gesetzt worden waren. Sollten sie nicht bereit sein, Informationen über die Arbeit der PKK an den Verfassungsschutz zu liefern, würde dies negative Auswirkungen auf ihren Aufenthaltsstatus haben.[5]

In der Zeit von Ende 1999 bis Mai 2000 mehrten sich in Thüringen rechte Aufmärsche. Die Polizeiführungen unterschätzten in vielen Fällen die Zahl der TeilnehmerInnen. In ungewohnter Öffentlichkeit machten daraufhin hohe Polizeibeamte ihrem Unmut über die fehlenden oder falschen Einschätzungen des LfV Luft. Offenbar hat die Konzentration des Amtes auf die Linke und seine unter Roewer klar manifestierte ideologische Ausrichtung zu einem langfristigen Beobachtungsdefizit im Bereich des Neofaschismus geführt. In dieser Linie stand offenbar auch die Erklärung des Innenministeriums, der Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge könne auch von linken Tätern verübt worden sein.[6]

Zu den ausgewählten Beobachtungsobjekten des LfV zählen insbesondere diejenigen innerhalb der Linken, die für eine Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Strömungen stehen. Gewerkschafter, wie der Landesvorsitzende der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), Angelo Lucifero, finden ebenso immer wieder Erwähnung, wie der Jenaer Stadtjugendpfarrer Lothar König. Die Junge Gemeinde (JG) in Jena, die sich konsequent gegen Neofaschismus positioniert und wiederholt von Neo-Nazis angegriffen wurde, ist aktuelles Beispiel für die denunziatorische Arbeit des LfV. Schon 1998 hatte das Amt den DGB-Kreis Ostthüringen vor einem Straßentheaterstück der JG, das die Gefährlichkeit von Neo-Nazis eindrücklich darstellt, gewarnt und – vergeblich – von einer Zusammenarbeit mit der JG abgeraten. Am 30. Mai 2000 stellten Roewer und Köckert in Jena einen Film über Extremismus in Thüringen vor, der im Auftrag des „Heron“-Verlags und von Reyk Seela (CDU-MdL) bei Jena-TV erstellt worden war. Als Beispiel für Rechtsextremismus wird darin die NPD, für Linksextremismus die Junge Gemeinde (JG) Jena genannt. Der Landesjugendring forderte die Landesregierung in einem offenen Brief auf, den Film wegen dieser Gleichsetzung nicht zu verbreiten.
Der NPD gelingt es seit zwei Jahren, einen rasanten Zulauf aus militanten nationalen Kameradschaften und Thüringer Heimatschutz in sich zu bündeln. Sie hat sich zur mobilisierungsstärksten Kraft im neofaschistischen Spektrum entwickelt. Im April stellte die Kameradschaft Gera den Steckbrief eines Gewerkschafters mit Fotos ins Internet, im Mai kam der Steckbrief des Stadtjugendpfarrers aus Gera hinzu. In derselben Woche verteilte die Kameradschaft Eisenach Flugblätter („Achtung Linksextremist“) gegen einen Gewerkschafter. Im Juni tauchten im Stadtbild von Gera „Spuckis“ mit dem Bild des Geraer Gewerkschafters auf. Zwei Tage nach der Vorab-Veröffentlichung des genannten Films und der Berichterstattung der örtlichen Presse, am Himmelfahrtstag, wurde die Junge Gemeinde von ca. zehn rechten Jugendlichen überfallen. Der Jugendpfarrer erlitt durch gezielten Schläge und Tritte gegen den Kopf eine Gehirnerschütterung. Die Denunziationen des LfV haben nicht nur ihre Wirkung auf staatliche Behörden, sie stellen gleichzeitig eine konkrete Gefährdung der auf diese Weise gebrandmarkten dar. Auch nach Roewers Suspendierung setzt das LfV die Monatsberichte fort, im Bericht vom Mai fehlte allerdings das Vorwort des Präsidenten.

Unsicher ist hingegen die Zukunft des gegenüber der Thüringer CDU-Parteizentrale residierenden „Heron“-Verlags, an dem Roewer einige Anteile halten soll. Der Verlag hat gute Geschäfte mit dem LfV gemacht. Von den Titeln der Reihe „In guter Verfassung – Erfurter Beiträge zum Verfassungsschutz“ waren beträchtliche Teile der Auflage vom Amt selbst aufgekauft worden.[7]

Rechtsextreme V-Leute – keine Thüringer Spezialität

Thomas Dienel ist nicht der erste Verfassungsschutz-Spitzel in der rechten Szene, der „aus dem Ruder läuft“. V-Leute, die die rechtsextremen Gruppen, über die sie dann Berichte schrieben, erst aufbauten, und Rechtsextreme, die zum Schein als V-Leute arbeiteten, durchziehen die Geschichte des deutschen Inlandsgeheimdienstes seit den 70er Jahren.[8]

Ende der 70er Jahre bastelte der V-Mann des niedersächsischen Verfassungsschutzes Hans Dieter Lepzien selbst die Bomben für die Attentate der in Niedersachsen operierenden „Gruppe Otte“. Lepzien war ebenfalls Mitglied der NSDAP/AO. In letzterer war auch Werner Gottwald aktiv, der bis Ende 1980 für das niedersächsische LfV als V-Mann diente. Als solcher nahm er nicht nur an der Gründung der NSDAP/AO teil, sondern besorgte für diese auch Waffen.

Norbert Schnelle, zunächst Mitglied der NPD-Jugendorganisationen „Junge Nationaldemokraten“ (JN), dann der „Nationalistischen Front“ (NF), war von 1983-1985 V-Mann des nordrhein-westfälischen LfV. Er war beteiligt an mehreren Straftaten und warnte seine Kameraden vor Hausdurchsuchungen. Für seine wertlosen Informationen erhielt er 14.400 DM, von denen er und NF-Chef Meinolf Schönborn ihre Parteiarbeit mitfinanzierten. In der Emdener „Kampfgemeinschaft Nationaler Sozialisten“, so ergab ein Prozess vor dem Landgericht Aurich 1984, agierte ein V-Mann des niedersächsischen LfV namens Joachim Apel. Er beteiligte sich nicht nur an der Propaganda-Arbeit, sondern besorgte Waffen und half bei Brandanschlägen.[9]

In Witten stellte sich 1988 Andreas Szypa (FAP) dem nordrhein-westfälischen LfV als V-Mann zur Verfügung. Er hatte dafür grünes Licht von zwei Funktionären seiner Partei erhalten, der er vor Beginn die Abführung der Hälfte seiner Honorare garantiert hatte. Bernd Schmitt, V-Mann des LfV in NRW, baute Anfang der 90er in Solingen den „Deutschen Hochleistungs-Kampfkunstverband“ auf, in dem auch die rechtsextremen Attentäter von Solingen verkehrten, und übernahm den Saalschutz für die „Deutsche Liga“ in Köln. Michael Wobbe, Rechtsextremist aus Quakenbrück, wurde 1992 als V-Mann des niedersächsischen LfV verpflichtet und avancierte danach zum Sicherheitschef bei der Nationalistischen Front. Ohne sein Zutun sei „so manche Kameradschaft gar nicht erst entstanden“, erklärte er 1996 in einem Interview.[10]

Im November 1999 enttarnte sich Michael Grube aus Grevesmühlen als V-Mann des LfV Mecklenburg-Vorpommern. Wie im Fall des Thomas Dienel, war auch er vorher einschlägig aufgefallen. Im Auftrag des LfV hatte er sich zum Kreisvorsitzenden der NPD wählen lassen und trat 1998 zur Landtagswahl auf ihrer Liste an. Im März 1999 beteiligte sich Grube an der Planung und Durchführung eines Brandanschlages auf eine Pizzeria. Vom LfV hatte Grube auch Listen mit Namen vermeintlicher Linker aus Wismar und Umgebung erhalten.[11]

Das Brandenburgische LfV führte über Jahre hinweg einen Neonazi als V-Mann, der 1995 wegen versuchten Mordes an einem nigerianischen Flüchtling verurteilt worden war. Bereits kurze Zeit nach der Verurteilung war Carsten S. auf Freigang und betätigte sich auf Geheiß des LfV für ein Honorar von monatlich bis zu 1.000 DM in seinen alten politischen Kreisen. Der Anfang Juli 2000 „abgeschaltete“ V-Mann organisierte noch im Juni eine NPD-Demonstration in Königs Wusterhausen.[12]

Ausblick

Im Fall Dienel hat Innenminister Köckert den ehemaligen Justiz-Staatssekretär Karl-Heinz Gasser mit einer Untersuchung beauftragt. Von Gasser, der bis zur Übernahme seines Auftrages das LfV in dem o.g. Rechtsstreit mit dem suspendierten Referatsleiter vertrat, ist kaum zu erwarten, dass er die grundsätzliche Frage, nämlich: ob der Einsatz von V-Leuten in der rechten Szene nicht gezwungenermaßen zu einer Unterstützung derselben führt, stellen wird. Die oben nur kurz dokumentierten Fälle machen klar, dass der Verfassungsschutz nicht demokratischer wird, wenn er auf dem bisher weitgehend blinden rechten Auge mehr sehen würde. Die Landessprecherin von Bündnis 90/Die Grünen Astrid Rothe und der PDS-Landtagsabgeordnete Steffen Dittes haben daher zu recht erneut die Abschaffung des Geheimdienstes gefordert.

Christoph Ellinghaus ist Jugendbildungsreferent bei der IG Metall.
[1] Roewer, H.: Nachrichtendienstrecht der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1987, S. 119
[2] Frankfurter Rundschau v. 9.6.2000; Thüringer Landeszeitung v. 9.6.2000
[3] ebd.
[4] Thüringen, Innenministerium: Verfassungsschutzbericht 1997, Erfurt 1998, S. 69
[5] Neues Deutschland v. 18.2.2000
[6] Frankfurter Rundschau v. 22.4.2000
[7] Thüringer Allgemeine v. 9.6.2000
[8] Quelle für Fälle, sofern nicht anders vermerkt: Schröder, B.: Der V-Mann, Hamburg 1997
[9] die tageszeitung v. 1.12.1984
[10] die tageszeitung v. 13.5.1996
[11] Berliner Zeitung v. 2.11.1999, Die Zeit v. 18.11.1999
[12] Der Spiegel 2000, Nr. 28 v. 10.7.2000

Bibliographische Angaben: Ellinghaus, Christoph: Rechte Spitzel des Verfassungsschutzes. Nicht nur in Thüringen, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 66 (2/2000), S. 60-66