Schlagwort-Archive: 11. September

EU-Haftbefehl: Fiktion einheitlichen Rechtsraums, Abbau von Beschuldigtenrechten

von Henriette Scharnhorst

Die Ausweitung der europäischen Strafverfolgung geht einher mit erheblichen Eingriffen in die Rechte der Betroffenen, ohne gleichzeitig die Beschuldigtenrechte und deren effektive gerichtliche Durch­setzbarkeit zu gewährleisten. Der Europäische Haftbefehl ist ein Musterbeispiel für die seit dem 11. September 2001 rapide vorangetriebene Europäisierung der Strafverfolgung.

Obwohl die europäische Rechtssetzung und ihre Durchsetzung unmittelbare Auswirkungen auf die Lebenswirklichkeiten der BürgerInnen sowie die Rechtswirklichkeit in den einzelnen Mitgliedstaaten hat, ist das Bewusstsein für diese Entwicklungen nach wie vor gering – sowohl in der Rechtspraxis und der Rechtspolitik als auch bei den Betroffenen. Das gilt insbesondere auch für den ab 2002 eingeführten Europäischen Haftbefehl (EuHB). EU-Haftbefehl: Fiktion einheitlichen Rechtsraums, Abbau von Beschuldigtenrechten weiterlesen

Nur die halbe Wahrheit – In den Hamburger al-Qaida-Verfahren wurde die gerichtliche Aufklärung staatlicherseits behindert

von Stefan Waterkamp

Der Kampf gegen den Terrorismus wird seit dem 11. Sep­tember 2001 militärisch, polizeilich, politisch und juristisch geführt. Dabei bleiben Bürger- und Menschenrechte regelmäßig auf der Strecke. Die bisherigen Strafverfahren gegen mutmaßliche Terrorhelfer in Deutschland sind keine Ausnahme.

Wahrheit und Gerechtigkeit sind die Leitprinzipien des Strafverfahrens. Straf- und Strafverfahrensrecht tragen diesen Grundsätzen Rechnung, indem sie die Ermittlung des Sachverhalts der richterlichen Aufklärungspflicht, dem „Gebot bestmöglicher Sachaufklärung“, unterstellen (§ 244 Abs. 2 StPO).[1] Den Gerichten wird die „bestmögliche Sachaufklärung“ allerdings nicht immer leicht gemacht. Nur die halbe Wahrheit – In den Hamburger al-Qaida-Verfahren wurde die gerichtliche Aufklärung staatlicherseits behindert weiterlesen

So offenkundig war es selten – Geheimdienste taugen nur für den Herrschaftsmissbrauch

Unser tägliches Geheimdienstbrot gib uns heute, aber lass uns die Schimmelstellen vermeiden. So lautet das regierungsamtliche Gebet rund um den Globus.

Ein dreifacher Stakkatoschlag. Die zwischen den Parteien ausbalancierte Kommission des amerikanischen Senats, die die Qualität geheimdienstlicher Information untersuchte, urteilte in ihrem am 10. Juli veröffentlichten Bericht vernichtend. Keine der Schlüsselinformationen traf zu, die den Bush-Krieg gegen das Regime Saddam Husseins im Irak im März 2003 weltweit öffentlich rechtfertigten. Nichts mit Massenvernichtungswaffen; nichts mit Direktverbindungen zu Al Qaida; nichts mit einer unmittelbaren Drohung, die binnen 45 Minuten über die BürgerInnen westlicher Länder hätte hereinbrechen können. Nur vier Tage später schlug der Butler-Report der britischen Regierung in dieselbe Kerbe. So wie die CIA, so hatte ihre britische Variante, der MI6, nichts als einseitig zugespitzte, prinzipiell bekannte Informationen geliefert und also vorurteilssystematisch falsch informiert. Von all dem unmittelbaren Gefahrenwesen außer Täuschungsspesen nichts gewesen. Am 22. Juli folgte der dritte Schlag: Die von der US-Regierung eingesetzte so genannte „9/11-Commission“ – auch sie zweiparteilich ausgeglichen – sollte die seismographische Gefahrenwitterung der US-amerikanischen Geheimdienste in Sachen Zerstörung der Zwillingstürme des World Trade Centers in New York und des Angriffs auf das Pentagon untersuchen. Auch ihr Bericht endete für die Geheimdienste katastrophal. CIA und FBI hatten entweder nichts oder sie hatten zu Ungenaues gewusst oder sie waren in der Fülle der Informationen, in der die „Dienste“ wie in einer riesigen Salatschüssel konkurrierend wühlten, nicht an das entscheidende Informationsblatt geraten. So offenkundig war es selten – Geheimdienste taugen nur für den Herrschaftsmissbrauch weiterlesen

War on Terrorism oder War on Liberty? Schlechte Zeiten für die Bürgerrechte in den USA

von Clemens Arzt

„Es ist weder wünschenswert noch wahrscheinlich, dass Bürgerrechte in Kriegszeiten eine derart wichtige Rolle einnehmen, wie im Frieden.“[1] Diese Vorhersage des Vorsitzenden Richters am US-Supreme Court ist Realität geworden, seitdem die US-Regierung nach den Anschlägen vom 11. September 2001 den „war on terrorism“ ausgerufen hat.

Ihren Krieg gegen den Terror führen die USA auch nach innen. Allein im Jahr 2003 geben sie dafür rund 40 Mrd. Dollar aus. Seit dem Homeland Security Act vom 25.11.2002 werden neue organisatorische Strukturen für die Terrorismusbekämpfung, die Einwanderung und insbesondere das Department of Homeland Security geschaffen. War on Terrorism oder War on Liberty? Schlechte Zeiten für die Bürgerrechte in den USA weiterlesen

Rechtshilfe ohne Rechtsschutz – Rechtshilfe- und Auslieferungsabkommen mit den USA

von Hartmut Wächtler

Gummiweiche Formulierungen und ein weitgehender Verzicht auf Datenschutzprinzipien und Rechtsschutzmöglichkeiten kennzeichnen die neuen Abkommen zwischen der EU bzw. Deutschland und den USA.

Der 11. September 2001 hat eine rasante rechtspolitische Entwicklung nach sich gezogen. Wie rasant sie war, zeigt sich sehr deutlich an den Vereinbarungen zwischen Europol und den US-Behörden. Am 6. Dezember 2001 schlossen sie ein erstes Abkommen, das sich noch auf den Austausch von strategischen, d.h. nicht-personenbezogenen Informationen beschränkte. In dessen Art. 3 gab es jedenfalls den Versuch, den Datenaustausch auf bestimmte Kriminalitätsbereiche zu limitieren. Art. 10 II stellte bereits weitere Vereinbarungen zum Austausch personenbezogener Daten in Aussicht. Dem sind die Parteien ein Jahr später gefolgt. Im Zusatzabkommen vom 5. Dezember 2002 gibt es keine Begrenzung der Kriminalitätsbereiche mehr.[1] EUROPOL kann danach die bei ihm vorhandenen Informationen auf Anfrage oder spontan an die USA übergeben. Die Einschränkungen für die Datenübermittlung sind äußerst vage gehalten. So heißt es in Art. 5 Nr. 1a: Rechtshilfe ohne Rechtsschutz – Rechtshilfe- und Auslieferungsabkommen mit den USA weiterlesen

Der Krieg im Innern – Biometrische Kontrollen nach dem 11. September

von Jonathan P. Aus

Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 wird sowohl in den USA als auch in der EU die systematische Erfassung, Speicherung und Weitergabe biometrischer Daten vorangetrieben. Für biometrisch aufgerüstete Reisedokumente und Grenzkontrollen rücken transatlantisch abgestimmte Standards mit weltweitem Modellcharakter in greifbare Nähe.

Der von der US-Regierung unter George W. Bush geführte „Krieg gegen den Terror“ richtet sich nicht nur gegen äußere Ziele wie Afghanistan oder Irak. Die zur „Heimatsicherheit“ aufgestellten Behörden suchen verstärkt auch nach Möglichkeiten zur Bevölkerungskontrolle im Innern. An den Grenzen sollen nun biometrische Technologien zum Einsatz gelangen, welche die zweifelsfreie Ermittlung und Überprüfung der (angeblichen) Identität eines Menschen versprechen. Der Krieg im Innern – Biometrische Kontrollen nach dem 11. September weiterlesen

Militär, Polizei und die „neuen“ Kriege – Eine Einleitung

von Albrecht Funk

Die Ausrufung des Notstandes und der Einsatz militärischer Gewalt im Innern der westeuropäischen und nordamerikanischen Staaten ist nicht wahrscheinlich. Dennoch: der „Krieg gegen den Terrorismus“ hat die Grenzen von innerer und äußerer Sicherheit, von Polizei und Militär verwischt.

Vor 35 Jahren strömten Hunderttausende auf bundesdeutsche Straßen, um gegen die Verabschiedung der Notstandsgesetze zu demonstrieren. Das Militär sollte, so die Forderung der Demonstrierenden, auch im Krisenfall der Regierung nicht als überlegene Gewaltressource zur Verfügung stehen; im Staatsinneren sollte es seine logistischen Fähigkeiten allenfalls in Katastrophenfällen zum Einsatz bringen. Die Notstandsgesetze waren dem Denken des Kalten Kriegs verhaftet: Sie lebten von der Erwartung des gewaltsamen Aufstandes einer fünften Kolonne Ulbrichts. Von 1989, vom definitiven Ende des Kalten Krieges her betrachtet, erhält die Notstandsdebatte von 1968 fast surreale Züge. Selbst die zugrunde gehende Regierung der DDR verzichtete darauf, das Militär gegen jene Demonstrationen einzusetzen, die ihr Ende herbeiführten. Militär, Polizei und die „neuen“ Kriege – Eine Einleitung weiterlesen

EU-US-Kooperation nach dem 11.9. – Sicherheit und Geheimhaltung auf der „nördlichen Achse“

von Ben Hayes

Die Anschläge vom 11. September 2001 haben eine neue Ära der „Sicherheitskooperation“ zwischen der EU und den USA eingeleitet. Trotz der Meinungsverschiedenheiten über die Führung des Anti-Terror-Krieges und des Krieges gegen den Irak wurde die polizeiliche Zusammenarbeit auf neue Felder und mit neuen Mechanismen ausgeweitet.

Die neue Kooperation zwischen der EU und den USA findet zwar unter dem Titel der „Terrorismusbekämpfung“ statt, ist aber keineswegs auf diese beschränkt. Sie umfasst alle möglichen Bereiche der Innen- und Justizpolitik – von polizeilichen und strafrechtlichen bis hin zu einwanderungs- und asylpolitischen Fragen und zur Grenzkontrolle. Informationen darüber sind geheim oder kaum zugänglich, das Europäische und die nationalen Parlamente werden nur am Rande beteiligt, eine öffentliche Debatte gibt es so gut wie nicht. Für Bürger- und Menschenrechte ist offenkundig auf der Tagesordnung der europäisch-amerikanischen Zusammenarbeit kein Platz. EU-US-Kooperation nach dem 11.9. – Sicherheit und Geheimhaltung auf der „nördlichen Achse“ weiterlesen