Alle Beiträge von Wolf-Dieter Narr

Ausnahmezustand und Norm: Im Zeichen der NSA-Skandals

Das Thema mit seiner Spannung gibt es, seit ein liberaler Rechtsstaat besteht und solange er beansprucht, staatliche Herrschaft zu legitimieren. Der NSA-Skandal hat das Verhältnis von Ausnahmezustand und Norm erneut auf die politische Tagesordnung gesetzt.

Zu allen Zeiten irgendwie installierter Herrschaften und ihrer wenigstens rudimentären Erfordernisse, von mitherrschenden Gruppen akzeptiert zu werden, tauchten Formen des Umgangs mit Ausnahmen auf. Ziel der Konstitutionalisierungen des modernen Staates im europäisch-angelsächsischen Kontext war – unbeschadet der formell verfassungs­lo­sen britischen Ausnahme –, die feudal-absolutistische Willkürherrschaft zu beenden, die arcana imperii (arcanum = geheim) berechenbar, also rechtsförmlich zu vertäuen. Die „Bill of Rights“ von 1689 war dafür ein frühes Beispiel. Was aber sollte in Not-, also Ausnahmezeiten geschehen, wenn staatliche Herrschaft in Gefahr geriet? Von Thomas Hobbes schon vorinformiert, wurde im Preußisch Allgemeinen Landrecht von 1794 eine „Generalklausel“ dafür vorgesehen. Sie besagte: In Not- und Kriegszeiten werden geltende Regeln zeitweise suspendiert – von Grund- und Menschenrechten war seinerzeit noch nicht die Rede. Ausnahmezustand und Norm: Im Zeichen der NSA-Skandals weiterlesen

Wer schützt die Innere Sicherheit? Der Untersuchungsausschuss und die Geheimdienste

NSU und NSA: zwei Abkürzungen zum verwechseln, zwei „Skandale“. In dem einen geht es um Morde, die wie plötzlich (un-)aufgeklärt an diversen Orten ruchbar wurden. In dem anderen um Staaten- und personeneindringliche Informationen, geliefert durch einen gerade noch geheimdienstlich tätigen Mann, der zur global schrillenden Pfeife gegriffen hat. Wer also schützt die Innere Sicherheit und wer schützt uns vor den „Beschützern“?

NSU und NSA haben nichts miteinander zu tun. Oder doch? Nichts, insofern im Falle des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ und seiner TäterInnen bundesdeutsche Innenpolitik und handelnd explodierende Vorurteile gegen Andere und Andersartigkeiten kundgeworden sind. Sie haben sich entwickelt und sind mörderisch geworden mitten in einem Land, das sich wenigstens halboffiziell als „Bündnis der Toleranz“ wähnt. Seit 1950 rühmt es sich seiner in Bund und Ländern offen und geheim tätigen Ämter für Verfassungsschutz, die „sichere“ und „unsichere“ Bürger, Vereine und Parteien an Hand des 1952 und 1956 vom Bundesverfassungsgericht gekerbten Maßstabs der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ sortieren. Wer schützt die Innere Sicherheit? Der Untersuchungsausschuss und die Geheimdienste weiterlesen

Politische Polizei – Demokratie mit dynamischem Schutzzaun

Seit seinen Verwicklungen in den Skandal um den „Nationalsozialistischen Untergrund“ wird in linken und linksliberalen Kreisen immer deutlicher die Forderung laut, den Verfassungsschutz abzuschaffen. Der polizeiliche Staatsschutz gerät dabei fast in Vergessenheit.

Am 23. Mai 1949 erhielt die Bundesrepublik mit Hilfe der westlichen Besatzungsmächte ihre grundgesetzliche Taufurkunde. Aber die gewählten Herren und die wenigen Damen, die nun die westdeutsche Politik vertraten, haben sich selbst, den BürgerInnen und der unerprobten Verfassung nicht allzu sehr vertraut. Noch warf die nationalsozialistische Herrschaft ihren erheblichem Nachschatten. Vor allem aber war die Spannung der ersten Hochphase des Kalten Kriegs jederzeit präsent. Politische Polizei – Demokratie mit dynamischem Schutzzaun weiterlesen

Der liberale Rechtsstaat als Fassade – Bürgerrechte im Schatten polizeilicher Gewalt

Im März 1978 erschien die Nullnummer von „Bürgerrechte & Polizei/CILIP“. Hundert Ausgaben der Zeitschrift dokumentieren die Entwicklung dessen, was damals als „Polizei der Zukunft“ propagiert wurde.

Wie alles anfing: 1969, bald nach seiner Amtsübernahme, machte sich Bundespräsident Gustav Heinemann zum emphatischen Sprecher der schon hier und dort knospenden Friedensforschung. In deren Umkreis gründete der Physiker und Erfinder Georg Zundel die Berghofstiftung für Friedens- und Konfliktforschung. Deren Konzepteschmiede, Dieter Senghaas an der Spitze, hatten eine umfassende Vorstellung von den Voraussetzungen und Geltungsbedingungen des Friedens und entsprechend dessen Bedrohungen.

Also wurde neben der üblichen vor allem außenpolitisch und international akzentuierten Friedensforschung über Rüstung, Abrüstung, Kriege und Kriegsursachen ein rarer Forschungszweig „Studien zur inneren Gewalt“ aufgepfropft. Die Untersuchungen der kleinen Berghof-geförderten Forschungsgruppe rückten die Institutionen und Wirkungen des staatlichen Gewaltmonopols in den Mittelpunkt. Der Forschungszusammenhang erhielt darum das Namenskürzel „Polizeiprojekt.“[1] Der liberale Rechtsstaat als Fassade – Bürgerrechte im Schatten polizeilicher Gewalt weiterlesen

Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft – Notizen zu einem Buch von Peter-Alexis Albrecht[1]

Auf 1040 Seiten hat Peter-Alexis Albrecht sein Wissen, seine Erfahrungen, seine Kritik, seine (Gegen-)Vorschläge und schließlich seine verhaltene Verzweiflung ausgebreitet. Von Strafrecht, Strafjustiz, Strafverfolgung und Strafvollzug in ihrer bundesdeutschen Entwicklung von etwa 1970 bis zur Gegenwart ist die Rede.

49 Abhandlungen von Peter-Alexis Albrecht, gegliedert in sieben Teile, enthält dieses an Material und Aspekten üppige, alles in allem faszinierende Werk. Sie werden „vor dem Hintergrund sich wandelnder Formen und Zugriffe sozialer Kontrolle sowie gesellschaftlicher Ent­wicklungen – in ihrem zeitlichen Verlauf“ präsentiert. Sie sind werkbiographisch verknotet und mit pointierten Bilanzierungen versehen. Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft – Notizen zu einem Buch von Peter-Alexis Albrecht[1] weiterlesen

Die „fdGO“ als Fetisch – Verfassungsschutz und Verfassungsgericht

Die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ (fdGO) wird wie eine Tabuformel benutzt, so als komme der Schutz dieser „unantastbaren Werte“ gegen ihre „Feinde“ noch vor den erst zu verwirklichenden Grundrechten und der Demokratie. Von diesem fetischisierten präventiven Staatsschutz kann sich auch das Bundesverfassungsgericht nicht lösen.

Der „freiheitlich-demokratische Staat“ gehe nicht von sich aus gegen Parteien mit einer ihm feindlichen Zielrichtung vor, er wehre „lediglich Angriffe auf seine Grundordnung ab“, schrieb das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 1956 im KPD-Verbotsurteil. Schon die gesetzliche Konstruktion und präventive Ausrichtung schlösse einen Missbrauch des Parteienverbots „im Dienste eifernder Verfolgung unbequemer Oppositionsparteien aus.“[1] Die „fdGO“ als Fetisch – Verfassungsschutz und Verfassungsgericht weiterlesen

März-Nachrichten vom Bundesnachrichtendienst (BND)

Unter dem Titel „eine geheime Stadt in der Stadt“ berichtete die FAZ am 26. März 2010 vom Richtfest für das neue Quartier des BND in Berlin. Es ist mit 260.000 Quadratmeter Geschossfläche in einem zehn Hektar großen Gelände das bisher größte sichtbare Bauvorhaben des Bundes. Ob es samt Umzug von 4.000 MitarbeiterInnen aus Pullach bei Kosten von rund 1,5 Milliarden Euro bleibt, wird nicht bekannt werden, solange der BND zur Lüge des Verschweigens zwingt. Geheim gehalten wird auch die Organisationsform der neuen Zentrale an der Chausseestraße. März-Nachrichten vom Bundesnachrichtendienst (BND) weiterlesen

„fdGO“: eine Formel für die Ewigkeit – Über die Konitinuität der staatsschützerischen Prämisse

Ohne sie näher zu bestimmen, spricht das Grundgesetz von der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ (fdGO). Die politischen und gesellschaftlichen Wandlungen der letzten sechzig Jahre hat diese Formel unbeschadet überstanden: sie taugt mehr denn je dazu, politisch Unliebsames außerhalb „un­serer“ Gesellschaft zu stellen.

Schon früh in den 50er Jahren wurden in der Bundesrepublik Deutschland die Spurweite des „Schutzes der verfassungsmäßigen Ordnung“ und die Art, wie diese Geleise gegen „verfassungsfeindliche Bestrebungen“ zu befahren waren, festgelegt. Sie sind ins heute Vorbewusste abgesackt. Wer sie infrage stellt, steht schnell im Geruch der Verfassungsfeindlichkeit. Die Motivations- und Artikulationsbasis dieses Schutzes, die „wehrhafte“ („streitbare“, „abwehrbereite“) „Demokratie“ und ihre scheinbare Evidenz, immunisiert gegen alle Zweifel. Neue Gefahren für Grundrechte und Demokratie, wie sie gegenwärtig im Kontext von Globalisierung und Neuen Technologien heraufziehen, brauchen nicht zu kümmern. Sie werden allenfalls wie neuer Wein in alten Schläuchen, sprich im Sinne eines Verfassungsbestandsfixums, behandelt. Die immer neu zu stellende Frage nach den „konstitutiven Elementen einer Vergesellschaftung vom Typus ‚freiheitliche Demokratie‘“[1] wird angstvoll und zugleich aggressiv unterdrückt. „fdGO“: eine Formel für die Ewigkeit – Über die Konitinuität der staatsschützerischen Prämisse weiterlesen