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Der Umgang mit Vorwürfen: Polizeiliche Reaktionen auf Anschuldigungen

von Riccarda Gattinger

Die Polizei reagiert auf Vorwürfe in der Regel auf zweierlei Weise: mit Abwehr- und Schutzreaktionen. Dies ergibt eine systematische Untersuchung von Zeitschriften verschiedener deutscher Polizeigewerkschaften. Beide Reaktionsformen vermitteln Gefühle des Zusammenhalts und der Zugehörigkeit und wirken somit identitätsstiftend.

Die Polizei ist mit einer öffentlichen Debatte über rassistische und diskriminierende Einstellungen und Verfahrensweisen von Polizeibediensteten konfrontiert. Berichte über Diskriminierungen und Gewalt durch die Polizei haben in den letzten Jahren Schlagzeilen gemacht, beispielsweise wurden in den Jahren 2020 und 2021 vermehrt rechtsextreme Äußerungen in Chatgruppen von Polizist*innen aus unterschiedlichen Bundesländern bekannt. Die Polizei geht innerhalb ihrer Reihen unterschiedlich mit den Anschuldigungen um. Die Führungsebene reagiert meist ablehnend auf die Vorhaltungen von Rassismus und Diskriminierung. Die Arbeit der Sozialwissenschaftler*innen Kathrin Schroth und Karim Fe­rei­dooni zeigt beispielsweise, dass Polizist*innen Vorwürfe zurückweisen, indem sie Beschwerden über Diskriminierung als unbegründet oder nicht gerechtfertigt abtun.[1] Ergänzend stellt der ehemalige Leiter des Fachgebiets Führung an der Deutschen Hochschule der Polizei, Dirk Heidemann, fest, dass Positionen von Kritiker*innen abgewertet werden, indem ihnen vorgehalten wird, Polizeiarbeit nicht zu verstehen. Zudem begebe sich die Polizei mit dem Argument, dass die Polizei dem Verdacht, dass alle Mitglieder der Polizei verantwortlich seien („Generalverdacht“), ausgesetzt wird, in eine Opferrolle.[2] Auch wird oft argumentiert, dass Probleme nur in Einzelfällen aufträten. So werden Strukturen und mögliche problematische Arbeitsweisen nicht infrage gestellt. Der Umgang mit Vorwürfen: Polizeiliche Reaktionen auf Anschuldigungen weiterlesen

Polizeiübergriffe auf ImmigrantInnen – Gewollte Ungleichheit und die Normalität der Gewalt

von Dirk Vogelskamp

ImmigrantInnen berichten immer wieder von polizeilichen Übergriffen. Sie werden beleidigt, geschlagen und gedemütigt. Wie lässt sich diese gewaltsame Polizeipraxis erklären?

Im Dezember 2003 veröffentlichte „Aktion Courage“, eine antirassistische Menschenrechtsorganisation, eine Dokumentation über siebzig ge­waltsame Polizeiübergriffe aus den Jahren 2000-2003, bei denen Flüchtlinge und ImmigrantInnen teilweise schwere Verletzungen davontrugen.[1] Drei von ihnen kamen infolge der Polizeigewalt zu Tode. „Aktion Courage“ spricht in diesem Kontext von schweren Menschenrechtsverletzungen. Otto Diederichs, der die Fälle recherchiert hatte, hält diese nur für „die Spitze eines Eisbergs“, da viele polizeiliche „Übergriffe“ im Polizeigewahrsam stattfänden, wo das Opfer wehrlos/pas­siv und die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist. Viele Opfer von Polizeigewalt trauten sich zudem nicht, die Täter in Uniform anzuzeigen. Zumeist müssten sie mit einer Gegenanzeige wegen „Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte“ rechnen. Dieser Vorwurf führe dazu, dass die entgrenzte polizeiliche Gewaltanwendung legitimiert und zumeist politisch gebilligt werde. Polizeiübergriffe auf ImmigrantInnen – Gewollte Ungleichheit und die Normalität der Gewalt weiterlesen

Polizisten vor Gericht – Strafverfahren wegen Körperverletzung im Amt

von Tobias Singelnstein

Strafverfahren gegen Polizisten wegen Körperverletzung im Amt (§ 340 Strafgesetzbuch) genießen einen zweifelhaften Ruf. Sie dauern in der Regel nicht besonders lange und enden fast nie mit einer Verurteilung. Die Gründe hierfür sind vielfältig.

Im Jahr 2008 wurden ausweislich der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) in Deutschland 2.314 strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt eingeleitet (2004: 2.113; 2000: 2.141).[1] Man kann davon ausgehen, dass sich die ganz überwiegende Mehrzahl dieser Verfahren gegen Polizisten gerichtet hat.[2] Hingegen wurden im gleichen Zeitraum nur 94 Verfahren wegen des gleichen Delikts vor einem Strafgericht verhandelt.[3] Zwar lassen sich beide Zahlen nicht unmittelbar zueinander ins Verhältnis setzen, da eingeleitete Strafverfahren nicht unbedingt im gleichen Jahr noch bis zum Gericht gelangen. Aber die Differenz zwischen beiden macht deutlich, dass der Großteil der Verfahren auf dem Weg von der Anzeigeerstattung zum Gericht verloren geht – weil sie von den Staatsanwaltschaften mangels hinreichenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung eingestellt werden.[4] Polizisten vor Gericht – Strafverfahren wegen Körperverletzung im Amt weiterlesen