Archiv der Kategorie: CILIP 125

Lieber ohne Polizei? (April 2021)

#Polizeiproblem abschaffen? – Einführende Skizzen zur Kritik der Polizei

von Benjamin Derin und Michèle Winkler

Kritik an der Polizei ist so alt wie die Institution selbst und reicht von Reformvorschlägen über das Nachdenken über Alternativen bis zu Forderungen nach ihrer Abschaffung. Der Artikel skizziert die Ausgangspunkte anhand einiger zentraler Ansätze und wagt einen perspektivischen Ausblick.

Im Juli 2014 starb Eric Garner an einem polizeilichen Würgegriff. Seine letzten Worte „I can‘t breathe“ wurden zum Slogan gegen tödliche Polizeigewalt und zur Metapher für den Druck, der auf Schwarze Leben wirkt und ihnen die Luft zum Atmen nimmt. Auch George Floyd äußerte im Mai 2020 mehrmals vergeblich, dass er nicht atmen könne, bevor er unter dem Knie eines US-Polizisten starb. Das Video der grausamen Be­handlung Floyds ging um die Welt. Massive Proteste in den USA folgten. Die Black Lives Matter (BLM)-Bewegung forderte weitreichende Polizeireformen bis hin zur Abschaffung der Polizei. Einer der meistgenutzten Slogans war „Defund the police“ (Streicht der Polizei die Mittel!). Die Proteste fanden einen globalen Resonanzraum, in Deutschland beteiligten sich über 200.000 Demonstrant*innen, viele von ihnen Schwarz und People of Color (PoC). Die Dimensionen verdeutlichen: Es scheint mittlerweile ein gewisses öffentliches und mediales Problembewusstsein für (rassistische) Polizeigewalt zu geben. Es zeigt sich ein wachsendes Interesse an kritischen Perspektiven auf die Polizei, an Überlegungen zu abolitionistischen Ansätzen und zu Übertragungsmöglichkeiten von „De­­fund the police“ auf den deutschen Kontext. #Polizeiproblem abschaffen? – Einführende Skizzen zur Kritik der Polizei weiterlesen

Redaktionsmitteilung

„Defund the police“ fordert die Black Lives Matter-Bewegung, und auch wir fragen erneut: Lieber ohne die Polizei? Erneut, denn bereits 1984, in CILIP 19, hatte die Redaktion dieser Zeitschrift erklärt, sich von der „Utopie einer (staats-) gewaltlosen Gesellschaft“ leiten zu lassen und schon heute den Abbau staatlicher Gewalttätigkeit befördern“ zu wollen, „wo immer dieser möglich ist“. Auch als zwei Jahre später andere Leute, die (damals noch) dem (eher) linken politischen Spektrum zugerechnet wurden, in der Zeitschrift „Freibeuter“ Bekenntnisse zum Gewaltmonopol und seiner angeblich zivilisatorischen Wirkung ablegten, wurde in CILIP 25 daran erinnert, dass die „Kosten des staatlichen Gewaltmonopols nach innen und nach außen schwer zu übertreiben“ seien. „Ist die Staatsgeschichte nicht eine Kriegs-, Ausbeutungs- und immer neue Ungleichheiten schaffende Geschichte gewesen?“ Redaktionsmitteilung weiterlesen

Literatur

Zum Schwerpunkt

Radikale Kritik an der Polizei hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Die Black Lives Matter-Bewegung ist in Deutschland angekommen, sie stieß auf Resonanz bei denjenigen, die das „Racial Profiling“ seit langem kritisieren, die sich erinnern, dass die Polizei bei den NSU-Ermittlungen die Opfer wie Täter behandelte, die die – zufällige – Aufdeckung rechtsextremer Netzwerke in den Sicherheitsapparaten als Indiz dafür werten, dass die Polizeien in Deutschland nicht nur bei Sicherheitsproblemen gerufen werden, sondern selbst ein Sicherheitsproblem darstellen – und zwar unmittelbar für diejenigen Gruppen und Personen, die an die gesellschaftlichen Ränder gestellt werden, und mittelbar für Liberalität und die Geltung der Rechte von Bürger*innen. Literatur weiterlesen

Summaries

Thematic Focus: Better Off Without the Police?

On Abolishing the Police Problem
by Benjamin Derin and Michèle Winkler

Against the background of the current debate on “Defund the police“, this introductory article discusses different critical perspectives on the police in Germany that focus on police use of force, racist practices of control, right-wing tendencies within the police, the expansion of police powers, or the increasingly police-based response to social issues. The different perspectives yield varying demands and approaches to solutions. Summaries weiterlesen

Terroristische Online-Inhalte im Europaparlament

Tom Jennissen

Gegen die Verabschiedung der Verordnung zur Bekämpfung terroristischer Online-Inhalte (TERREG-VO) durch das Europaparlament am 28. April 2021 haben sich zahlreiche zivilgesellschaftliche Gruppierungen in einem offenen Brief an die Abgeordneten gewandt.[1] Die Unterzeichnenden, zu denen neben Organisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch und Reporter ohne Grenzen vor allem netzpolitische Akteure wie European Digital Rights oder die deutsche Wikimedia gehören, warnen vor den Gefahren für die Meinungsfreiheit im Internet und dem Untergraben rechtsstaatlicher Grundsätze. Bereits der im September 2018 vorgelegte Vorschlag der EU-Kommission[2] hatte massive Kritik auf sich gezogen. Dieser sah unter anderem die Verpflichtung von Service-Providern zur automatisierten Überwachung sämtlicher hochgeladener Daten auf sogenannte „terroristische Inhalte“ vor. Terroristische Online-Inhalte im Europaparlament weiterlesen

Frontex ohne Kontrolle

Im vergangenen Jahr haben verschiedene internationale Medien zusammengetragen und mit Videos und Berichten von Betroffenen belegt, wie Griechenlands Küstenwache in großem Umfang Geflüchtete in der Ägäis völkerrechtswidrig in die Türkei zurückschiebt. An diesen Push Backs sind auch Einheiten beteiligt, die einzelne EU-Mitgliedstaaten im Rahmen der Frontex-Mission „Poseidon Sea“ nach Griechenland entsandt haben. Auch die Bundespolizei soll dabei mitgeholfen haben, etwa am 10. August 2020, als die Beamt*innen ein überfülltes Schlauchboot mit rund 40 Menschen an Bord gestoppt und anschließend der griechischen Küstenwache übergeben haben.[1] Im Rahmen der NATO-Einsatzgruppe „Maritime Group 2“ hat zudem die Bundeswehr vom Einsatzgruppenversorger „Berlin“ am 19. Juni 2020 beobachtet, wie ein Boot mit Geflüchteten von griechischen Behörden in türkisches Seegebiet abgedrängt worden ist. Die Soldat*innen griffen dabei nicht ein. Frontex ohne Kontrolle weiterlesen

Deutsche PNR-Folgemaßnahmen

Seit Sommer 2018 verarbeitet die deutsche Fluggastdatenzentralstelle beim Bundeskriminalamt (BKA) Passagierdaten („Passenger Name Records“, PNR), die im Rahmen der EU-PNR-Richtlinie erhoben werden. Sie sollen helfen, terroristische Straftaten und schwere Kriminalität zu verfolgen und zu verhindern. Die Umsetzung der Richtlinie ist im deutschen Flugdatengesetz (FlugDaG) geregelt. Airlines und Reisebüros müssen alle bei der Buchung anfallenden Daten der Passagiere demnach zuerst bei der Buchung und abermals beim Boarding an die Fluggastdatenzentralstelle übermitteln. Dort werden sie im Rahmen des „Fluggastdaten-Informationssystems“ für fünf Jahre auf Vorrat gespeichert.

Der Abgleich der PNR-Daten erfolgt mit dem Fahndungsbestand der deutschen INPOL-Datei und dem Schengener Informationssystem. Laut Bundesinnenministerium hat das BKA auf diese Weise im vergangenen Jahr 5.347 Personen ermittelt, die anschließend Ziel polizeilicher Maßnahmen wurden.[1] Deutsche PNR-Folgemaßnahmen weiterlesen

Neue Europol-Beschlüsse

Zum Ende der deutschen EU-Ratspräsidentschaft hat die EU-Kommis­sion einen Vorschlag zur Erweiterung des Europol-Mandats vorgelegt.[1] Die Polizeiagentur darf demnach selbst Ermittlungen anstoßen, ohne auf eine Initiative aus einem Mitgliedstaat zu warten. Dies soll auch möglich sein, wenn nur ein Land betroffen ist. Bislang beschränkt sich die Zuständigkeit Europols auf Fälle, die zwei oder mehr Mitgliedstaaten betreffen. Neben der verbesserten Zusammenarbeit mit der Europäischen Staatsanwaltschaft (EuStA) und dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) soll auch die Kooperation mit Drittstaaten zur „Vorbeugung“ von Straftaten ausgebaut werden.

Im Rahmen von Ermittlungen soll Europol zudem Daten mit privaten Parteien austauschen. Begründet wird dies mit der Verbesserung von Instrumenten im Bereich von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestim­mung von Kindern. Massendaten erhält Europol aber auch in Ermittlungen, in denen Firmen von einem Cyberangriff betroffen sind. Neue Europol-Beschlüsse weiterlesen