Schlagwort-Archive: Abolitionismus

Zwischen Praxis und Utopie: Alternativen zu Knast und Strafe

von Britta Rabe

Vorstellungen zur Abschaffung von Gefängnis und strafendem Staat reichen von der Reduktion von Freiheitsstrafe über Konfliktschlichtung bis hin zur Transformation der Gesellschaft, die nicht auf Strafe, sondern auf gemeinschaftliche Verantwortungsübernah­me setzt.

Überlegungen, auf welche Weise die Polizei abzuschaffen wäre, kommen nicht ohne die Beschäftigung mit der Frage aus, wie Alternativen zu der nachgeordneten einsperrenden Institution Gefängnis aussehen können. Denn abseits des aktuellen Trends von Strafrechtsverschärfungen – trotz eines kontinuierlichen Rückgangs von Straftaten – ist längst die Einsicht eingekehrt, dass Freiheitsstrafen Verbrechen nicht verhindern und auch sonst der Gesellschaft wenig praktischen Nutzen bieten. Die Rechtfertigung der Freiheitsstrafe ist zwar laut § 2 des Strafvollzugsgesetzes die Resozialisierung der Gefangenen. Dieses Ziel wird aber nicht erreicht, nicht zuletzt, da Gefangene ihrem gesellschaftlichen Umfeld entrissen werden. Als erfolgreiche „Resozialisierung“ gilt in der Praxis oft allein die Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Zwischen Praxis und Utopie: Alternativen zu Knast und Strafe weiterlesen

Alternativen von Strafrecht und Polizei: Eine ernüchternde Geschichte

von Helga Cremer-Schäfer

In der Auseinandersetzung um rassistische Polizeigewalt kommt auch die Kritik an Polizei und Gefängnis, an Überwachen und Strafen, wieder zu ihrem Recht. Sozialarbeit wird als Alternative zur Polizei diskutiert. Diese Alternative ist problematisch, solange sie einige Grundannahmen zur Bekämpfung von „Kriminalität“ nicht in Frage stellt.

Sowohl durch den polizeilichen Zugriff der Gefahrenabwehr mit Platzverweis und Gewahrsamnahme als auch durch Verurteilung von Straftäter*innen und ihre Unterbringung in Gefängnissen findet Ausschließung statt. Die Delinquent*innen werden zeitweise aus der Gesellschaft entfernt. Dies ist die breit akzeptierte Form, in der der Staat „Kriminalität bekämpft“. Zu den seltenen historischen Bedingungen, Ausschließungsvorgänge zu begrenzen, gehörten heute zurückgedrängte, doch nicht ganz verschwun­dene professionelle, disziplinäre und wissenschaftliche Gegenbewegungen, die gegenüber staatlich organisierter Bestrafung und dem zugehörigen Ausschlusswissen (wie der traditionellen Anwendungswissenschaften Kriminologie, Psychiatrie, repressiven Fürsorgewissenschaft) eine abolitionistische Haltung einnahmen. Das hieß, institutionell verwaltete Etiketten – „Verbrechen“, „Asozialität“, „Hangtäter*innen“, „Wohlstandsverwahrlosung“ – als Zuschreibung des Status eines „minderen Menschen“ zu analysieren,[1] geschlossene Anstalten/Ge­fäng­nisse als organisierte Ausschließung zu kritisieren, Verdinglichungen durch alternative Herrschaftstechniken zum Objekt von Kritik zu machen und im Negativen eine mögliche andere Zukunft aufscheinen zu lassen: ohne Ausschließungsregime, ohne Ausschließung durch Einschließung in all ihren Formen, ohne speziell die Institution Verbrechen & Strafe, ohne eliminatorische und technische Problemlösungsphantasien, ohne institutionelle Stigmatisierung durch Kontroll-Institutionen. Alternativen von Strafrecht und Polizei: Eine ernüchternde Geschichte weiterlesen

#Polizeiproblem abschaffen? – Einführende Skizzen zur Kritik der Polizei

von Benjamin Derin und Michèle Winkler

Kritik an der Polizei ist so alt wie die Institution selbst und reicht von Reformvorschlägen über das Nachdenken über Alternativen bis zu Forderungen nach ihrer Abschaffung. Der Artikel skizziert die Ausgangspunkte anhand einiger zentraler Ansätze und wagt einen perspektivischen Ausblick.

Im Juli 2014 starb Eric Garner an einem polizeilichen Würgegriff. Seine letzten Worte „I can‘t breathe“ wurden zum Slogan gegen tödliche Polizeigewalt und zur Metapher für den Druck, der auf Schwarze Leben wirkt und ihnen die Luft zum Atmen nimmt. Auch George Floyd äußerte im Mai 2020 mehrmals vergeblich, dass er nicht atmen könne, bevor er unter dem Knie eines US-Polizisten starb. Das Video der grausamen Be­handlung Floyds ging um die Welt. Massive Proteste in den USA folgten. Die Black Lives Matter (BLM)-Bewegung forderte weitreichende Polizeireformen bis hin zur Abschaffung der Polizei. Einer der meistgenutzten Slogans war „Defund the police“ (Streicht der Polizei die Mittel!). Die Proteste fanden einen globalen Resonanzraum, in Deutschland beteiligten sich über 200.000 Demonstrant*innen, viele von ihnen Schwarz und People of Color (PoC). Die Dimensionen verdeutlichen: Es scheint mittlerweile ein gewisses öffentliches und mediales Problembewusstsein für (rassistische) Polizeigewalt zu geben. Es zeigt sich ein wachsendes Interesse an kritischen Perspektiven auf die Polizei, an Überlegungen zu abolitionistischen Ansätzen und zu Übertragungsmöglichkeiten von „De­­fund the police“ auf den deutschen Kontext. #Polizeiproblem abschaffen? – Einführende Skizzen zur Kritik der Polizei weiterlesen